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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 1 - Nr. 10 (2. Januar - 12. Januar)
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Nummer 5. H Jahrgang.

2t s tt e e

Samstag, 6. Januar 18S4.
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mit 8sci!iqem illustrirtem Sounta.qsbsatt: monatlich
40 Pfennig frei in's Haus, durch die Post bezogen
vierteljährlich 1 Mark ohne Bestellgeld-
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Kfrpoditiorr: Msuptltvcrhs Mr. L6.

für Heidelberg und Umgegend
(Mürger-Deitung).





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die lspaltige Petitzeile oder deren Raum S Pfg.,
tür auswärtige Inserate 10 Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt.
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GeLsssirftes VLertL in KLrrdL n. 2l-rrt HsrdeL^evK nnd Mngegend.

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iE" Telephsrr-Anschlutz Nr. 102. dE
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für dos I. Quartal 1894
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General - Anzeiger
für Heidelberg und Umgegend
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Für Heidelberg und nähere Umgebung
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stell ungen zum Preise von
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frei ins Haus, entgegengenommen.
Da der „Neue General-Anzeiger" ungeachtet
der unbedeutenden Erhöhung des Abonnements-
Preises
die billigste Zeitung Heidelbergs
genannt werden darf, sind wir überzeugt, daß
uns re zahlreichen Abonnenten, denen das Blatt
schon in so kurzer Zeit zum lieben Hausfreunde
geworden, uns nach wie vor treu bleiben werden.
Drr Urrlag drs „Urnen General-Anzeigers",
Hauptstraße 25.

* Tie Tiätkll der Mitglieder der
ersten Kammer.
Mitte Dezember ging durch die Presse (s.
-Neuer General - Anzeiger" Vvm 15. Dez.) die
Nachricht, daß diejenigen Mitglieder der ersten
Kammer, welche seither stets vom ersten Tage der
Eröffnung bis zum Tage des Schlusses des Land-
tags Diäten bezogen, freiwillig auf diefes Vor-
recht verzichten wollten und in Gleichstellung mit
der zweiten Kammer nur Diäten beziehen wollen,
bwnu sie in Karlsruhe im Landtage thütig sind.
Diese Nachricht wurde kurz darauf von Karlsruhe
aus als unrichtig bezeichnet, da die Frage sich
lediglich im Stadium der „Vvrerörternng"
zwischen beiden Kammern befinde. Obwohl der
Sinn dieser Berichtigung recht dunkel war, ver-
lautete seither in der badischen Presse nichts mehr
llber den Gegenstand. Umsomehr überrascht nun

die von einem außerbadischen Blatte, dem Alzeyer
demokratischen „Beobachter", mit unverhohlener
Schadenfreude wiedergegebenc Darstellung der
Diätenfrage der ersten bad. Kammer. Genanntes
Blatt schreibt hierüber:
„Es war für einige Mitglieder der 2. badischen
Kammer schon längst ein offenes Geheimniß, daß
die Herren „von" und „Zu" der 1. Kammer ge-
genüber den Volksvertretern der 2. Kammer ein
Mehr von Diäten beziehen, das ihnen nach
dem Wortlaute des Diätengesetzes vom Jahre
1873 nicht zukommen kann. Dieses Gesetz sagt
nämlich, daß der Diätenbezug nur für die Dauer
der Präsenz (Anwesenheit) den Mitgliedern der
Landstände zustehc, also nur so lange, als die
beiden Kammern nicht aufgelöst oder vertagt sind.
Was thaten nun die „Edelsten der Nation", um
dem Gesetze ein Schnippchen zu schlagen und die
Diäten vom Anfang der Kammersession bis ans
Ende einznstecken? Ganz einfach! Sie vertagten
sich niemals während der Session, das heißt sie
sprachen die Vertagung nicht formell aus, gingen
aber heim zu ihren Penaten und erfreuten sich
auch zu Hause des Bezugs der Diäten aus der
badischen Staatskasse. Die Abgeordneten der 2.
Kammer dagegen vertagten ihre Sitzungen jeweils
an Weihnachten und Ostern und bezogen während
dieser Vakanz niemals Diäten.
Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß die
Herren „Edlen und Hochgeborenen" auch während
der Tagung der Kammern, d. h. wenn keine
Ferien sind, wenn es gut geht, höchstens einmal
in der Woche zusammentreten und oft nur ganze
kurze Zeit, manchmal sogar nur V« Stunde', ihren
„wichtigen Berathungen" obliegen.
So haben sie z. B- in der Session der Land-
stände 1891 und 1892 einige zwanzig Sitzungen
abgehaltcu, während die 2. Kammer ungefähr
hundertmal tagte.
Abg. Dr. Rüdt hat nunmehr beim Beginne
dieser LandtigSfession über den Mehrbezug an
Diäten seitens der 1. Kammer Nachforschungen
angcstellt und daraufhin Privatim an geeigneter
Stelle die Aeußerung fallen lassen, er beabsichtige,
mit seinen sozialdemokratischen Kollegen eine In-
terpellation hinsichtlicht dieser Frage in der
Kammer einzubringen. Diese Aeußerung Rüdt's
ging, allerdings in entstellter Form, in verschie-
dene Blätter über und das genügte. Die Herren
Von der 1. rochen Lunte und der Präsident von
der 1. benachrichtigte den Präsidenten der 2.
Kammer in einen. Schreiben, das nächstens die
Diätenfrage mit der Freibilletfrage auf die Tages-
ordnung der 1. Kammer gesetzt und berathen
werde. Von diesen. Schreiben hat Dr. Rüdt
Einsicht genommen. — So stehen die Dinge jetzt
und eS ist zu erwarten, daß das Privilegium,

oder besser die Anmaßung der ersten Kammer,
unrechtmäßige Diäten zu beziehen, aufgegeben
wird. Ist bereits geschehen, indem sich die
Herren „von" und „zu" bereit erklärten, zu ver-
zichten. Dadurch werden dem Lande jährlich
Tausende von Mark erspart werden, die bisher
rein hiuausgeworfen, oder besser, den „Edelsten"
in die Tasche gespielt wurden. Die Steuerzahler
werden sich darüber gewiß nicht beschweren. „Und
das hat mit seinem Sange der böse Rüdt gethan."
So der Alzeyer „Beobachter", der uns Ba-
dener in einer Schlußbetrachtuug noch vorrechnet,
daß auf diese Art seit 1874 fast eine Viertel-
million zu viel bezahlt worden sei, welche Summen
in die Millionen hineingehe, wenn man bedenke,
daß die Mitglieder der 1. Kammer an den
meisten Wochentagen während der Session, ohne
einer Sitzung beizuwohnen, ebenfalls ihre 12
Mark Diäten erhalten Hütten.
Verhält sich die Sache genau so, wie sie von
dem hessischen Blatte dargestellt wird, so müssen
wir allerdings gestehen, daß eine offizielle Dar-
stellung derselben in einer einheimischen Zeitung
unbedingt hätte erfolgen müssen, denn durch die
Uebergehung von Thatsachen lassen sich solche
bei den heutigen Preßverhältnissen eben einmal
nicht mehr todtschweigen, und dann wäre auch
jeder Mißdeutung Thor und Thüre verschlossen
gewesen.
Deutsches Keich.
Berlin, 5 Januar.
— Der Unterschied in der Auffassung
der politischen Lage zwischen dem Reichs-
kanzler und dem Finanzminister Miquel kommt
drastisch zur Erscheinung in der verschiedenen Haltung
der Caprivi'schen und der Miquei'schen Offiziösen.
Die Miquei'schen Offiziösen warnen im
Gegensatz zur „Nordd. Allgem. Ztg." fortgesetzt
davor, die Konservativen zu reizen. Man müsse,
so lesen wir im „Hamb. Korresp.", eine friedliche
Lösung der schwebenden Streitfragen mit den Konser-
vativen anzubahnen suchen. Zugleich werden die
Nationalliberalen damit zu beschwichtigen gesucht,
daß, „wenn die jetzige konservative Welle ihren
anscheinend nicht mehr fernen Höhepunkt über-
schritten haben werde, alsbald der Boden für die
Bethätigung eines gemäßigten Liberalismus in der
Negierung von selbst gegeben sein werde."
— In vollständige Ungnade sollte Graf
Waldersee beim Kaiser gefallen sein. Beim
militärischen Neujahrs Diner aber hatte Kaldcrsee
den Ehrenplatz neben dem Kaifir- Mit der Un-
gnade muß es also nicht gar weit her fein. Besser
beglaubigt sind die Mitiheilungen, nach denen der
Kommandeur des neunten Armeekorps jeden Ehr-
geiz nach einer politischen Rolle einstweilen aufge-

geben hat. Daß Graf Waldersee aus den Be-
rechnungen der konservativen Fronde ausgeschieden
ist, davon kann man sich in Unterhaltungen mit
konservativen Politikern bestens überzeugen. Früher
war eine solche Unterhaltung nicht möglich, ohne
daß der Name Waldersee im Mittelpunkte stand.
Heute spricht man von dem einstmaligen Rivalen
des Fürsten Bismarck, der alsdann zum Rivalen
des Grafen Caprivi gemacht wurde (vielleicht ohne
diese zweite Nolle je gespielt zu haben), nur noch
in seiner Eigenschaft als Militär und am aller-
wenigsten in der als „kommender Mann."
— Wenige Tage trennen uns noch von dem
Wiederbeginn der parlamentarischen Arbeiten. Völlig
unberührt von allen mehr oder weniger tendenziösen
Krisen Gerüchten der letzten Zeit tritt die Reichs-
regierung mit ihren Neuvorlagen in den neuen
Abschnitt der Reichstagsthätigkeit ein. Von einer
Zurückziehung einer oder der anderen Vorlage, von
einer Vertagung der geplanten Neuregelung der
Finanzen, ist ,m Augenblick nicht entfernt die
Rede. Einstweilen wartet die Regierung ruhig ab,
welche Stellung der Reichstag zu den Vorlagen
nehmen wird, und wie sich die Dinge in der
Kommission gestalten werden. In unterrichteten
Kreisen wird mit aller Bestimmtheit behauptet, daß
die Vermuthung, als ob die Regierung eine Ver-
tagung der Steuerreformpläne plane, am Wenigsten
einen tatsächlichen Hintergrund habe.
— Die Thatsachc, daß der letzte Minister-
rath wieder lange Stunden sich hinzog, hat zu
allerlei phantastischen Ausdeutungen den Grund
gegeben. Es scheint natürlich genug, daß die
oberste Verwaltung des Staats angesichts der Nähe
der preußischen Landtagseröffnung viel und lange
zu berathschlagen hat, und wenn man erwägt, daß
der neue preußische Landtag vom Monarchen in
Person eröffnet werden soll und gleichzeitig die
Wahrscheinlichkeit nahe genug liegt, daß es von
erhabener Stelle aus dem Lande kundgethan werden
soll, es bestehe zwischen dem Reiche und der
führenden Macht im Punkte der inneren Politik
kein Widerstreit, so wird klar, daß die Thronrede,
die von alledem Zeugniß ablegen muß, nicht ganz
leicht und bequem zu formen sei. Und so braucht
man nicht lange zu suchen, worin die Anlässe zu
so häufigen und langwierigen Aussprachen der
leitenden Männer liegen könnten.
— Es wird, wie die „M. P. C." meldet,
)er Gedanke erwogen, ob und wie weit es er-
wünscht sein möchte, die Einrichtung des Zoll-
beiraths, die sich bei den deutsch-russischen
Zollverhandlungen bewährt habe, zu einer ständigen
zu machen. Selbstverständlich würde es nicht
nöthig fein, daß ein solcher ständiger Zollbeirath
immer beisammen wäre. Es würde vielmehr ge-
nügen, wenn sich derselbe so organisirts wie bei-

A L e X cr
oder
Auf dunklen Wege n.

8l)

Rvoran von Dr. Ed. Wagner.
(Fortsetzung.)

Alepa öffnete die Lippen zum Sprechen, konnte
"der kein Wort hervorbringen, denn die widcr-
Eebendsien Gefühle tobten in ihrer Brust. Wäh-
?^ud die Güte und Freundlichkeit ihrer Mutter,
^rcn noch fo innige Liebe zu ihrer Tochter, ihre
Heiden und Klagen um den Verlust ihres
Kindes sie unwiderstehlich zu ihr hinzogen, wirkte
.kr Gedanke, daß die stolze Frau ihren Gatten
'n, der Nvth verlassen, daß sic jetzt einen
""dern zu heirathen im Begriff stand, erkältend
ihr Herz.
, „Ich schmeichle mir, ein treffendes Urtheil
"der Menschen nach ihrem Auchern fällen
Zäunen," sagte Lady Wolga, „und ich sehe,
Ihr Charakter edel, Ihr Herz voll Liebe
. Diese Liebe mir zu erwerben, soll mein
Kstrebcn sein. Was sagen Sie dazu, Miß
r/,chnge? Wollen wir einen Frcundschaftsvertrag
'Meßend

Alexa war versucht, das Frcundschastsaner-
gz sn abzulehnen, mit Rücksicht auf das ihrem
o.s r geschehene Unrecht. Und konnte sie Liebe
n ohne Vertrauen? Sie blickte ans zu dem
r. sN'> schönen Gesicht, das nicht mehr kalt und
str sondern mit Innigkeit und Wärme
wna. ' und die wahre Natur des Mädchens er-
"u? zu mächtig, als daß sie der künstlich durch

Vorurtheile erzeugten Abneigung hätte Widerstand
leisten können. Sie war verwirrt, erregt und
zitterte an allen Gliedern; ein leiser unbestimmter
Ruf kam von ihren Lippen und ihre Augen, strah-
lend in erwachender Liebe, begegneten mit ver-
langendem Ausdruck denen der Lady Wolga.
Diese trat rasch vorwärts, schloß das Mädchen
an ihr Herz und Beider Lippen fanden sich zu
einem innigen Kusse. Dann ließ Lady Wolga
das Mädchen aus ihren Armen, trat einen Schritt
zurück und sagte: „Wir haben unfern Freund-
schastsbuud besiegelt. Darf ich Sie nun Alexa
nennen?"
„Es wird mich freuen, diesen Namen von
Ihren Lippen zu hören," antwortete das Mädchen.
„Es ist ein seltsamer Name — Alexa!"
„Es ist eine Abkürzung von Alexandra," er-
widerte Alexa, immer noch bebend unter der Zärt-
lichkeit des Kusses ihrer Mutter.
„Ihr voller Name ist Alexandra Strange?
Sie sollen mir eines Tages Alles über sich selbst
erzählen, über Ihren Vater und Ihre griechische
Heimath," sprach Lady Wolga, ihre Hand auf
das Haupt des Mädchens legend. „Ich will Sie
jetzt nicht länger vom Briefschreiben abhalten.
Felice soll mich entkleiden, und dann, da Ihr
Brief inzwischen wohl fertig sein wird, will ich
sie zu Ihnen schicken; sie kann Ihnen bei Ihrer
Nachttoilette helfen."
Sie drückte noch einen Kuß auf Alexa's
Stirn, wünschte ihr eine gute Nacht und ent-
fernte sich.
„Ich verstehe mich selbst nicht," dachte
Lady Wolga, als sie in ihrem eigenen Gemache

angekommen war. „Dieses Mädchen hat mich
bezaubert. In Wirklichkeit weiß ich nichts von
ihr, als daß sie mir so gut empfohlen worden
ist. Sic hat sich in mein Herz gestohlen. Seit
vielen Jahren habe ich mit Niemandem gesprochen,
wie ich mit ihr gesprochen habe. In ihr scheine
ich gefunden zu haben, wonach ich so lange
gesucht. Ihre Gegenwart gibt mir neuen Frieden
und eine wunderbare Ruhe. Die Vorsehung
hat sie mir gesandt, glaube ich, um mich zu
bewahren, daß ich in Wirklichkeit werde, für was
mich die Welt gegenwärtig hält — für kalt und
herzlos!"
22. Kapitel.
Wichtige Enthüllungen.
Als die leisen Tritte der Lady Wolga auf
dem Korridor verhallt waren, warf sich Alexa
in einen Sessel und weinte, als ob ihr das Herz
brechen wollte. Nachdem sie ihre Ruhe wieder-
erlangt hatte,, setzte sie sich an den Schreibtisch, um
ihren Brief zu beendigen. Sie schrieb ihrem
Vater, daß sie. ihre Stelle zu Clyffebourne
angetreten, daß sie diesen Abend daselbst Lord
Kingscourt und den Marquis von Mont Heron
gesehen habe, und berichtete über ihre Unterredung
mit dem Ersteren. Ueber den Marquis von Mont
Heron schrieb sie Folgendes:
„Der jetzige Marquis scheint die Gutmüthig-
kcit selbst zu sein. Er ist freundlich und sanft,
und es wäre zweifellos ungerecht, wollte man einen
Verdacht gegen ihn hegen. Selbst ich, die ich
mit einem Vorurtheil gegen ihn hierher kam,

muß gestehen, daß ich ihn nicht fähig halte, solch'
ein Verbrechen zu begehen."
„Lieber Vater," fuhr sic dann fort, „soll
ich Dir von ihr, — von Lady Wolga erzählen?
Sie ist über alle Beschreibung schön, schöner,
als ich mir die Schönheit einer Frau geträumt
habe; sie ist voll Anmuth in ihrem Benehmen,
voll Grazie in ihrem Wesen und würdevollen
Stolzes in ihrer Haltung. Ich hielt sie für
herzlos, aber heute erglühte ihr Herz unter einer
naturgemäßen Eingebung für mich, sie sprach
liebevoll zu mir und küßte mich. O, Vater!
Wie mein Herz schwoll unter den Küssen, —
den Küssen meiner Mutter! Hätte ich in dem
Moment nicht an Dich gedacht, ich hätte ihr
zu Füßen fallen und den Saum ihres Kleides
küssen können. Ich liebe sie und möchte mich
gleichzeitig von ihr abwenden. Ich liebe sie
wegen ihrer Güte und weil sie mit so großer
Zärtlichkeit an ihr verlorenes Kind zurückdenkt,
weil sie noch im Stillen so tief um dasselbe
trauert; ich möchte mich von ihr wenden, weil
sie so grausam gegen Dich gewesen ist, mein
armer Vater!
Ich sollte Dir schreiben, ob es war ist, daß
sie sich mit dem Marquis von Mont Heron ver-
heirathen wird. Die Verlobung ist noch nicht
veröffentlicht, doch Jedermann hält sie für ver-
lobt. Sein Benehmen gegen sic ist das eines
Verlobten, aber aus ihren Benehmen ist nichts
Bestimmtes zu entnehmen. Ich sehe, daß sie ihn
achtet nnd ehrt, und glaube mit allen Anderen,
daß sie ihn heirathen wird.
Ich würde dies, obwohl Du mich darum
 
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