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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 101 - Nr. 110 (1. Mai - 12. Mai)
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Theil von dem hält, was der Erfinder nach den
bisherigen Erfolgen sich von ihr versprechen muß.
Es handelt sich um ein von dem praktischen Arzte
Doktor Billig in Karlsruhe erfundenes und bereits
in allen Kulturländern der Welt zum Patent an-
gemeldetes Verfahren zur Heilung von chronischen
Katarrhen der Athmungsorgane, insbesondere des
chronischen Lungenkatarrhs und der Lungentu-
berkulose, ein Verfahren, das eine Reihe über-
raschender Erfolge erzielt hat. In der allernächsten
Zeit wird hier ein Inhalatorium eröffnet, in
welchem unter Leitung des Erfinders das Ver-
fahren, auf dessen wissenschaftlich-medizinische Be-
deutung demnächst zurückzukommen sein wird, in
Anwendung kommt. Es darf noch bemerkt werden,
daß jetzt schon eine größere Zahl von Anmeldungen
zum Besuch des Inhalatoriums erfolgt ist.
* Mannheim, 5. Mai. Herr Weihbischof Dr.
Friedrich Justus Knecht ist zur Vornahme der
Firmung gestern Nachmittag 4 Uhr 28 Min. mit
dem kucsmäßigen Zuge auf dem hiesigen Haupt-
babnhofe eingetroffen. Auf dem Bahnhof-Perron
wurde der Weihbischof von Herrn Stadtpfarrer
Winterrotb und den katholischen Stiftungsmit-
gliedern Herren Franz und Barth empfangen und
sodann in den Fürstensalcn des Bahnhofes ge-
leitet. Hierselbst hatten die übrigen Mitglieder des
Stiftungsraches, sowie Vertreter der katholischen
Vereine zur Begrüßung des ncugewählten Weih-
bischofs Aufstellung genommen. Nach Beendigung
derselben erfolgte in 15 Equipagen — in der
ersten hatte Hur Dr. Knecht mit Herrn Stadt-
pfarrer Winterrvth Platz genommen — die Fahrt
von der Bahnhofstraße aus durch die Bismarck-
straße nach der Jesuitenkirche, woselbst der Herr
Weihbischof mit einem Gesang des KirchenChors
empfangen wurde. Am Bahnhof selbst hatte sich
ein zahlreiches Publikum eingefunden.
* Mannheim, 5. Mai. Schwester Lucia,
die langjährige Oberin des hiesigen Luisenbauses,
ist vorgestern Nachmittag gestorben. Die Verblichene,
gebürtig aus Mainz, trat Juni 1855 im Alter von
23 Jahren zu Straßburg in den Orden der barm-
herzigen Schwestern ein und wurde, nachdem sic
kurze Zeit im Waisenhaus zu Straßburg thätig
gewesen, im März 1856 an das neuerrichtete Luisen-
haus dahier als Schwester gesandt. Seit dem Jahre
1859 leitete sie diese Anstalt als Oberin, bis gestern
ein Herzleiden ihrem liebevollen und segensreichen
Wirken ein Ziel setzte.
* Schwetzingen, 5. Mai. Die drei größten
Ortskrankenkassen des hiesigen Bezirks stehen in
Hockenheim und Reilingen. Im Jahr 1893 be-
trugen bei der Kasse in Schwetzingen die Ein-
nahmen 19 832 Mk. und die Verwaltungskosten
5 065 Mk., in Hockenheim die Einnahmen 16 585
Mk., und die Verwaltungskosten 1 966 Mk., in
Reilingen die Einnahmen 11 555 Mk. und die
Verwaltungskosten 1 557 Mk. Die Verwaltungs-
kosten belaufen sich demnach: in Schwetzingen auf
LZb/^o/o der Einnahmen, in Hockenheim auf
H V4O/0 der Einnahmen, in Reilingen auf Ill^o/o
der Einnahmen.
* Eberbach, 5. Mai. Noch im Laufe dieses
Jahres wird an hiesigem Platze eine Frauenarbeits-
schule mit dem Lehrplan des bekannten Karlsruher
Instituts errichtet werden.
" Mosbach, 4. Mai. Ein schweres Unglück
passirte gestern in dem nahen Haßmersheim. Eine
Frau nahm, ohne zu wissen, daß solches mit einer
scharfen Patrone geladen war, ein Gewehr von der
Wand, um dasselbe an einen anderen Platz zu
verbringen. Dabei entlud sich das Gewehr und
ging die Kugel einem in der Nähe stehenden 13
jäbrigcn Knaben in den Unterleib, diesen ganz
durchbohrend. Der bedauernswerthe Knabe liegt
hoffnungslos darnieder. — Der neue Staats-
anwalt, Herr Dr. Sebold, hat gestern seinen Dienst
übernommen. — Unter den hiesigen Kindern ist
der Scharlachfriesel aufgetreten.
' Aus Bruchsal wird gemeldet, daß die
Weinberg raube, welche in den Neben am

Kaiserstuhl verheerend aufgetreten, auch in den
Weinbergen bei Bruchsal Schaden angerichtet hat
und werden allerlei Befürchtungen an ihr Auf-
treten geknüpft, indem dieselbe nicht nur Blätter,
sondern auch die Samen und Triebe abfreffe,
etwa 6 Centimeter lang, kleinfingerstark und grau-
gelb sei und sich bei Tage verborgen halte. Aus-
fallend ist uns, daß bis jetzt noch nicht genau
festgcstellt wurde, was es für eine Raupe ist. Die
Einen sagen, es sei die Weinvogelraupe, die
Andern, es sei eine Eule, Dritte halten dieselbe
für ein fremdes, bei uns bisher unbekanntes In-
sekt. Behufs Feststellung, gegen welche Raupe
man den Vernichtungskampf zu führen hat, bittet
die Redaktion der „Bad. Presse" ihre Leser am
Kaiserstuhl und im Bezirk Bruchsal, ihr einige
Exemplare dieser Raupen in einem Schächtelchen,
als Muster ohne Werth, mit 10 Psg. frankirt,
zuzusenden.
" Waldkirch, 5. Mai. Ein bedauerlicher Un-
glücksfall ereignete sich gestern Nachmittag in der
Gemeinde Dach. Ein dort in Diensten stehender
Knecht wollte das Gewehr seines Dienstherr» reinigen.
In der Meinung, dasselbe sei nicht geladen, zielte
derselbe auf einen am Tische sitzenden Hirten-
knaben, drückte ab, der Schuß krachte und der
Junge fiel durch den Kopf geschossen todt zu Boden.
— Herr Konditor G. verletzte sich vor ungefähr
14 Togen mit einem rostigen Nagel an der Hand,
es trat Blutvergiftung ein, woran er nun vorgestern
gestorben ist.
* Neustadt i.Schwarzw., 4. Mai. Vorgestern
um die Mittagszeit ertönte in unserer Stadt das
Feuerfignal. Der Brand war in der Oberstadt
ausgebrochen und standen die Realitäten des früheren
Gasthofes zur Sonne, in welchem 5 Familien, da-
unter auch das Geschäft des Hutmachers Wolf mit
seinen Waarenvorräthen, untergebracht waren, als-
bald in Hellen Flammen. Die hiesige freiwillige
Feuerwehr war bald zur Brandstätte geeilt und ist
es der Mannschaft des Korps hauptsächlich zu ver-
danken, daß der Brand auf seinem Herd beschränkt
blieb. Es herrschte zum großen Glück völlige
Windstille. Die Umfassungsmauern des vom Feuer
angegriffenen Gebäudes, sowie auch der größte
Theil des Mauerwerkes blieb noch erhalten. Die
Beschädigten sind, soviel wir wissen, mit Fahrnissen
und Gebäudenfünftel versichert und ist auch kein
Menschenleben zu beklagen. Wie man hört, soll
das Feuer im Kamin ausgebrochen sein.
* Freiburg, 4. Mai. Die durch die streiken-
den Maurer veranlaßten Unruhen und Bedrohungen
der arbeitenden Maurer setzten sich auch vorgestern
und gestern fort, so daß zahlreiche Schutzmann-
schaften zur Aufrechterhaltung der Ordnung aufge-
boten werden mußten, um die in einer Hütte
untergebrachten, anhergezogenen, fremden Maurer
vor Insulten und Thätlichkeiten zu schützen.
Uebrigens hat sich die Zahl der Streikenden seither
nicht sehr vermehrt; es arbeiten vielmehr immer
noch gegen 400 Maurer, während nur etwa 150
sich der Arbeit enthalten; aber gerade das ist das
Bedauerliche der Sache, daß jene viel stärkere Zahl
der Arbeitenden sich beständig durch die viel schwä-
chere Zahl der Streikenden bedroht sieht und in
Angst und Aufregung erhalten wird, daher man
allgemein ein ernstes Einschreiten gegen die Exce-
denten erwartet, um unserer Stadt die sonst ge-
wohnte Ruhe wieder zu geben. — Dem am 1.
Mai durch die streikenden Maurer verwundeten
Herrn Architekten Schmidt geht es verhältnißmäßig
gut, er ist außer Bett; ebenso sein Buchhalter,
der sich an jenem Abend bei der Flucht vor der
wie wüthend sich geberdcnden Bande beim Heraus-
ziehen des Ladestocks aus dem Revolver selbst an
der Hand verwundete. Uebrigens können die beiden
Genannten von Glück sagen, mit dem Leben davon
gekommen zu sein, denn etwa 20 oer Streikenden
sprangen ihnen nach, fortwährend rufend: „Hebt
sie, hin müssen sie sein, alle Beide!", und daß es
an dem Willen nicht fehlte, diesen Ruf zur That
werden zu lassen, darf bei der Ungeheuern Auf-

regung, in der sich die Betreffenden befanden, nicht
bezweifelt werden.
* Güttingen (A. Konstanz), 4. Mai. Am 1.
Mai brannte das Wohn- unv Oekonomiegebäude
der Wittwe des Landwirth Taver Maier in zwei
Stunden bis auf die Umfassungsmauern total
nieder. Der Gesammtschaden beträgt 4000 Mark.
Das Feur scheint infolge eines defekten Kamins
entstanden zu sein.
* Aus Vaden, 5. Mai. In Konstanz
schoß sich ein 14jähriger Knabe wahrscheinlich
aus Unvorsichtigkeit, mit einem Revolver in den
Mund, so daß die Kugel auf der Seite wieder
herauskam. — In Biberach überfiel auf der
Landstraße der 15 Jahrs alte Müllerbursche And.
Geifert von Gengenbach die 15jährige Justine
Wild von Fußbach und verlangte von dem Mädchen
Geld und als sie ihm dies verweigerte, gab er
derselben einen so heftigen Stoß, daß das Mäd-
chen den Kinzigdamm hinunter stürzte. Sodann
nahm er dem Mädchen das Geld im Betrag von
1 Mk. 40 Psg. ab und ging auf und davon.
Der junge Bursche gelangte zur Hast. — In
Theningen wird seit einigen Tagen der bis-
herige Gemeinderechner M. vermißt. Derselbe
hatte sich geflüchtet, um einer ihm wegen Verdachts
der Unterschlagung von Kassengeldern drohenden
Untersuchung zu entgehen, stellte sich dann aber
selbst und wurde verhaftet.
* Stuttgart, 5. Mai. (Prozeß Hegelmaier.)
Ein zahlreiches Publikum ist im Auditorium ver-
sammelt. Der Staatsanwalt verliest, die einzelnen
Punkte der Anklageschrift und betont, die Un-
brauchbarkeit Hegelmaier's sei als erwiesen anzusehen.
Ec fordert Amtsentsetzuna. Hiernach begann das
Plaidoir des Vertheidigers.
* Ludwigshafen, 5. Mai. In Rheingönn-
heim erhängte sich der in den 50er Jahren stehende
verheicathete Ackerer Jakob Engelhart aus bis jetzt
noch unbekannten Motiven.
* Gießen, 4. Mai. Der auf der Durchreise
befindliche PrivatierMtr uth ans Nieder Ingelheim
suchte vorgestern Abend i.n hiesigen Bahnhofsgebäude
nach einer Bedürsnißanftalt, gerietb hierbei an eine
nach dem Keller fübrende Thüre und stürzte hinab.
Als der Verunglückte in die nahe Klinik gebracht
war, konnte nur noch sein Tod festgestellt werden.
* Kassel, 4. Mai. Kurz nach Ausfahrt des
Hannover-Kasseler Personenzuges Nr. 104, bczw.
90, der 2 Uhr 58 hier eintrifft, von Uelzen ereignete
sich ein schwerer Unglückssall. Der Schaffner Brügner
aus Hannover wollte von der Plattform eines
Wagens auf die eines anderen übertreten, fehlte
dabei und gerieth, herabstürzend, unter die Räder,
welche ihn zermalmten. Ein anderer Schaffner,
welcher das auffällige Geräusch gehört, zog die
Nothleine und brachte den Zug zum Stehen. Die
Leiche des Verunglückten, der verhcirathet und
Vater von 4 Kindern war, wurde nach Bovenden
gebracht.
* Boppard, 3. Mai. Vorgestern wurden
mehrere junge Leute, die von der Kirmes in Dörth
heimkehrten, von einem Burschen mit einem Dolch-
messcr überfallen. Einer der Leute, dem der Bauch
aufgeschlitzt wurde, starb auf der Stelle. Reine
Mordlust soll das Motiv zu dec schrecklichen That
gewesen sein; der Mörder wurde verhaftet.
* Hannover, 4. Mai. Eine „Größe" der
diesigen Antisemiten, Dr. Schnutz, wird wegen
Vergehens im Amte als Direktor des städtischen
chemischen Untersuchungsamtcs in Hannover von
der Staatsanwaltschaft steckbrieflich verfolgt.
* Hannover, 4. Mai. In der hiesigen Knoeve-
nagel'schen Eisengießerei und Maschinenfabrik brach
heute Mittag Großfeuer aus, däs trotz angestrengtester
Löschversuche erst Abends bewältigt werden kannte.
Don dem großen ringförmigen, nach dem Rasch-
platze zu gelegenen Gebäude blieben nur noch die
Umfassungsmauern, wie einige hohe Schornsteine
stehen, während die an anderen Straßenzügen ge-
legenen Fabrikgebäude erfolgreich geschützt wurden.

Auch das nach dem Bahnhofe hin gelegene Gebäude
wurde größtentheils zerstört.
* Cuxhaven, 5. Mai. Bei dem heutigen
Nvrdweststurm stieß Mittags der Bergungsdampfer
„Newa" auf das Wrack des Dampfers „Davis",
so daß dessen Popeller in den Maschinenraum der
„Newa" drangen und letztere sank. Die Mann-
schaft wurde bis auf den Kapitän Schloctz gerettet,
dessen Leiche bereits hier angetrieben und geborgen ist.
* Breslau, 4. Mai. Im Laufe des gestrigen
Tages sind in Volkenhain und Umgegend mehrere
Gewitter und Wolkenbrüche niedergegangen, die
große Ueberschwemmunqen verursachten. Der Schaden
ist sehr bedeutend und noch nicht zu übersehen.
Das Wasser der Neisse stieg zu einer bisher noch
nie beobachteten Höhr. Viele Brücken wurden weg-
gerissen.
* Graz, 4. Mai. Durch dcn Semnachvach
drangen Abends Arbeiter bis zum Kamin des
Lueglochs; der Eingang in den Kamin war durch
Schwemmhölzer und Gerolle gänzlich verschlossen;
nach anderthalbstündiger Arbeit mußten die bis an
den Hüften im Wasser stehenden und angeseilten
Leute ganz ermattet nach dem Dorf zurückgebracht
werden. Endlich trifft ausgiebige militärische Hilfe
ein: Pioniere aus Graz und Pettau. Die Iran
des eingeschlossenen Forschers Zweier richtete in
ihrer Verzweiflung ein Telegramm direkt an den
Kaiser mit der Bitte um Herbeiführung einer
großen Felsenbohrmaschine aus Leoben, was aber
kaum durchführbahr erscheint.


Wer-rrnlchtes.
— „Gesundheit, Majestät!" Bisher war
eS bei Hofe nicht Sitte, wenn den Kaiser nieste,
davon irgend welche Notiz zu nehmen. Bei unserem
jetzigen Kaiser ist es anders geworden. Denn als
derselbe vor Kurzem nach einem Niesanfall äußerte:
„Na — Ihr bekümmert Euch ja gar nicht um
Einen" — hat die Hofgesellschaft die bisherig?
Zurückhaltung aufgegeben und es ist Hofsitte ge-
worden, „Gesundheit,, Majestät" zu sagen.
— Eine geizige Frau in Berlin, die Agenten-
frau Helene Friedmann, gab ihrem Dienstmädchen
ein Stück verdorbenes Fleisch. Sie sollte sich da-
von ihr Mittagessen bereiten. Das Mädchen war
aber eine ächte Berlinerin. Sie ging zur Poli;^
und denunzirte die Frau auf Grund des Nahrung^
mittelgesetzcs. Das Unheil lautete auf 20 Mat?
Strafe oder 6 Tage Gefängniß.
— Ein ländliches Drama hat sich am Freis
tag Vormittag auf dem Gut „Grüne Linde" des
Fredersdorf abgespielt. Man erfährt darüber
Folgendes: „Bei dem Gutspächter Schulz dient?
der 26-jährige Knecht Fischer gleichzeitig mit der
22-jährigen Dienstmagd Emma Nitz. Beide hatten
ein heimliches Liebesverhältniß miteinander, utzb
obwohl Fischer ein fleißiger und sparsamer Mens«

fortbringen kann und sie bis nach der Hochzeit in
Mawr-Castle behalte, ist mein Glück gemacht."
Nach der Mahlzeit zog sich Gilbert Monk
scheinbar auf fein Zimmer zurück und wurde bis
zum Speifen nicht mehr gesehen. Er brachte die
dazwischen liegenden Stunde mit dem Durchsuchen
der alten, unbenutzten Raume des alten Hauses zu.
Er durchsuchte auch einen Theil der neueren
Zimmern im Hauptgebäude, durchstöberte die
Bildergallerie und stieg sogar zu den unbenützten
Giebelzimmern hinauf, aber die Nacht fand ihn
abermals enttäuscht, angstvoll und rathlos.
Er war munter und witzig beim Abendmahl ver-
barg sich aber dann in den Wintergarten und war-
tete auf Bernice, in dem Glauben, daß sie in
ihrer Liebe und Verzweiflung sich wieder herein-
schleichen werde, um Chetwynd und Sylvia bei-
sammen zu sehen. Aber sie kam nicht.
Er war nicht der Einzige, welcher auf Bernice
wartete. Lord Chetwynds Augen irrten fortwährend
nach den weitgeöffneten Thüren des Wintergartens
hinüber. Und Sylvia selbst wartete mitheimlichem
Zittern und Grauen auf das schöne „Gespenst."
Lord Chetwynd kehrte an diesem, Abend mit
einem Gefühl der Enttäuschung in sein Zimmer
zurück, halb überzeugt, daß er nur das Opfer
seiner gestörten Einbildungskraft geworden war.
Mißmuthig suchte er sein Lager aus und war
bald in einen erquickenden Schlafe verfallen, wie
seine tiefen Athemzüge bewiesen, als die Thüre
des Ankleidezimmers sich leise öffnete und Bernice
ins Zimmer glitt.
Die junge Marquise sah in der That wie ein
Gespenst aus in ihrem langen, weißen Leichen-

kleide, mit entblößten Armen und Nacken, die
nur von einer Spitzenkrause halb verhüllt wurden ;
nut den aufgelöst herabwallenden blauschwarzen
Haaren und den großen, so kummervoll blickenden
brauen Augen, mit dem bleichen, tadellos schönen
Gesichte, aus dem eine furchtbare Verzweiflung
sprach. Und dennoch, wie leuchtend schön war
sie! Die wilde, fast zigeunerhafte Anmuth war
einer Grazie und Holdseligkeit gewichen, wie man
sie nur mit der höchsten Feinheit gepaart findet;
der dunkelbraune Teint hatte sich in eine matte,
bernsteinähnliche Farbe verwandelt, und obgleich
keine Spur von Röthe in den zarten, edlen Zügen
wahrzunehmen war, that das ihrer Schönheit
doch durchaus keinen Eintrag. Chetwynds Insel-
braut mit ihrer kindlichen, naiven, unschuldvollen
Freiheit war in der That gestorben und an ihrer
Stelle stand ein hohes, königliches Eeschöps,
würdig mit der Krons geschmückt zu werden.
Und er wußte es nicht, sein Herz sagte ihm
nicht, daß sie ihm nahe sei, während er schlief,
cs schlug nicht höher, als sie in der Dunkelheit
wie ein Geist an seine Seite trat und sich in
grenzenlosem Schmerz und unsäglicher Liebe über
ihn neigte. Ihre Küsse fielen sanft wie Schnee-
flocken auf seine Haare, er fühlte sie nicht. Er
hatte die vergangene Nacht nicht geschlafen, und
die Natur forderte ihr Recht.
„Mein Liebling!" flüsterte Bernice. „Die
neue Liebe wird Dich nie so glücklich machen, wie
es die alte that. Sylvia kann Dich nicht so ver-
stehen, wie ich Dich verstand. O, es ist hart,
todt geglaubt zu werden, und zu leben — zu
wissen, daß man nicht länger betrauert, noch ver-

mißt wird, es ist hart den eigenen Platz aus-
gefüllt zu sehen — zu wissen, daß die Liebkosungen
einer Anderen jetzt die liebsten sind, ihre Stimme
die süßeste, ihre Liebe die geschätzte ist. O, Himmel,
warum bin ich nicht gestorben!"
Bernice wendete ihre sehnsüchtigen Blicke in
sein schönes, edles Gesicht. Sie konnte nicht von
ihm weichen, und dennoch wagte sie es nicht, ihm
ihre Gegenwart zu verrathen. Ihr Eid hielt sie
zurück; aber der Glaube, daß sie von ihrem
Gatten vergessen sei und daß er eine Andere mehr
liebte, würde sie, auch wenn sie nicht zu schweigen
geschworen hätte, verhindert haben, ihm ihre An-
wesenheit zu verrathen. '
Sie blieb, bis er eine unruhige Bewegung im
Schlafe machte, dann glitt sie lautlos und rasch
in das Ankleidezimmer.
Sie hatte sich den ganzen Tag in den Giebel-
zimmern und Böden verborgen und Monk hatte
ihre Kleider rauschen hören, als sie vor ihm floh,
während er sie suchte. Sie hatte seit dem ver-
gangenen Tage nicht gegessen und litt Külte und
Hunger. Zur Flucht bereit, blieb sie in dem
Ankleidezimmer vor dem Kamm stehen und horchte,
während sie sich wärmte. Es stand eine Silber-
platte auf dem Tisch mit einer halben Flasche
Wein und etwas Bisquit, welches der Kammer-
diener, der bemerkt hatte, das Lord Chetwynd fast
gar nichts gegessen, für diesen in Bereitschaft
gestellt.
Diese kleine, dem Marquis erwiesene Aufmerk-
samkeit, leistete Bernice jetzt gute Dienste. Sie
trank den Wein und aß das Backwerk, wobei ihr
warm und behaglich wurde.

Aber sie durfte hier nicht verweilen — es war
Zeit zum Gehen.
Auf ihrer Reise von Wales hierher hatte fis
einen langen Regenmantel getragen, den sie jE
in ihrem oberen Zimmer verborgen hatte. Sie
hatte ihn für die Zeit ihrer nächtlichen Exkur-
sionen bei Seite gelegt, denn sie hielt es für besser,
sich, wenn sie gesehen würde, für einen Gei!?
halten zu lassen. Der Mantel war nicht wariU
genug, sie vor der fluchten Kälte, die in den un-
bewohnten Zimmern, die sie aufsuchte, herrscht?'
zu beschützen, und sie schlich sich jetzt zu einew
ihrer Kleiderschräncke und zog eine lange Schub-
lade heraus, in der sie ihre Shawls aufbewahrt
hatte. Es war Alles noch so, wie es Fisine ge-
ordnet. Sie nahm einen indischen Shawl heraus,
den ihr Chetwynd in London gekauft, und hüM
sich darein. Dann schloß sie den Schrank um
schlich lauschend zur Thüre. Tiefe Stille herrscht
draußen. (Fortsetzung folgt.)
* Salomonische Weisheit. A: „Rabbilekew
Sie sind doch ein so gescheiter Mann, sagen S>
mir, wer ist glücklicher daran, ein Mann, de
100 000 Thaler hat, oder einer der sieden Töchtfi
besitzt?" — Rabbi (nach kurzem Besinnen): „OfflU-
bar der, der sieben Töchter bat." — A.: „Wieso ?"
Rabbi: „Einer, der 100000 Thaler hat, wünsaff
sich mehr; Einer, der sieben Töchter hat — nicht -
* Der poetische Feldwebel. Feldwebel (zu«
neuen Rekruten): „Wie heißen Sie und wa
sind Sie?" — Rekrut: „Ich heiße Bauer um
bin Brauer." —Feldwebel: „Sie gefallen
Sie lebendiges Gedicht!"
 
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