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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 96 - Nr. 104 (2. Dezember - 30. Dezember)
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401

einer Haſt, als wollte er über Hals und Kopf in den

Hof hinunterſtürzen; hinter ihm eine Frau, die ihn
kräftig umfaßt hielt und nach innen zurückzog. Es war
ein entſetzlicher Anblick, ein Ringen auf Leben und
Tod, der Ausgang zweifelhaft. Vielleicht ein Irrſinni-
ger, ein Verzweifelnder, vielleicht beides. Frank riß

ohne Zögern das Fenſter auf und rief ein ſtarkes und

gebieteriſches Halt! empor. Der Zuruf, der in ſtiller
Nacht von einem unſichtbaren Warner ausging, kam
dem armen Weibe wunderbar wirkend zu Hülfe. Der
Mann ſchrack ſichtlich zuſammen, ſeine Kraft war ge-
brochen, er ließ ſich ohne Widerſtand zurückführen. Die
furchtbare Scene, die ſich in kaum einer Minute ab-
ſpielte, hatte die Theilnahme Frank's ſo lebendigzer-

regt, daß er den raſch gewonnenen Einfluß noch weiter

benutzen wollte. Er eilte die Treppe hinab und nicht
lange, ſo klopfte er an die Thür des unglücklichen
Paares. Man ſchien ſein Klopfen nicht zu hören, oder
nicht hören zu wollen. Indeß die Thür war unver-
ſchloſſen, er trat hinein. Der Mann ſaß wie gelähmt
mit halbverloſchenem Blick auf einem Stuhl, vor ihm
die Frau ſo heftig ſchluchzend, als ob das Herz ihr
zerſpringen wollte. Frank brauchte ſich nicht zu nen-
nen, die Leute kannten ihn, auch errieth die Frau ſo-
gleich den Zuſammenhang. „Sie ſind der Retter mei-
nes Mannes!“ rief ſie weinend und küßte ſeine Hand,
die er vergebens zu entziehen ſuchte. „Ja, Sie ſind
es, denn meine Kraft würde doch nicht ausgereicht ha-
ben, ihn von ſeinem ſchrecklichen Vorhaben zurückzuhal-
ten. O, mein Herr, Sie ſehen hier den Jammer einer
unglücklichen Familiez Noth und Krankheit, eigene und
fremde Sünde, haben uns in dies Elend gebracht. Ja,
die Sünde harter und böſer Menſchen drückt mehr auf
uns, als ich ſagen darf. Meine Kinder ſchreien um

Brod und wollen leben, mein Mann — da ſehen Sie,

wie er ſchwach und ohnmächtig dafitzt! Er, der ſich

eben erſt das Leben nehmen wollte, weil die Angſt vor

der Zukunft und, ich will's ja nicht leugnen, die har-
ten Worte von mir ihn um die Beſinnung gebracht
hatten.
(Fortſetzung folgt.)

Mannichfaltiges.

Talleyrand, der König der Diplomaten, von
welchem die ſaubern Ausſprüche herrühren: Ich bin
unbeſtechlich bis zur Million; der Menſch beſitzt die
Sprache, um ſeine Gedanken zu verheimlichen, u. a. m.,
befand ſich eines Tages in der Geſellſchaft zweier Da-
men, welche er ſeit langer Zeit in gleichem Maße ver-
ehrte und auszeichnete. Beide waren jetzt feſt entſchloſ-
ſen, endlich zu erfahren, welcher von ihnen er den Vorzug
gebe. In vollkommener Uebereinſtimmung operirten ſie
gegen den gewandten Diplomaten und ſetzten ihm von
beiden Seiten die ſcharf zugeſpitzten Fragen auf die
Bruſt. Allein vergebens! Aalglatt wand ſich der ſchlaue
Diplomat aus der Falle. ö

„Wenn wir beide nun gleichzeitig in's Waſſer ſtürz-
teu,“ rief endlich die eine Dame ungeduldig aus, „welche
von uns beiden würden Sie retten, die Blonde oder
die Brünette?“ Triumphirend über ihre Schlauheit
warf die Fragerin der Verbündeten einen Blick zu.
Hier war der Fuchs endlich in der Klemme, denn beide
zugleich konnte der beſte Schwimmer der Welt nicht
retten. ö
„Meine angebeteten Freundinnen beſitzen ſo unzäh-
lig viele Vorzüge und Talente,“ antwortete Talleyrand
lächelnd, „daß ich ganz ſicher annehmen darf, ſie wer-
den auch beide — ſchwimmen können.“

Die Schauſodielerin Mars war eines jener
graziöſen Schooßkinder der Natur, welche gleich der
Ninon de L'Enclos durch Geiſt und blendende Aeußer-
lichkeit ihre Umgebung zu bezaubern wiſſen. Als die
Natur zu erlahmen begann, rief ſie die Künſte der
Toilette zu Hülfe und ſtarb in Folge entſetzlicher Ge-
hirnſchmerzen, welche ſie durch ein giftiges Haarfärhe-
mittel heraufbeſchworen hatte. Eines Tages ergriff ſie
die Hand eines Freundes, der ihr ſehr theuer war,
legte dieſelbe an ihre rechte Seite und ſagte: „O, fühl'
nur, wie mein Herz ſchlägt!“ „Das Herz des Men-
ſchen pocht an der linken Seite“, entgegnete dieſer lä⸗—
chelnd. Fräulein Mars ſchlug ſinnend ihre großen Au-
gen auf und ſagte: „Mein Herz iſt überall.“

Dnelle. Unter dem großen Schwedenkönig Gu-
ſtav Adolph riß in der Armee eine ſolche Duellwuth
ein, daß er ſich genöthigt ſah, ein Geſetz zu erlaſſen,
welches über Duellanten wie ihre Zeugen die Todes-
ſtrafe verhängte.
Zwei Offiziere hatten nach Erlaß deſſelben einen
Ehrenhandel auszufechten, und reichten eine Petition
um Suspendirung des fraglichen Geſetzes ein, indem
ſie zu bedenken gaben, daß die Streitſache eine ſo gra-
virende und die gefallenen Beleidigungen ſo tödtlich
f. ſeien, daß eine Verſöhnung ganz undenkbar
ei. ö
Die Antwort des Königs lautete: „Die Unverſöhn-
lichen mögen den Ort des RendezvouSheſtimmen. Ich
ſelbſt werde Zeuge ſein.“
Früh am Morgen erſchien der König beim Stelldichein;
doch dicht hinter ihm ritt der SHarfrichter. Verwun-
dert und fragend blickten die Aerſöhnlichen Gegner
auf den unheimlichen Geſellen.
V„„Ich habe den Henker gleich mitgebracht,“ erklärte
Guſtav Adolph, „denn wer von Ihnen nach dem Duell
noch am Leben iſt, wird gehenkt.“
Dieſe wenig, verlockende Perſpektide hatte zur Folge,
daß die unverſöhnlichen Gegner ſich ſofort mit inniger
Liebe auf beide Backen küßten und in brüderlicher Ein-
tracht in's Quartier zurückkehrten.
 
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