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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0676

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Paris, 16. Dez.
man, daß General Boulanger in der That bei der
Bildung des neuen Miniſteriums ſeinen Eintritt in daſſelbe
an die ausdrückliche Bedingung geknüpft hat, daß ihm ein
Credit von 360 Millionen Franken für militäriſche
Ausrüſtungszwecke bewilligt werde. Das Miniſte-
rium Goblet hat dieſe Bedingung einſtimmig an-
genommen. Demgemäß wird die Creditvorlage in dieſer
Höhe die Kammer gleich nach Neujahr beſchäftigen und
trotz der ſchlechten Finanzlage auch gewiß angenommen
werden. — Der Staatsrath beſtätigte endgiltig heute
die Annahme der vom Herzog von Aumale dem In-
ſtitut von Frankreich gemachten Schenkung der Be-
ſitzung Chantilly mit Sammlungen und Mobilien. Der
Geldwerth der Sammlungen und des beweglichen Eigen-
thums wird auf 8344 000 Franken berechnet.
Petersburg, 16. Dez. Die ruſſiſche Preſſe
ſchlägt einen deutſchfreundlichen Ton an.

Aus Stadt und Land.
§ beidelberg,. 17. Decbr. Der geſchäftsführende Ausſchuß der
national⸗liberalen Partei hatte zu geſtern Abend in den Garten-
ſaal der Harmonie eine allgemeine Verſammlung einbe-
rufen, die ſowohl von hieſigen als auch auswärtigen Parteigenoſſen
ſehr zahlreich beſucht war. Auf der Tagesordnung ſtand die Be-
ſprechung der allgemeinen politiſchen Lage, mit beſonderer Rück-
ſicht auf die Militärvorlage beim Reichstag. Herr Dr. Blum,
der die Verſammlung leitete, dankte für den ungemein zahlreichen
Beſuch, der ihm zeige, wie tief das Bedürfniß zu einer allgemeinen
Ausſprache über die gegenwärtige Lage gefühlt werde. Verſamm-
lungen, wie die anberaumte, haben im Allgemeinen den Zweck.
das Gefühl der Zuſammengehörigkeit neu zu beleben und zu kräf-
tigen, in dieſem Augenblick aber noch den beſondern, in der An-
gelegenheit der Militärvorlage Stellung zu nehmen, damit der
Reichstag reſp. die Vertreter der nationalen Varteien wiſſen,
daß wir hinter ihnen ſtehen. Redner wirft dann einen kurzen
Rückblick auf die Verhältniſſe in unſerm Reichstagswahlkreiſe und
konſtatirt mit Genugthuung das Schweigen der Gegenſätze wäh-
rend der ewig denkwürdigen Zeit des Univerſitätsjubiläums, wo-
durch es ermöglicht worden ſei, das Feſt unter ſo allgemeiner
Betheiligung glanzvoll und würdig zu feiern. Aber während wir
uns in letzter Zeit wohlthuender politiſcher Stille erfreuten, gingen
die Wogen des politiſchen Lebens in unſerm Nachbarwahlkreiſe
annheim⸗Weinheim⸗Schwetzingen ſehr hoch. Dort ſeien anläß-
lich der Reichslagserſatzwahl für Herrn Kopfer heiße Wahlkämpfe
aus gefochten worden. Der Sieg habe ſich erfreulicherweiſe an die
liberale Fahne geheftet, aber die Liberalen haben auch während
der Wahlcampagne ein Beiſpiel ſeltener Rührigkeit, Energie nnd
Thatkraft gegeben, das bei künftigen Wahlen auch in unſerm Kreiſe
Nachahmung verdiene. Als ſonſt bemerkenswerthes Ergebniß der
Mannheimer Wahl ſei die völlige Abwirthſchaftung der bürgerlichen
Demokraten zu verzeichnen. Das Verhalten der Ultramontanen
ſei ihrer ſonſtigen Taktik gegen die Nationalliberalen würdig ge-
weſen. Die Parole der Neutralität habe weſentlich nur pro forma
exiſtirt, thatſächlich haben ſie bei der Stichwahl zum großen Theil
der Bundesgenoſſenſchaft der Sozialdemokraten angehört. Redner
geht hierauf zu Erörterungen der allgemeinen Lage über und
zieht dabei insbeſondere die Militärvorlage, welche zur Zeit den
Reichstag beſchäftigt, in den Kreis ſeiner Beſprechung. Wenn man
den Zweck und die Beſtimmung des Militärgeſetzes ins Auge faſſe,
ſo müſſe man ſagen, daß es nicht für den Augenblick, für eine
momentane Gefahr berechnet ſei, ſondern hauptſächlich der Stärkung
unſerer Wehrkraft für die nächſten Jahre dienen ſolle. Daß der
Geſetzentwurf ein Jahr vor Ablauf des Septennats erſchienen, ſei
eine Vorſicht gegenüber der Oppoſition, welche nur gut zu heißen
iſt. Hinſichtlich der politiſchen Motive zu dem Geſetz ſei auf die
Andeutungen hinzuweiſen, welche der Kriegsminiſter Bronſart von
Schellendorf gemacht. Wem ſeien auch hentzutage in Deutſchland
der hochgradige Cbauvmismus der Franzoſen und die ruſſiſch-
franzöfiſchen Liebäugeleien unbekannt. Allerdings habe in der
neneſten Zeit angeblich zwiſchen Deutſchland und Rußland eine
freundlichere Stimmung Platz gegriffen und die Spannung in der
auswärtigen Lage ſoll etwas gemildert ſein, aber ernſt, ſehr ernſt
bleibt die Zeit gleichwohl und wir haben alle Urſache, auf die
Stärkung der nationalen Wehrkraft bedacht zu ſein und immer
auf der Wacht zu bleiben. Was die Aufbringung der Koſten
anbelangt, ſo ſei es durchaus nothwendig, daß neue Reichsein-
nahmen geſchaffen werden. Mit neuen Steuerprojekten hervorzu-
treten, ſei aber ſeiner Anſicht nach nicht Sache des Reichstages.
Er ſeinerſeits würde ſehr erfreut ſein, wenn die Regierung erneut
die Initiative zu einer Reform reſp. Erhöhung der Brauntwein-
und Zuckerſteuer geben würde. Es wird dann Aufgabe der Na-
tionalliberalen ſein, einen Ausgleich zu ſchaffen zwiſchen den radi-
kalen Forderungen des Fortſchritts und dem bisweilen über-
mäßigen Appetit der Agrarier. Trotz der bisherigen Haltung der
Oppoſition, die unter dem Vorwande der Prüfung eine Politik
der Verſchleppung treibt, hoffe er noch, daß die Vorlage zur An-
nahme gelangen werde. Für den Fall der Verwerfung und Auf-
löſung des Reichstages würden die nationalen Parteien freilich
eine zugkräftige Wahlparole erhalten, aber einer ſolchen Vorlage
gegenüber fühle man ſich nicht als Parteimann, ſondern als
Deutſcher, der nichts dringender wünſcht, als dem ſcheel blickenden
Ausland gegenüber ein reſpectgebietendes Beiſpiel deutſcher Einig-
keit zu geben. (Lebhafter Beiſall.) Hierauf erhielt Herr Geh.
Hofrath Winkelmann das Wort, der zunächſt den Einberufern
der Verſammlung dankte und dann ebenfalls ſehr beredt und ein-
drucksvoll die gegenwärtige politiſche Situation kennzeichnete.
Redner gedachte der ueuerdings auch wieder im Reichstage zur
Sprache gekommenen Idee der Abrüſtung Deutſchlands und führte
mit Schärfe aus, wie ſolche Utopien in der heutigen Zeit ſchier
unbegreiflich ſeien. Deutſchlands ſei einmal, und beſonders jetzt,
ſeiner Selbſterhaltung wegen auf ein ſtarkes Heer angewieſen —
dieſes Bewußtſein könne nicht tief genug in alle Volkskreiſe ein-
dringen. Deutſchland verfolge keine Politik der Eroberungen und
des Krieges, aber es müſſe über ein Heer verfügen, das dem
Volke das Bewußtſein giebt: Wehe, wer uns angreift!
Darauf ſprach Herr Profeſſor Cantor, der in ganz beſonders
populärer und wirkſamer Sprache ſeinen Anſichten Ausdruck gab.
Mit kauſtiſchem Witz geißelte Herr Profeſſor Cantor insbeſondere
die Haltung der Oppoſitionsparteien. Zum Schluß ſeines, wie-
derholt durch lauten Beifall unterbrochenen Vortrages, ſchlug der-
ſelbe eine Reſolution vor, die ungefähr folgendermaßen lautete:
Die Verſammlung erklärt es für eine unabweisliche Nothwendig-
keit, daß der Reichstag die Militärvorlage, welche zur Sicherung
Deutſchlands nöthig erſcheint, ſo raſch als möglich annehme. Zur
ufbringung der erforderlichen Geldmittel muß eine höhere und
gerechtere Beſteuerung des Branntweins und Zuckers angeſtrebt
werden Dieſe Reſolution wurde mit Einſtimmigkeit angenom-
men. Nunmehr ſprach Herr Dr. Blum noch über die Bewilli-
gung des Septennats, über die Vortheile, welche ſich nach dem
Dafürhalten der Nationalliberalen aus einer Feſtſtellung der
Präſenzziffer auf die Dauer von 7 Jahren ergeben und ſchloß
dann die überaus anregende Verſammlung.
Sridelberg, 17. Dec. In Ergänzung unſeres geſtrigen Berichts
über die Generalverſammlung des Heidelberger Schloß⸗Vereins
ſei noch Folgendes mitgetheilt: Herr General v. Horn ſchilderte
In ſeinem Vortrage: „Das Heidelberger Schloß als Feſtung“
insbeſondere eingehend die unter Ludwig V., Friedrich II. und
Johann Kaſimir ausgeführten Bauten, welche ſämmtlich die all-
mählig zunehmenden Fortſchritte der Fortifikation darthun und
den jeweiligen Stand der Befeſtigungskunſt in den in Rede
ſtehenden Zeitperioden kennzeichnen. Von Ludwig V. rühren die
ſüdliche Schildmauer, weſtliche und nördliche Befeſtigungen her,

Aus zuverläſſiger Quelle erfährt

Friedrich II. habe die Oſtmauer mit Apotheker⸗, Glocken⸗ und
Krautthurm errichten laſſen. Die Oſtmauer ſei nach dem im An-
fange des 16. Jahrhunderts zuerſt geltend gemachten Prinzip des
Albrecht Dürer erbaut, d. h. ſie enthalte Gewölbeetagen zur
Unterbringung der Feſtungsgeſchütze und Vertheidigungsmann-
ſchaften. Auf dieſe Weiſe erreicht der Vertheidiger den Vortheil,
auf einem verhältnißmäßig kleinen Raum eine große Zahl von
Geſchützen in Aktion treten zu laſſen. Unter Johann Kaſimir
ſeien an der Oſtſeite des Schloſſes nach einem Plan des Bau-
meiſters Daniel Spekle die Streichwehren zur Grahenvertheidi-
gung angelegt worden. Im Allgemeinen ſtreifte der Herr Vor-
tragende dann noch die ergänzenden und vervollkommnenden Bauten
unter den folgenden Fürſten. Viele jener Fortifikationsbauten
ſind zerfallen und verſchüttet, wie z. B. die Streichwehren. Es
wäre wohl als eine Pflicht der Pietät gegen die großen Bau-
meiſter der Werke anzuſehen, dieſe ſämmtlich in ihrer urſprüng-
lichen Form wiederherzuſtellen und zu erhalten. Die Befeſtigungs-
bauten des Schloſſes könnten ſolchergeſtalt als ein werthvolles
Seitenſtück zu den germaniſchen Waffenmuſeen betrachtet werden.
Reicher Beifall lohnte den Redner. Der zweite Punkt der Tages-
ordnung betraf die Rechnungslegung. Dieſelhe ſtellt ſich wie
folgt dar: Einnahmen: Saldo der 1885er Rechnung
f½. 1052.01, nachträglich eingegangene Beiträge pro 1885 ¾ 132,
Beiträge pro 1886 von 362 hieſigen Mitgliedern 1086, 362
auswärtigen Mitgliedern ½ 1094, von 6 Mitgliedern auf Lebens-
dauer . 300, Vorauszahlungen pro 1887, 88 u. 89 ¾/ 21, er-
hoben von der Sparkaſſe 1V 1000, Summa der Einnahmen
. 4685.01. Ausgaben: Verſchönernng, das Schloß betr.,
ſ. 2204.93, Umgebung betr. 510.34, verſchiedene Ausgaben
A. 1195.79, Summa der Ausgaben 3911.06. Caſſen⸗Saldo
. 773.95 Guthaben bei der ſtädt. Sparkaſſe 4. 4450.50, ſomit
Vermögensſtand ½ 5224.45. Rückſtändig ſind noch die Beiträge
pro 1886 von 165 auswärtigen Mitgliedern.
Im Anſchluß an Vorſtehendes veröffentlichen wir noch folgen-
des, uns ſoeben zugehendes
Eingeſandt
Der geſtrige Bericht über die Generalverſammlung des Schloß-
vereins enthielt am Schluß eine Notiz über die Neuwahl des
Ausſchuſſes, welche zu Mißdeutungen Anlaß geben kann. Der
betr. Antrag richtet ſich in ſeiner Tendenz nicht etwa gegen den
geſammten Vorſtand, ſondern ſollte nur, wie der Antragſteller
ausdrücklich erklärte, Gelegenheit bieten, ein Mitglied von der
Wiederwahl auszuſchließen, welches notoriſch ſeit längerer Zeit
ſich jeder Betheiligung an den Ausſchuß⸗Sitzungen und General-
Verſammlungen enthält.
+. Kridelberg, 17. Der. Zu dem 80jährigen Dienſt-
inbiläum Sr. Majeſtät des Kaiſers, am 1. Jan. 1887,
bereitet ſich auch außerhulb der Armee eine Kundgedbung aus
privaten Kreiſen vor, an der Jedermaunn theilnehmen kann. Es
hat ſich in Berlin ein Comité gebildet weiches auffordert, Sr.
Majeſtät dadurch zu Seinem hoben Chrentage die Theilnahme
zu bezeugen, daß Tauſende von Privatperſonen möglichſt jeden

Soldaten der Armee in den Beſitz eines Andenkens an

dieſen Tag ſetzen, um hierdurch gleichzeitig zu zeigen, wie ſehr
Armee und Volk in unſerem Vaterlande Eins ſind. Das An-
denken ſoll in einer, von höheren Offizieren bearbeiteten, bio-
graphiſchen Denkſchrift des militäriſchen Dienſt-
lebens Sr. Majeſtät beſtehen, die authentiſch iſt, von Sr.
Majeſtät Selbſt wiederholt revidirt und ergänzt, und mit einem
guten photographiſchen Portrait des Allerhöchſten Kriegsherrn
ausgeſtattet iſt. — Ein ſolches Andenken wird den Soldaten für
ſein Leben daran erinnen, daß er die Ehre hatte, an ſolchem Tage
unter ſolchem Kriegsherrn zu dienen; er wird ſich erheben an
dem Vorbilde einer achtzigjährigen Königlichen Pflichttreue im
Dienſt, und ſeine Angehörigen und Nachkommen werden theil-
nehmen an den hierdurch geweckten patriotiſchen Gefühlen und
Erinnerungen. — Wir glauben, es werden Viele ſein, die ſich
gern hieran betheiligen werden, nachdem Se. Majeſtät dieſe Idee
laut Kabinetsſchreiben d. d. Baden⸗Baden, 16. October d. I.
genehmigt hat. Es wird gebeten, die Beiträge baldmöglichſt
an Orn. Prof. Dr. v. Kirchenheim, Bergheimerſtr. 59, zu
ſenden, der es übernommen hat, für die geplante Kundgebung
in Heidelberg zu wirken und jede Auskunft ertheilt, ſowie Sub-
ſkriptionsliſten verabfolgt. Solche liegen auch auf in der Kanzlei
des Rathhauſes, in Köſters Bank, in der Köſterſchen Buchhand-
lung und in der Expedition der Heidelberger Zig. Es wäre
wünſchenswerth, daß zunächſt das hieſige Bataillon berück-
ſichtigt würde und wird beſonders darauf aufmerkſam gemacht,
daß es geſtattet iſt, für einzelne beſtimmte Truppentheile
zu zeichnen. Jedem Zeichner wird ſpäter die Liſte der Zeichner
und das Reſfultat bekannt gemacht. Der Schluß der Subſkription
erfolgt hier am 23. December und wird die Liſte der Zeich-
nungen als Ehrengabe Heidelbergs am 1. Januar Sr. Majeſtät
überreicht. Wer 25 Exemplare zeichnet (20 ½), erhält ein
Exemplar gratis als Andenken.
Beidelberg, 17. Dec. (Schöffengerichtsſitzung vom 16. d.)
Andreas Pfiſterer und Adam Morath, beide Maurer hier, werden
erſterer von der Anklage wegen Uevertretung des § 366 R.⸗St.⸗G.
freigeſprochen, letzterer wegen Uebertretung des F 52 P.⸗St.⸗G.
zu 3 . Geldſtrafe event. 1 Tag Haft, Johann Georg Pfiſterer,
Maurer hier, wegen Körperverletzung zu 14 Tagen Gefängniß,
Jakob Brucker, Maurer von Eppelheim, wegen desgl. zu 6 Wochen
Gefängniß, Heinrich Schmitt, Steinklopfer in Petersthal, wegen
Beleidigung zu 10 Tagen Gefängniß, Nikolaus Nonnenmacher,
Eiſenbahnarbeiter von Altdorf, wegen Bedrohung zu 20 %. Geld-
ſtrafe event. zu 4 Tagen Gefäugniß, Johann Zimmermann,
Maurer von Eppelheim, wegen Bedrohung und Ruheſtörung zu
1 Woche Gefängniß und 3 Tagen Haft, Heinrich Kinzinger, Tag-
löhner von Schönau, wegen Hausfriedensbruchs zu 1 Woche und
2 Tagen Gefängniß, Adam Siffling, Dienſtknecht von Steinsfurt,
wegen Diebſtahls, Unterſchlagung und Betrugs zu 22 Tagen Ge-
fängniß, Wilhelm Ihrig, Maurer von Eppelheim, wegen Körper-
verletzung zu 1 Monat Gefängniß verurtheilt.
Mannheim, 15. Dez. (Schwur gericht.)
Der Beleidigung durch die Preſſe angeklagt, ſteht der verant-
wortliche Redakteur der „Neuen Badiſchen Landeszeitung“, Vin-
cenz Becker, von Weinheim gebürtig, derzeit hier, vor den
Schranken des Gerichts. Das genannte Blatt brachte in ſeiner
Nr. 558 einen Artikel, überſchrieben: „Unſer bureaukratiſches
Eiſenbahnweſen“. Das Großh. badiſche Finanzminiſterium fand
in dieſem Artikel eine Beleidigung der Generaldirektion der Gr.
Bad. Staatseiſenbahnen wie des Gr. Betriebsinſpektors Hart-
mann in Heidelberg in Bezug auf deren Beruf und ordnete
deshalb die ſtrafrechtliche Verfolgung des verantwortlichen Re-
dakteurs Becker an. Den Gegenſtand der Anklage bildete hauptſäch-

lich der dem Großh. Betriebs⸗Inſpektor Herrn Hartmann ge-

machte Vorwurf, daß er für eine nicht genügende Bedienung der
Bremſen ꝛc. Sorge getragen und gegen ſeine Untergegebenen,
welche die Bremskräfte aus eigner Machtvollkommenheit ergänzt,
mit rigoroſen Strafen vorgegangen ſei. Angekl. Becker beſtritt
die Abſicht der Beleidigung. Die Zeugenausſagen ſind ſämmtlich
belaſtend. Das Plaidoyer der Staatsanwaltſchaft weiſt darauf
hin, daß die Angaben des fraglichen Artikels auf Unwahrheit
beruhen. Durch die Ausſagen der Zeugen ſei conſtatirt worden,
daß die wirklichen Thatſachen den in dem betreffenden Artikel ge-
machten Angaben völlig widerſprächen. Den Vorwurf, welcher der
Großh. Generaldirektion gemacht worden, wolle er nicht weiter
beachten, derſelbe ſtehe in zweiter Linie; die ganze Schwere der
Beleidigung concentrire ſich nur auf den Großh. Betriebsinſpektor
Hartmann. Durch den Artikel habe man nicht blos die
Amtshandlungen dieſes Beamten, ſondern auch deſſen perſönlichen
Charakter herabzuwürdigen geſucht. Er bittet um Bejahung
der Schuldfrage. Es folgt das Plaidoyer des Vertheidigers,
Herrn Rechtsanwalt Katz. Derſelbe geſteht zu, daß in dem Ar-
tikel manches übertrieben worden iſt. Dem Angeklagten habe je-
doch jede Abſicht, irgendwie Jemanden zu beleidigen, ferngelegen;
derſelbe habe lediglich durch den Artikel, welcher von einem hoch-
geſtellten Beamten herrühre, geglaubt, der Oeffentlichleit einen

Dienſt zu erweiſen. Der Angeklagte ſei der Meinung geweſen,
daß derartige bon fachmänniſcher Seite gemachte Angaben wohl
auf Wahrheit beruhen mütten. Er ruft zum Schutz deshalb den

§ 193 des R.⸗St.⸗G.⸗B. an und bittet um Freiſprechung. In
der darauffolgenden Itb des Staatsanwalts betoute derſelbe,
daß das genannte Blaßk es ſich ſchon ſeit längeren Jahren zur
Aufgabe mache, höheré Beamte zu beleidigen, und daß daſſelbe
jetzt wohl an der Stelle angekommen ſei, welche an die Umſturz-
partei grenze, was dieſes Blatt auch dadurch bewieſen habe, daß
es vor Kurzem gegen einen auten bürgerlichen Mann den ſocia-
liſtiſchen Candidaten unterſtützt habe. Nach einer kurzen Belehrung
Seitens des Präſidenten ziehen ſich die Geſchworenen zu kurzer
Berathung zurück. Nach Bejahung der Schuldfrage Seitens der-
ſelben wird, wie bereits mitgetheilt, der Angeklagte wegen Belei-

digung eines Beamten in Bezug auf deſſen Beruf durch die

Preſſe zu einer Gefängnißſtrafe von 2 Monaten, ſowie zu den
Koſten des Strafverfahrens und der Strafvollſtreckung verurtheilt.
Anßerdem wird dem Beleidigten Hartmann das Recht zugeſpro-
chen, das Urtheil binnen acht Tagen in der Neuen Badiſchen
Landeszeitung, dem Mannheimer Journal, der Karlsruher Zei-
tung und der Karlsruher Landeszeitung zu veröffentlichen. — Die
N. B. L.⸗Z. bemerkt zu dieſem Prozes: „Der betreffende Artikel
iſt uns von einem Eiſenbahnbeamten wörilich übermittelt worden
mit der Verſicherung, daß jede darin euthaltene Mittheilung auf
Wahrheit bernhe und er für jede Behauptung den nothwendigen
Zeugen zu ſtellen bereit ſei. Die Verſicherungen des betreffenden
Beamten erwieſen ſich in der heutigen Zeugeneinvernahme zum
Theil als unwahr; die uns angegebenen Entlaſtungszeugen waren
nämlich lediglich Belaſtungszeugen.“
Karlsruhe, 16. Dec. Schwurgericht. In der Anklage-
ſache Weniger⸗Lang haben wir bereits die ergangenen Ur-
theile mitgetheilt. Ueber den durch die Verhandlung ermittelten
Sachverhalt geben wir nunmehr folgenden Bericht: Die Lang
wird beſchuldigt, daß ſie die von Weniger unterſchlagenen Gelder,
von denen ſie wußte oder den Umſtänden nach annehmen mußte,
daß ſie mittelſt einer ſtrafbaren Handlung erworben waren, zu
ihrem eigenen Vortheil an ſich gebracht habe. Der Angeklagte
Weniger entwirft in lebhafter, oft draſtiſcher Sprache ein Bild
ſeiner Verhältniſſe, wie ſie ſich ſeit 1864 geſtalteten, wo er als
40jähriger Mann Bahnverwalter in Mühlacker, badiſch⸗württemb.
Grenzſtation auf der Linie Pforzheim⸗Stuttgart geworden. In
Mühlacker war gleichzeitig ein Weichenwärter Schlehlein, welcher
eines Tages dem Weniger das Leben rettete, indem er ihn auf
eine von hinten heranfahrende Maſchine aufmerkſam machte.
Schlehlein ſei eines plötzlichen Todes geſtorben und habe er ſich
der Familie ſeines Lebensretters angenommen, zu der auch die
heute 42 Jahre alte Mitangeklagte Eliſe Lang, als Stieftochter
des Verſtorbenen, gehörte. Dieſelbe kam von Stuttgart nach
Mühlacker, wo Weniger in ein Verhältniß mit ihr trat, welchem
ein Sohn entſprang, der zur Zeit in Berlin ſtudirt. Weniger
erklärt, er habe den Knaben eben wohl oder übel anerkannt, wie-
wohl die Lang um dieſe Zeit ein Verhältniß mit einem württem-
bergiſchen Unteroffizier und ſpäter mit einem württembergiſchen
Schultheiß gehabt habe und auch zwei Mal Braut geweſen ſei,
jedesmal mit einem Offizier. 1868 ſei die Familie nach Stutt-
gart gezogen, wo ſie ſich mit Kleidermachen ꝛc. ernährt habe.
Seit 1878 habe die Lang in Stuttgart Wirthſchaften zu betreiben
angefangen und er dafür ſein ganzes Vermögen geopfert, 15 000
bis 20000 M. Die Anforderungen an ihn ſeien immer gröber
geworden, da die Lang mit ihrem Wirthſchaftsbetrieb in Stutt-
gart kein Glück gehabt habe. Er habe 1882 der Lang erklären
müſſen: „Ich habe nun nichts mehr, ich muß das Geld aus der
Caſſe holen. Unrecht Gut gedeihet nicht.“ Die Lang habe erwi-
dert: „Doch! In dieſem Falle ſchon.“ Es ſeien nun in den
letzten 3½ Jahren die Eingriffe in die Caſſe von ihm gemacht
worden und gebe er zu, daß er der ihm als Beamten anvertrau-

ten Caſſe Gelder im Betrag von 202 000 M. entnommen und in

einer Weiſe verwendet habe, für welche dieſe Gelder nicht beſtimmt
waren. Im Weiteren ſchildert Redner die Manipulationen der
Lang, durch welche ſie ihn zu immer neuen Geldentwendungen
brachte. So behauptete die Lang, ſie wolle in Ulm den „Rothen
Ochſen“ kaufen, da ſei etwas zu machen. Er habe ſie gewarnt
und ihr geſagt, ſie und er würden noch ins Zuchthaus kommen,
worauf ſie entgegnet habe, eher ſpringe ſie durch die Latten.
Er ſei nun einmal nach Ulm gereiſt und in den „Rothen Ochſen“
gegangen. Er habe aber nicht die Lang als Wirthln getroffen,
ſondern eine Andere. Die Lang habe vielmehr nur zeitweiſe dort
gewohnt und ſei lediglich jeweils von Stuttgart nach Ulm gereiſt
um ſeine Geldeinzahlungen in Empfang zu nehmen und mit ihm
zu korreſpoudiren. In Stuttgart habe ſie es ſchließlich nicht
mehr ausgehalten, deswegen ſei ſie nach Müunchen, wo ſie ein
nobles Kaffeehaus zu kaufen beabſichtigte, Franziskanerſtr. Nr. 12,
Cafe Lang ſollte es heißen, und wieder habe er das Geld dazu
hergeben. Als er ſich aber einſt nach München begab, um auch
das Cafe zu ſehen, welches angeblich 20 000 Mark Profit ab-
werfen ſollte, und einen Kutſcher beauftragte, ihn dorthin zu
fahren, habe ihn dieſer ganz ſonderbar angeſchaut. Die Lang
habe ihm dann geſchrieben, er dürfe nicht glauben, daß man in
München ein Cafe erſten Ranges unter einer halben Milliou be-
komme. Später habe ihn die Lang wieder zu Geldleiſtungen auf-
gefordert; ſie wolle jetzt in der Sendlingerſtraße ein Cafe er-
werben, das ſich ſehr gut rentire; ſie wolle für ſich nur das
Billardgeld, alle andern Einnahmen bekomme er. Täglich würden
allein 500 Taſſen Caffee getrunken. Es war dies 1885. Weni-
ger ſchickte ihr Geld zur Anzahlnug, machte ſie aber aufmerkſam
darauf, daß es nicht ſo weiter gehen könne. Später ſchrieb ſie
ihm, ſie wolle das Cafe aufgeben, indeß wolle ein Stuttgarter
Wirth die um daſſelbe herum gelegenen Grundſtücke Behufs Er-
richtung einer Wirthſchaft ankaufen, dann ſei ſie ruinirt, ſie müſſe
daher auch dieſe Plätze erwerben. Auch hatte die Lang ein Haus
in der Gartenſtraße von Baumeiſter Lindenberger für 133000
Mark mit 33 000 Mark Anzahlung erworben. Anfang 1886
ſchrieb ihr Weniger, es müſſe jetzt endlich ein Ende gemacht
werden und er ſeine 202 000 Mark wieder haben, ſie mache ſonſt
Alle unglücklich. Am 31. Juli telegraphirte Weniger der Lang,
worauf als Antwort eintraf: „Die Frau iſt in's Bad gereiſt.
Babette, Zimmermädchen.“ Es werden ſodann zwei General-
quittungen verleſen. Quittung vom 5. Mai d. J.: „Von großh-
Caſſirer Jakob Weniger in Karlsruhe als Darlehn nunmehr im
Ganzen 205000 Mark, ſage in Worten zweihundertfünftauſend
Mark, unter Verwilligung ratenweiſer Abzahlung, erhalten zu
haben beſcheinigt durch eigenhändige Unterſchrift Eliſe Lang,
München.“ Desgleichen Beſcheinigung vom 7. Juni d. J. über
weitere 25 000 Mark. Die Lang theilte Weniger mit, ſie ſei mit
dem Verkauf der beiden Häuſer, Ecke der Sendlinger⸗ und Blumen-
ſtraße, beſchäftigt, und wolle ein Landgut in Roſenheim ſteigern.
Auf die Aeußerung, wo er die zur Anzahlung erforderlichen
25 000 Mark hernehmen ſolle, habe die Lang geſagt: „Ha da, wo
das andere auch her iſt.“ Landgerichtsrath Fritſch macht
Weniger auf ſeine Charakterſchwäche aufmerkſam, er habe die
Dankbarteit gegen ſeinen Lebensretter bis zur Pflichtverletzung
und zwar zu ſchwerer Pflichtverletzung getrieben. Weniger ſagt,
es ſei ihn auch ſauer genug angekommen, aber er habe ja au
gar nicht gewußt, daß er ſo ſehr getäuſcht werde. Sein Troſt
ſei immer noch geweſen, daß ja Deckung vorhanden ſei durch die
Häuſer der Lang in München im Werthe von mehreren 10⁰Q00⁰
Mark. Die Mitangeklagte, Eliſe Lang von Rinklingen bei
Bretten, 42 Jahre alt, erzählt nun mit gelänfiger Zunge ihre
Geſchichte. Sie ſei von Weniger 1867 in andere Umſtände ver-
ſetzt worden und er ihr, nicht ſie ihm nachgelaufen. In Mühl-
acker ſeien ſie gut ausgekommen, er aber habe ſie nach Stuttga ů
geſchickt und erklärt, er könne ſie wegen ſeiner Staatscarriere nich
heirathen. Sie könnten aber auch ſo wie ſo Mann und Frau
ſein und beinahe alle 14 Tage ſei Weniger nach Stuttgart zu ihr
gekommen. Er habe auch von ſeinem Sohne beſonders Abſchied
genommen und wußte wohl, daß derſelbe ſeit 3 Jahren ſtudire.
Was Weniger ihr gegeben habe, ſei ihr zum Geſchenk gemacht wor“
den. Sie habe nicht gewußt, daß Weniger Kaſſenbeamter ſei-
 
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