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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0646

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Wilhelm und anderen Fürſtlichkeiten ihm folgte, bei der
Rückkehr aus der Feſtoper. Am Fuße der Haupttreppe
hatte der bairiſche Geſandte, Graf von Lerchenfeld, und der
bairiſche Miniſter des königlichen Hauſes und des Aus-
wärtigen, Freiherr von Crailsheim, die Ankunft erwartet.
In der Geſellſchaft war das bairiſche Element ſelbſtver-
ſtändlich ſtark vertreten. So ſchienen namentlich ſämmtliche
Mitglieder in den Reichsämtern, welche aus Baiern ſtammen,
anweſend zu ſein. Graf Berchem, Freiherr von Linden-
fels, Baron von Brück, Herr von Poſchinger, auch die
Mitglieder des Bundesraths aus Baiern, mit Ausnahme
des Generalmajors von Xylander, der durch Krankheit in
der Familie verhindert war, und ſämmtliche hierher com-
mandirte bairiſche Offiziere. Das preußiſche Staatsmini-
ſterium war ebenfalls vollzählig anweſend. Aus dem Reichs-
tag bemerkte man außer dem Präſidenten v. Wedell⸗Piesdorf
und dem zweiten Vicepräſidenten Hofmann — Freiherr
von Franckenſtein iſt noch nicht zurückgekehrt — Oberbürger-
meiſter von Forckenbeck, Graf von Schönborn⸗Wieſentheid,
Feuſtel, Dr. Marquardſen, Dr. Groß, Dr. Bürklin und
Brünings. Der Kronprinz ließ ſich im Laufe des Abends
die ihm unter dieſen noch unbekannten Herren vorſtellen
und unterhielt ſich in ſeiner liebenswürdigen Weiſe mit den
einzelnen. Der Prinzregent wird heute Abend ſämmtliche
Reichstagsabgeordnete aus Baiern, welche um eine Audienz
nachgeſucht hatten, in der Wohnung des bairiſchen Geſandten
empfangen, wo er das Abendeſſen einnimmt. Wiſſenſchaft
und Kunſt hatten zu dem geſtrigen Abendfeſte bei den kron-
prinzlichen Hoheiten auch ihre Vertreter geſtellt. Unter an-
dern waren Profeſſor Dr. Gneiſt und die Maler Akademie-
direktor von Werner und Bleibtreu anweſend. Bekanntlich
iſt der Prinzregent auch ein großer Kunſtfreund und einige
der ſchönſten Bilder in der gegenwärtig hier ſtattfindenden
Ausſtellung der Werke von Friedrich Voltz und Spitzweg
ſind aus dem Privatbeſitz des Prinzregenten hergeliehen.
Auch ein kleiner Damenflor fehlte dem Feſte nicht, welches
nach dem Abendeſſen um elf Uhr zu Ende ging. Die Ab-
reiſe des hohen Gaſtes iſt auf morgen Vormittag beſtimmt.
Nach einem zweitägigen Beſuche bei der kgl. ſächſ. Familie
wird der Prinzregent von Baiern am Montag früh wieder
in ſeiner Reſidenz München eintreffen. — Prinz
Luitpold, iſt heute bei den Botſchaftern vorgefahren. An
der heutigen Tafel bei dem bayeriſchen Geſandten Grafen
Lerchenfeld⸗Köfering ſaß Prinz Luitpold zwiſchen
dem Grafen Moltke und dem Staatsſecretär Grafen
Herbert Bismarck.
Oeſterreichiſche Monarchie.
Wien, 9. Dec. Die bulgariſche Deputation,
beſtehend aus Grekoff, Stoiloff und Kaltſcheff,
wurde heute Nachmittag in einer mehrſtündigen Audienz
von dem Grafen Kalnoky empfangen. Die Deputation
wird ſämmtlichen hier accreditirten Botſchaftern,
den ruſſiſchen mit inbegriffen, Beſuche abſtatten.
Falls Fürſt Lobanoff die Delegirten nicht empfangen
ſollte, werden dieſelben ihre Karten bei ihm abgeben. Von
dem Kaiſer dürfte die Deputation wegen der internationa-
len Etikette⸗Schwierigkeiten nicht empfangen werden, da-
gegen wird dieſelbe dem Grafen Taaffe und vorausſicht-
lich dem Grafen Tisza in Budapeſt ihre Aufwartung
machen. Die Deputation ſpricht ſich in allen die zukünftige
Geſtaltung des Verhältniſſes Bulgariens zu Rußland
betreffenden Fragen theils reſervirt, theils reſignirt
aus, erklärt aber, Bulgaren werde ſich den Mingrelier
ſelbſt guf die Gefahr eines bewaffneten
Widerſtandes hin nicht aufdringen laſſen. Die
Blättermeldung über die Nichtexiſtenz eines angeblichen
Pfortencirculars, welches den Mingrelier als Fürſten
von Bulgarien empfiehlt, iſt dahin richtig zu ſtellen, daß
dem hieſigen Auswärtigen Amte von dem türkiſchen
Botſchafter Sadullah Paſcha ſchon vor fünf Tagen
eine derartige mündliche Eröffnung auf empfangene
Inſtruktionen baſirend gemacht worden iſt. Die türkiſche
Eröffnung machte einen ungünſtigen Eindruck.
Ausland. ö
Bern, 9. Dec. Der Nationalrath genehmigte mit
großer Mehrheit das Fabrications⸗ und Einfuhr-
monopol für Alkohol.
Paris, 9. Dec. Goblet hatte heute Vormittag eine
Unterredung mit Freycinet, der ihm erklärte, er wolle
der politiſchen Thätigkeit des neuen Miniſteriums
vollſtändig fremd bleiben. Goblet that hierauf einen
Schritt bei General Boulanger, der unter der Be-
dingung die Uebernahme des Kriegsminiſteriums zuſagte,
daß die Creditvorlage von 300 Millionen für die
Ausrüſtung des Heeres gemacht werde. Admiral
Aube nahm für das Marineminiſterium gleichfalls unter
der Bedingung an, daß der Credit, den er für die Um-
geſtaltung der Flotte verlangte, aufrecht erhalten bleibe. —
Heute wollte in der Deputirtenkammer der ultra⸗radicale
Bildhauer Raffier den Deputirten Germain Caſſe
erdolchen, weil er ſeine den Wählern gegebenen Zuſagen
nicht gehalten habe. Caſſe wurde bloß an der Hand ver-
wundet, Raffier verhaftet. ö
Paris, 9. Dec. Das neue Miniſterium Goblet
wird, wie verlautet, folgendermaßen zuſammengeſetzt ſein:
Präſident und Inneres Goblet; Auswärtiges Duelere,
der frühere Miniſterpräſident, doch wohl nur vorläufig;
Juſtiz Sarrien; Unterricht Burdeaux; Krieg Bou-
langer; Marine Aube; Finanzen Dauphin, Obmann
des Finanzausſchuſſes des Senats; öffentliche Arbeiten
Milland; Ackerbau Develle; Poſt und Telegraphen-
weſen Granet; Handel wahrſcheinlich Lockroh.
London, 9. Dec. Der Staatsſecretär des Auswär-
tigen, Lord Iddesleigh, erhielt, wie das Reuter'ſche
Bureau vernimmt, eine Note der Pforte, in welcher
dieſelbe unumwunden den Wunſch ausſpricht, über die
Räumung Egyptens mit England in einen Meinungs-

Berhandlungen ziemlich lange hinauszogen.

austauſch zu treten. Lord Iddesleigh antwortete, er
werde die Note in Erwägung ziehen.
Rom, 9. Dezbr. Wie ein Fluch haftet an dem poli-
tiſchen Radicalismus aller Länder jener Geiſt, der ſtets
das Gute will und nur das Böſe ſchafft, der, einer ätzen-
den Säure gleich, weil es ſo ſeine Natur iſt, die ehernen
Grundlagen der beſtehenden Staatseinrichtungen anfrißt;
der Radicalismus, welcher ſich in ſeinen Urhebern
meiſt darſtellt als Verkörperung der ſtrengen Tugend, iſt
bei deren Nachtretern zur Sünde und zum Verbrechen ge-
worden. So auch in Italien. Während noch das Land
den Mannesworten, welche der Vertreter ſeiner auswärti-
gen Angelegenheiten in der Kammer geſprochen, zujubelt,
haben die radicalen Reichszerkleinerer ihre Thätigkeit bereits
begonnen. Graf Robilant hat ihnen ihre Sache allerdings
recht ſchwer gemacht; er hat den Verſtoß, Frankreich, die
Republik, mit keiner Silbe zu erwähnen, ſelbſt in den
Augen unklarer radicaler Querköpfe vollauf ausgeglichen,
indem er des für ſeine Freiheit kämpfenden Bulgarenvolkes
und ſeines Fürſten mit warmen Worten gedacht und einen
engen Anſchluß an das ſo oft als conſtitutionellen Muſter-
ſtaat empfohlene England in Ausſicht geſtellt hat. So
bleibt denn nur ein allerdings von je her beliebter An-
griffspunkt gegen die Robilantſche Politik: die Anlehnung
Italiens an Deutſchland und Oeſterreich. Die
nach dieſer Seite hin ausgeſtreuten giftigen Keime fallen
jenſeits der Alpen immer noch auf empfänglichen, vom
Irredentismus vorbereiteten Boden, denn — darüber
mag man ſich nicht täuſchen — wenn auch die irredenti-
ſtiſchen Beſtrebungen jetzt als nationaler Sport in Verruf
gekommen ſind, ſo bilden ſie doch auch heute noch eins der
wirkſamſten und gefährlichſten radicalen Agitationsmittel.
Belege dafür liefert die Parteipreſſe faſt täglich, und gerade
jetzt verbirgt ſie nur mühſam ihre Mißſtimmung darüber,
datz die bulgariſchen Wirren nicht einen großen Krieg ent-
facht haben, der die politiſchen Gewäſſer genügend getrübt
hätte, um dieſen zweifelhaften Fiſchern reiche Ausbeute zu
verſprechen.
Sofia 9. Dez. Heute urtheilte das Kriegsgericht
über die in den Aufſtand derwickelten Perſonen ab, welche
gleichzeitig mit der Burgasaffaire den Verſuch machten,
die wegen des Attentats vom 21. Auguſt entlaſſenen Offi-
ziere Below und Packow mit einer gedungenen Bande
zum Aufruhr anzuſtiften. Der Regimentscommandeur Be-
low wurde zu lebenslänglicher Verbannung und Ausſtoßung
aus dem Heere verurtheilt; zwei Lieutenants, die ohne
Proteſt einer aufrühreriſchen Verſammlung angewohnt
hatten, erhielten jeder fünf Jahre Zwangsarbeit unter Aus-
ſtoßung aus dem Militär, und fünf Civiliſten ebenfalls
fünf Jahre Zwangsarbeit.

Aus Stadt und Land.
* geidelberg, 9. Dec. In einer vor wenigen Tagen abgehalte-
nen Sitzung des hieſigen naturhiſtoriſch⸗mediziniſchen
Vereins zeigte It. B.⸗L. Prof. Moos einen Pilz vor, welchen
er an 6 Leichen von an Diphtheritis verſtorbenen Kindern
im Gehörlabyrinth aufgefunden hatte. Wie die in der Sitzung
vorgelegten Präparate zeigen, verurſacht derſelbe Blutungen ver-
ſchiedenen Grades, durch welche der Gehörnerv bald mehr, bald
weniger nothleidet. Außerdem erzeugt der Vilz Störungen in
andern Gebilden des Ohrlabyrinths, welche nach den jetzigen Au-
ſchauungen der Phyſiologen zu dem Gleichgewichtsorgan des
Körpers, zum kleinen Gehirn, in inniger Beziehung ſtehen, ſo
daß die Kinder, welche die Krankheit überſtehen, bald kürzere,
bald längere Zeit noch an taumelndem Gang leiden. Das Merk-
würdige iſt, daß der betr. Pilz kein Diphtheritispilz iſt, ſondern
ein Spaltpilz, welcher in das Blut eindringt, ſobald als die
Schleimhänte durch Diphtheritis zerſtört ſind.
— Hridelberg, 10. Dec. Auf ergangene Einladung fand geſtern
Abend im kleinen Saale der Harmonie eine ſehr ſtark beſuchte
Verſammlung von Angehörigen des Kaufmannsſtandes behufs
Gründung eines kaufmänniſchen Vereins ſtatt, wozu
ſich auch eine Anzahl, meiſtens jüngere, Prinzipale eingefunden
hatte. Die große Zahl der Erſchienenen, die der Verſammlungs-
raum kaum aufzunehmen vermochte, war jedeufalls ein Beweis
dafür, daß dem beabſichtigten Unternehmen ein warmes Intereſſe
entgegen gebracht wird, ebenſo die lebhafte Betheiligung bei den
Debatten, die allerdings zuweilen ſich mehr als nöthig in Einzel-
heiten verliefen; indeß, das möge auf Rechnung der Neuheit der
Sache geſetzt werden. Namens des proviſoriſchen Comités be-
grüßte Herr Helffrich die Verſammlung und erſtattete kurz
und bündig Bericht über deſſen Thätigkeit. Dasſelbe habe ſich
zufammengethan, um, nachdem in Städten von geringerer Bedeu-
tung als Heidelberg ſich kaufmänniſche Vereine gebildet hätten,
auch hier einen ſolchen ins Leben zu rufen. Die Abſicht ſei der
Handelskammer mitgetheilt worden, welche ſich mit Befriedigung
darüber äuzerte, und welchen Anklang das Unternehmen in den
weitern kaufmänniſchen Kreiſen gefunden, beweiſe der ſtarke Be-
ſuch der heutigen Berſammlung. Hierauf wurde in die Berathung
des vorliegenden Statutenentwurfs eingetreten und zum Leiter
der Verhandlungen durch Zuruf Herr Jean Ackermann berufen.
Zunächſt ſtellte dieſer die Frage an die Verſammlung, ob man

überhaupt mit der Gründung eines kaufmänniſchen Vereins ein-

verſtanden ſei, welche von der Verſammlung einſtimmig bejaht

wurde. Der proviſor. Schriftführer, Hr. Huth, verlas ſodann

den Statuten⸗Entwurf, an deſſen einzelne Paragraphen ſich eine
zuweilen zu ausgedehnte Beſprechung kuüpfte, ſo daß ſich die
ir müſſen uns auf
einige Hauptpunkte beſchränken. Nach § 1 bezweckt der Verein:
Fortbildung und Hebung kaufmänniſchen und allgemeinen Wiſſens,
praktiſche Förderung und Förderung des genoſſenſchaftlichen
Sinnes und der Zuſammengehörigkeit der Mitglieder. Als Mittel
zur Erreichung dieſer Zwecke ſollen nach § 2 dienen: Vorträge
und Vorleſungen, Beſprechungen über kaufmänniſche und volks-
wirthſchaftliche Gegenſtände, Unterricht in den für die Kaufleute
nützlichen Lehrfächern, Anlegung einer dem Zwecke des Vereins
entſprechenden Bibliothek und Auslage geeigneter Tagesblätter
und Zeitſchriften, Stellenvermittlung. Auf Antrag des Herrn
Louis Werner wurde in dieſen § als weiterer Punkt: Fürſorge
für erkrankte ordentliche Mitglieder aufgenommen. Aus den
übrigen 88 erwähnen wir nur noch, daß ordentliches Mitglied
mit Stimm⸗ und Wahlrecht nur ſolche werden können, welche
dem Kaufmannsſtande angehören und das 19. Lebensjahr zurück-
gelegt haben. Der Monatsbeitrag wird auf 1 ¾ feſtgeſetzt, die
Aufnahmegebühr auf 2 %¾, für Handlungslehrlinge iſt Beitrag
und Eintrittsgeld auf die Hälfte feſtgeſetzt, auch ind für dieſelben
noch einige einſchränkende Beſtimmungen im Statut enthalten.
Nachdem der Statutenentwurf mit den getroffenen Aenderungen
angenommen worden, wurde ein neues proviſ. Comité, beſtehend
aus den Herren Jean Ackermann, Fritz Böhringer, Chr. Helffrich,
Ed. Huth. Friedr. Möſer, H. Neuburger, Karl Nolte, Carl
Ueberle, Daniel Waguer und Louis Werner gewählt und das-

ſelbe beauftragt, die nöthigen Schritte zur endgiltigen Conſtitu
irung des Vereins einzuleiten. Wie wir hören, wird dieſelbe in
einer nächſten Dienſtag ſtattfindenden Verſammlung vorgenommen

werden. Bis jetzt ſollen ſich ſchon ca. 100 Mitglieder zum Verein
angemeldet haben, ſo daß die Bemühungen des ſeitherigen Comitss
mit einem ſchönen Erfolge gekrönt ſind. —
§ gheidelderg, 10. Der. Geſtern Abend hielt im Gartenſaale
der Harmonie auf Einladung des altkath. Kirchenvorſtandes Herr
Pfarrer Brecht von Oberkocher einen Vortrag über die römiſche
Unterhaltungs⸗Literatur der Gegenwart. Der Herr
Reduer führte ungefähr Folgendes aus: Wie ſeit einigen Jahr-
zehnten in Oeſterreich ſich volltändig neue Literaturen gebildet
haben, die czechiſche und ungariſche, während früher Czechen und
Ungarn vollſtändig unter dem Einfluß des Deutſchthums geſtan-
den waren, ſo erleren wir im deutſchen Reich eine ähnliche Schei“
dung der Geiſter. Es hat ſich eine römiſch⸗katholiſche Literatur
gebildet, welche prinzipiell nach den Ausſagen ihrer Vertreter die
Andersgläubigen als Gegner behandelt und deren Literatur
nur noch „für Nothfälle gelten läßt, um bei ihr Anlehen zu
machen“. Statt der „ſogenannten deutſchen Klaſſiker“ werden die
katholiſchen Dichter Lopez de Vega und Calderon empfohlen. Die
gemeindeutſchen Lyriker hat man im römiſchen Lager auch nicht
mehr nöthig, da ſeit 1848 ca. 100 katholiſche Dichter erſtanden
ſind, welche zwar zum größeren Theil herzlich unbedeutend, aber
dafür von erprobter Geſinnung beſeelt ſind. Wichtig iſt es, das
umfangreichſte Literaturgebiet der Gegenwart, den Roman, na
ſeinem inneren Gehalt zu prüfen, da der Roman ſozuſagen das
tägliche geiſtige Nahrungsmittel für die verſchiedenſten Volks-
klaſſen bildet als Feuilleton⸗, Colportage⸗ und Buchroman. Das
Haupt⸗ und Grundihema des römiſchen Geſellſchaftsromans bildet
die Bekehrung der Proteſtaunten und Andersgläubigen zur
römiſchen Kirche, nach dem Vorbild der zahlreichen Conbertiten-
bilder, in welchen engliſche und deutſche ehemalige Proteſtanten
die Beweggründe ihres Uebertritts zur römiſchen Kirche darge“
legt haben. Demnach ſetzt es ſich auch der römiſche Ten denz-
roman zur Aufgabe, die römiſche Kirche zu verherrlichen und
die Schwäche und Nichtigkeit aller entgegenſtehenden, vor allem
der proteſtantiſchen Kirche, darzulegen. Daher ſpielt in vielen
dieſer Romane das Religionsgeſpräch eine grote Rolle, bei welchen
ſich die Proteſtanten, um der römiſchen Kirche ihre Triumphe
zu erleichtern, meiſt ſehr unwiſſend und täppiſch benehmen.
An einem Feuilletonroman des „Schwarzen Blattes“, Beiblattes
der „Germania“, einem bei Kirchheim in Mainz erſchienenen Ros
mane, einem böhmiſchen ꝛc. wurde eingehender gezeigt, wie
der römiſche Tendenzroman dem Proteſtantismus und den Prote
ſtanten die ſchlechteſten Eigenſchaften andichtet, ſo daß das Re-
ſultat, welches dieſe weitderbreitete Sorte von römiſcher Unter =
haltungslectüre hervorbringt, kein anderes iſt, als den Fanatis-
mus und Glaubenshaß zu ſchüren. Wie ſehr der Gedanke der
Propaganda der römiſch⸗katholiſchen Tendenz bereits alle Gebiete
der kath. Literatur überwuchert hat, wird am deutlichſten durch
die Thatſache, daß es bereits ultramontane Robinſonaden
gibt, in deren einer ein römiſcher Miſſionsprieſter engliſche, protes
ſtantiſche Miſſionare, die mit ihm auf eine Inſel verſchlagen ſind-
zum römiſchen Glauben bekehrt. Der außerordentlich eifrig ges
pflegte römiſche hiſtoriſche Roman macht ſichs zur Aufgabe,
wie Janſſen, der Geſchichtsſchreiber, die ganze deutſche und all-
gemeine Geſchichte um zu corrigiren, die wichtigſten Geſchichts-
perioden im römiſchen Geiſte zu bearbeiten. Man hat ſeitdem ge-
glaubt, bei allem confeſſionellen und Parteihader bleibe das Ge-
biet der gemeinſamen deutſchen Literatur ein neutrales Terrain
auf dem die Deutſchen verſchiedener Confeſſionen und Parteien
Verſtändigung fänden. Römiſcherſeits wird alles aufgeboten, um
auch auf dem Gebiet der Literatur den Geſichtspunkt der Provaos
ganda, der excluſiven Confeſſionalität zum allein maßgebenden zu
machen. Wie weit ihuen das ſchon gelungen iſt, davon hat man
kaum eine Ahnung, weil man ſich für gewöhnlich um die römi-
ſchen Literaturbeſtrebungen zu wenig kümmert. Nach Schluß des:
Vortrages dankte Herr Stadtpfr. Dr. Rieks dem Reduer und knüpfte
daran zugleich noch eine kurze Anſprache an die Verſammelten.
—= geidelbern, 10. Dez. Vor einigen Tagen wurden einer
Kellnerin in einer hieſigen Wirthſchaft ein goldener Zwicker und
einige Mark Geld aus ihrem Schlafzimmer entwendet. Der
Verdacht lenkte ſich auf eine Aushilfskellnerin, die mit ihr das
Zimmer theilte. Dieſelbe wurde angehalten, zur Rede geſtellt und.
gab zu, etwas Geld entwendet zu haben, doch nicht ſo viel, Wie
die Beſchädigte angäbe; ſich auch den Zwicker angeeignet zu haben,
beſtritt ſie. Die Betreffende wurde in Haft genommen. — Heute
Morgen 4 Uhr wurde in der Zwingerſtraße ein Individuum an
gehalten, welches ſo betrunken war, daß es ſeine Wohnunß
nicht mehr wußte und ſeinen Namen nicht anzugeben vermochte,
ſo daß die Verbringung deſſelben in das Amtsgefängniß —
nöthig war. 3
I. Keidelberg, 10. Dec. (Schöffengerichtsſitzung vom 9. d)
Karl Hugo Förſter von Magdeburg wird wegen Diebſtahls zu
14 Tagen Gefängniß, Stephan Sturm von Grethen wegen Dieb
ſtahls und Bettels zu 14 Tagen Gefängniß und 10 Tagen Haft-
Barbara Port von Oberhöchſtädt wegen Unterſchlagung zu 1 Tag
Gefängniß, Friedrich Kiſſel von hier wegen Uebertretung der
Straßenpolizei zu 3 ¾. Geldſtrafe, Jakob Schneider von Kirch-
heim wegen Körperverletzung zu 3 Wochen Gefängniß, Joſ
Werner von Nußloch wegen Bedrohung zu 5 . Geldſtrafe.
Michael Spath von Eppelheim wegen desgl. zu 6 Tagea Ges
fängniß, Joſef Rüter von Reiden wegen Körperverletzung zu 10
Wochen Gefängniß, Wilhelm Germann von Mückenloch wegen
Diebſtahls zu 4 Tagen Gefängniß, Peter Trautmann von Alten“
bach wegen Körperverletzung zu 10 Tagen Gefängniß verurtheilt.
Karl Wagner von hier, wegen Körperverletzung angeklagt, wirr
freigeſprochen, Heinrich Hammelmann dahier wegen Beleidigun
zu 10 &. Geldſtrafe verurtheilt. x
Mannheim, 9. Dez. (Strafkammer.) Wegen Beleidigun
des Stadtdirektors Siegel ſind der Wirth Jakob Willig,
Jahre alt, ſowie die Stadträthe Franz Königshauſen, 55 J.
alt, und der Kaufmann Auguſt Dreesbach, 42 Jahre alt,
ſämmtlich von hier, angeklagt. Dieſelben ſind beſchuldigt, wider
beſſeres Wiſſen und theilweiſe öffentlich den Großh. Stadtdirector
Siegel hier beſchuldigt zu haben, derſelbe habe anläßlich ſeiner
Vernehmung als Zeuge bei der jüngſt ſtattgefundenen Verhand-
lung und Verurtheilung der Vorſitzenden der ehemaligen Metall-
arbeitervereinigung wegen Untreue einen Meineid geleiſtet, indem
er andere Angaben gemacht, als er in einem gewiſſen ſeinerzeit ö
von ihm unterſchriebenen und gelegentlich der Auflöſung der be-
treffenden Metallarbeitervereinigung abgefaßten Protokoll nieder
gelegt. Angeklagter Königshauſen gibt an: Willig habe
ihm in deſſen Wirthſchaft erklärt, daß er bei der Großh. Staats-
anwaltſchaft Schritte gethan habe, damit dieſelbe über die Aus-
ſagen des Großh. Stadtdirectors, welche er (Willig) für unrichtig
halte, Erhebungen mache. Angeklagter erzählt dann weiter, daß
er am darauffolgenden Abend im Badner Hof einigen mit 5
Tiſche ſitzenden Anweſenden mitgetheilt habe, was ihm Willig an
ſagt und daß letzterer ſchon zweimal bei der Großherzogliche 6
Staatsanwaltſchaft geweſen ſei, um Schritte gegen den Hern
Stadtdirektor Siegel wegen Meineids zu thun. Angekl. Dre 61˙
bach gibt an: Willig habe ihm geſagt, daß er ſchon zweimal b.
der Großh. Staatsanwaltſchaft geweſen ſei, um Schritte wegtz
der Differenz in der Ausſage des Herrn Stadtdirektors einerſez.
und des betreffenden Protokolls andererſeits einzuleiten. Drees
bach erzählt weiter, daß am Morgen, bevor der betreffende t
tikel in der hieſigen Volkszeitung, in welchem öffentlich bekan
gegeben wurde, Willig habe gegen Stadtdir. Siegel Anklage wege
Meineids erhoben, erſchienen war, der Redaktenr der Volkszeitung.
Lorenz Frey, zu ihm gekommen ſei, um etwas Näheres über 11
beſagte Angelegenheit zu erfahren. Frey habe damals zu i0
geſagt, Dr. Haas wolle die ſenſationelle Nachricht, welche 1.
Abend zuvor im Badner Hof zum Beſten gegeben worden wa“
 
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