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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0412

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Berlin, 8. Oetbr. Der engliſche Schatzkanzler
Lord Churchill iſt nach zweitägiger Anweſenheit in Ber-
lin geſtern über Dresden nach Wien ab gereiſt. Hier
ſoll derſelbe nur mit dem engliſchen Botſchafter verhandelt
haben. — In Regierungskreiſen folgt man, wie der Straßb.
Poſt geſchrieben wird, den Erörterungen der Preſſe über
die künftige Geſtaltung des Militäretats mit der
lebhafteſten Theilnahme. Man gibt zu, daß die Erörte-
rungen ſehr erwünſcht ſeien, um die Auffaſſung der ver-
ſchiedenen Parteien kennen zu lernen. Einen feſten Ent-
ſchluß hat die Regierung übrigens noch nicht gefaßt. Wenn
wir recht berichtet ſind, iſt ſelbſt eine Entſcheidung über die
Vorſchläge, an deren Hand ſpätere Beſchlüſſe zu faſſen ſein
werden, noch Sache der Erörterung. Es iſt zweifellos,
daß die Anregung eines ſogenannten eiſernen Militäretats
(Aeternats) vorläufig nur als ein Verſuchsballon zu
betrachten iſt. In dieſem Sinne dürfte auch das Dementi
der „Norddeutſchen“ aufzufaſſen ſein. Die Regierung
ſcheint ſich keinen zu großen Erwartungen darüber hinzu-
geben, daß der jetzige, oder überhaupt irgend ein Reichstag
geneigt ſein möchte, darauf einzugehen. Dagegen dürfte die
Regierung ſchließlich doch darauf beſtehen, die Verlängerung
des jetzigen Verhältniſſes um abermals 7 Jahre durchzu-
ſetzen. Es verlautet — wie weit mit Grund, wird ſich zu
zeigen haben —, daß die Regierung in der Lage ſein

werde, für eine ſolche Forderung ſchwerwiegende Gründe

beizubringen.
Oeſterreichiſche Monarchie.
Wien, 8. Oct. (Abgeordnetenhaus.) Miniſter-
präſident Graf Taaffe erklärt in der Beantwortung der
vom Abgeordneten Heilsberg eingebrachten Interpellation,
betr. den Fortbeſtand des Bündniſſes mit Deutſch-
land: Die Annahme, als wenn das Verhältniß unſerer
Monarchie zu Deutſchland erſchüttert worden ſei, iſt voll-
kommen grundlos. Daſſelbe beruht nach wie vor auf der
von dem Miniſter des Auswärtigen in den Delegationen
wiederholt auseinandergeſetzten Grundlagen, und es liegt
kein Anlaß vor, um eine Lockerung oder Trübung der
gegenſeitigen engen und bertrauensvollen Beziehungen be-
ſorgen zu laſſen. Die von dem Abg. Heilsberg bean-
tragte Eröffnung der Debatte über die Antwort wird ab-
gelehnt; dafür ſtimmten nur der deutſch-öſterreichiſche und
der deutſche Club, die Antiſemiten und die Demokraten.
Wien, 8. Oct. Die Blätter erklären übereinſtimmend,
daß die rückhaltloſe, jede mißverſtändliche Deutung voll-
ſtändig ausſchließende Erklärung des Miniſterpräſidenten
Grafen Taaffe über die Beziehungen zu Deutſchland in
der heutigen Sitzung des Abgeordnetenhauſes geeignet iſt,
vollſtändige Beruhigung hervorzurufen.
Wien, 8. Oct. In Trieſt erkrankten 5 und ſtarben
2, in Iſtrien erkrankten 3, in Peſt erkrankten 10 und
ſtarben 3 Perſonen an der Cholera.

Ausland.
Paris, 8. Oct. Der Graf von Paris gibt in
royaliſtiſchen Blättern bekannt, er werde die Abordnungen
aus Frankreich, ſowie die Privatbeſuche in dem Grand⸗Hotel
in Vevey (Schweiz) vom 8. bis 20. October empfangen. —
Das Blatt Le Siecle veröffentlicht einen Brief an Frau
Fanny Touzin, in welchem im Namen des Comités
der franzöſiſchen Elſaß⸗Lothringer die Eröffnung der Bei-
tragsliſte zu Gunſten der Unterhaltung der franzöſiſchen
Gräber in Elſaß-Lothringen angezeigt wird. An
der Spitze auf der Beitragsliſte ſtehen die Namen der Ge-
mahlinnen von Jules Ferry, Floquet, Risler, Andrieux
und anderer aus Elſaß⸗Lothringen gebürtigen Damen. —
Miniſter Granet reiſt morgen nach Brüſſel, um daſelbſt
Vereinbarungen über die Einrichtung einer Telephon-
verbindung zwiſchen Paris und Brüſſel zu treffen. —
Ein Ausländer, in welchem natürlich ein deutſcher
Officier vermuthet wird, und der einen Compaß, Pläne
und Karten bei ſich trug, wurde in Lanniles bei Breſt
verhaftet und in Plouguin in das Gefängniß gebracht.
— Sadi Carnot wird jedenfalls bis zur Eröffnung der
Kammerſeſſion Finanzminiſter bleiben.
London, 8. Oct. Bezüglich der Reiſe des Schatzkanzlers
Lord Churchill nach dem Kontinent wird dem Reuterſchen
Bureau von zuſtändiger Seite verſichert, daß es ſich dabei

nicht um diplomatiſche Angelegenheiten handele, die in irgend
einer der Hauptſtädte des Feſtlandes zu erledigen ſeien,

ſondern daß Lord Churchill die Reiſe lediglich aus
Geſundheitsrückſichten (2) unternehme. — Die maß-
gebenden Perſönlichkeiten, welche von Lord Churchills
Reiſe wiſſen ſollen, ſtellen die Möglichkeit einer Einladung
von Seiten des Fürſten Bismarck entſchieden in Ab-
rede. Lord Churchill ſelbſt verrieth vor einiger Zeit,
er habe die Abſicht, Wien zu beſuchen, aber nicht Berlin.
Madrid, 8. Oct. Der Miniſterpräſident Sagaſta
hat bei der Regentin die Abdankung des geſammten
Miniſteriums eingereicht. Die Regentin bat Sagaſta,
heute wieder im Palaſte zu erſcheinen, um die weiteren
Befehle zu empfangen. Sagaſta iſt noch nicht mit der
Neubildung des Kabinets beauftragt worden. Zahlreiche
Abdankungen in der höheren Verwaltung werden ange-
kündigt.
Madrid, 7. Oct. Der Proceß Galeote iſt heute zu
Ende gegangen. Die Vertheidigung plaidirte natürlich auf
Unzurechnungsfähigkeit, geſtützt auf den heftigen Charakter,
den Verfolgungswahn Galeotes und auf die Wahnſinns-
fälle in ſeiner Familie. Galeote, der mehrmals heftig
unterbrochen hatte, bat dann um die Erlaubniß, ein Memo-
randum vorleſen zu dürfen, was ihm geſtattet wurde; auch
wurde dasſelbe den Acten beigegeben. Die Vorleſung dauerte
aber zu lang und wurde vom Vorſitzenden des Gerichts
ſiſtirt, was den Angeklagten in ſolche Wuth brachte, daß
er mit Gewalt weggeführt werden mußte. Das Publikum
ſah dieſen Vorgängen ſehr kritiſch zu; man iſt vielfach der
Meinung, daß Galeote recht gewandt Komödie ſpiele. Das
Urtheil wird in acht Tagen verkündigt.
Sofia, 8. Oct. Die Wühlereien des Generals
Kaul bars unter den Offizieren der bulgariſchen Armee
ſcheinen einen vollſtändigen Bruch zwiſchen der Regentſchaft
und Rußland herbeiführen zu ſollen. Die Regentſchaft,
welche ſich General Kaulbars gegenüber im Zuſtande der
Selbſtvertheidigung befindet, ſcheint dieſes in der aller-
nächſten Zeit durch einen entſcheidenden Schritt zum Aus-
druck bringen und die Großmächte bitten zu wollen, daß
Bulgarien ſich unter den Schutz der Großmächte ſtellen
dürfte. Das Auftreten des Generals Kaulbars, der Bnul-
garien einſchüchtern wollte, hat nur neue Erbitterungen
hervorgerufen.

Aus Stadt und Land.
— Stidelberg, 9. Oct. Geſtern Nachmittag zwiſchen 4 u. 5 Uhr
wurde in einem Hauſe in der Plöckſtraße im 4. Stock die Thüre
eines dort gelegenen Zimmers gewaltſam erbrochen und eine
Weckeruhr, ſowie eine Hoſe und Weſte entwendet. Ferner wur-
den in demſelben Stocke 4 Thüren mittelſt Nachſchlüſſels geöffnet
und aus der Kommode des einen Zimmers eine Kaſſette mit
etwa 20 4. Inhalt in baar, eine goldene Uhr nebſt Kette, drei
Sparkaſſenbücher, zwei Paar goldene Manſchettenknöpfe. 1 Broſche,

ein Trauring und eine Lebensverſicherungspolice entwendet.
Die Verdächtigen wurden durch die Schutzmannſchaft verfolgt.

Als ſie ſich hier nicht mehr ſicher fühlten, gingen ſie zu Fuß an
den Bahnhof nach Wieblingen, wo ſie von den ihnen per Bahn
nachgefolgten Polizeibedienſteten vor dem Einſteigen daſelbſt ver-
haftet und ihnen die theilweiſe vorgefundenen Gegenſtände ab-
genommen wurden. Die feſtgenommenen Thäter ſind drei ſtellenloſe
Kellner aus Darmſtadt, ſämmtlich ſchon wegen mehrfachen
Diebſtahls beſtraft. ö
XXhridelberg, 9. Octbr. Geſtern Nachmittag hatte der Knecht
eines Wirths von Sandhauſen, welcher mit ſeinem Fuhrwerk
hierherkam, um Einkäufe zu machen, beim Umwenden auf der
Straße das Unglück, mit ſeinem Gefährt eine große Spiegel-
ſcheibe eines Schaufenſters einzudrücken. Der Vorfall paſſirte in
Folge großer Störrigkeit des Pferdes. — Ein Bäckerburſche aus
Oeſterreich bettelte in den beſſeren Häuſern über der Brücke und
gab ſich dabei für einen Reſerveoffizier aus. Er wurde bei Aus-
übung ſeines fragwürdigen Treibens betreten und verhaftet.
Bei ſeiner Durchſuchung fand ſich ein neuer Frauenhut bei ihm
vor, welcher den Stempel einer hieſigen Firma trägt und ge-
ſtohlen ſein dürfte. ö
—E hridelberg, 9. Oct. Heute Vormittag ſtürzte eine Frau
auf dem Schloßberg eine ſteinerue Treppe herunter und ver-
letzte ſich derart am Hinterkopfe, daß ſofort ärztliche Hilfe in
Anſpruch genommen werden mußte. ‚
Karlornhe, 8. Oct. Erzbiſchof Dr. Roos wird heute Abend
hier anlangen, um mit dem Domdekan Weickum und dem Dom-
kapitular Vehrle morgen ſich zu einer Audienz zu dem Gro ß⸗
herzoge zu begeben. Die genannten drei Herren werden als-
dann einer Einladung des Großherzogs zur Hoftafel auf maorgen
Mittag Folge leiſten.
Masbach, 6. Oct. Ueber den, wie mitgetheilt, hier verunglückten

Brauer Krämer theilt ein württemb. Blatt Folgendes mit:

„Wohl maucher eriunert ſich noch des berühmten Rekognoszierungs-
ritts des früheren Hauptmauns vom Generalſtab, des Grafen v.
Zeppelin und Genoſſen gleich bei Beginn des deutſch⸗franzöſiſchen
Krieges. Graf v. Zeppelin, jetzt königl. württemb. Militärbevoll.
mächtigter in Berlin, hatte faſt über die ganze Dauer des Krieges
(bald nach jenem Ritt) als Ordonnanz den Reiter Gg. Krämer
von Lorerzenzimmern bei ſich, der auch ſpäter das eiſerne Kreuz
1. Klaſſe erhalten hat. Nach der Rückkehr aus dem Krieg wurdé
Krämer leider von harten Schickſalsſchlägen getroffen, bis ſi
ihm nach vielen trüben Tagen infolge hoher Empfehlungen wie-
der eine geſicherte Exiſtenz zu bieten ſchien; er kam als Brau-
meiſter nach Mosbach in Baden und am 1. ds. Mts. ſollte ihm
Frau und Kinder dahin folgen; ſeine Frau hätte den Wirth-
ſchaftsbetrieb erhalten. Da ſtürzte Krämer am letzten Minwoch
beim Maiſchen in den Maiſchbottich, wo er total verbrüht wurde,
ſodaß er nach Stunden qualvollen Leidens ſtarb und die Familie
ſich nun ihres Ernährers beraubt ſieht. Möchte man an ſeinen
ſieben unverſorgten Kindern ſich des heimgegangenen tapferen
Reiters vom 4. Regiment erinnern!“
Gernsbach, 7. Oet. Der Arzt des verwundeten Oberförſters
Müller theilte der Frkf. Ztg. berichtigend mit, daß der Verletzte
den Umſtänden entſprechend, ſich außerordentlich gut befindet

daß von einer Amontation noch keinen Augeublick die Rede war,

Auß Hieler begründete Hoffnung beſteht auf eine befriedigende
eilung.
Aus Haden. In der Straße zwiſchen dem Rheinthor und der
Zeughauskaſerne in Mannheim wurden beim Graben behn

Legung der Waſſerleitungsröhren mehrere unterirdiſche Gänge

aufgedeckt, welche mit rothen Sandſteinen ausgemauert und deren
Höhe es einem mittelgroßen Manne geſtattet, aufrecht darin ſtehen
reſp. gehen zu können; die Gänge ſcheinen Feſtungszwecken ge-
dient zu haben und münden in der Richtung nach dem Rheine
zu. — Ein Lehrliug eines Maunheimer Buchbindergeſchäfts,
welcher ſich mittels der Papierſchneidmaſchine ein Stück Brod
ſchneiden wollte, verletzte ſich dabei den rechten Zeigefinger
derart, daß er ärztliche Hilfe im allgemeinen Krankenhaus in An-

ſpruch nehmen mußte. — Dem Leopold Rickart in Randegg

wurde aus ſeiner offenſtehenden Wohnſtube eine goldene Remon,
toir⸗Uhr nebſt goldener Kette im Geſammtwerth von 180 2
entwendet. Des Diebſtahls verdächtig ſind Wi ermtreelmieden
welche im Hauſe waren, aber ſeitdem nicht nſehr ermittelt werden
konnten. — In Renchen hat ſich die 53jährige Ehefrau des
Wilhelm Viox, Viktoria, geb. Baumert erhängt. Schwermuth
in Folge längerer Krankheit ſoll den Schritt veranlaßt haben.

* Auszug aus der amtlichen Patentliſte über die in

der Zeit vom 29. Sept. bis 6. Oct. erfolgten badiſchen Patent-
Anmeldungen und Ertheilungen, mitgetheilt vom Patentbureau
des Civil⸗Ingenieurs K. Müller in Freiburg i. B. 4. An-
meldungen: B. 6822. Badeofen. Guſtav Bögler in Karls-
ruhe. —. B. Erthgilungen: Nr. 37569. Neuernng an dem
unter 33781 patentirten Kautſchuck⸗Streichring für Pferde (Zu-
ſatz zum Patent Nr. 33781). W. Hutchinſon in Manuheim. Vom
17. April 1886 ab. H. 6046. Nr. 37571. Neuerung an Bohr-
apparaten für unter Bruck ſtehende Rohrleitungen. C. Reuther
K F. Bopp u. Reuther in Mannheim. Vom 25. April 1886 ab.
. 3670.

Vermiſchte Nachrichten.
Freudenkadt, 7. Oct. Bekanntlich war die Vornahme der Probe-
fahrt auf der württembergiſchen Baulinie, von Freudenſtadt bis
nach Schiltach, auf morgen, den 8. October, beſtimmt. Wie die
Bad. Landesztg. jedoch hört, ſoll dieſe Probefahrt noch einige
Tage verſchoben werden. Die Cröffnung der ganzen Eiſenbahn
von hier bis Wolfach wird daher wohl nicht, wie gehofft, ſchon
am 15. d. Mts. ſtattfinden, ſondern wird vorausſichtlich auch ver-
ſchoben werden müſſen und zwar wahrſcheinlich auf den 20. ds.
Mts. oder gar auf den 1. November.
Würzhurg, 8. Oct. Privatier Hütſchen reuter, Schwieger-
vater des Miniſters v. Lutz, hat ſich nach der Frkf. Ztg. er-
ſchoſſen. — Johaun Schnürer, Lieutenant a. D., Redacteur
der Amberger Vollsztg. iſt vom Militärgericht wegen Mi-
niſterbeleidigung zu zwei Monaten Gefängniß verurtheilt
worden. Beantragt waren ſechs Monate. — Der Gefreite
Müller, der am 6. Juli in Bamberg den von ihm arretirten
flüchtigen Manen Karlſtadt erſchoß, wurde freigeſprochen.
Mailand, 6. Oct. Lientenaut Amerigo Gei, im 10. Berfag-
lieri⸗Regiment in Garniſon zu Palermo, hat ein neues Syſtem
für Repetir gewehre erfunden, welches alles bisherige an
Einfachheit, Billigkeit, Schießfertigkeit übertreffen ſoll. Die Er-

Mark

findung beſteht, wie gemeldet wird, in einer Kammer für 20 Pa-

tronen, welche ſich an die Vetterli⸗Gewehre raſcher befeſtigen läßt,
als das Aufpflanzen des Bajonettes Zeit erfordert. Dieſelbe er
möglicht ferner das Abfenern von 20 Schüſſen in weniger als
30 Sekunden, ohne daß das Gewehr aus dem Anſchlage zu bringen
iſt. Das Ganze ſoll von größter Einfachheit ſein, ſo daß man ⸗
hier bereits als „Ei des Columbus“ bezeichnet. Die Herſtellungs-
ſpeſen belaufen ſich angeblich pro Gewehr auf höchſtens 1 Lira.

ſein.

Theater⸗Nachrichten.
* Farlsrahe. (Repertoire des Großh. Hoftheaters.) a. Vor-
ſtellungen in Karlsruhe: Sonntag, 10. Octbr.: „Lohengrin ⸗
Dienstag, 12.: „Tilli“. Donnerstag, 14.: „Die Jungfran von
Orleans“. Freitag, 15.: „Der Wildſchütz oder die Stimme der
Natur“. Sonntag, 17.: „Benvenuto Cellini“. — b. Vorſtellungen
in Badens Montag, 11.: „Der Venusdurchgang“, „Die einzige
Tochter“. Mittwoch, 13.: „Die luſtigen Weiber von Windſor

Stadttheater.
II henelderg, 9. Oktbr. „Ur iel Acoſta“. Mit Gutzkow's
Trauerſpiel ſind nunmehr auch die Schauſpielkräfte in's Treffen
geführt worden. Sie haben ſich wacker gehalten und man kann
und darf hoffen, daß ſie im Lauf der Saiſon aus dem Kampf
gegen die Antipathie des Publikums, gegen Alles, was „claſſiſch“
iſt und ſcheint, ſiegreich hervorgehen werden. — Es war ein
dankenswerther Entſchluß der Direction, gleich den Uriel Acoſta
herauszubringen. Dieſe Perle unter den neuen deutſchen Dramen
iſt ſo oft in den Schmutz geworfen worden, daß man ſich immer
freuen muß, wenn ſie pietätvoll aufgehoben und gefaßt wird.
Ein Tendenzſtück iſt Uriel Acoſta ſo oft geſchmäht worden. Der
Kampf der freien Forſchung, des freien Gedankens mit Unver-
ſtand und Vorurtheil — kann da von tendenziös die Rede ſein 2
Und was Silvas Schlußworte predigen, Schonung, Duldung,
Liebe, predigt nicht das Leſſings Nathan auch — und möchte man
dieſen darum tendenziös im ſchlimmen Sinne nennen? Freilich
einen ernſtlichen Flecken hat die Perle und das iſt der Widerruf
Uriels. Der gottbegnadete Herold der Wahrheit müßte ſiegen,
dürfte nicht den Verhältniſſen erliegen. Gutzkow motivirt zwar
die Wandlungen und den Untergang überreichlich, aber das Ge-
fühl kommt doch über den wunden Punkt nicht hinweg. Derſelbe
wird jedoch durch eine Menge glänzender Vorzüge des Stückes
vollſtändig verdeckt, durch die Tiefe der Gedanken, die herrliche
Sprache, die wohlgebauten Verſe, die prächtige Zeichnung der
Nebencharaktere, die treffliche Bühnenwirkung, die ſo gern und
leicht für Effectſpeculation ausgegeben wird. Die Aufführung
niezer enmn untrüglichen Prüfſtein für das Können der Darſteller
und die mſicht der Regie. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß geſtern
Vieles von der Vollkommenheit weit, ſehr weit entferut war, aber
im Ganzen zrigte doch der größte Theil der Schauſpieler, daß er
ſch an eine Arfgaba wie ſie Uriel Acoſta ſtellt, wohl heran-
wagen dürfe. Wo der eigene Inſtinkt noch nicht den rechten Weg
gefunden hatte, da fühlte man, daß eine ſichere Hand leitend und
lenkend eingegriffen, ſo daß wohl Jeder, der ſich noch den Sinn
für etwas Ernſtes erhalten hat and nicht an einer kleinen Bühne

die „Burg“ oder das „Deutſche Theater“ finden zu müſſen glaubt,
mit Befriedigung der Aufführung folgen konnte. Die Titelrolle
iſt ein hochintereſſantes Problem der Schauſpielkunſt und wenn
ein junger Darſteller an der Löſung nicht ſcheitert, ſo verdient
das ſchon alle Achtung. Herr Veit iſt nicht nur nicht geſcheitert,
er hat einen großen Theil der Aufgabe trefflich gelöſt und, wo
ſein Können noch nicht ausreichte, mußte man ſich wenig-
ſtens ſagen, daß es zur Ausfüllung der Lücke nur des Aus-
reifens bedürfe. Herr Veit beſitzt treffliches Material für
das jugendliche Heldenfach. Vor allem bringt er ein großes,
ſchönes und modulationsfähiges Organ mit. Auch be-
herrſcht er, wie es ſcheint, den Geiſt ſeiner Rolle. Er
gab im großen Ganzen nicht bloß die Worte, ſondern auch
die Gedanken Uriels verſtanden und die Gefühle nachempfunden
wieder. Nur ganz ſelten verrieth eine falſche Betonung — wie
3. B. die des Wortes zwei in der Stelle „Ich gab den Tod mir
um zwei Leichen“ — daß noch zu feilen ſei. Daß Herr Veit
nicht für alle die raſch wechſeluden Seelenzuſtände des Helden,
die flammende Begeiſterung, die innere Zerriſſenheit, die dumpfe
Reſignation, die eutfeſſelte Leidenſchaft, den gleich richtigen Aus-
druck faud, iſt nicht zu verwundern, nur ein vollendeter Künſtler
vermag das. Am beſten traf er den Ton in den leidenſchaftlich
bewegten Scenen, ſein Affect iſt wahr und überzeugend, nur muß
er ſich hüten, ſich ſtimmlich zu übernehmen. Die Verſe ſpricht er
ſehr gut; wenn er ſein Ch und G cultivirt, wird er noch beſſer
ſprechen. Aber — es iſt ein recht gewichtiges Aber, mit dem wir
nachhinken, Herr Veit muß ſich ganz anders bewegen. Seine
Bewegungen ſind brüsk und oftmals unmotivirt, und hat er ſich
z. B. die große Scene nach dem Widerruf durch dieſelben faſt
verdorben. — Frln. Banciu ſecundirte als Judith vortrefflich.
Dieſelbe iſt eine vielverſprechende Kraft, eine intereſſante Erſchei-
nung und hat Temperament. Ihre Judith war wirklich von
ſüdlicher Leidenſchaftlichkeit beſeelt. Sie ſpricht warm aus der
Seele und mit kraftvollem Pathos, der nur leicht ins Declama-
toriſche überſchlägt. Was ſie nach der negativen Seite mit dem
Vertreter des Uriel theilt, iſt der Mangel an Routine der Be-
wegung. Ihre Schritte ſind noch zu groß, ihre Bewegungen zu

Die angeſtellten Schießverſuche ſollen aufs glänzendſte ausgefallen

gewaltſam. Weit mehr hätten wir von dem Manaſſe des Herrn

Roloff erwartet. Das ruhige philoſophiſche Temperament
gewiegten Weltmanns hätte in viel beſtimmteren Zügen wieder
gegeben werden müſfen. Herr Lettin ger ſprach nicht übel, do
hätte ſein Ben Jochai weit weniger froſtig ſein müſſen. Recht
angenehm berührte der De Silva des Herrn Hoyoll. Hätte man
auch manchmal den Denker gern etwas glaubhafter ausgeprägt ge-
funden, und hätte der Ton fall ſeines Vortrags auch etwas we-
niger einförmig ſein können, ſo trat doch der edle milde Arzt
einfach und natürlich uns entgegen. Recht verdienſtvoll war der
Ben Akiba des Herrn Robert; er verſtand es den grandioſen
gleichmüthigen Pathos des Neunzigjährigen zu voller Wirkung zu
bringen. Der fluchſchleudernde De Santos des Herrn Henske
war ein Deklamationsſtück ohne Leben. Der blinden Mutter
Uriels fehlte es an ergreifender Gefühlswärme. Leider hat Guz-
kow den unglücklichen Einfall gehabt, den großen Spinoza in
kleinen Sammthöschen auf die Bühne zu ſtellen. Eventuell kann
der Mißgriff dadurch gemildert werden, daß die Figur des Kmer
ben mit einem poetiſchen Hauch übergoſſen wird. Wenn er abe
in dem echten Naivenkon und ſo geſpielt wird, als habe ſich de
Junge die Mahnung Uriels: „Denk nicht mein Kind, ſei wie die
Blume ꝛc.“ vielzuſehr zu Herzen genommen, dann tritt der Miße
griff erſt recht ſcharf hervor. — Das Zuſammenſpiel war e
ausgezeichnetes, das Publikum zeigte ſich ſehr befriedigt und ehr
die Darſteller durch vielfachen Hervorruf. Eine recht wirkuugg-
volle Beigabe erhielt das Drama durch die von Herrn Kapel
meiſter Knöfler componirte Muſik. Die Ouverture aibt die in
Uriel ſtürmenden Gefühle und die durch ſie hervorgerufene
taſtrophe treffend wieder. Sie iſt im großen Stile angelegt un
wirkungsvoll inſtrumentirt. Die Aufnahme von Seiten des
Publikums war eine ſehr freundliche. Daß nicht allzuviel Be-
ſucher durch den Uriel Acoſta angezogen waren, läßt ſich denken·

Handelt es ſich doch um ein ernſtes gediegenes Kunſtwerk, doch,
wie Uriel ſagt :
Das iſt ſo oft erörtert, oft beweint —.
Dr. S.

des
 
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