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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0602

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Dienſte thun, und ſtatt des Fez den Helm bezw. die Pelzmütze.
—Bei der letzten Anweſenheit des Kaiſers in Straß-
burg wurde bekanntlich auf dringende Vorſtellung des
Bürgermeiſters Back und des Gemeinderathes die Er-
füllung der Bitte in Ausſicht geſtellt, daß in Zukunft nur
jährlich eine halbe Million von Straßburg für
die Tilgung des Kaufpreiſes der Feſtungswerke
entrichtet werden ſollte. Der neue Etat nimmt Rückſicht
auf dieſe kaiſerliche Zuſage. Die Begründung führt
Billigkeitsrückſichten an.
Leiyzig, 27. Nov. Der Verein der Rechtsan-
wälte hierſelbſt beſchloß in ſeiner geſtern abgehaltenen
Sitzung, bei dem Verein der Rechtsanwälte am Reichs-
gericht vorſtellig zu werden, der dahin wirken ſoll, nach
Berlin eine Verſammlung ſämmtlicher Rechtsanwälte
Deutſchlands einzuberufen, um entſchiedene Stellung zu der
geplanten Abkürzung der Rechtsanwaltsgebühren zu nehmen.
Stuttgart, 27. Nov. Die Kamm er beſchloß, in die
Berathung der Kirchengeſe tze einzutreten. Zum Vice-
präſidenten wurde der Nationalliberale Gö z gewählt.
Oeſterreichiſche Monarchie.
Peſt, 27. Nov. Zwiſchen dem deutſchen Botſchafter
Prinzen Reuß und dem ehemaligen Reichskanzler Grafen
Andraſſy fand ein längerer Gedankenaustauſch ſtatt.
Andraſſy hatte nicht unterlaſſen, vor ſeinem Auftreten in
den Delegationen die Berliner leitenden Kreiſe zu verſtün-
digen; dieſes geſchah durch ſeinen Sohn, welcher der öſter-
reichiſch⸗ungariſchen Botſchaft in Berlin beigegeben iſt. Die
Stellungnahme Andraſſys gegenüber dem Verhältniß des
öſterreichiſchen Bündniſſes zu Rußland hatte anf änglich
in Berlin nicht gefallen. Man glaubt aber, daß Andraſſys
letzte Friedensrede gegenüber Rußland nicht ohne vor-
heriges Einverſtändniß mit den deutſchen leitenden Kreiſen
gehalten worden iſt. Im Lichte dieſer Friedensbeſtrebung
erkennt man an, daß Andraſſy ſehr erheblich dazu beige-
tragen hat, die ungariſche Anſchauung über das öſterreichiſch-
deutſche Bündniß zu klären, wodurch er dem Bündniſſe ſelbſt
einen guten Dienſt erwieſen habe. — Die Ungariſche Dele-
gation hat ohne Verhandlung einſtimmig die Forderung
für die Repet irgewehre bewilligt und darauf das Heeres-
budget und den Beſatzungskredit angenommen.

Ausland.
Paris, 27. Nov. Der Ausſchuß der Deputirten-
kammer für Zölle beſchloß die Alkoholzölle von 30

auf 40 Francs zu erhöhen.
Paris, 27. Nov. Deputirtenkammer. Bei der Berathung
des Budgets des Auswärtigen erſuchte de la Foſſe (Bona-
partiſt) die Regierung um Erklärungen bezüglich der Verwendung
der Deputirten in hohen Staatsämtern, über Egypten,
welches England trotz ſeiner Verſprechungen immer nicht räumt,
ſondern unter ſeiner Bevormundung hält, über die Freiſtellung
des Suezkanals, an welchem alle Nationen intereſſirt ſeien
und welchen England nach Belieben würde ſchließen können, end-
lich über Bulgarien. Redner ſchließt: Frankreich muß bezüg-
lich Bulgariens an dem Berliner Vertrage feſthalten gleichwie
Rußland; dieſes hat das bulgariſche Volk aus der Knechtſchaft
befreit und hat das Recht, die Vormundſchaft über dieſes neuge-
ſchaffene Volk zu beanſpruchen; alle ſeine Anſprüche ſind vom
Geiſte der grözten Mäßigung eingegeben. Es wird leicht ſein,
die Intereſſen Rußlands mit den unſrigen in Ein-
klang zu bringen. (Beifall auf der Rechten.) Miniſter-
präſident Freyeinet entgegnet: Das Hauptbeſtreben der
Regierung ſei auf Erhaltung des Friedens gerichtet, dieſer
ſei nöthig zum Gedeihen des Werkes der Umgeſtaltung der Re-
publik, zu welchem eine lange Reihe von Jahren nöthig ſei und
welches ein Krieg ernſtlich gefährden könne. Ebenſo bedürften die

Reformen im Innern einer Beruhigung der Geiſter. Die Republik

habe bereits große Fortſchritte auf dem Wege der Reformen ge-
macht, welche das Berhältniß zwiſchen Kapital und Arbeitsklaſſen
anſtreben; um dieſe Reformen durchzuführen, ſei einr
lange Zeit des Friedens erforderlich. Frankreich, fuhr
hierauf Freycinet fort, muß ſeinen Rang als Großmacht be-
wahren, es hat eine Rolle zu ſpielen in allen internationalen An-
gelegenheiten, aber es muß die Wahl zwiſchen denjenigen zu treffen
wiſſen, die von nur allgemeiner Bedeutung ſind und denjenigen,
deren Löſung den Lebensznerv unſeres Landes berühren. Von
dieſem Grundſatz ausgehend, muß man zugeben, daß die bulgariſche
Angelegenheit Frankreich nicht in erſter Linie betrifft; Frankreich
hat hier nur allgemeine Intereſſen, wie die Erhaltung der Türkei,
das Gleichgewicht der Streitkräfte der Mittelmeerſtaaten. Im
gegenwärtigen Augenblick iſt es nicht Sache Frankreichs, in die
bulgariſche Frage einzugreifen. In der egyptiſchen Frage haben
wir unmittelbare Intereſſen zu vertreten. Egypten iſt der Kreuzungs-
punkt zwiſchen Europa, Aſien und Afrika; wer Herr in Egypien
wäre, würde Herr des Mittelmeeres ſein. Es kann deshalb nicht
zugegeben werden, daß Egypten in die Hände einer europäiſchen
Großmacht gerathe (Beifall im linken Centrum). Aber dieſe Ge-
fahr iſt nicht zu befürchten, die Engländer ſind bloß nach Egypten
gezogen, um die Ordnung herzuſtellen. Sie erkennen an, daß
Egypten ſein eigener Herr ſein müſſe. Die franzöſiſche Regierung
hat keine Aufforderung zur Erfüllung von Verbindlichkeiten
an England gerichtet. Aber ſie hat Englands Auf-
merkſamkeit auf die Nothwendigkeit, zu einer
Löſung zu gelan gen, gelenkt. Für den Suezkanal
ſind Verhandlungen zum Zwecke eines europäiſchen Einver-
nehmens im Gange und in kurzer Zeit wird das Einvernehmen
mit England erzielt ſein, ſo werden ſich unſere Intereſſen mit den
Rückſichten vertragen, die wir einer Großmacht ſchulden, mit der
uns eine alte Freundſchaft verbindet. Die Regierung befolgte in
allen Verhältniſſen eine ehrliche, uneigennützige Politik und hat
ſich auf dieſe Weiſe Achtung und Vertrauen aller Mächte erwor-
beu, mit denen ſie in Berührung ſteht. Die Aera der Erobe-
rungen in fernen Ländern iſt für geraume Zeit ge-
ſchloſſen, aber auf die erlangten Erwerbungen zu verzichten,
wäre unpolitiſch. Es handelt ſich darum, dieſe Erbſchaft ſo zu
ordnen, daß ſie in günſtige Verhältniſſe gelenkt werde. Dies iſt
die feſte Politik, welcher das Land ſicher ſeine Zuſtimmung geben
wird. Nach einigen weiteren Reden wird die allgemeine Ver-
handlung geſchloſſen. — Bei Berathung von Artikel 1 des Bud-
gets des Auswärtigen beantragt Michelin (Revolutionär)
Streichung der Botſchaft beim Vatican. Freycinet ſpricht
hiergegen; die Abſchaffung würde Frankreich große Schwierig-
keiten ſchaffen, und wenn dereinſt die Trennung von Staat und
Kirche verwirklicht ſei, werde die Abſchaffung der Botſchaft beim
Vatikan die natürliche Folge ſein. Michelin beſteht auf ſeinem
Antrag. Dieſer wird jedoch mit 29 gegen 258 Stimmen abge-
lehnt. Hierauf werden die erſten Kapitel bis 17 angenommen.
Paris, 28. Nov. Freycinet theilte im Miniſter-
rathe mit, der Schutz Frankreichs gelte blos für die
Ruſſen in Oſtrumelien. Die ruſſiſchen Kreiſe in Paris
ſind überzeugt, daß die Kriegsgefahr durch die deut-
che Thronrede in die Ferne gerückt ſei; das Ein-

verſtändniß zwiſchen Deutſchl and und Rußland
ſei völlig befeſtigt.
Brüſſel, den 28. Nov. Der (ruſſiſchofficiöſe) „Nord“
meldet, Oeſterreich richtete die eine Erklärung nach Pe-
tersburg, daß ihm jede ruſſiſche Candidatur außer die
des Fürſten von Monteneg ro oder des Peter Kara-
georgievitſch angenehm ſei.
London, 27. Nob. Wie die Morning Poſt erfährt,
ſchweben Verhandlungen zwiſchen England und Chin a,
wegen Abtretung von Port Hamilton an China. —
Wie die Times erfährt, wird das Parlament am 13.
Januar zuſammentreten.
Petersburg, 27. Nov. Der neuernannte franzöſiſche
Botſchafter de Laboulaye iſt geſtern vom Kaiſer
Alexander im Anitſchkowpalaſte in feierlicher Audienz
empfangen worden. Nach Ueberreichung ſeines Beglaubi-
gungsſchreibens wurde er nebſt ſeiner Gemahlin und Tochter
der Kaiſerin vorgeſtellt.
Bukareſt, 27. Nov. Die rumäniſchen Kammern
wurden heute durch den König in Perſon eröffnet.
Bukareſt, 27. Nov. Die Thronrede zur Eröff-
nung der Kammer bezeichnet die Beziehungen zu
allen Mächten als aus gezeichnet; die politiſchen Er-
eigniſſe, melche ſich an den Grenzen abſpielten, bildeten wohl
für einen Moment einen Gegenſtand der Beſorgniß, berühr-
ten gleichwohl das Land nicht. Die ununterbrochene Sorge,
womit Rumänien einen friedlichen Fortſchritt ver-
folgt, ſowie ſeine ruhige nud würdige Haltung wieſen dem
Staate einen noch höheren Platz als früher zu. Die im
Laufe des Jahres erloſchenen Handelsverträge hofft
der König durch die begonnenen Verhandlungen zu einem
guten Reſultate-zu führen.

Aus Stadt und Land.

E. Hridelberg, 26. Nov. Letzten Mittwoch den 24. d. M. hielt

der ſtudentiſche Guſtav⸗Adolf⸗Verein ſeine erſte ordentl.
Verſammlung dieſes Semeſters im „Bremeneck“, für welche der
Vorſtand des badiſchen Hauptvereins, Herr Stadtpfarrer Zäringer
aus Weinheim mit freundlicher Bereitwilligkeit einen Vortrag
über die Bedeutung des Guſtav⸗Adolf⸗Vereins für die ev. Kirche
übernommen hatte. Das Arbeitsfeld des Vereins, bemerkte ein-
leitend der Herr Redner, bilden die Niederlaſſungen von evang.
Chriſten in der Diaſpora. Die Zahl ſolcher Gemeinden iſt in
den letzten Jahrzehnten ſeit Verbeſſerung der Verkehrsmittel und
Einführung der Freizügigkeit überall bedeutend gewachſen. So
ſtieg ſie in Baden beiſpielsweiſe von 6—9 auf augenblicklich 60
Gemeinden. In allen dieſen Gemeinden beſteht die lebhafte
Sehnſucht nach evang. Gottesdienſt, Religionsunterricht n. Seel-
ſorge. Da ſie aber bei durchgetends großer Armuth in den
ſeltenſten Fällen im Stande ſind, jenes Bedürfniß genügend zu
befriedigen, ſo laufen ihre Glieder Gefahr, entweder der Religion
überhaupt entfremdet zu werden oder aber der mit gewaltigen
Geldmitteln (Bonifaciusverein) für ihre Propaganda wirkenden
katholiſchen Kirche zu verfallen. Hier iſt es die Aufgabe der
evang. Kirche, den bedrängten Brüdern mit Rath und That bei-
zuſtehen, und zwar um ſo mehr, als gerade die Evangeliſchen in
der Diaſpora, obwohl unzähligen Bosheiten und Quälereien von
der kathol. Propaganda ausgeſetzt, die eifrigſten evang. Chriſten
zu ſein pflegen, welche freudig alle möglichen geiſtigen und ma-
teriellen Opfer auf ſich nehmen, um nur das theure Gut evang.
Glaubens ſich zu bewahren. Unter ſolchen Umſtänden leuchtet
die große Bedeutung des Guſtav⸗Adolf⸗Vereins für die evan-
geliſche Kirche ein. Für ſie ſprechen aber auch die materiellen
Erfolge, welche ſeine Thätigkeit bereits erzielte. 3236 Ge-
meinden wurden bisher im Ganzen unterſtützt, 1400 Kirchen,
700 Schulen und 500 Pfarrhäuſer ſind bereits gebaut, der Waiſen-
und Confirmanudenhäuſer gar nicht zu gedenken. Augenblicklich
unterſtützt der Verein 1330 Gemeinden. Und doch iſt dieſe Hilfe
ärmlich zu nennen im Vergleich zu den großen Aufgaben, welche
au ihn herantreten. Daß er ſie bisher nicht in noch umfaſſen-
derer Weiſe löſen konnte, iſt Schuld gewiſſer Vorurtheile, mit
denen er auch in evang. Kreiſen zu kämpfen hat. Man hat den
Verein einen Geldpreß⸗ und Bauverein genannt. Gewiz mit
Unrecht; denn gerade in ſeiner eigenthümlichen Verbindung von
realen und idealen Intereſſen liegt andererſeits ein Hauptanzugs-
mittel für den Verein. — Seine hohe Bedeutung für die evang.
Kirche wird aber vollends erſichtlich, wenn wir ihn als den einzig
greifbaren, ſichtbaren Ausdruck der evang. Geſammikirche gegen-
über ihrer Zerſplitterung in den einzelnen Landeskirchen bezeichnen
müſſen. Er bringt ferner zum Bewußtſein, daß jedes Glied der
evang. Kirche mitverantwortlich iſt für ihr Wohl, er weist
auf die Lebensfragen der Kirche und des Glaubens hin. So ſteht
er mit ſeiner Arbeit in der Gemeinde als Bote des Friedens.
als Zeuge für die tiefſten Bedürfniſſe der Menſchheit, als ein
Prediger des Ernſtes und des Eifers für die Lebensfragen der
evang. Kirche da. — Den Ausführungen des geehrten Herrn
Redners, die unſer Bericht in der Kürze wiederzugeben verſucht.
zollte die Verſammlung lauten Beifall und bezeugte ihren Dauk
durch einen vom Vorſitzenden Herrn stud. theol. Munzinger com-
mandirten Salamander. „ ‚
UI beidelberg. 29. Novbr. Im zweiten ſeiner öffeutlichen Vor-
träge im Gartenſaale des Muſeums ſprach am Samstag Abend
Herr Dr. Arthur Kleinſchmidt über den Prätendenten Carl
Eduard Stuart. Der ſich durch Klarheit auszeichnende Vor-
trag gab ein feſſelndes Bild von der hiſtoriſch als piychologiſch
intereſſenten Perſönlichkeit des Prätendenten, ſeiner abenteuer-
lichen Bewerbungen um den engliſchen Thron, ſowie ſeiner ſon-
ſtigen wechſelvollen Lebensſchickſale. Das bedentendſte und folgen-
ſchwerſte Ereigniß ſeines Lebens iſt die abenteuerliche Expedikion
nach Schottland, welche er im Jahre 17⁴5 unternahm. Nach
mehreren kühn erfochtenen Siegen von dem engliſchen Heere in
der Schlacht bei Culloden ſelbſt geſchlagen, mußte er in die Wild-
niſſe Schottlands fliehen, wo er ſich unter den ſchlimmſten Ge-
fahren und romanhafteſten Erlebniſſen ſeinen Verfolgern zu ent-
ziehen wußte. Gegen das Ende ſeines Lebens war er, dem Trunk
ergeben, mit ſich und der Welt zerfallen. In tiefer Verſtimmung
und Schwermuth ſtarb er 1788 im Alter von 68 Jahren in
Row. Das Auditorium lauſchte den Worten des Vortragenden
mit geſpannteſter Aufmerkſamkeit.
§ Htütlberg. 29. Nov. Wenn man im Allgemeinen die Wahr-
nehmung macht, daß das Intereſſe für öffentliche Vorträge in den
weitern Kreiſen des Publitums kein beſonders großes iſt und
nicht ſelten der Beſuch recht viel zu wünſchen übrig läßt, ſo war
der Zudrang eine beſonders erfreuliche Erſcheinung, welcher ſich
zu dem Vortrag geltend machte, den Herr Dr. Schwarz aus
Berlin am Samstag Abend aus Veranlaſſung des hieſigen Zweig-
vereins des deutſchen Kolonial⸗Vereins im Gartenſaal der Har-
monie hielt. Erfreulich um deswillen, als ſich darin zeigt, daß
die Koloniſatlonsbeſtrebungen der deutſchen Reichsregierung ge-
würdigt werden und die Koloniſationsidee auch in der binnen-
ländiſchen Bevölkerung Wurzel geſchlagen hat und kräftig fort-
lebt. Herr Dr. Schwarz ſprach über Kamerun und ſeine

Nachbarländer, welche Gebiete er im Auftrage der Regierung im
vergangenen Jahre bereiſt hat. Der Vortrag ſchilderte in leb-
haften Farben Land und Leute unſerer Beſitzung am Kamerun-
fluſſe, den landſchaftlichen Charakter des Kamerungebirges, des
Hoch⸗ und Tieflandes, die wirthſchaftlichen, commerziellen, klima-

tiſchen Verhältniſſe ꝛc. Die Schilderung perſönlicher Errur
und ſelbſt erlebter Dinge wird ihres Eindrucks immer ſicher ſein
weil ihr jene friſche Unmittelbarkeit und Lebendigkeit eigen iſt er
die den Zuhörer ſofort gefangen nimmt, aber die Ausfübrunge
des Herrn Dr. Schwarz wirkten außerdem noch durch den Glan
einer ſchwungvollen Beredſamkeit. Beredter und feſſelnder wir
wohl kaum jemals über Kamerun geſprochen worden ſein. Scho
ſeiner rhetoriſchen Vorzüge wegen bereitete der Vortrag eine
wirklichen Genuß. Ein farbeuprächtiges, ſtimmungsvolles Ge
mälde entrollte Redner von der landſchaftlichen Schönheit de
Kamerunberges, den die Eingeborenen ſehr poetiſch Götterber
nennen. Der Berg oder richtiger das Gebirge umfaßt ein Areal vo
50 ◻⸗Meilen, liegt hart am Meere, iſt ringsum bis faſt zu de
höchſten Gipfeln mit einer üppigen Vegetation umgeben, die ſick
als ein farben⸗ und düftereiches Chaos von unbeſchreiblicher Prach
darbietet. Die Landſchaft iſt von einem maleriſchen Reiz. wi
kaum eine zweite auf Erden. Hiernach könnte es faſt ſcheinen
als wenn Herr Dr. Schwarz den Olymp von Kamerun nur mi
dem Auge des Schönheitsfreundes geſchaut. Gewiß nicht. Di
praktiſche Seite der Sache kam nicht zu kurz. Herr Dr. Schwarzh
bildete ſich nach ſeinen Wahrnehmungen und Beobachtungen vong
allem auch ein Urtheil über die Bedeutung, welche die fruchtbaren
Gelände des umfangreichen Gebirges in wirthſchaftlicher undt-
praktiſcher Beziehung haben könnten. Und das lautet ſehr e

Nach ihm würde man bei rationellem Anbau an tropiſchen Frücht
ten, wie ſie an der weſtafrikaniſchen Küſte gedeihen, ſo viel er
zielen, um halb Europa oder wenigſtens Deutſchland damit ver-
ſorgen zu können. Außerdem müßte mit der Anpflanzung vo
Früchten, die dort nicht heimiſch ſind, wie Cacao, Wein, Taba

2c. vorgegangen werden; die verſchiedenen Höhenlagen des Geig
birges gewähren den mannigfachſten Pflanzen und Früchten Fort.)
kommen. Ebenſo wäre in der Mangrove⸗Region die Zucker⸗ unt
Zimmetpflanze anzubauen, nachdem man durch entſprechende Maß
nahmen den Sumpfboden kulturfähig gemacht. Einer Melioratior
dieſes Sumpfes, der Kamerun nicht ganz ohne Grund die Be
zeichnung eines Sumpfloches eingetragen hat, ſtünden freilich
nicht geringe Schwierigkeiten entgegen, aber unmöglich wäre ſic
ſicher nicht. Vorläufig bleibt für die europäiſchen Niederlaſſungen
am Kamerunfluſſe die Hauptſache, den Handel mit dem Hinter
lande in erfolgreicher Weiſe zu betreiben. Unſere deutſchen Kauf
leute haben ſich mit Energie und Geſchick daran gemacht und da
Hauptgeſchäſt an der Küſte von Kamerun iſt in ihren Hände
Indeß haben ſie aber nicht den Hauptvortheil davon. Dieſe
ſtecken die Dualla ein, eine in der Nähe der Mangrove⸗Regio
wohnende Negerrace, welche den Zwiſchenhandel zwiſchen den Be
wohnern des Hinterlandes und den Europäern betreiben und e⸗
dieſen bis jetzt faſt unmöglich gemacht haben, mit dem Hinter
lande directe Beziehungen anzuknüpfen. Daß das Klima vonf
Kamerun, ſoweit das am Ocean ſich hinſtreckende Tieflaud ißt
Betracht kommt, für den Europäer von ungünſtigem Einfluſſe
muß zugegeben werden. Wohl Niemand entgeht dem Fieber un
wenn er nur eine Nacht an der Küſte zugebracht. Redner mei
aber, daß man durch mäßige und vorſichtige Lebensweiſe
klimatiſchen Einwirkungen möglichſt begegnen kann. Redner heb-
ſchiezlich die Bedeutung hervor, welche Kamerun für uns ha
würde, wenn vom mittleren Kongo aus ein ſchiffbarer Flußl
in die noch unerſorſchten Hochlandsgebiete am Benu 24
gefunden würde und glaubt, daß wir alle Urſache haben, m
Stolz und Hoffnung auf das Zukunftsland Kamerun zu ſchaueſ
Reicher Beifall dankte dem Vortragenden. Herr Profeſſor Leſé
drückte dieſen Dank noch beſonders in warmen beredten Worta
ans, daran zugleich einige Betrachtungen über den Werth de
kolonialen Beſtrebungen Deutſchlands kaüpfend, die ebenfalls beſ
fällig aufgenommen wurden. ö
T geidelberg, 29. Nov. Der geſtrige Vortrag von Hru. Stad
pfarrer Brückner aus Karlsruhe über „Luthers 95 Theſer
fand in der Providenzkirche ſtatt und war außerordentlich beſud
Der Redner ging von der⸗gegenwärtigen kirchenpolitiſchen La
in Deutſchland aus, die Frage erhebend, ob es zweckmäßig ſei
möchte bei der mächtigen Strömung, welche ſeit 10 Jahren d
herrſchende iſt und deren Löſung lautet: Friede mit Rom u
jeden Preis, den confeſſionellen Gegenſatz zu betonen, der mit do
95 Theſen in ſcharfer Form gegeben ſei. Aber bei den beden
lichen Fortſchritten, welche Rom auf volitiſchen und andern G
bieten ſtändig mache, bei der unglaublichen Gleichgültigkeit viel
Proteſtanten allen dieſen Dingen gegenüber, bei den gegenwärt
gen Verſuchen innerhalb der evang. Kirche nach römiſchem Vo
bilde ev. Biſchofskirchen zu gründen, ſei es eine Gewiſſenspfl.
die proteſtantiſche Gemeinde zu wecken und den Gegenſatz nicht
vertuſchen, aus dem ſie hervorgegangen iſt. Redner gibt dara-
eine anſchauliche Schilderung der Entſtehung der Theſen, d
vorausgehenden Zuſtände und Perſonen, namentlich Leo's X. u
des Erzbiſchofs Albrecht von Mainz, der Theſen ſelbſt, ihrer
gelenken, gelehrten Form, ihres beſcheidenen Standpunktes,
aber doch ſchon weittragende Gedanken in ſich barg, und des
geheuern Erfolges, er gibt eine un gemein klare geſchichtliche Uebſ
ſicht über das Buß⸗ und Ablaßweſen der römiſchen Kirche u
zeigt, daß es zu den heilloſen Zuſtänden kommen mußte, wie
die Reformation vorfand. Iſt dieſes ganze Syſtem darauf e
gerichtet, dem Menſchen jede ſittliche Selbſtſtändigkeit der Kir
gegenüber zu nehmen, ſo ſei gerade die ſittliche Selbſtbeſtimmu
das Weſen des Proteſtantismus; dieſe ſittliche Seloibeitmmu
ſei aber ein ſchöpferiſches Prinzip von unvergleichlicher Tragw
geworden, denn darauf beruhe unſere ganze moderne Geiſt
bildung. Die große Verſammlung verließ die Kirche mit di
Gefühl, ein treffendes Wort zu rechter Zeit gehört zu haben.
— geidelberg, 29. Nov. Geſtern Vormittag 8, Uhr ſtürzte
stud. phil. J. Wagner aus Mannheim über die alte Brücke in
Neckar und ertrank. Auf der Brücke hatte er Hut, Ueberziel
und Stock abgelegt, welche Gegenſtände von Vorübergehend
gefunden wurden. Nach längerem Suchen wurde heute VI
mittag 9 Uhr die Leiche durch hieſige Fiſcher geländet und
das acad. Todtenhaus gebracht. Ueber das Motiv dieſer T
iſt bis jetzt nichts Beſtimmtes bekannt geworden. — Einem Dier
knecht in der Bahnhofſtraße wurden aus ſeinem Zimmer in!
Nacht vom 27. zum 28. d. Ms. 15 Mark entwendet.
That verdächtig iſt ein Vorgänger des Beſtohlenen, welc
aber flüchtig iſt. — In voriger Woche kamen in der Cementfab
dahier zwei Arbeiter mit einander in Wortwechſel, welcher
Thätlichkeiten ausartete, wobei einer dem andern
einem Holzpantoffel derart auf dem Kopf ſchlug, daß der
troffene eine nicht unerhebliche Wunde davon trug und ſich
academiſchen Krankenhauſe verbinden laſſen mußte.

O hridelberg, 29. Nov. Nächſten Mittwoch den 1. Decem
wird die Reihe der Vorträge, welche der hieſige Verein ſ
Volksbildung veranſtaltet und zu denen Jedermann fr-
Zutritt hat, durch den Dozenten der Geſchichte an der hieſi
Univerſität, Herrn Dr. Adolf Koch, eröffnet werden. Als The
hat der Redner Richard den Dritten gewählt, jenen bluti
Uſurpator der engliſchen Krone, von deſſen Seelenzuſtänden
Schickſalen die tragiſche Kunſt Shakeſpeare's ein ſo großarti
Gemälde entworfen hat. Es wird beſonderes Intereſſe bie
dieſe Perſönlichkeit nach ihrer wahren geſchichtlichen Geſtalt
einem Hiſtoriker geſchildert zu ſehen.
* Feidelberg, 29. Novbr. Der geſtrige Sonntag mit ſei
herrlichen Sonnenſchein war wie eine Oaſe unter den trü
Novembertagen und lockte denn auch viele Spaziergänger
Freie. Viele von dieſen nahmen als Ziel ihrer Ausflüge ſ.
etwas eniferntere Punkte der Umgebung, wie Königsſtuhl, Koh
u. ſ. w. Auf dem Kohlhof war ein ſo ſtarker Beſuch, daß
Räumlichkeiten der dortigen Wirtbſchaft bei weitem nicht
reichten und manche Gäſte unverrichteter Dinge wieder abzi
mußten, weil ſie abſolut keinen Platz mehr finden konnten.
Kurzem iſt daſelbſt ein neuer Wirth, Herr Steubing,
frühere langjährige Oberkellner des Gaſthofs „Zum Ritter“
 
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