Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 61 - Nr. 69 (2. August - 30. August)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0254

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
25²2

Ihr ſelbſt mögt auch wohl immer gut geweſen ſein,
Anton Ripen, ſprach der Fremde nachdrucksvoll, und
legte ihm vertraͤulich die Hand auf die Schulter.
Herr entgegnete der Alte ſeltſam beſtürzt, Ihr ſeht
nicht darnach aus, daß Ihr Honigworte machen könnt,
und thut es dennoch! — Eure Sprache iſt mir fremd,
gleichwohl klang ſie mir ſchon bei Eurer Anrede be-
kannt, und jetzt eben, da Ihr meinen Namen nanntet,
noch mehr. Auch war es mir vom erſten Augenblicke
an, als hätte ich Euch ſchon früher irgendwo einmal
geſehen.
Laßt Euch das nicht auffallen. Dergleichen iſt auch
mir mehr als einmal begegnet, erklärte Jener. Wer
ſich weit in der Welt herumtreibt, dem geſchieht es
nicht ſelten, daß ihm unter ganz Fremden ein Weſen
begegnet, welches ihm wunderbar bekannt vorkommt.

Das aber iſt die verwandte Seele, die uns unmittel-

bar auch durch ein fremdes Aeußere anſpricht. — Die-
ſer Fall mag denn wohl zwiſchen uns ſtattfinden; we-
nigſtens fühle ich mich zu Euch hingezogen, und wenn
Euch meine Nähe nicht zuwider iſt, ſo ſeid ſo gefällig,
und macht mich noch ein wenig mit den Abgeſchiedenen
vertraut, deren Gebeine hier ruhen.
Der Alte, ganz hingeriſſen, bei einem andern das
JIntereſſe zu finden, in dem er einzig lebte und webte,
zeigte ſich willfährig. ö
Den Fremden an den Gräbern herumſührend, de-
ren jedes ein ſchwarzes Kreuz zierte, welches mit dem
Namen des Verſtorbenen bezeichnet war, lieferte der
Todtengräber ofaſt zu jedem Namen auch eine kurze
Biographie. Der Zuhörer zeigte eine Aufmerkſamkeit,
die den Erzähler immer mehr für ihn einnahn. Jetzt
ſtanden ſie an einem abgeſonderten Platze, deſſen Bo-
den dicht mit Feldſteinen beſäet warz in der Mitte er-
hob ſich ein Grabhügel, ausgezeichnet dadurch, daß ihn
ſparſames Moos ſtalt der Steine deckte.
Warum liegen denn hier ſo viele Steine? fragte
raſch der Fremde. ö ö ö
Herr, erwiederte der Alte
Armenſündereckchen.

Hier entſtand eine minutenlange Pauſe. Der Tod-
tengräber erwartete gleichſam eine zweite Frage, und
pte Fremden ſchien die folgende einigen Kampf zu
oſten.
Jenes bemoſ'te Grab? verſetzte er mit ſchwankender
Stimme. ö ö
Ja ſeht, Herr, begann Jener, immer zögernd und
kleinlaut, das iſt ſo eine Geſchichte, die ich nicht gern
erzähle, weil mein Herz an dieſer einen innigen An-
theil nimmt.
Ich trage darum ein ſo größeres Verlangen, ſie zu
wiſſen, bat der Fremde mit einnehmendem Ton.

zögernd, das iſt das —

Ihr mögt wohl eine ganz beſondere Ausnahme un-

ter den Menſchen ſein, daß Ihr mich ſo zur Mitthei-
lung zu ſtimmen wißt, entgegnete der Greis. Wenig-
ſtens, glaube ich, gehört Ihr nicht zu den Hartherzi-

gen und Hochmüthigen, die jeden Unglücklichen auf den

Schein verdammen. So mag es denn d'rum ſein, ich
7.

will Euch die Geſchichte meinis armen Freundes ver-
trauen.
Mit dieſen Worten ſetzte er ſich auf einen großen
Stein, der Fremde ſtand ihm mit verſchränkten Armen
und geſpannter Miene gegenüber. Jener ſtützte das

Kinn auf den Grabſpaten, blickte vor ſich nieder und

hud alſo an:
Es war im Frühling, anno — anno — laßt ſe-
hen! — anno 1796, als ich bei dem Chef unſers Re-
giments um meinen Abſchied nachſuchte und ſelbigen
auch erhielt. — Denn Ihr müßt wiſſen, daß ich im
Dienſte der ſchleswig⸗holſteiniſchen Infanterie grau ge-
worden bin, und da fortwährend ein unbedrohter Friede
in Dänemark herrſchend blieb, ſo wurde ich des Sol-
datenſpielens endlich müde. Ich ſehnte mich hierher,
nach meinem heimathlichen Dörſchen, zurück. Zwar
waren Vater und Mutter längſt todt, Geſchwiſter und
andere Verwandte hatte ich nicht. Dennoch zog es
mich mit Allgewalt der heimathlichen Gegend. zu. —
Denn, Herr, die Sehnſucht nach dieſer, mag man ſich
auch noch ſo lang anderswo herumtreiben, wacht früher
oder ſpäter immer einmal wieder auf. x ö
Ja wohl! ja wohl! ſtimmte der Fremde, aus tie-
fer Bruſt ſeufzend, ein. ö
Nun, ſeht Ihr, fuhr Jener fort, mich zu ernähren
hatte ich nichts, als meine ſehr geringe Penſion, die
reichte aber nicht aus, mich mit trockenem Brode zu
ſättigen. Ich arbeitete alſo im Dorfe um Tagelohn,
denn trennen wollte ich mich von der mir auf's Neue

liebgewordenen Heimath nicht mehr. — Ein einziger

Jugendfreund lebte mir hier noch, der mir die alte bie-
dere Herzlichkeit entgegentrug, Peter. Brun.
Weiter! rief der Fremde, und verhüllte mit dem
Zipfel des Mantel das Geſicht. ö
Peter Brun war indeß beinahe eben ſo arm, wie
ich, ſeine kleine Kathe konnte ihn mit Fran und Sohn
nur kümmerlich ernähren. Dazu fügte es ſich, daß ihn
immer nur alles erdenkliche Mißgeſchick treffen müßte.
Bald ſtarb ihm die einzige Kuh, bald fraßen die Rau-
pen ſeinen Kohl, oder der Nachtfroſt fiel auf ſeinen
blühenden Roggen. Kurz, Peter Brun's Mißgeſchick
war im Dorfe zum Sprichworte geworden. Wie das
denn nicht ſelten iſt, daß des Glückes üdle Launen
unabläßlich den Redlichen verfolgt, während es dem
minder Guten ſeine reichſten Gaben ſpendet.
Der Fremde verrieth durch eine leiſe Beugung
des Hauptes ſeinen Beifall, und der Alte erzählte
weiter:
Sechs Jahre hatte ich mit meinem biedern Freunde
verlebt, und es war im Winter anno 1802, als ſein
braves Eheweib an einer langſam zehrenden Krankhe!
ſchwer darnieder lag. Die Noth war groß, denn das
Unglück hatte den Sorgenvollen wieder einmal das
ganze Jahr hindurch verfolgt. Am Schmerzenslager

des geliebten Weibes ſtand er täglich, und mußte es

mit brechendem Herzen anſehen, wie ſie, aller Pflege
entbehrend, allmählig dem Grabe zuwelkte. — Indeß
der harte Winter und der vorjährige Mißwachs moch.
ten wohl in mehreren Familien Noth und Sorgen ein,
 
Annotationen