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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 141 - Nr. 150 (20. Juni - 30. Juni)
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Ausland.
Paris, 25. Juni. Rach einer Meldung des
„Paris" aus Lyon soll dort ein Mann verhaftet
worden sein, der kurz nach dem Attentat erklärte,
daß er sich nicht darüber wundere, da er Tags
zuvor von einem Friseurgehülfen gehört habe, daß
Carnot erdolcht werden würde. Das Individuum
konnte keine genauen Auskünfte über den Friseur-
gebilfen ertheilen und wurde deßhalb festgenommeu.
Die Polizei glaubt, das Attentat sei das Werk
eines Komplotts, da die Stadt Vienne im Depar-
tement Jsere, wo Caesaria eine zeitlang lebte, als
anarchistisches Zentrum bekannt ist.
Rom, 25. Juni. Die Depesche des Königs
an Dupuy lautet: „Die verabscheuungswürdige
That, die Frankreich seines Staatsoberhauptes beraubte
deren Person allgemeine Achtung und Sympathie
genoß, hat mich in den innersten Gefühlen meines
Herzens getroffen. Der Tag, der bisher dem Gedäch-
niß gemeinsamen Ruhmes beider Nationen gewidmet
war, vereinigt sie heute in gemeinsamer Trauer."
An die Wittwe Carno t's telegraphirte der
König: „Der Streich, der Ihren Gemahl getroffen
erfüllte gleichzeitig mein Herz und das Herz der
Königin mit tiefem Schmerze. Italien ist nicht
minder wie Frankreich durch das verüble Verbrechen
verwundet und schließt sich ganz und gar Jbrer
Trauer an. Ich bin niemals so sicher gewesen,
als beute, seine wirklichen Gefühle zu verdolmetschen."
Rom, 25. Juni. In der heutigen Vormittags-
Sitzung der Kammer nahm Crispi, während
der Präsident, all- Minister und Deputirten sich
von den Sitzen erhoben, mit tiefbewegter Stimme
das Wort zu folgender Mittheilung: „Der Tele-
graph überbrachte die traurige Nachricht von dem
verabscheuungswerthen Morde, der an dem Präsi-
denten der französischen Republik begangen worden
ist. Sadi Car not, dessen Voreltern in ruhm-
voller Weise dem Vaterland dienten, der recht-
schaffene Mann, der keine Feinde haben konnte,
keinen Haß zu erwecken vermochte, fiel unter dem
Dolche eines Mörders, der zu unserem großen
Schmerze in Italien geboren ist. Allein uns
tröstet der Gedanke, daß die Anarchisten kein Vater-
land besitzen, daß, gleichwie sie das Vaterland ver-
leugnen, sie auch vom Vaterland verleugnet werden.
(Sehr gut!) Die Kammer, die die Nation ver-
tritt und in lebhaftester Weise die Bande der Zu-
neigung und Freundschaft gegen die Nachbarnation
fühlt, wird sich der allgemeinen Trauer über den
bitteren Verlust anschließen, von dem Frankreich
betroffen ist. Crispi theilte dann unter lebhafter
Zustimmung mit, daß der König und die Re-
gierung der unglücklichen Wittwe und d.r fran-
zösischen Regierung das Beileid Italiens telegra-
phisch ausdrücken und fordert die Kammer auf,
ihr Beileid durch Vermittlung des Präsidenten aus-
sprechen zu lassen. Er beantragt alsdann, die
Sitzung aufzuheben. Der Präsident hielt hierauf
eine Rede, in der er dem lebhaften Schmerze über
den Trauerfall Ausdruck gibt, von dem Frankreich
betroffen ist. (Zustimmung.) Er zollt dem An-
denken Carnot's hohes Lob, der die Mission er-
füllte, die Völker zu versöhnen und speziell zwischen
Italien und der Nation, deren Oberhaupt er war,
das Band der Eintracht und Zuneigung zu knüpfen.
(Zustimmung.) Er beantragte, die Kammer möge,
um ihre Trauer zu manifeststen, die gegenwärtige
und die Sitzung am Nachmittag suspendiren,
während der laufenden Session Trauer anlegen
und ihren Präsidenten damit betrauen, sich zum
Dolmetsch ihrer Gefühle des Schmerzes und Bei-
leids bei dem Chef der französischen Nationalver-
tretung zu machen. Diese Vorschläge werden ein-
müthig gebilligt und die Sitzung dann aufgehoben.
Nach der Sitzung begaben sich sämmtliche Minister,
Deputirte und Senatoren auf die französische Bot-
schaft, um ihrs Namen in die aufliegenden Listen
einzutragen. Die gesammte Elite der römischen
Bevölkerung folgte diesem Beispiele. Die Börsen
von Mailand, Florenz, Turin und Rom bleiben
heute zum Zeichen der Trauer geschlossen.

Mailand, 25. Juni. Caesaerio, 1873
in der Provinz Mailand geboren, war der Lieb-
ling seiner Mutter, die seit 7 Jahren Wittwe ist.
Ein Bruder besitzt hier zwei Weinwirthschaften,
ein anderer ist Koch in Turin. Die Familie
Caesaeria ist eins anständige und geachtete, sie
hatte alle Beziehungen mit Santo abgebrochen
wegen seiner anarchistischen Ideen.
Badischer Landtag
Karlsruhe, 26. Juni. Erste Kammer.
Von den kirchenpolitischen Anträgen stand nur die
Aufhebung des Missionsverbvts noch in Frage,
da die beiden anderen Anträge schon in der
Zweiten Kammer abgelehnt waren. Der Bericht-
erstatter, Präsident Wielandt, legte in völlig fach-
sicher Weise den geschichtlichen Hergang dar und
sprach sich persönlich sür die Aushebung des Ver-
botes aus, da kein hervorragendes Interesse des
Staates sür dessen Beibehaltung spreche. Alles
Konfessionelle wurde völlig ans dem Spiele ge-
lassen. Es sprachen sodann in gleichem Sinne
Staatsminister Dr. Nokk, der auf die Vorlage
von 1887 himvies, Präsident Kamm, der die
Versöhnung in Aussicht stellte und die Friedens-
stellung des Fürsten betonte, Frhr. Franz v.
Bodman, der den Landtag mit einem „Ende gut,
alles gut" und mit einer Verwilligung an die
Wünsche der Curie und des katholischen Volkes
schließen wollte, endlich der Fürst von Löwenstein,
kathol. Linie, der seit Jahren ein begeisterter Ver-
fechter jeder kathol. Sache und der Meinung ist,
daß nichts der Kirche ferner liegt, als in konfessio-
nellen Dingen ein Wässerchen zu trüben. Etwas
anderer Meinung ist Geh. Hofrath Meyer, der
den innigen Zusammenhang zwischen den ver-
schiedenen Forderungen des Zentrums hervorhebt
und von Konfessionen nichts erhofft; Prälat Dr.
Doll, der u. a. auf die milderen, im Volke wur-
zelnden Anschauungen der einheimischen Geistlich-
keit und Hofrath Dr. Rümclin, der wenigstens
die Form einer Abmachung in dem Sinne wünscht,
daß der Staat nach seinem Zugeständniß vor
weiteren Forderungen gesichert wäre. Etwas
lächelnd hält der Minister die Zeit dafür nicht
günstig. Von heftigen gegenseitigen Ausfällen
fehlte in der Verhandlung jede Spur. Die Schluß-
abstimmung brachte 11 Stimmen zugunsten der
Aufhebung des Missionsverbots, 8 gegen dieselbe.
Mit Nein stimmten: Prinz Karl von Baden,
Prälat Dr. Doll, die Freiherren General Röder
v. Diersburg, E. A. v. Göler und v. Räcknitz,
Geh. Hofrath Dr. Meyer, Hofrath Rümelin und
Geh. Kommerzienrath Krafft. Morgen findet in
beiden Kammern die letzte Sitzung statt.
Karlsruhe, 25. Juni.
In der heutigen 103. Sitzung dec Zweiten
Kammer wurde über die Petition des badischen
Rathschreiberverckns, die Versorgung und Hinter
bliebenenversorgung der Rathschreiber betr. und die
Petition badischer Gemeindebeamter um gesetzliche
Regelung der Pensionirung und Hinterbliebenen-
versorgung, wie bereits kurz mitgetheilt, verhandelt.
Die Regierung hatte in das Budget des Mini-
steriums des Innern 30 000 Mark eingestellt für
Beiträge zu der Lebensversicherung der Rathschreiber
und zwar sollte mit der Allgemeinen Versorgungs-
anstalt zu Karlsruhe ein Uebereinkommen getroffen
werden, welches für die von Gemeinden abge-
schlossenen Versicherungsverträge zu Gunsten von
Gemeindelediensteten erleichternde Bedingungen
sichert. Es sollten dabei den Gemeinden, die die
Prämien für die Versicherung von Rathschreibern
endziltig auf die Gemeindekassen übernehmen,
Beiträge aus der Staatskasse bis zum Betrag von
jährlich 30 000 Mark geleistet werden. Die ein
gelaufenen Petitionen streben dem gegenüber eine
wesentlich andere Art der Fürsorge an und zwar
eine Pensionskasse mit Rente. Der Antrag der
Kommission geht auf Ueberweisung der Petition zur
Kenntnißnahme. Die Minderheit der Kommission
gelangt zu dem Antrag, die Regierung zu ersuchen,

dem nächsten Landtag einen G.setzsntwurf vorzu-
legen, wonach zum Zwecke der Nuhegehaltsgewäh-
rung und Hinterbliebenenversorgung für Rath-
schreiber und ähnliche Gemeindebeamte ein Ver-
sicherungsverband gebildet werde, dem die Rath-
schreiber beizutreten verpflichtet sind. Die
30 000 Mark seien für die zu deren Gunsten ein-
zuführende Versorgungsart zu reserviren.
Seitens der Äbgg. Wilckens, Muser und
Genossen ist der Minderheitsantrag wieder ausge-
nommen worden.
Abg. Wilckens (nat.-lib.) möchte nach der
ausführlichen Begründung des Minderheitsantrags
durch den Berichterstatter nur darauf Hinweisen,
daß unsere Rathschreiber einen sehr verantwortlichen
Beruf haben, ihre Bezahlung aber nicht so ist, daß
sie für die Tage des Alters etwas zurücklegen
können. Hier müsse eine gewisse Fürsorge Platz
greifen, um so eher, als man in der letzten --eit
viel für die Staatsbeamten gethan habe. Der
Zwang sei ganz unbedenklich, da fast alle Bethei-
ligten ihn wollen und dieser Zwang im Interesse
der Betheiligten selbst liege. Der Zwang müsse
sich auch auf die Gemeinden als Arbeitgeberinnen
ausdehnen- Die finanzielle Belastung werde nach
dem vorliegenden Material keine erhebliche sein.
Was den Beitrag des Staats betreffe, so seien auf
dem letzten Landtage fast alle Parteien der Mein
ung gewesen, daß eine gewisse Vergütung sich durch
die vielen staatlichen Verrichtungen der Rathschreiber
rechtfertige. Hug gegenüber bemerkt der Redner,
daß der Zweck der im Budget angesetzten 30 000
Mark nicht geändert worden sei. Nur die Moda-
lität dieses Zwecks sei geändert. Es sei unrichtig,
daß der Staat die Verwaltung der Kasse über-
nehmen müßte. Im Reich sei auch auf viele
Personen ein Versicherungszwang ausgeübt worden,
ohne daß der Staat die Kassen verwalte. (Abg.
Hug: Aufsicht!) Eine gewisse Aufsicht sei wün-
schenswert!) und hätten dagegen die Betheiligten
selbst gewiß nichts einzuwenden. Was ein etwaiges
Defizit betreffe, so sei es ebenfalls falsch, daß hier
der Staat eintreten müßte. Der letztere gebe einen
festen Beitrag. Ein Defizit müßte auf alle Ge-
meinden umgelegt werden. Weiter bemerkt Redner
dem Abg. Hug, daß es der Minderheit durchaus
nicht einfalle, die württemb. Bestimmungen ohne
Weiteres auf Baden zu übertragen. Die etatrecht-
lichen Bedenken Hug's theilt Redner ebenfalls
nicht. Man wolle nur, daß, wenn der Verstcher-
ungsverband zu Stande kommt, das Geld für
den Staatsbeitrag vorhanden ist. Kommt er nicht
zu Stande, so falle die Summe weg. Redner
schließt, daß dieser Landtag, auf d°m unter Zu-
stimmung aller Parteien so viel für die Staats-
beamten, besonders die unteren, geschehen sei, nicht
zu Ende gehen dürfe, ohne daß die berechtigten
Wünsche der Gemeindebeamten der Erfüllung näher
geführt werden.
Minister Eisenlohr erklärt sich mit dem
Minoritäts-Antrag einverstanden; wenn die Regie-
rung früher eine andere Stellung eingenommen,
so sei das lediglich auf die Wünsche des letzten
Landtags wie auf die der Rathschreiber selbst
zurückzufübren.
Abg. Muser kommt zu folgendem Resultat.
Er befürwortet: Eine eigene — also keine staat-
liche Landeskasse — dem württembergischen Gesetz,
die Penstonsrechte betr. nachgebildete, auf der Grund-
lage korporativer Selbsthilfe aufgebaute, mit selbst-
ständiger Rechtspersönlichkeit ausgestattete und in
Selbstverwaltung befindliche Versicherungsanstalt.
Versicherungszwang für bestimmte gesetzlich zu
firirende Kategorien von Gemeindebeamten (Rath-
schreiber rc., die auf die Versetzung eines Berufs-
amtes ihren Lebensunterhalt gründen, so weit sie
ein Diensteinkommen über 500 Mk. jährlich be-
ziehen) und Beitrittsrecht für die übrigen. Grund-
sätzliche Verpflichtung der Korporationsmitglieder zur
Aufbringung der nothwsndigen Mittel durch
Entrichtung eines bestimmten Procentsatzes der
pensionsberechtigten Bezüge beziehungsweise des
Ruhegehalts. Soweit die Jahresbeiträge der Mit

Rettungsanker und setzte den Schmuck in Geld um
und verließ Petersburg, um sich im Auslande, wo
Niemand ihre Vergangenheit kannte, voll Groll
und Bitterkeit im Herzen, einen neuen Wohnort
zu wählen. So führte sie das Schicksal auf Um-
wegen nach Z.
Trotz ihres Namens bielt es unendlich schwer,
sich dort in der ersten Gesellschaft Zutritt zu ver-
schaffen. Frau v. Andrinowitsch mußte manch'
bittere Erfahrung machen. Sie fühlte sich zurück-
gesetzt, weil ihre Verhältnisse kein Heroortreten ge-
statteten und verbittert zog sie sich zurück, ihre letzte
Hoffnung auf die schöne Tochter setzend, die durch
den Schulbesuch in nähere Berührung mit jungen
Mädchen ihres Standes kam und durch ihr an-
muthiges, sich stets gleich bleibendes gefälliges Ent-
gegenkommen sich der größten Beliebtheit erfreute.
(Fortsetzung folgt.)

Kleines JeuMeton.
* Drei Aufsätzchen meines Dümmsten. Ein
Lehrer in Sachsen veröffentlicht unter diesem Titel
in den „Neuen Monatsheften für Lehrerfortbildung
und Reformpflege" drei Stilübungen aus der Volks-
schule, welche wörtlich lauten: 1. Lebenslauf:
„Mein Vater heißt Wilhelm und meine Mutter
Krötchen. Mein Vater ist ein Taglöhner und mein
ältester Bruder ein Backsteinmöger. Meinem Vater
sein Bruder lebt noch und ist mein Unkel. Ich
hatte eine Schwester, die ist an einer Krankheit ge-
storben, die hieß Marie. Es ist mir auch ein Bub
gestorben, der hieß Heinrich. Wie ich klein war,
habe ich zwei Erdstöße erlebt und seit vier Jahren

glieder zur Erfüllung der dem Kassenverband ob-
liegenden Leistungen (einschließlich der Verwaltungs-
kosten und zur Beschaffung des Betriebsfonds) nicht
ausreichen, ist der Fehlbetrag in erster Reihe durch
einen ständigen staatlichen Zuschuß von jährlich
30 000 Mk. wie ein solcher im Voranschlag für
1894 und 1895 vorgesehen ist, zu decken. Soweit
der Fehlbetrag hierdurch nicht ru beschaffen ist, soll'
er durch Umlage auf diejenigen Gemeinden gedeckt
werden, in deren Dienst die Kassenmitglieder stehen,
nach Maßgabe des Betrags der jeweiligen pensions-
berechtigten Bezüge des letzteren.
Abg. Kögler tritt gleichfalls für den Minoritäts-
antrag ein, deßgleichen die Abgg. Drees bach
(Soz.), Fieser (natl.) und Wilckens.
Der Antrag Wilckens wird nach längerer De-
batte angenommen.
Karlsruhe, 26. Juni.
Präsident Gönner theilt mit, daß nach der
feierlichen Schließung der Kammern am nächsten
Donnerstag zunächst Empfang der Mitglieder der
beiden Häuser des Landtags im Refidenzschlosse
und sodann um 12^ Uhr ein Morgenimbiß
stattfindet.
Es erfolgt sodann zunächst die Berichterstattung
des Abg. Straub über die Beiträge zu der
Lebensversicherung der Rathschreiber, ein Gegen-
stand, der durch verschiedene Bittgesuche und durch
mannigfache Anschauungen über die beste Art der
Durchführung ein ziemlich verwickelter geworden
ist. Die eingehenden Ausführungen des gewissen-
haften Berichterstatters begegnen einer gewissen
Unaufmerksamkeit, zu welcher wohl einiges die
Nähe des Landtagsschlusses beiträgt, weit mehr
aber die Nachricht von der Ermordung Carnot,
welche vom rein menschlichen Gesichtspunkte einen
erschütternden Eindruck macht, aber auch politisch
möglicherweise den Horizont von sehr dunklen
Wolken umzogen erscheinen läßt. Die Anträge
der Commission sind bereits mitgetheilt; die Mehr-
heit will Streichung des im Budget angeforderten
Betrages, weil die Sache noch nicht genügend ge-
klärt sei, die Minderheit — Ausarbeitung eines
Versicherungsstatuts zur Herstellung eines Ver-
sicherungsverbands zum Zweck der Gewährung von
Ruhegehältern und von Hiuterbliebenenveriorgung
an die Rathschreiber und auch an sonstige Gc-
meindebeamte. Eine Abänderung der Gemeinde-
ordnung soll hierbei vermieden werden. Jener
Betrag von 30 000 Mk. wäre als Zuschuß vor-
zubehalten. Dieser Minderheitsantrag wird von
Abgeordneten verschiedener Parteien in der Sitzung
wieder ausgenommen.
Minister Eisenlohr freut sich, daß die
Kammer den Grundsatz der Zwangsverpflichtung
anerkennen will; man wird damit ein weit besseres
Ergebniß erzielen. Die Regierung ist bereit, auf
dieser Grundlage eine Vorlage vorzubereiten und
dabei einen einmaligen Zuschuß, sowie fortdauernde
Beiträge in einem noch festzusetzenden Betrage zu
gewähren.
Die heute Nachmittag 5 Uhr begonnene Be-
rathung der freisinnigen Anträge zur Gemeinde-
ordnung wurde gegen 7^2 Uhr abgebrochen. Ein
liberaler Antrag Fieser und Genossen bezweckt die
unmittelbare Wahl des.Gemeinderaths und des
Bürgermeisters über die Gemeinden von 500 Ein-
wohnern hinaus bis auf jene von 1000 Ein-
wohnern auszudehnen, da man weiß, daß das
Gesetz von 1890 namentlich da Unzufriedenheit
erzeugt hat, wo man die nicht ansässigen Elemente
wenig kennt.
Der Abg. Straub, Oberamtmann in Bruch-
sal, wäre sogar geneigt, bis zu Gemeinden von
1500 Einwohnern hinaufzugehen, wovon dann
86 Prozent aller unserer 1572 Gemeinden, ab-
gesehen von den 9 Städten der Städteordnung,
erfaßt würden. Die Absicht dieser Anträge geht
dahin, dem Ministerium eine sichere Grundlage
für das Gelingen einer künftigen Vorlage zu bieten.
Zu letzterer erklärt sich Minister Eisenlohr
bereit, wenn sie auf ein Entgegenkommen rechnen
kann und sich dabei in denjenigen Grenzen halten
gehe ich in die Schule." — 2. Unser Wohn-
zimmer: „Unser Wohnzimmer ist oben hinauf.
Eß ist zwölf Schritt lang, acht Schrick breit und
fünf Schritt hoch, Es ist getapeziert. An den
Wänden henken das Lutherdenkmal, drei Pfeifen^
und Kaiser Friedrich und ein Kanalzenvogel. Unser
Wohnzimmer hat eine Thür und drei Fenster, zwei
auf die Gaß, eins hinten naus. In unserm
Wohnzimmer wird gegessen, getrunken, geschlafen
und gearbeitet." — 3. Meine Pfing st ferien:
„Ich war einmal im Wald. Ich war einmal in
der Kihrche. Ich war einmal im Golzheimer Häuschen
Ich war einmal in Oranjenstein. Ich war einmal
in Diez. Ich war einmal in Lümmburg. Ich
war einmal beim Metzger und beim Schuster. Ich
war einmal beim Becker. Ich bab viel Spaß ge-
habt. Jetzt ist's forrbei!"
* Günstiges Syurpton. „Wie stehst Du denn
eigentlich mit Deinem Vetter, dem Referendar?"
„O, wir sind guusi miteinander verlobt; heute
hat er meiner Mama schon gestanden, daß ihm
das Essen in den Restaurants nicht mehr schmeckt!"
* Malitiös. A.: „Nun, wie findest Du meine
neueste Komposition?" B: „Nicht sehr originell!"
A: „Ja, weißt Du, es ist nur eine Gelegen-
heitskomposttion!" B: „Und Gelegenheit macht
Diebe!"
* Aus dem Gerichtssaal. Richter: „. .Sie
haben also ein falsches Alter angegeben!" Zeugin:
„Falsch nicht — es war nur mein Alter von früher!"
' Ju der Hitze des Gefechtes. Er: „ . . Du
mußt immer das letzte Wort haben! Du bist nicht
werth, daß Dich der Teufel holt: „Sie: „Vielleicht
eher wie Du!"

Wohlthuens kleideten, geneigt zu machen.
Es galt die Berathung zu einer Theatervor-
stellung, vereint mit den allbeliebten, lebenden
Bildern, zum Zweck einer Weihnachtsbescheerung
bedürftiger Familien im Hause des Präsidenten
von Hannipot.
Nachdem die Herzogin einsehen gelernt batte,
daß sie auf eigenes Glück Verzicht leisten müsse,
suchte sie ihrem liebearmen Leben dadurch Werth
zu verleihen, ihren Unterthanen, die sie gleich einer
Heiligen verehrten, des Lebens Last und Mühsal
zu erleichtern. So sagte die hohe Frau ihr Er-
scheinen zu.
Daß die Präsidentin sich die Genugthuung
nicht versagen wollte, anstatt nur einen intimen
Kreis zu laden, wie die schlau berechnende Frau
während der Audienz verblümt hatte durchleuchten
lassen, ein glänzendes Fest zu veranstalten, verübelte
man der Dame, die sich gern als Mittelpunkt der
Aristokratie, als ehener Schild zwischen dem Hof
und der ersten Gesellschaft stellte, nicht, nein, man
dankte ihr im Stillen aus Herzensgrund für den
heroischen Entschluß, endlich Leben in die gelang-
weilten Gemüther zu bringen.
Frau von Hannipot besaß, wie selten ein weib-
liches Wesen, die Eigenschaften, ihre Pläne durch-
zuführen. Ausgestattet mit Geist, Witz und
sprühender Unterhaltungsgabe, gern bereit, kleine
Jntriguen einzufädeln, zeichnete die weltbegewandte
Frau sich durch ein imponierendes, einnehmendes
Aeußere aus, das durch fürstliche Toiletten bedeutend
erhöht wurde. Genug, die weltgewandte Frau

ehrgeizigen Wünschen, die sie in das Gewand des skerrschte so zu sagen in ihrem Reich gleich einer
t ... —Königin, der sich alles untcrordnete.
Am Tage vor diesem, von den Betheilizten viel
besprochenen Fest, fand in den Vormittagsstunden
zwischen der Baronin von Abrinowitsch und deren
Tochter eine ziemlich ungemüthliche Unterredung
statt. Nur peinlich zwingende Gründe hatte die
Baronin vor fünf Jahren dam bestimmen können,
Petersburg, den Schauplatz ihrer Triumphe und
der darauf folgenden beschämenden Demüthigung
bei Nacht und Nebel zu verlassen.
Das sreiherrliche Ehepaar hatte nur in einem
Punkt sich nahe gestanden und zwar was Genuß-
sucht und verschwenderische Passionen betraf.
Clementine Palli, die angebetene, gefeiertste
Schauspielerin ihrer Zeit, die dem Baron ihre
großartigen theatralischen Erfolge zum Opser brachte,
weil eine Million Rubel unbedingt dem Ruhm
auf den schwankenden Bühnenbrettern vorzuziehen
war, lag nach dem Tode ihres Gatten zwei Tage
m Krämpfen, denn gleich krächzenden Raben stellten
sich die Gläubiger in Schaaren ein; die glänzende
I"^tzst'ie ^wies sich als trügerischer Schimmer.
Palast des russischen Barons, am sogenannten
englischen Quai gelegen, kam unter den Hammer.
Equipagen, Juwelen und alles werthvolle Inventar
wurde mit Beschlag belegt und Clementine von
Andrinowitsch konnte von Glück sagen, daß nach
der entsetzlichen Katastrophe ein saßt in Vergessen-
heit gerathener Brillantschmuck, der seit Jahresfrist
bei einem Juwelier zur Reparatur lag, ihr die
Möglichkeit bot, sich vor dem nackten Elend zu
schützen. Die durch eigene Schuld dem Elend ver-
fallene Frau griff gierig nach diesem bescheidenen
 
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