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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 111 - Nr. 120 (15. Mai - 26. Mai)
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Nummer 113. LL. Jahrgang.


Donnerstag, 17. Mai ISS4.


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Expedition HcruptOraße Mr. 28.

für Heidelberg rind Umgegend
(Nürger-IeiLung).



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JnsertionSprciSr
die lspaltige Petitreile oder deren Raum 8 Pf-.,
für auswärtige Inserate IS Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt.
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Expedition: Hauptstraße Mr. 28.

belesenstes Vlatt in Stadt u. Tlrnt Heidelberg und Itiirseseird. Gvstzterr LVsolg sirv Jusevate

WW" Telephsn-Anschlutz Nr. 102. "WH

Fsvtrvätzrend
werden von allen Postanstalten, Landbriesträgem
unseren Agenten und Trägerinnen Abonnements
entgegengenommen.

Zur Auswanderungsfrage.
Es ist eine oft erörterte und ost beklagte
Thatsache, daß durch Auswanderung dem Deutsch-
thum ein großer Bruchtheil seiner Volksangehörigen
verloren gegangen ist und fortdauernd verloren
geht. Seit Jahrzehnten hat die Auswanderung
aus dem deutschen Reiche eine bedeutende Höhe
angenommen, und man wird sich damit abfinden
Müssen, daß sie auch in Zukunft nicht abnehmen,
wahrscheinlich vielmehr noch anwachsen wird.
Bis jetzt richtete sich der Strom der Aus-
wanderer zum weitaus überwiegenden Theile nach
den Vereinigten Staaten von Nordamerika — seit
1820 haben dieselben über 5 Millionen Deutsche
ausgenommen —, und da diese Einwanderer schon
in der ersten, regelmäßig aber in der zweiten
Generation amerikanisirt werden, so läßt sich leicht
ermessen, welch' ein gewaltiger Verlust an Volks-
thum, an Arbeitskräften und an Kapital dem
Mutterlands dadurch zugesügt wird.
Es läßt sich durchaus nicht in Abrede stellen,
daß zahlreiche Personen, die mit dem Aufwande
all ihrer Arbeitskraft und Intelligenz hüben sich
vergeblich bemüht haben, ein bescheidenes Aus-
kommen zu finden den Versuch gewagt haben,
drüben das Glück zu suchen. Einzelnen ist es
gelungen, Viele aber sind jenseits in eine noch
bitterere Noch gerathen, als sie dieselben bei uns
durchzukosten hatten. Dabei muß noch berück-
sichtigt werden, daß sich so mancher Schwärmer
für das „gelobte Land" drüben zu einer Arbeit gern
bequemt hat, die er sich hüben unter keinem Um-
stande unterzogen hätte.
Doch kehren wir wieder zu unserem eigentlichen
Thema zurück. Schon längst ist es das Bestreben
Vatriotischer Männer gewesen, Mittel und Wege
ausfindig zu machen, um den Strom der Aus-
wanderer in Gebiete zu lenken, wo sie dem Deutsch-
tum auch ferner erhalten bleiben.
Als, wenn auch nicht räumlich, nächstliegende
Gebiete für die deutsche Auswanderung kommen
Unsere Kolonien in Betracht. Man dachte sich
auch in der That, als die deutsche Kolonialbewe-
gung in Fluß kam, daß die Hauptbedeutung der
Kolonien sich in ihrer Eigenschaft als Ansiedelungs-
gebiet für deutsche Ackerbauer und Viehzüchter

äußern werde, die natürliche Beschaffenheit der
Kolonien hat es aber mit sich gebracht, daß dieser
Gedanke in den Hintergrund getreten ist.
Als Siedelungs-Kolonie in größerem Umfange
wirb zunächst nur Deutsch-Südwest-Afrika in Be-
tracht kommen, aber auch dieses nur mehr für
jene mit etwas mehr Betriebskapital versehene
Viehzüchter, als für mittellose Ackerbauer. Ost-
afrika liegt zu weit im Innern und es muß noch
eine eingehende Untersuchung angestellt werden,
ob diese Gebiete fieberfrei sind. Dasselbe gilt
von den, übrigens räumlich wohl ziemlich be-
schränkten Gegenden im Innern von Kamerun,
die vermöge ihrer Höhenlagen den Europäern ein
dauerndes Arbeiten im Freien vielleicht gestatten
werden. Was Togo und Deutsch-Neuguinea an-
betrifft, so dürften dieselben für ackerbauende An-
siedler auch in Zukunft gar nicht in Betracht
kommen.
Im Uebrigen aber meinen wir, daß es die
Erfahrung zu Genüge gelehrt hat, daß in fernen
Ländern auch keine gebratenen Tauben den Aus-
wanderern in den Mund fliegen. Wer etwas
Tüchtiges zu leisten vermag und die nöthige Aus-
dauer besitzt, der wird es auch hier zu Lande zu
etwas bringen können. Namentlich möchten wir
vor übertriebenen Hoffnungen auf das Glück in
den sogenannten „Goldländern" warnen und jedem
Auswanderer den alten, erprobten Spruch zu Be-
herzigung empfehlen:
„Bleib' im Lande und nähr' Dich redlich!"
Deutsche SchulaussteUung.
Die in dem weiten Raum der städtischen Ge-
werbehalle zu Stuttgart anläßlich des eben
daselbst tagenden Deutschen Lehrcrtages veranstaltete
Schulausstellung, welche von König Wil-
helm eröffnet wurde, bietet in prächtiger Anord-
nung ein hochinteressantes Bild aller pädagogischen
Hilftsmittel. Auch der Nichtfachmann findet in
dieser Ausstellung gar Vieles, was seine Aufmerk-
samkeit anzieht und fesselt. Gegenüber dem Haupt-
eingang ist eine reiche Pflanzendekoration, in deren
Mitte sich die Büsten des Kaisers, des Königs und
der Königin aufgestellt befinden. Rechts und
links an den Wänden hin sind Gemächer abge-
theilt, in denen bekannte Firmen des Verlags, der
Musikinstrumenten- und Schulgeräthe-Fabrikation,
der Schreib- und Zeichenrequisiten-Handlung ge-
schmackvoll und reich ausgestellt haben. Ueberaus
schön präsentirt sich die Spezialausstellung des
Lehrervereins für Naturkunde, welche die Halle
rechts mit einer herrlichen Dekoration abschließt:
an der Wandfläche sieht man den Hohenzollern,
rechts und links davon den Rothenberg und Lich-
tenstein, zwei Ansichten aus der sächsischen Schweiz;

davor ist mit Bäumen und Sträuchern ein stim-
mungsvolles Waldbild geschaffen, von Thiergruppen
belebt. Diese Kollektivausstellung des Lehrervereins
für Naturkunde bildet zweifellos den Glanzpunkt
des Ganzen; sie bietet eine ebenso anziehende wie
lehrreiche Darstellung des Waldes als „Lebens-
gemeinschaft". Hieran knüpft sich eine technolo-
gische Abtheilung, worin die Verarbeitung der ver-
schiedenen Waldprodukte gezeigt wird.
Die Abtheilung 1 der Ausstellung, Bücher,
umfaßt zwölf Gruppen, nämlich I. Erziehung und
Unterrichtslehre, 2. Religion, 3. Geschichte, 4.
Sprachen, 5. Geographie, 6. Naturwissenschaften,
7. Mathematik, 8. Stenographie, Schreiben, Zeich-
nen, 9. Handarbeitsunterricht, Stickereivorlagen,
Haushaltungskunde, 10. Gesang und Musik, 11.
Turnen, Jugend- und Schulspiele, 12. Obstbau,
Bienenzucht, Landwirthschaft. Die Abtheilung II,
Lehrmittel, Schulutensilien, enthält fol-
gende Gruppen: 1. Anschauungsunterricht, 2. Lesen
und Schreiben, 3. Rechnen, 4. Mathematik, 5.
Geographie, 6. Geschichte, 7. Naturgeschichte, 8.
Physik, Chemie, Technologie, 9. Zeichnen, 10. Ge-
sang, II. Handfertigkeitsunterricht, 12. Turnen,
13. Schultafeln, Kartenständer, Ventilations- und
Schuleinrichtungen, 14. Schulbänke, 15. Musik-
instrumente. Von Fachmännern wird allgemein
versichert, daß noch nie für einen deutschen Lehrer-
tag eine solche hervorragende Ausstellung zu Stande
gekommen sei.
Deutsches Reich.
Berlin, 16. Mai.
— Die Kommission für das bürger-
liche Gesetzbuch wird, wie die „Voss. Ztg"
anderslautende Mittheilungen berichtigt, voraus-
sichtlich schon im Laufe des Jahres 1895 ihre
Arbeiten zu Ende führen. Die Kommission tritt
in zwei bis drei Wochen in die Berathung des
fünften und letzten Buches des bürgerlichen Gesetz-
buches, des Erbrechts, ein und wird diese spätestens
bis zum April 1895 vollendet baben, so daß dann
nur noch die Berathung des Einführungsgesetzes
und eine etwaige summarische Nachprüfung der fünf
Bücher übrig bleiben, die im Sommer, spätestens
im Herbst desselben Jahres beendet sein werden.
Weitere Aufgaben, insbesondere die Revision des
Handelsgesetzbuches, die anderweit erledigt werden
wird, sind der Kommission nicht zugewiesen und
werden ihr voraussichtlich auch nicht zugewiesen
werden.
— Eine Konferenz von Gutsbesitzern, Beamten
und Professoren ist von dem Landwirthschaftsmi-
nister auf den 28. Mai berufen worden, um im
Interesse des ländlichen Grundbesitzes alle
bisher aufgeworfenen Fragen zur Umgestaltung des

Erbrechts und des Kreditwesens zu er-
örtern. DaS „Volk" veröffentlicht das den einge-
ladenen Personen mitgetheilte Berathungsprogramm
Os umfaßt zur „Bekämpfung der fortwirkender
Ursachen der Verschuldung" Fragen über die Be
fassung des Grundbesitzes mit Erbantheilen, An
erbenrecht, Höferolle, Berechnung des Ertragswerthet
der Liegenschaften bei der Auseinandersetzung dei
Erben, Pflichttheilrechte, Verbot der hypothekarischen
Belastung mit Abfindung der Miterben, Be-
schränkung des Verfügungsrechts des Hofes-An-
nehmers. Andere Fragen betreffen die Verhinde-
rung der Belastung des Grundbesitzes mit Kauf-
gelderresten und Schulden, Beschränkung der Ver-
pfändbarkeit auf einen bestimmten Werthstheil und
Festsetzung desselben. Im Interesse der „Beseiti-
gung der vorhandenen Ueberschuldung" werden
Fragen in Bezug auf Kreditorganisationen, unkünd-
bare Amortisationsrenten, materielle Hilfe zur
Schuldenentlastung aufgeworfen. Ein daran ge-
knüpftes Arbeitsprogramm erörtert in gedrängter
Kürze die landwirthschaftliche Krisis in ihren Haupt-
erscheinungsformen die Hauptursachen, die Schäden
und Gefahren dieser Entwickelung. Die Maß-
regeln, die gegen die Ueberschuldung angeführt
werden, liegen im Kreise der aufgeworfenen und
vorher bezeichneten Fragen. Das ganze Programm
füllt in dem „Volk" 31/2 Spalten und enthält,
wie sich schon aus Vorstehendem ergibt, Alles was
irgendwie und irgendwo zur Umgestaltung des
Agrarrechts in Vorschlag gebracht ist. Eingeladen
zur Besprechung sind im Ganzen 32 Personen,
darunter sämmtliche Führer der Agrarier, die
Professoren Schnuller, Konrad, Wagner, Gering,
Brunner, Giehrke, Miaszkowski, Paascha, die Prä-
sidenten von Generalkommissionen, die Herren v.
Huene, v. Schorlemer-Alst, einige Landesdirektoren
und Bankdirektor Hecht-Mannheim.
— Der „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Nach
einer Mittheilung der österreichischen Re-
gierung an die deutsche wird erstere vom 25.
Mai ab den in Deutschland geschälten Reis,
welcher seit Anfang 1893 bei der Einfuhr nach
Oesterreich-Ungarn dem dortigen autonomen Zoll-
satz unterworfen war, wieder wie früher zum Ver-
tragszollsatz von 1 Gulden 50 Kreuzer per 100
Kg. zugelassen.
Karlsruhe, 16. Mai. Der Großherzog
und die Großherzogin sind heute Vormittag
8 Uhr 45 Min. von Baden-Baden hier eingetroffen.
Die Herrschaften benützten erstmals den neuen
Hofsalonwagen.
Hamburg, 15. Mai. Der „Hamb. Corr."
erfährt folgendes: Eine hiesige Firma, die mit
Spanien lebhafte Handelsbeziehungen unterhält,
wandte sich heute mit der Frage an den Reichskanzler,

Tas Gespenst der Marquise.
Roman von Heriniu Frankenstein.
41) (Fortsetzung.)
Nach kurzem Zuwarten stieß plötzlich die Ohn-
mächtige ein leises Aechzen aus.
„Bernice!" sagte Monk leise; „Bernice sprich
äu mir!"
, Die Genannte schlug die Augen aus und blickte
Zagend auf ihren Retter.
. „Ich bin es — Gilbert," sagte dieser. „Warum
Must Du so voll Furcht umher? Niemand kann
Air etwas thun, Bernice. Ich sand Dich dem
Ertrinken nahe und rettete Dein Leben heute Abend
öüin zweiten Male."
. Bernice wollte sprechen, doch Monk, welcher
mH, wie schwach sie war, verbot es ihr. Schnell
pachte er Feuer in dem Kamin, welches bald eine
behagliche Wärme in dem Raume verbreitete.
Von Monk unterstützt, erhob sich Bernice dann
b°m Sopha und versuchte langsam im Zimmer auf
^üd ah zu wandeln. Nach einigen Gängen setzte
sich indeß wieder auf das Sopha, bleich vor
schmerz.
-. »Ich habe mir gewiß den Arm verletzt, als
H vom Balkon fiel," sagte sie. „Er schmerzt
Mich recht sehr. Ist er gebrochen?"
Monk untersuchte den verletzten Arm mit
»rvßer Sorgfalt; derselbe war glücklicherweise nicht
gebrochen, hatte aber doch eine Quetschung durch
eu erlittenen Sturz in die Tiefe davongetragen.
- »Eine einfache Quetschung," sagte Monk, „aber
ne erfordert eine kühlende Behandlung. In einer

Woche wird Alles gut sein. Weißt Du, wo Du
bist, Bernice?"
„Ja, in dem Gartenhäuschen," antwortete
diese, sich zum ersten Male, seit sie zum Bewußt-
sein gekommen war, mit einigem Interesse um-
sehend.
Das Zimmer war groß und achteckig, die vier
Ecken in Ercker eingetheilt. Zwei Fenster gingen
aus den Teich hinaus, aber die Vorhänge und
Lüden waren darüber geschlossen. Der Fußboden
war prächtig mit Hellen und dunklen Parquetten
eingelegt. Vor dem Kamin lag eine Platte. Aus
der Mitte des Plafonds hing eine Ampel herab.
Ein niedriger, türkischer Divan lief an den vier
Wandseiten herum, derselbe war von kirschrother
Farbe, ebenso die Fauteuils und ein Sopha, die
um' einen Tisch geordnet standen.
Das wärmende Feuer ließ Bernice, die sich
wochenlang in den alten Dachkammern des Schlosses
verborgen gehalten und nach Licht und Wärme
gesehnt hatte, dieses Zimmer wie ein Paradies er-
scheinen. Sie streckte ihre abgez hrten Hände nach
den wärmenden Flammen aus.
„Ich glaubte, ich würde ertrinken," sagte sie
schaudernd. „O, Gilbert, warum ließest Du mich
nlcht sterben? Ich verlange nicht zu leben. Du
hast mem Leben zweimal gerettet, aber wozu?"
„Das wird sich seiner Zeit schon zeigen," ant-
wortete Gilbert Monk lächelnd. „Es macht mich
unendlich glücklich, zum zweiten Male das Werk-
zeug Deiner Lebensrettung gewesen zu sein. Die
Vorsehung hat mich zweimal zu Deiner Befrei-
ung geschickt und ich fange an zu glauben, daß
unsere Geschicke seltsam verknüpft find. Doch jetzt

sage mir, warst Du des Lebens für überdrüssig,
daß Du einen Selbstmordversuch machtest?"
Bernice schaute mit ungeheucheltem Erstaunen
zu ihm auf.
„Kannst Du das von mir glauben?" fragte
sie. „Ich wünschte mir wohl den Tod, aber ich
werde mir nie das Leben selbst nehmen, Gilbert
— niemals! Das wäre ebenso gut ein Mord,
als wenn ich Dich umbrächte."
„Wie fromm Du bist," sagte Monk sinnend,
„aber wenn Du Dich nicht selbst in's Wasser ge-
stürzt, wie kamst Du hinein?"
Bernice erröthete, als sie erwiderte:
„O Gilbert, sie wollte mich ermorden! Sie
erfaßte mich im Parke, schleppte mich auf den
Balkon des Gartenhüuschens und schleuderte mich
auf den Teich. Sie wollte mich tödten, obgleich
ich ihr nie etwas gethan habe."
„Sie — wer?"
„Die alte Ragen — Sylvia's Amme. Habe
ich ihren Namen nicht genannt?"
Monk erschrack. Er hatte in seiner Angst und
Aufregung bis jetzt seinen Zusammenstoß und die
Begegnung mit der alten Jndierin ganz vergessen.
„Wie?" rief er aus, „hast Du mit ihr ge-
rungen, Bernice? Versuchte sie, Dich zu er-
morden ?"
„Ja, ja!"
„Und sie erkannte Dich?"
„Ja, sie erkannte mich."
„Hielt sie Dich nicht für ein Gespenst?"
„Nein. Sie hat schon lange geargwohnt, daß
das Gespenst von Chetwynd-Park die lebende Lady

Chetwynd sei," antwortete Bernice. „Ich kann
nicht begreifen, wie sie dazu kam, die Wahrheit
zu ahnen, Gilbert Monk, aber eines Abends lauerte
sie hinter der Thüre von Sylvias Badezimmer.
Ich war in meinen alten Zimmern gewesen, um
einen Blick auf Rog zu werfen, und hatte mir
einen Shawl geholt und mich in denselben ein-
gehüllt. Als ich an der Thür von Sylvia's
Badezimmer vorbeikam, sprang die alte Ragen in
ihrer geräuschlosen, katzenartigen Weise auf mich
los und riß mir den Shawl von den Schultern.
Ich entfloh und sie behielt den Shawl als einen
Beweis, wie ich vermuthe, daß ich kein Gespenst,
sondern ein lebendes Wesen sei."
„Ich wußte immer, daß sie schlau ist wie der
Teufel," murmelte Monk, „sie ist die einzige
Person in der Welt, die ich fürchte. Und sie
hat das Geheimniß des Gespenstes errathen! O
Bernice, Du hättest in Mawr-Castle bleiben sollen,
denn Du hast Dich hier in große Gefahren ge-
stürzt. Wie kam sie heute Abend über Dich ?"
„Ich war es überdrüssig, in den kalten Dach-
kammern zu bleiben," sagte Bernice, „und sehnte
mich mit ganzer Seele nach frischer Lust,
nach Bewegung im Freien. Heute Abend
lockte mich der Mondschein, daß ich nicht wider-
stehen konnte. Ich Zog dieses weiße Kleid an,
raffte meine lange Schleppe zusammen, hing
meinen lange», schwärzen Mantel über und
schlich mich über die Thurmstiege hinaus. Als
ich im Parke eine Allee durchkreuzte, erblickte ich
Rog, meinen Gatten, und blieb wie festge-
bannt stehen. Er blieb auch stehen und als ich
floh, folgte er mir. Ich lief in einen schmalen
 
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