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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 61 - Nr. 69 (2. August - 30. August)
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und weiſ't einen guten Verdienſt nicht zur Unzeit zu-
rück. Ich will es mir leicht machen, darum bewahrt
mir die Waffen und, fügte er, einen verſiegelten Beu⸗—
tel hervorziehend, hinzu, dieſe hundert Friedrichsd'or
bis zu meiner Abreiſe. ö

Ew. Gnaden gedenken wohl, auf längere Zeit hier

zu weilen? fragte der plötzlich ſehr höflich gewordene
Wirth und nahm die Waffen ſammt dem Beutel an.
Je nachdem es meine Geſchäfte veranlaſſen, ant-
wortete der Fremde.
Vielleicht mehrere Tage? fuhr Jener immer ge
ſchmeidiger fort. ö ö
Wohl möglich, entgegnete der Andere. ö
Oder auch wohl auf einige Wochen?- —
Kann ſein! verſetzte der Fremde. ö
Vielleicht haben wir gar auf einige Monate das
Glück?
Vielleicht! — fiel der Gaſt ungeduldig ein — aber
ich liebe das Fragen nicht! Seid ſo gut und gebt mir
ein Zimmer, wo ich möglichſt ungeſtört und einſam
wohnen kann. Das Weitere wird ſich finden.
Sogleich! ſogleich! entgegnete der Wirth und rieb
ſich geſchäftig⸗verlegen die Hände. Dürfte ich Ew. Gna-
den nur zuvor um den gnädigen Namen — ö
Den wird mein Paß ausweiſen, welchen ich gehöri-
gen Ortes produciren will, unterbrach ihn der Fremde,
und drang abermals auf das begehrte Zimmer.

Der Wirth ſah ſich genöthigt, ſeiner Neugierde für

jetzt einen Zaum anzulegen und führte ſeinen Gaſt un-
ter bäuerlichen Komplimenten eine Treppe hinauf in
ein freundlich⸗ländliches Stübchen, welches von der ſor-
genden Hausfrau ſtets mit allen Bequemlichkeiten für
die einkehrenden Reiſenden verſehen war. Der Fremde
ließ ſich ein Abendbrod bringen, und bat es ſich aus,
ihn fur heute nicht mehr zu ſtören, indem er der Ruhe
bedürftig ſei und nach dem Eſſen unverzüglich von der
weichen, reinlichen Schlafſtätte Gebrauch machen wolle.
Der Wirth willfahrte ſeinem Verlangen, und zerbrach
ſich den ganzen Abend vergebens den Kopf über die
ſeltſame Erſcheinung, bis auch er endlich, ärgerlich, daß

ſeine Frau nicht einmal ſeine Neugierde theilte, im wei-

chen Federbette, vom Schlaf bezwungen, die Begeben-⸗
heit dieſes Tages vergaß. T—
Früh am nächſten Montage ſpannte der Knecht zur
blauen Gans zwei wohlgeuährte Pferde vor einen brei-
ten Leiterwagen, der am verfloſſenen Abend ſchon von
ihm und ſeinem Herrn mit Korn, Obſt und Butter be-
laden worden war. ö
Gretel! rief der Wirth ſeinem Weibe zu, ich muß
in die Stadt auf den Markt, und werde vor Abend
nicht heimkehren. Laß indeß den wunderlichen Frem-—

den nicht aus dem Auge, und verſuche es doch, ob Du

ihm nicht Rede abgewinnen kannſt.
Die Bäuerin nickte bejahend mit dem Kopfe und
begleitete den Reiſefertigen an die Hausthür. Hier
wandte ſich dieſer noch einmal um und flüſterte geheim-
nißpvoll: * ö
Laß es ihm vor allen Dingen an nichts fehlen,
denn reich iſt er, und wer weiß, was ſonſt noch! Daß

er mehr iſt, als er ſcheinen will, das glaube mir, habe
geht. — Und habe Acht, ob er auch auf's Schloß
geht. ö ö

Mit dieſen Worten ſtieg er auf den Wagen, ergriff
die Zügel und ſchlug den Weg nach der nächſten Stadt
ein. Die Wixrthin ging an die Wiege ihres Säuglings

zurück und da ſie dieſen noch im ſanften Schlummer

fand, eilte ſie an ihre häuslichen Geſchäfte in Küche,
Keller, Hof und Garten, ohne ſich um den Fremden
ſonderlich zu bekümmern. So geſchah es denn, daß

dieſer unbemerkt das von ihm bezogene Stübchen und

das Haus verließ. Zwar ſtrahlte die Sonne hell und
freundlich, es war ein ſchöner heiterer Herbſtmorgen;
trotz dem aber ging der Fremde, wie geſtern, vom

Kinn bis zum Fuß in ſeinen langen, dunklen Mantel

eingehüllt. Alt und Jung blieb gaffend ſtehen, als er
langſamen Schrittes das Dorf durchwandelte; er grüßte
Keinen, und wenn ihm auch ein geſchwätziges Mütter-
chen, aus der niedrigen Thür lugend, einen guten Mor-
gen bot, oder ein bejahrter Bauer im Vorübergehen die
Mütze zog, ſo lüftete er zwar ein wenig den großen
Filzhut, wandte aber gleich das düſtere Geſicht ab, und
zog ohne Antwort weiter. Jetzt lag das erſt neu ge-

baute Schulhaus vor ihm da, ein Choralgeſang von

Kinderſtimmen verkündete, daß dort die erſte Stunde
der Andacht gewidmet war. Der Fremde blieb ſtehen
und unbewußt wurde ihm das Auge naß.

Das Alles noch wie ſonſt, flüſterte er vor ſich hin,

und fuhr mit dem Aermel über's Geſicht. Alles? wie-

derholte er, und ſchüttelte zweifelnd das Haupt. Wir
werden ſehen, ſetzte er wehmüthig hinzu. Ach, die
Ruhe iſt das Irrlicht des Lebens, welches der Menſch

überall vergebens zu haſchen ſucht, in der Heimath, wie
in der Fremde! — Aber die Ehre! — Schweig Du!

Nage nicht ewig am verletzten Herzen, murmelte er

wilder, und ſchritt heftig vorwärts.

Das Schulhaus lag am Ende des Dorſes, dem ge-
genüber eine kleine Strecke abgelegen von den Woh-
nungen der Bauern, die Kirche. Die von Feldſteinen
aufgeſetzte Mauer des Friedhofes war faſt zerſtört, nur
hie und da zeigten ſich noch niedrige Ueberreſte. Ein-
zelne Steine bildeten ſtatt der Mauer die Einfaſſung.

Der Friedhof ſelbſt lag ziemlich wüſt; es ſchien, als

wenn rohe Gewalt hier nicht die Ruhe der Todten
ehrte, und, die Fußſteige unbeachtend, ſich in der Re-
gel den Weg mitten über die Gräber bahnte. Kein

Wunder, daß nicht einmal eine ſchwache Befriedigung

den geheiligten Acker umſchloßt: —
ö (Fortſetzung folgt.)

Der alte Blächer und die Vendame⸗Saule.

Jedes Ding, das exiſtirt, hat ſeine Schickfale er-
lebt, ſeine guten und ſeine böſen, komiſchen und tragi-
ſchen, natürlichen und wunderbaren Momente gehabt.
Selten aber hat etwas in der Welt in höherem
Grade die Wandelbarkeit des Schickſals erfahren, und
in furchtbarer, ſchrecklicher Zeit einen komiſchern Fall
 
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