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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 141 - Nr. 150 (20. Juni - 30. Juni)
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Nummer 143. H Jahrgang.

Aeuev

Freitag. 22. Juni 1884


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für Heidelberg und Umgegend
(Würger-Zeitung).

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Der Verlag des „Neuen General-Anzeigers",
Hauptstraste 25.

Stimmen der Vernunft in Frankreich.
Seit 22 Jahren hat Frankreich die traurige
Initiative in den europäischen Rüstungen ergriffen,
und wenn heute die Völker des waffenstarrenden
Kontinents unter der schweren Last des bewaff-
neten Friedens beinahe zusammenbrechen, dann
trifft hierfür in erster Linie la Zrunäe imtion
die Verantwortung. Wer der Entwickelung der
einzelnen Armeen mit aufmerksamem Auge gefolgt
ist, bedarf für diese Behauptung keines weiteren
Beweises, aber auch oberflächliche Beobachter
dürsten sich noch erinnern, wie nach den erschüt-
ternden Katastrophen des Feldzuges 1870/71 ein
wahrer Revanchetaumel die ganze französische Na-
tion erfaßte, wie zuerst die allgemeine Wehrpflicht
mit Konzessionen, dann ohne dieselbe eingeführt
wurde; die mit 25 Jahren fixirte Dienstzeit von
10 Jahren in der ersten Linie und 15 Jahren
in der zweiten Linie auf 13 Jahre in erster und
12 Jahre in zweiter Linie verschoben wurde und
endlich durch vollkommene Durchführung der all-
gemeinen Wehrpflicht bis in ihre äußersten Konse-
quenzen, vereint mit der Schaffung des neuen
Cadregesetzes, die Stärke der französischen Armee
bis auf die enorme Zahl von beinahe vier Mil-
lionen Kriegern erhöht wurde.
Diese kolossalen Leistungen waren das Werk
der Gesammtheit. Die Bevölkerung sowie die De-

SM- Telephon-Anschlutz Nr. 1l>2. "WÄ

putirten, die Heeresverwaltung, sowie die Presse
wetteiserten mit einander an Hingebung, Opfer-
willigkeit und Schaffensfreudigkeit. Besonders die
Presse, die in Frankreich weit größeres Gewicht
als irgendwo besitzt, war unermüdlich thätig, zu
neuen Anstrengungen zu begeistern und mit regem
Spürsinn jeden schwachen Punkt in dem lebenden
oder tobten Kampfmaterial zu entdecken und aus
die sofortige Behebung der Mängel zu dringen.
Der eingestandene Zweck all dieser krampfhaften
Anstrengungen war vorerst, Deutschland an Zahl
der Streiter zu überflügeln und dann Revanche
zu nehmen sür Sedan. Je näher man diesem
Ziel rückte, desto lauter und triumphirender wurde
die Sprache an der Seine, und als nun Frey-
cinet niit dem neuen Kadregesetz hervortrat, um
dadurch mit einem Schlage die Zahl der Krieger
beinahe zu verdoppeln, da schien es wirklich, als
ob die Tage des Friedens gezählt wären. Ob-
wohl beinahe alle Friedensmächte durch die rapiden
Fortschritte der kriegerischen Rüstungen Frankreichs
wider Willen in ein rascheres Tempo gerathen
waren, erkannte man dennoch in Deutschland nach
diesem letzten Koup, daß halbe Maßregeln das
nahende Verhängniß nicht mehr aufhalten würden,
und so entschloß sich denn die deutsche Heeres-
leitung, dem eisernen Drucke Frankreichs nach-
gebend, die volle Wehrkraft des deutschen Volkes
auszunützen und durch Einführung der neuen
Militärvorlage Deutschlands Streiterzahl aus 4Ve
Millionen Mann zu erhöhen. Eine solche Frucht
ihrer Bemühungen hatten die Franzosen nicht er-
wartet, und jetzt, nachdem sich der erste Wuth-
ausbiuch über die getäuschten Hoffnungen gelegt
hat, beginnt das Gefühl der Ohnmacht langsam
zu wirken, und gerade die Presse ist es, welche
dieser Stimmung, wenn auch vor der Hand nur
sporadisch, Ausdruck verleiht.
Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, ge-
winnen die Aeußerungen eines hohen französischen
Generals (Gallifet) hohe Beachtung. „Wenn der
Krieg heute ausbrechen würde, sagt der hohe
Militär, dann müßte uns dasjenige mehr beun-
ruhigen, was hinter uns geschehen würde, als wir
vor uns zu erwarten hätten. In Deutschland ist
das ganz anders. Dort herrscht noch eine mili-
tärische Zucht, man beugt sich dort auch in
Friedenszeit vor dem Militär. In Deutschland
hat man noch ein nationales Heer, in Frankreich
ist cs eine Utopie."
Wohl wäre es verfehlt, nach diesen pessimisti-
schen Anschauungen ein abschließendes Urtheil über
die französischen Wehrverhältnisse fällen zu wolle»,
aber immerhin zeugt es von der moralischen
Depression, die in den denkenden Köpfen hervor-
gerufen wurde durch die Ueberzeugung, daß Frank-

reich seinen letzten Soldaten und seinen letzten
Heller auf dem Altar des Vaterlandes vergeblich
geopfert hat, ohne im Stande zu sein, seinen Feind
an Zahl und Ausrüstung zu übertreffen.
Im Gegentheil! Der gefürchtete Gegner er-
weist sich als so stark, daß selbst die um den Preis
der Selbstachtung errungene Waffenbrüderschaft
mit Rußland den französischen Heerführern nicht
mehr stark genug erscheint, um mit der Aussicht auf
Erfolg ins Feld rücken zu können. Und diese
Anschauung hegt ein Mann, dessen persönlicher
Mnth, dessen Vaterlandsliebe und soldatischer Sinn
über allen Zweifel erhaben sind. Möchte diese
Ansicht doch Gemeingut aller Franzosen werden,
die es gut meinen mit ihrem Vaterlande. „Oo
g's8t g»6 Io prswisr pao, gui oouto," sagt ein
altes französisches Sprüchwort, und wenn es sich
in diesem Falle bewahrheitet, dann ist die Zeit
nicht mehr fern, in welcher die strahlende Morgen-
röthe einer besseren Zukunft aufgehen wird über
die schwergeprüften Völker Europas.
Deutsches Reich.
Berli», 21. Juni.
— Auf die Petition des deutschen Bundes
für Bodenbesitzreform hat Justizminister von Schelling
betreffs des Schutzes der Bauhandwerker ein Ant-
wortschreiben eingesandt, worin der Justizminister
von den großen Städten der Monarchie eine Stati-
stik verlangt, aus der die Verluste der Lieferanten
und Bauhandwerker in den letzten Jahren ersichtlich sind.
— Ueber das belgisch-englische Ab-
kommen schreiben die Politischen Nachrichten offiziös
es sei anzunehmen, daß die deutscherseits eingeleitete
diplomatische Aktion ihren Zweck durchaus erreiche.
Der bisherige Zustand in den Grenzgebieten zwischen
Deutschostafrika und dem Kongostaat würde demnach
unverändert bleiben. — Wie man dem Courier aus
Petersburg meldet, war das Leben des Zaren wieder be-
droht. Der Zar fand auf seinem Arbeitstisch unter einer
Anzahl zu unterzeichnender Schriftstücks ein Todes-
urtheil „Gegen den Zaren aller Russen" und wenige
Tage nachher in einem Schlafzimmer einen Schädel,
dessen Stirnknochen die Inschrift trugen: Ale-
xander! Die kaiserlichen Paläste und Gärten
werden genau besichtigt, um festzustellen, ob sich
darin nicht gebeime unterirdische Gänge befinden.
— Die Kommission für Ar b ei t e rst a ti sti k
wird, wie der „Reichsanz." schreibt, am 23. d-
M. wieder zu einer Sitzung zusammentreten. Die
Berathungen werden sich hauptsächlich auf die Er-
hebungen über die Arbeitszeit rc. in Bäckereien und
Konditoreien, im Handelsgewerbe und in Getreide-
mühlen erstrecken. Bei der Erhebung betr. die
Bäckereien und Konditoreien handelt es sich noch

um Abgabe des an den Reichskanzler zu erstatten
den Schlußgutachtens. Für den Fall, daß die
Kommission sich dafür entscheidet, eine Regelung
der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien —
auf dem Wege eines Bundesrathsbeschlusses oder
eines besonderen Gesetzes — zu empfehlen, sind
zur Vorbereitung der nächsten Sitzung zwei Ent-
würfe für die Vorschläge über die Art der Regelung
ausgearbeitet worden. Während nach dem einen
Entwurf eine Marimalarbeitszeit für die Woche
festgesetzt werden soll, legt der andere Entwurf die
tägliche Arbeitsschicht der Regelung zu Grunde.
Für die Arbeitszeit, Kündigungsfristen und Lehr-
lingsverhältnisse im Handelsgewerbe sind im An-
schluß an die im Herbst 1892 veranstaltete Frage-
bogen-Erhebung zahlreiche Gutachten kaufmännischer
Verbände und Vereine eingefordert worden, deren
Bearbeitung vor wenigen Wochen der Kommission
vorgelezt worden ist. Bei der bevorstehenden Be-
rathung über die das Handelsgewerbe und die Ge-
treidemühlen betreffenden Erhebungen wird es sich
im wesentlichen um eine Erörterung der Frage
handeln, in welcher Weise die in Aussicht ge-
nommenen weiteren Ermittelungen zu erfolgen haben
werden. Schon bei dieser Erörterung wird die
Kommission einige Angehörige des Handelsgewerbes
und des Müllerberufs zuzieben, während die Ver-
nehmung einer größeren Zahl von Auskunftspsr-
sonen zur erschöpfenden Klarstellung der tbatsäch-
lichen Verhältnisse späteren Sitzungen Vorbehalten
bleibt.
Karlsruhe, 19. Juni. Der Bericht des Prä-
sidenten des Verwaltungsgerichtshof, Dr. Wielandt,
über den Nachtrag zur Gehaltsordnung
für die Erste Kammer tritt den Anträgen
der Zweiten Kammer bei. Die Kommission will
es vermeiden, den Gesetzentwurf zu verzögern oder
zu gefährden. Sie nimmt daher von der Stellung
besonderer Anträge auch da Umgang, wo die Be-
schlüsse der Zweiten Kammer ibren Beifall nicht
finden. Dahin gehört insbesondere auch die Strei-
chung der Ministerialgehälter für die Vorstände
der Verwaltungsämter in den vier größten Städten
des Landes. Die Gehaltsordnung wird wahrscheinlich
noch am Schluß dieser Woche in der Ersten Kammer
zur Beratung und Beschlußfassung gelangen.
Ausland.
Paris, 21. Juni. Zufolge Nachrichten aus
Curitiba (Brasilien) erschossendie Regierungs-
truppen im Staate Rio Grande do Sul die zwischen
Lorema und Rio Grande gefangen genommenen
Aufständischen. Der Jnsurgenten-General Seraiva
bereite einen Angriff vor.
Rom, 21. Juni. Die Kammer lebnte mit
190 gegen 127 Stimmen den Antrag der Agrarier,
den Getreidezoll auf 8 Frcs. zu erhöhen, ab, nahm

K e s ü k n 1.
Roman von H. von Gabaiu.
1) (Nachdruck verboten.)
Es war eine mächtig ergreifende Ovation, die
am 2. Mai 18 . . . dem Reichsgrafen Alcrander
Hawar-Nlestein von seinen Untergebenen darge-
bracht wurde. Aus allen Theilen der Graf-
schaft waren sie herbeigeeilt. Kanonenschüsse hatten
die frohe Botschaft über die Berge getragen; von
Ort zu Ort war sie geflogen, bis jeder sie wußte
und alle sich aufmachten, um in allernächsten Nähe
zu hören, ob keine Täuschung vorliege, ob wirklich
dem Herrn der langersehnte Sohn geboren worden.
Nun standen die Getreuen zusammengepfercht auf
dem Schloßhof, schauten verlangend nach den hoch-
gewölbten Schloßfenstern und brachten in donnern-
den Hochrufen dem Reichsgrafen ihre lauten Glück-
wünsche dar. Zu wiederholten Malen war freilich
schon der alte Schloßwart unter sie getreten, um
durch begütigende Worte die aufgeregten Gemüther
zu beruhigen und ihnen klar zu machen, daß der Graf
absolute Stille wünsche, so wie auch, daß Seine
gräfliche Gnaden den treuen Unterthemen herzlich
danken lasse für die Theilnahme, die sie an der
Geburt des so lange ersehnten Erben auf Schloß
Ulestein nähmen. Jndeß hatte dieses Beruhigungs-
mittel nur zur Folge, daß immer dringlicher die
Hochrufe erschallten. So blieb dem Grafen, einem
Manne im Anfang der Vierziger, der jedoch in
seinem schwarzen Bart und mit seinem strahlenden,
blauen Auge viel jünger aussah, wohl oder übel
nichts Anderes übrig, als in eigener Person auf
dem Balkon zu erscheinen.

Eine Weile stand er ruhig, ein wenig das
Haupt nach allen Seiten neigend, dann hob er
wie gebietend die weiße, aristokratische Hand und
der stumme Wink wurde schneller wie der lauteste
Befehl befolgt. Absolutes Schweigen trat ein.
„Habt Dank für das lebhafte Interesse, das
Ihr meinem Hause in so begeisterter Weise dar-
bringt," sprach der Graf laut und vernehmlich.
„Es ist mir ein Beweis, wie Euch echte Treue an
mich bindet, und das erfüllt mein Herz mit Freude.
Ucbertra t tie Liebe und Verehrung späterbin auch
auf meinen Sohn, der gleich mir, so hoffe ich be-
stimmt, einst mit Milde und Gerechtigkeit seinen
Getreuen begegnen wird. Nun geht mit Gott,
liebe Leute," fügte er leutselig hinzu, „trinkt im
„Grünen Becher" ein Glas auf das Wohl des
jungen Grafen!"
Diesen Worten folgte ein abermaliges Hoch und
erst, als der Reichsgraf in den Saal zurücktrat,
legte sich der Freudentaumel. Die Volksmenge zer-
streute sich langsam.
Die Leute wußten aus Erfahrung, daß Seine
gräfliche Gnaden bei derartigen Gelegenheiten nicht
kargte und fanden diese Annahme auch im höchsten
Grade bestätigt, denn am Fuß des Berges, auf
dem Schloß Ulestein gleich einer stolzen Wartburg
lag, fanden sie im Dorf das wohlbekannte Gast-
haus zu ihrem Empfang bereit. Becherklang und
lautes Stimmengewirr schallte bis spät in die Nacht
hinein aus dem „Grünen Becher", man feierte ja
die Geburt des zukünftigen Gebieters, des Reichs-
grafen Hawar Ulestein! —
Acht Wochen später wurde der Sohn des Grafen

auf den Namen Hans Ullrich getauft. Aller Pomp,
der bei der Taufe eines so vornehmen Kindes er-
wartet werden durfte, wurde entfaltet. Der 'Vater
strahlte während des ganzen Festes vor Freude, die
Mutter aber, eine überzarte, vornehme Erscheinung,
war von bangen Ahnungen erfüllt. Fühlte sie
doch, daß sie in nicht zu langer Zeit vom All-
mächtigen abgerufen werden würde, und sie bat
Gott im Stillen, daß er ihrem Sohne einst den
Verlust der Mutter so wenig wie möglich fühlbar
machen möge, und daß dieser so heiß ersehnte Sohn
auch ohne die leitende Mutterhand dem Wablspruch
seines Stammes „Gerecht — selbstlos treu und
fromm" stets Ehre machen möge.
Einige Monate waren vergangen. Der junge
Graf gedieh prächtig zur Freude seiner Eltern
und seines Spielgefährten. Der Letztere war
der Sohn eines gewissen Lendang. Derselbe
war einst der Sekretär des jetzt regierenden
Grafen Alexander gewesen. Nach seiner Verhei-
ratung war Lendang aus dessen Dienste getreten,
um, wie er meinte, seinen Kohl für Weib und
Kind selbst zu bauen. Schon nach einem
Jahr starb bei der Geburt eines Knaben die
junge Gattin und nun lebte Lendang mit seiner
älteren Schwester Matbüde und dem kleinen Georg
in stiller Zurückgezogenheit auf dem Pachtgute.
Durch eine weitläufige Verwandtschaft seiner ver-
storbenen Frau mit der Wärterin des jungen Grafen
Hans Ullrich erhielt oftmals Georg, der nun sein
viertes Jahr zurückgelegt hatte, Zutritt in's Schloß.
Solche Stunden waren für den Knaben der In-
begriff alles Schönen. So vergingen mehrere Jahre
und im Laufe der Zeit wurde der Sohn des Sekre-

tärs Lendang der unentbehrliche Spielkamerad des
vornehmen Knaben.
Es war kein Geheimniß mehr, daß Graf Ale-
xander sich allen Ernstes mit dem Gedanken trug,
den Sohn seines einstigen Sekretärs mit seinem
eigenen Knaben erziehen lassen.
Eines Tages hatte der Reichsgraf den Pächter
auf das Schloß bescheiden lassen. Mit Bangen
hatte dieser die Aufforderung kommen sehen, denn
er wußte bestimmt, um was es sich handeln würde.
Kurz entschlossen ging der Graf auf sein Ziel los,
weil er jede Gegenrede für ausgeschlossen hielt.
Der Reichsgraf urtheilte von seinem Standpunkt
aus ; der Pächter Lcndang hingegen hatte freilich seiner
Ansicht nach eine andere echt bürgerliche Meinung.
„Was wollen Sie, Lendang," sagte der Graf, nach-
dem er sich vergebens bemüht hatte, diesem klar
zu legen, daß eine Trennung zwischen Hans Ullrich
und Georg undenkbar sei. „Lassen Sie endlich
alle Skrupel bei Seite und geben Sie uns Ihren
Jungen ;Zhnen soll das volle Vaterrecht erhalten bleiben.
Georg wohnt im Schloß empfängt denselben Unter-
richt wie mein Sohn, kurzum, er soll wie das eigene
Kind gebalten werden, dafür bürgt Jbnen, deuchte
mir, schon allein die sanfte, nur zur Redlichkeit
neigende Natur der Gräfin. Na und was mich betrifft,
so sag' ich es ganz offen: mich treibt ein Theil
Egiosmus dazu, Georgs Uebersiedelung zu be-
schleunige.n Hans Ullrichs Charakter macht mir
schon jetzt Sorge; er ist ein Ausbund von Heftig-
keit, der kleine Schlingel. Ich meine nämlich, die
so grundverschiedenen Naturen unserer Kinder werden
sich durch stetes Zusammensein ergänzen und das
kann für Hans Ullrich nur von Nutzen sein. Die
 
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