Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0096

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ETT PFPFFFF —
ee e

ob und aus welchen Gründen der Wunſch nach Wieder-
herſtellung des Zwanges in weiteren Kreiſen ſich geltend ge-
macht hat. — Die Agitation der Sozialdemokraten
in Berlin ſcheint im Geheimen ſehr prompt zu funktioniren.
Geſtern Abend iſt in faſt allen Stadttheilen in angeblich
80,000 Exemplaren binnen wenigen Stunden von Hunderten
von Männern aller Altersklaſſen in Reſtaurationen, Werk-
ſtätten, auf der Straße, auf Arbeitsplätzen ein ſozial-
demokratiſches Flugblatt vertheilt worden, welches
ſich u. A. auch mit den Puttkamerſchen Erlaſſen beſchäftigt.
Wörtlich Etwas aus dem Flugblatte, das die Ueberſchrift:
„Arbeiter! Handwerker! Bürger!“ trägt und mit dem Rufe:
„Es lebe die Sozialdemokratie!“ ſchließt, mitzutheilen, iſt
nicht möglich. Die Sprache iſt mehr als drohend. Der
Fortfall des Wahlrechts der Arbeiter zum Reichstag wird
als drohendes Zukunftsbild den Arbeitern vor Augen ge-
führt und zum Schluß als der Schutz und Hort der Ar-
beiter die ſozialdemokratiſche Partei geprieſen, die unentwegt
und unerſchrocken die Rechte des Volkes vertrete. — Die
„Kreuzzig.“ meldet unter Reſerve, daß man an zuſtändiger
Stelle die Frage erörtere, ob es nicht angezeigt wäre, in
gewiſſen Kreiſen eine Reform des militäriſchen Be-
richterſtatterweſens anzuregen. In Folge von ge-
wiſſen Unzukömmlichkeiten wäre nämlich dem Unweſen zu
ſteuern, daß bei den großen Feldmanövern nud überhaupt
bei militäriſchen Uebungen allzuviele und nichts weniger
als diskrete oder vertrauenswürdige Elemente ſich einſchleichen.
Um dieſem Uebelſtande in radikaler Weiſe abzuhelfen, würde
man die Einführung einer ausſchließlich offiziellen Bericht-
erſtattung über alle Vorgänge im Felde einführen wollen,
ſodaß hinfort nicht mehr jedwedem Journal anheim geſtellt
bliebe, einen ihm beliebigen Vertreter zu Manövern u. ſ. w.
zu entſenden.
Berlin, 23. Juli. Petersburger Privatnachrichten zu-
folge gedenkt der ruſſ. Miniſter des Auswärtigen v. Giers
am 2. oder 3. Auguſt von Franzensbad zum Beſuche
des Fürſten Bismarck in Kiſſingen einzutreffen. Es
ergibt ſich daraus, daß die Wiener Meldung, Fürſt Bis-
marck werde bereits am 2. Auguſt in Gaſtein eintreffen,
grundlos iſt; überhaupt ſteht ſeine Reiſe noch nicht feſt,
erſt im Laufe der nächſten Woche werden darüber endgiltige
Entſchlüſſe gefaßt werden, ſobald Profeſſor Schwenin-
ger, der gegenwärtig in Heidelberg weilt, nach Kiſſingen
gekommen ſein wird. — Die Berliner politiſchen Nachrichen
erklären, die Regierung beabſichtige nicht, die-
ſem Reichstage eine neue Branntweinſteuer-
vorlage zu machen. So lange der Reichstag eine Zu-
ſammenſetzung aufweiſe, welche das Bedürfniß zur Ver-
mehrung der Einnahmen nicht anerkenne, ſei es zwecklos,
ſolche Vorlagen zu machen. — Der Reichsanzeiger publicirt
eine Verordnung wegen Errichtung einer beſonderen Reichs-
commiſſion für den Bau des Nordoſtſee⸗Canals,
ſowie folgende Verordnung: § 1. Der Gouverneur für
das Kamerungebiet, der Commiſſär für das Togo-
gebiet und der Commiſſär für das ſüdweſtafrikaniſche
Schutzgebiet werden, Jeder für den ihm unterſtellten Amts-
bezirk, ermächtigt, auf dem Gebiet der allgemeinen Verwal-
tung, des Zoll⸗ und Steuerweſens Verordnungen zu
erlaſſen. Dieſelben ſind ſofort in Abſchrift dem Reichs-
kanzler mitzutheilen, welcher befugt iſt, die erlaſſenen Ver-
ordnungen aufzuheben. ö
München, 22. Juli. Auch damit, daß die ultramon-
tanen Blätter die angeblichen Vorſtellungen des Vatikans
an die bayriſche Regierung wegen des Handſchreibens des
Prinzregenten zu bloßen „Bemerkungen“ herabmilderten,
haben ſie kein Glück. Die Neueſten Nachrichten erklären
nämlich kategoriſch: „Die Curie hat mit keiner Silbe
auch nur verſucht, die Worte des Prinz⸗Regenten zu be-
mängeln, und mit dieſer Thatſache, ſo unerfreulich ſie
Manchem ſein mag, muß man rechnen.“

Straßburg, 22. Juli. In unſerer Stadt ſind die
Vorbereitungen, unſeren Hel denkaiſer würdig zu em-
pfangen, bereits bemerkbar. Ueber die Empfangsfeierlich-
keiten iſt der Bad. Ldzig. zufolge noch wenig bekannt; der
neue Gemeinderath, der bis dahin in Thätigkeit getreten
ſein dürfte, wird hoffentlich vollzählig als Vertreter der gut
deutſchen Stadt Straßburg den Kaiſer bewillkommnen.

Ueber die Feſtlichkeiten während der Anweſenheit des
Kaiſers in Straßburg verlautet bis jetzt nur, daß im
Stadttheater eine vom Statthalter Fürſten Hohenlohe und
eine von der Stadt gegebene Feſtvorſtellung ſtattfindet.
Bei dieſer Gelegenheit ſei erwähnt, daß aus hieſigen Mili-
tärkreiſen verlautet, der Großherzog von Baden
werde in ſeiner Eigenſchaft als Generalinſpektor des 15.
Armeecorps während der Kaiſertage ebenfalls in Straß-
burg ſein. Auch der Prinzregent Luitpold von Bayern
wird, wie beſtimmt verlautet, einer Einladung des Kaiſers,
bei Gelegenheit der Zuſammenkunft in München, folgen
und während der Kaiſertage in Straßburg ſein.
ODeſterreichiſche Monarchie.
Gaſtein, 23. Juli. Heute Vormittag machte Kaiſer
Wilhelm einen längeren Spaziergang auf dem Kaiſer-
wege. Von 4½ —5/ Uhr ſpielte die aus Salzburg ein-
getroffene Capelle des Regiments Nr. 49 auf dem Platze
vor dem Badeſchloß. Nach Schluß der Tafel trat der
Kaiſer mit dem Grafen Thun auf den Balkon; gleichzeitig
ließ er durch ſeinen Jäger den Capellmeiſter erſuchen, die
öſterreichiſche Nationalhymne zu ſpielen. Während das
Orcheſter „Gott erhalte Franz den Kaiſer“ ſpielte, blieb
der Kaiſer trotz des fallenden Regens entblößten Hauptes
auf dem Balkon ſtehen. Schließlich beſchied er den
Regimentsadjutanten Oberlieutenant Rottmann und Capell-
meiſter Schloegel zu ſich hinauf und dankte ihnen mit
gnädigen Worten. Mit dem „Radetzky⸗Marſch“ ſchloß das
Concert, dem trotz des ſchlechten Wetters die geſammte
Badegeſellſchaft beiwohnte. Der Direktor der Berliner
Hofoper, v. Strantz, der vorgeſtern eingetroffen iſt, hat
mit Liebhabern aus ariſtokratiſchen Kreiſen eine Oper vor-
bereitet, die in den nächſten Tagen in der Villa der
Gräfin Lehndorff vor unſerem Kaiſer ſtattfinden wird.
Ausland.
Paris, 22. Juli. Wie begoſſene Pudel ſchütteln ſich
die franzöſiſchen Federhelden unter dem kräftigen Waſſer-
ſtrahle, mit welchem die ruſſiſche Botſchaft ſie be-
dacht hat. Am drolligſten geberdet ſich dabei, wie man
der „Köln. Zig.“ ſchreibt, Herr Nicot in der France; mit
überlegenem Lächeln ſtreift er die Tropfen von ſich ab,
denn das Waſſer kennt er ſchon, es iſt — deutſches, wenn
auch Rußland diesmal die Spritze dazu geliehen hat. Man
höre, wie Herr Lucien Nicot ſich über den Korb, den
Frankreich bei ſeinem Liebeswerben um die ruſſiſchen
Bajonette erhalten, hinwegtröſtet: „Für alle diejenigen,
welche zwiſchen den Zeilen zu leſen verſtehen, iſt es klar,
daß die Note der ruſſiſchen Botſchaft der deutſchen Botſchaft
ihre Entſtehung verdankt. Dieſe letztere, beunruhigt da-
rüber, einen ruſſiſchen General einem franzöſiſchen General
die Hand drücken zu ſehen und ihn theilnahmvolle Worte
für unſer Vaterland ſprechen zu hören, hat ſich beeilt,
Vorſtellungen zu machen, die um ſo weniger begründet
waren, als General Fredericks mit keinem Worte von
Deutſchland geredet und ſich darauf beſchränkt hat, zu
wiederholen, daß die Ruſſen die Franzoſen lieben. Will
Herr v. Münſter uns verbieten, uns dort Freunde zu
machen, wo es uns gut dünkt? Das wäre wahrlich ſeltſam.“
An der Findigkeit des Herrn Lucien Nicot werden eben
alle noch ſo fein angelegten Kniffe der deutſcheu Diplomatie
zu Schanden: er iſt klug und weiſe wie der Bürgermeiſter
von Saardam und ihn betrügt man nicht.
Paris, 23. Juli. Der „Temps“ widerſpricht dem
Gerücht, daß der Kriegsminiſter, General Boulanger,
die Militär⸗Attachés bei allen Botſchaften einziehen
wolle; nur bei der holländiſchen Geſandtſchaft ſollten dieſe
Stellen unterdrückt werden. Daſſelbe Blatt meldet, der
Kriegsminiſter werde Paris nicht vor Ende Auguſt verlaſſen.
Es wird verſichert, daß die meiſten Miniſter vom 15. bis
zum 31. Auguſt von Paris abweſend ſeien, und vom
1. September ab die Arbeit wieder aufnehmen werden.
Im Laufe des September wird Freyeinet ſich angelegen
ſein laſſen,‚ die hauptſächlichſten Lücken in der Beſetzung
der Botſchafterpoſten auszufüllen. — Der Vertheidigungs-
ausſchuß verwarf in ſeiner heutigen Sitzung den
Vorſchlag, die Umwallung von Paris zwiſchen Auteuil
und Saint Denis niederzulegen. Von 17 Mitgliedern

langer, Gouverneur von Paris General Sauſſier fil
die Niederlegung; einige andere enthielten ſich der Ab-
ſtimmung.
Kopenhagen, 23. Juli. Der Herzog von Chartres
iſt mit ſeinem älteſten Sohne, dem Prinzen Heinrich
heute Vormittag zum Beſuch der königlichen Familie hiel
eingetroffen.
Madrid, 23. Juli. Die Gerüchte über eine Miniſte!
kriſis ſind verſtummt; die Miniſter der Finanzen und
der öffentlichen Arbeiten haben den Gedanken, ihr Am
niederzulegen, aufgegeben. Es wird angenommen, daß ſich

die Cortes Morgen vertagen werden.

Petersburg, 23. Juli. Wie hier verlautet, werdeln
den großen Manövern bei Krasnoje⸗Selon
preußſcherſeits beiwohnen: Generallieutenant v. Grolmann
von der 8. Diviſion, Major Graf Keller vom General
ſtab und Prinz Salm. Grolmann iſt in hieſigen höhere “
militäriſchen Kreiſen in guter Erinnerung, weil er den
Kaukaſuskämpfen beiwohnte. — Das „Journal de St
Petersbourg“ ſagt anläßlich der Enthüllung des Denlf
mals des Generals Chanzy: Es habe es nichf
nothwendig befunden ſich über die Anweſenheit des Geue
rals Frederick bei dieſer Feier zu äußern, die ſich auf
ganz natürliche Weiſe durch die Erinnerungeu erkläre, welchh
General Chanzy in Rußland hinterlaſſen. Die daran g
knüpften Betrachtungen ſeien daher durchaus am Plat
Es ſei unnöthig hinzuzufügen, daß die Politik eines groß
Reiches nicht von Zwiſchenfällen abhängt. ö
Balkanhalbinſel, 23. Juli. Die „Politiſche Cort “
ſpondenz“ berichtet über eine Anſprache des Königs MiI
lan an die Abgeordneten im Palais, in welcher er 9
ſagt habe: „Glaubt nicht, weil in der Thronrede vn
einer Verfaſſungsänderung keine Rede geweſen, daß 3
dieſer Frage keine Aufmerkſamkeit ſchenkte; ich weiß, do-
alle Parteien eine Aenderung der Verfaſſung wünſche
die mir während meiner Minderjährigkeit aufgedrung
worden iſt. Die Saitſcharer Bewegung von 1883 –
die Löſung vereitelt. Auch jetzt kann ich ſo lange nit
an ſie herantreten, als die hochgehenden Wogen der Pal
teileidenſchaften nicht beſänftigt ſind. Alle Patrioten müſſi
unter ſich eine Verſtändigung über die weſentlichen Grun
ſätze einer neuen Verfaſſung erzielen, damit ich un
das Land wiſſen, was dann eigentlich entſtehen ſoll. D
Frage liegt alſo hauptſächlich in Eurer Hand. Von Eu
Mäßigung hängt es ab, wann wir an die Durchführun
herantreten.“

Aus Stadt und Land. ö
a Hridelberg. 24. Juli. In der geſtrigen Sitzung des Bürgef
ausſchuſſes, welche in Anweſenheit von 86 Mitgliedern in d
Aula der Realſchule abgehalten und von dem Vorſitzenden. Ha
Oberbürgermeiſter Dr. Wilckens, kurz nach 5 Uhr eröffle
wurde, wurden die beiden erſten Vorlagen des Stadtraths,
welchen ſich der Stadtverordnetenvorſtand einberſtanden erllg
hatte, ohne Discuſſion einſtimmig angenommen. Dieſelben 4
trafen die Gehaltsverhältuiſſe des unterm 9. d. zum 1. Bü
meiſter gewählten ſeitherigen 2. Bürgermeiſters, Hrn. Dr. E.
und den Vorſchlag, die Stelle eines 2. Bürgermeiſters bis 4
weiteres unbeſetzt zu laſſen. Ueber beide Vorlagen haben +*
bereits berichtet, ebenſo in Kürze über den 3. und letzten Gelg
ſtand der Tagesordnung, die Verbreiterung der unteren Fanleße
gaſſe betr. Auch mit dieſer Vorlage hatte ſich der Stadtberog“
netenvorſtand einverſtanden erklärt, jedoch nur unter der Vorah
ſetzung, daß die in der gleichen Gaſſe anſäſſigen Ph. Wereh
Erben ſoviel Gelände als erforderlich, um die Gaſſe längs ihrem
weſen auf öm verbreitern zu können, unentgeltlich an die Stedt
treten. Der Stadtrath genehmigte dieſen Zuſatz und knüpfte 0
Ph. Werner's Erben Verhandlungen an, die aber zu einem 90
gebuiß bis jetzt nicht führten, da einer der Erben abweſend
Infolge deſſen änderte der Stadtrath ſeinen Antrag dahin
daß die mit den Herren Stichling und Dörner abgeichloſſeß
Verträge erſt dann Geltung erhalten werden, wenn ſich 5
Werners Erben zu der ihnen angeſonnenenGeländeabtretung (ca. 35
Meter) bereit erklären und nahm ferner in denſelben eine Credin
willigung von 1000 % behufs Rückverſetzung des Wernerſchen
tengeländers auf. Bei der geſtrigen Verhandlung erklärten ſich
Herren Mai und L. Bauer gegen die Vorlage, indem die
Herren Stichling und Dörner zu zahlende Entſchädigung
außer allem Verhältniß hohe ſei. Herr Dr. Blum hat e
falls Bedenken gegen das Proſekt, da kein vollſt ändiger Correctiaſ
plan vorliege und es daher heute nicht zu ermeſſen ſei, weſ
Koſten der Stadt durch die Correction der Unteren Faulepelz
noch erwachſen könnten. Herr Mai ſprach weiter den W
aus, es möge der Stadtrath mit den genannten Eigenthü

kommen werde — „Kommen, Anna, zunächſt nach Berlin,,

zu Dir!“
Ihr Herz klopfte ſtärker, ihre Wangen glühten im
dunkelſten Purpur.
Zu Dir!
Er hatte nie vorher ſo vertraulich geſprochen; aus allen
ſeinen vielen Briefen waren dieſe beiden kurzen Worte das
Einzige, was auf ſpätere innigere Beziehungen ſchließen ließ.
Und dann kam aus England ein Telegramm, das ihr
ſeine glückliche Heimkehr anzeigte und das ſie aufforderte,
ihn heute zu erwarten.
Heute! — ö
Sie hatte ihrer gütigen Herrin Alles geſagt und war,
längſt im Hauſe nur noch wie ein geliebtes Kind betrachtet,
ſogleich für dieſen Tag aller ihrer Pflichten als Erzieherin
entledigt worden. Jetzt ſtand ſie ſchon Stunden lang am
Fenſter und ſpähte vergebens — wahrhaftig, es war beſſer,
nicht mehr nach jedem Wagen zu horchen — ſie wollte
lieber ſeinen Brief aus Rio noch einmal hervorziehen, und
beſonders die letzten Worte wieder anſehen: „Zunächſt nach
Berlin — zu Dir!“
Thräne um Thräne fiel auf das Blatt; Anna erwachte
aus ihrem tiefen Sinnen erſt als ſich hinter ihr die Thür
öffnete und aus dem Rahmen derſelben ein liebes, wohl-
bekanntes Antlitz grüßend herüberſah.
„Anna, meine Anna!“

(Schluß folgt.)

ſtimmten nur 3, darunter Kriegsminiſter General Bou-

Literariſches.
*Die Neuſtädter Hochſchule. Eine Feſtgabe zur
fünften Säkularfeier der Ruperto⸗Carola von Dr.
Jak. Leyſer. So lautet der Titel einer kleinen Feſtſchrift.
Sie behandelt einen folgenreichen Abſchnitt unſerer Univerſitäts-
geſchichte oder doch eines Aſyls der kalviniſtiſchen Richtung kurz
nach der Zeit der kirchlichen Reformation. Als der älteſte Sohn
Friedrichs III., der ſtreng lutheriſche Ludwig VI. (1576 -83) zur
Regierung in der Rheinpfalz kam, erließ er eine neue Kirchen-
ordnung, die die Mehrheit der kalviniſtiſch geſinnten Profeſſoren
nicht annahmen und ſomit mit vielen Einwohnern und Geiſtlichen
1578 die Stadt verließen. Die Vertriebenen fauden zum Theil
eine Zufluchtsſtätte und Verwendung bei dem Bruder des regie-
renden Churfürſten, dem zweiten Sohne Friedrichs III., den der
Vater, möglicherweiſe mit Rückſicht auf das ſtrenge Bekenntniz
des älteſten Sohnes, mit einigen Aemtern der linksrheiniſchen
Beſitzungen des Churhauſes ausſtattete, worunter Neuſtadt und
Lautern. Herzog Joh. Caſimir, der Standhafte genannt, gründete
bei dieſer Gelegenheit das Pädagogium zu Neuſtadt a. H. und das
Collegium Caſimirianum. Er verwendete bei dem letzteren mehrere
Heidelberger Profeſſoren, unter andern auch den berühmten Zach.
Urſinus, den Verfaſſer des Heidelberger Katechis mus, welche dort
ihre Lehrthätigkeit fortſetzten. Die Stiftungsurkunde Joh. Caſimirs,
die der Verfaſſer darin abdrucken läßt, enthält eine kurze Wieder-
gabe der weſentlichen Privilegien ſeines Ahns Ruprecht I., zeigt
aber in Faſſung und Ausdruck den Geiſt einer aufgeklärten Zeit.
Wiewohl auch ihm — wie allen damaligen Regenten — die An-
leitung des Volkes zur Gottesfurcht eine heilige Regentenpflicht
iſt, und zwar nach der Lehre des wahren evangeliſchen Glaubens,
und die Studenten (Scholaren) gleichfalls der Kirchenzucht unter-

ſtellt waren, ſo iſt dieſe neue Hochſchule doch eine rein fürſtliche

Anſtalt und von jeder Auſſicht der Kurie befreit. — Im Jahre
1585 kehrten die dortigen Profeſſoren wieder nach Heidelberg
zurück; da Joh. Cafimir Regent des Churfürſtenthums für ſeinen
unmündigen Neffen Friedrich IV. geworden war. In Folge der
kirchlichen Reformation haben auch die übrigen ähnlichen An-
ſtalten auf den Territorien der proteſtantiſch gewordenen Fürſten
das kirchliche Joch abgeſchüttelt und ſind dadurch freie Stätten

PFFFFFFIFFTFTTTTTTTTTTRT

einen Ausflug nach Neuſtadt zu veranlaſfen, um dort zug

der Wiſſenſchaft und der Forſchung geworden. Daran Enil
ſich daun der Aufſchwung der deutſchen Univerſitäten im Aushagß
des 16. Jahrhunderts, ein Aufſchwung, der leider in ſeiner B
zeit durch zwei langjährige ſchreckliche Kriege unterbrochen w
— Es iſt ſchade, daß der Verfaſſer der genaunnten Feſtſchrift z
Zeit und Material genug gefunden hat, die Leiſtungen der
ſtädter Hochſchule und ihrer Lehrer eingehender zu würdigenI
der Geſchichte der Wiſſenſchaft und Kultur damit einen
größeren Dienſt zu erweiſen, da gerade er hierzu in iedeh
ziehung befähigt ſcheint. Als Literarhiſtoriker hat ſich —0
Leyſer bereits uͤber K. Fr. Bahrdt, Joach. H. Campe und (,
vortheilhaſt bekaunt gemacht. Er hat auch hier in dieſer kl
Schrift ſeine Vorliebe, für die Dichtung und ſchöne Litenſſ
hindurchblicken laſſen, indem er den Poet und den Profeſſoſz
Beredſamkeit an der Neuſtädter Hochſchule, den L. L. Pithongſ
eigentlich Helm von Deventer, mit dem Zunamen Faßm 4
beſonders hervorhebt und auch eine Probe don deſſen Poeſich
Hochzeitsgedicht für den Buchdrucker Math. Harniſch, dheſhf
wiedergibt. Math. Harniſch war auch derſelbe, der die 13

1
Neuſtädter Bibel druckte, wovon wir hier unſeres Wiſſen
Exemplar beſitzen. Freilich erleichterte dem Verfaſſer dieſſh
führung den Uebergang auf ſeinen Freund Scheffel und .
„Becher⸗Weihelied“ auf einen heutigen Buchhändler, welches f
falls gelegentlich zum Abdrucke kommt. Das Schriftchen il 0
gut ausgeſtattet und enthält neben dem bekannten Holzſchnitt)
Joh. Caſimir mehrere Stiche von der Stadt Neuſtadt ) ö
Aegidienkirche und dem Caſimirianum aus früherer Zeit, un
bezeugen hiermit dem Verfaſſer und Verleger unſern ſchey
Dank. — Schließlich möchten wir noch bemerken, ob es nicaſſ
leicht ein Akt der ſchuldigen Pietät wäre, an einem der 730
der Aegidienkirche das Grab des erſten Stifters unſerer Univaz
und jener Nyl, des Irh. Ceſ mir der freiern reformirten R 10
in der „weißen Klauſe“ bereitete, die heute noch ſeinen Ngſ
trägt, zu beſuchen? Eine Ausführung dieſes Vorſchlagen
gewiß nicht im Widerſpruch mit dem Zwecke der Satul

RR
 
Annotationen