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Heidelberger Familienblätter — 1886

DOI Kapitel:
Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0399

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im Frühijahr um die Mitte März geſchloſſen und in den

letzten Wochen des April wieder begannen, im Herbſt um

die Mitte September geſchloſſen und gegen Ende October
wieder begonnen wurden. Dazu kamen noch etwa zehn
Tage Weihnachts⸗ und acht Tage Pfingſtferien, das machte
alles in allem etwa drei Monate. Jetzt ſchließt man die
Vorleſungen im Frühjahr ſchon in den erſten Tagen des
März und beginnt ſie wieder in den letzten Tagen des
April; im Herbſt ſchließt man ſie in den erſten Tagen des

Auguſt und beginnt ſie wieder in den letzten Tagen des

October. Natürlich ſchließen und beginnen einzelne Pro-
feſſoren bald einige Tage früher, bald einige Tage ſpäter.
Manche Studenten, die ihre Zimmer nur monatsweiſe
miethen, machen es ſchon aus Sparſamkeitsrückſichten ſich
zur Pflicht, im Sommer noch vor dem 1. Auguſt die Uni-
verſität zu verlaſſen. Rechnet man zu dieſen großen Ferien
noch vierzehn Tage Weihnachtsferien und acht Tage Pfingſt-
ferien, ſo ergibt dies insgeſammt eine Ferienzeit von un-
gefähr fünf Monaten. Welcher andere Stand kann ſich
wohl rühmen, faſt für die Hälfte der geſammten Arbeits-
zeit ſeine Berufsthätigkeit ausſetzen zu dürfen?
Alle Achtung vor der deutſchen Wiſſenſchaft! Aber wir
können uns nicht überzeugen, daß im wiſſenſchaftlichen In-
tereſſe ſo lange Ferien wirklich nothwendig ſeien. Sind
ſie es doch früher nicht geweſen und haben doch auch da-
mals ſchon die Lehrer wiſſenſchaftlich gearbeitet. Auch die
Zahl der Vorleſungen, die jeder einzelne hält, ſcheint gegen
früher abgenommen zu haben. Manche Collegien, die früher
ſechsſtündig geleſen wurden, finden wir jetzt nur fünfſtündig
angekündigt. In einem kürzlich veröffentlichten Vorleſungs-
plan einer namhaften Univerſität, der die Zahl der Stun-

den angab, fanden wir, daß jeder Lehrer täglich nur zwei

Stunden lieſt; nur ein einziger hatte auf zwei Tage der
Woche drei Stunden angekündigt. Nun erſchöpft doch
ſicherlich eine wenn auch geiſtig angeſtrengte Arbeit von
täglich zwei Stunden nicht die Kraft eines arbeitsfähigen
Mannes und es bleibt daher den Profeſſoren in der Periode
der Vorleſungen noch immer eine ſehr reichliche Zeit für
ihre rein wiſſenſchaftliche Thätigkeit. Auch von den Män-
nern anderer wiſſenſchaftlichen Berufe verlangt man, daß
ſie in ihrer Wiſſenſchaft nicht ſtillſtehen, ſondern fort-
ſchreiten. Auch ſie müſſen wiſſenſchaftliche Studien machen,
wenn ſie ſich auf der Höhe ihres Berufes erhalten wollen.
Wer aber gibt dem Richter, dem Anwalte, dem Arzte u. ſ. w.
dazu fünf Monate Ferien ? ö ö
Der eigentliche Grund dafür, daß die Ferien ſo lang
geworden ſind, ſcheint uns darin zu liegen, daß heute jeder
den höheren Ständen Angehörige einen wohlbegründeten
Anſpruch darauf zu haben glaubt, eine Sommerreiſe zu
machen. Auf dieſen Anſpruch haben auch die Profeſſoren
nicht verzichten wollen, und da dazu die Zeit von Mitte
September wenig geeignet war, ſo iſt man mit den Ferien
immer weiter, jetzt bis zu Anfang Auguſt, zurückgegangen.
Der Symmetrie halber hat man denn auch das Winter-
halbjahr entſprechend abgekürzt. Nun gönnen wir ja un-
ſeren Univerſitätslehrern in ihrem hohen Berufe von Herzen
auch ihre Sommerreiſe, und es ließe ſich vielleicht eine Ein-

richtung treffen, daß für dieſen Zweck in die geeigneteren

Sommermonate eine angemeſſene Freizeit gelegt würde,
wenn man dann nur im übrigen die Ferien entſprechend
abkürzen wollte. Aber 5 Monate im academiſchen Unter-
richt alljährlich auszuſetzen, halten wir für einen entſchiedenen
Mißbrauch. Der damit verbundene Nachtheil für die Stu-
direnden beſteht nicht etwa bloß darin, daß dieſe während
dieſer langen Perioden jedes Unterrichts entbehren, ſondern

faſt noch mehr darin, daß ſie während dieſer Zeiten ge-

wiſſermaßen ex officio auf das Nichtsthun angewieſen ſind.
Dadurch gewöhnen ſie ſich an das Faulenzen. Für junge
Männer, die in ihrem arbeitskräftigſten Alter ſtehen, ein

namenloſer Schaden!. Es hat in der That etwas tief
Schmerzliches, zu ſehen, wie unſere Muſenſöhne ſchon mor-
gens im Wirthshaus beim Frühſchoppen ſitzen und Skat
ſpielen.

Wir ſind daher der Anſicht, daß, wenn man an eine

Reform des Studiums denkt, man vor allem die Art des

Unterrichts und namentlich das Ferienweſen umgeſtalten
ſollte. Führte man die Ferien auf den früheren Beſtand
von drei Monaten zurück, ſo wäre damit allein ſchon in
drei Jahren faſt ſo viel Zeit gewonnen, als das begehrte
vierte Studienjahr für die Juriſten, abzüglich der jetzt üb-
lichen Ferien von fünf Monaten, betragen würde. Jeden-
falls enthält das ſtändige Verlangen unſerer juriſtiſchen
Rechtslehrer nach einem vierten Studienjahre etwas ſo
Widerſpruchsvolles, daß darüber ſchwer hinwegzukommen iſt.

Von einem Budapeſter Veteranen,

oder eigentlich von deſſen hübſcher Tochter und deren An-

beter, erzählt der dortige Correſpondent der „Preſſe“ Fol-
gendes Geſchichtchen. Der Veteran hat ein großes Kaffee-
haus, und da er ſelbſt — beſonders in der epidemiſchen-
Zeit — faſt täglich Vereinsleichencondukte zu commandiren
und an Trauertafeln zu präſidiren hatte, überließ er die
Leitung des Kaffeehauſes ſeinem hübſchen Töchterchen, das
faſt den ganzen Tag hindurch an der Kaſſe thronte. Nun
fand ſich ein ſchmucker Kadettfeuerwerker, welcher der Cafö-
tierstochter in ehrenhafter Abſicht den Hof machte. Die
Stammgäſte ſahen in den Beiden ſchon ein glückliches Paar
der Zukunft; ich aber weiß im Speziellen davon, auf welch'
ſinnige Weiſe der feſche Artilleriekadett ſeiner Schönen die
Liebe erklärte. Er ging dabei ganz ſyſtematiſch vor. Er
beſaß zu Hauſe ein paar alte Hefte einer illuſtrirten Zei-
tüng, und eines dieſer Hefte enthielt zufällig das humori-
ſtiſche Liebesleben einer ganzen Artillerielaufbahn, drollige
Zeichnungen und Verſe, die der verliebte Soldat einzeln
ausſchnitt und bei paſſenden Gelegenheiten nach einander
auf der Marmorplatte des Kaffeehauſes vergaß. So langte
er endlich bei der wirkſamſten und zutreffendſten Strophe an:
„Mein Lieb' wird immer ſtärker,
Anton Kropatſch, Feuerwerker.“
Weitere ſolche Botſchaften erwieſen ſich nun überflüſſig,
denn die Cafétierstochter ſagte verſchämt: „Reden Sie mit
Papa?“ Und der Kadett erſcheint in funkelnder Parade
bei dem Alten, eben als dieſer, gleichfalls im kriegeriſchen

Schmucke, wieder zu einem Veteranenbegräbniß gerüſtet iſt.

Der Kadettunteroffizier bringt in ſtrammer Haltung und
im Tone einer reſpektvollſten Meldung ſeine Werbung vor,
erhält aber die unerwartete und betrübende Antwort, daß
der Cafétier und Veteranenchef ſeine Tochter „keinem Mili-
täriſten nicht geben“ will. Vollends vernichtet wird aber
der unglückliche Liebhaber durch den Umſtand, daß ſeine
Schöne nicht mehr an der Kaſſe erſcheint, und daß ein an
ſie gerichteter Brief vom „Putzmeiſter“ uneröffnet zurück-
gebracht wird. Der Feuerwerker ergibt ſich in ſein Schick-
ſal und geht in ein anderes Kaffeehaus. Mittlerweile aber
kommt das November⸗-Avancement ins Land und macht ihn
zum Offizier. Vor Kurzem aber wird ihm ein duftendes
Briefchen zugeſtellt, des Inhalts: „Der Papa ſei zum Nach-
geben bewogen worden und würde nun in die Heirath ein-
willigen und auch die nöthige Kaution erlegen. Er möge
ſich doch wieder im Kaffeehauſe ſehen laſſen.“ Statt des
verſchmähten Liebhabers erſchien aber ein Antwortbriefchen,
ein kleines Couvert, das ein Ordonnanzſoldat überbrachte
und von der Jungfrau haſtig erbrochen wurde. Nichts als
ein ausgeſchnittenes Papierquadrätchen lag darin, mit einem
komiſchen Soldatenporträt darauf und dem Verslein:
ö „Meine Lieb' iſt ausgebranut,
Anton Kropatſch, Lieutenant.“
 
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