Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0185

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
.

0

Das Heidelberger Jubiläum und die franzöſiſche

erfteint

Aglich Sonntags

ſiag u. Träger-

ausgenommen. ö
Irers
ö Wän Familien⸗ ö
ö Wniche 4⁰⁰; ö 4 bedeut. ermähigt.
ausſchl. Poſtauf⸗ ö Gralig-Aufuahmt

Zrſerlisnegebnbr
15.J fürdie iſpal-
tige Petitzeile oder
deren Raum. Für
hieſ. Geſchafls-
u. Privatanzeigen

d. Inſerate in den

— Tagblatt und Verkündiger für die Stadt Heidelberg. —.
N. 186. Mittwoch, den 11. Auguſ 86

* Politiſche Umſchau.
Heidelberg, 11. Auguſt.
In einem Rückblick auf den glänzenden und völlig un-

getrübten Verlauf unſerer Univerſitäts⸗Jubelfeier
gagt die Nat.⸗Lib. Correſp.: Eine beſondere Weihe erhielt

das Feſt durch die Anweſenheit des deutſchen Kronprinzen

0 des Großherzogs von Baden. Die begeiſterten Zurufe,
elche dieſen beiden Fürſten entgegenklangen, gaben dem
eſte einen echt deutſchen Charakter und legten wieder ein-

nal Zeugniß dafür ab, wie feſt die monarchiſche Idee mit

em Empfinden unſeres Volkes verwachſen iſt. Dem Deut-

4 en iſt die Monarchie keine Staatsform, die ſich, wie dem

ranzoſen, je nach der Geſtaltung der politiſchen Lage ab-

affen und wieder einführen läßt, ſie iſt ihm auch kein
oſtſpieliger Sport, wie dem Engländer, der ihr lediglich

Rolle einer Würdenträgerin einräumt, ſondern die

Grundlage ſeines politiſchen Denkens. Wie trefflich ſich

dieſe Liebe zum Landesfürſten aber mit der Verehrung für

n deutſchen Kaiſer verträgt, das haben uns die Feſttage

x von Heidelberg von Neuem gezeigt. Ueberall gab der
Sroßherzog von Baden dem Kaiſerſohne, der als ſeines
kreiſen Vaters Stellvertreter bei dem Jubiläum erſchien, die

öhere Ehre, immer ordnete er ſich der ſtaatlichen Einheit,

zau deren Verwirklichung er ſelbſt ſo kräftig beigetragen,

unter, und zwar im frohen Bewußtſein, daß dieſe Feier

ihre lichten Strahlen weit über das Badener Land hinaus-
warf; daß All⸗Deutſchland, die feſtgeeinte Nation, in die-

ſen Tagen nach Alt⸗Heidelberg hinüber grüßte. Und einen
beſſern Vertreter konnte das deutſche Reich nicht ſenden, als
einen künftigen Kaiſer. Echt kaiſerlich ſeine hohe Geſtalt,
echt kaiſerlich die Worte, mit denen er das Jubelfeſt ver-
ſchönte. Angeſichts des herrlichen Baues, den galliſche Er-
oberungsſucht und Zerſtörungsluſt in einen Trümmerhaufen
erwandelte, ſprach er, als Sieger von Weißenburg und
rth, von den Aufgaben, die uns gerade im Hochgefühl
SErfolges am eindringlichſten die Seele erfüllen ſollen: in
iſſenſchaft und Leben feſtzuhalten an der Wahrhaftigkeit
nd Strenge geiſtiger Zucht und der Förderung des Bru-
erſinnes unter den Geuoſſen, auf daß aus dem Geiſte des
eimuthes und der Friedfertigkeit die Kraft zu der heil-
amen Arbeit erwachſen möge, die Lebensformen unſeres
bin. Sthums gedeihlich auszubilden. Kein Wort der Er-
ö dieterung, kein Wort der Ueberhebung kam von den Lippen
Des Professor victoriarum, wie der geſunde Humor
W Feſtes „unſern Fritz“ zubenannte, nur das freudige
d wußtſein, daß „der Ehrenſchild Alt⸗Heidelbergs glänzen-
er ſtrahlt in der Sonne des einigen Vaterlandes“.
Die herzliche Weiſe, in welcher die Kaiſerbegeg-
ung in Gaſtein ſtattgefunden hat, wird in der ge-
ammten öſterreichiſchen Preſſe ſpeziell neben dem Umſtande
ervorgehoben, daß dieſelbe in dieſem Jahre mit einem
rößeren Glanze umgeben wurde. Bezüglich der Bedeutung
der Entrevne geht indeß auch die öſterreichiſche Preſſe über
allgemeine Betrachtungen nicht hinaus, obgleich man dem
efühl Ausdruck gibt, daß der Kaiſerbegeguung diesmal
b beſondere Wichtigkeit innewohne. Theils ſucht man
— zeſe in der Beſeitigung der Befürchtung einer Entfremdung
zwiſchen Rußland und einer der anderen Kaiſermächte und
er Möglichkeit einer ruſſiſch-franzöſiſchen Annäherung, mit
zer in letzter Zeit ſowohl an der Newa wie an der Seine

1 In gewiſſen Kreiſen kokettirt wurde, theils neigt man der
Affaſſung zu, daß die Gaſteiner Entrevue Rußland davon

überzeugen ſolle, Deutſchland und Oeſterreich ſähen Rußland
zwar gern als Dritten im Bunde, ſie wüßten aber auch
ohne Rußlands Mitwirkung ihre Stellung und den Frieden
in Europa zu wahren. Als bedentſam wird das Zuſammen-
treffen der Kaiſerbegegnung mit der endlich zur Ausführung
gelangenden vielgedeuteten Reiſe des Herrn v. Giers
angeſehen. Man hält eine Zuſammenkunft des ruſſiſchen
Miniſters mit dem Fürſten Bismarck und dem Grafen
Kalnoky nunmehr für gewiß. Als höchſt zweifelhaft da-
gegen wird eine Reiſe des Grafen Robilant nach Wien an-
geſehen. Thatſächlich deutet die Urlaubsreiſe des italieni-
ſchen Miniſters des Aeußern nach Turin nicht auf einen
diplomatiſchen Ausflug hin. ö
Die neuliche Anweſenheit des Fürſten Bis marck in
München gab der „Südd. Preſſe“ Anlat, auf Grund
vermeintlicher zuverläſſiger Mittheilungen das Verhältniß
der Großmächte untereinander als ſo bedenklich zu ſchildern,
daß man an den baldigen Ausbruch eines europäiſchen
Krieges hätte glauben ſollen. Vielleicht ſind dieſe und
ähnliche Schwarzmalereien wiederum die Urſache geweſen,
aus welcher folgender Berliner Brief der „Polit. Corr.“
hervorgegangen iſt, der die europäiſche Lage in zu-
treffender Weiſe folgendermaßen ſchildert: Die Beunruhigung
erregenden Kundgebungen mancher Blätter wird man nicht
ernſter zu nehmen haben, als ſie ſind, nämlich als blinde
Signalſchüſſe, welche die Aufmerkſamkeit der Politiker
hierhin und dorthin lenken ſollen und zugleich den Beweis
liefern, daß die Feuerwerker ſelbſt nicht der Aufmerkſamkeit
ermangeln und über ihre eigenen Intereſſen wachen. Eine
Aenderung in den Beziehungen der drei Kaiſermächte zu
einander wird von kundiger Seite entſchieden in Abrede
geſtellt. Beweis hierfür iſt die Kaiſerbegegnung in Gaſtein
und der Beſuch des Erzherzogs Karl Ludwig von Oeſter-
reich in Peterhof. Der Aufſchub der Reiſe des Herrn
v. Giers iſt durch Familienangelegenheiten veranlaßt worden.
Herr v. Giers wird ſicherlich mit dem Fürſten Bismarck
im Laufe der nächſten Wochen zu ſprechen Gelegenheit
nehmen, und ſollte es nicht dazu kommen, ſo braucht man
deshalb nicht an politiſche Gründe zu glauben. Daß
diesmal die Kaiſerbegegnung im Beiſein der beiden leitenden
Staatsmänner in Gaſtein ſtattfand, deutet allerdings auf
Beweggründe beſonderer Natur. Es ſchien dem langjährigen
Freundſchaftsverhältniß beider Mächte, das ſith ſchon
wiederholt bewährt hat, zu entſprechen, demſelben bei den
mancherlei vorhandenen Strömungen und Verſuchen der
Beunruhigung ein ſtärkeres amtliches Gepräge zu geben
und die politiſchen Abenteurer daran zu erinnern, daß die
beiden Staaten in aller Form feſt zueinander halten und
auch geſonnen ſind, feſt zueinander zu ſtehen, wenn im
Südoſten oder Weſten Europas ſich eine Lawine in Be-
wegung ſetzen ſollte. Im übrigen wird dieſe Begegnung
Niemanden Beſorgniß oder Mißtrauen einflößen können.
Europa iſt ſchon zu lange an die Friedenspolitik dieſer
beiden Staaten gewöhnt, als daß es ſich von ihnen irgend-
wie bedroht fühlen könnte. Von einer ernſten Bedrohung
des Friedens iſt nichts wahrzunehmen, wenngleich es nicht
an Unterſtrömungen fehlt, welche auf kriegeriſche Pfade
hindrängen. In den leitenden Kreiſen und Spitzen der
monarchiſch regierten Staaten iſt der Wunſch, Frieden zu
halten und alle entſtehenden Streitigkeiten auf den Weg
diplomatiſcher Verſtändigung zu verweiſen, zu aufrichtig,

als daß das Ziel der öſterreichiſch⸗deutſchen Friedenspolitik
zur Zeit als in Frage geſtellt erſcheinen könnte.

Zur Boulanger⸗Angelegenheit (Briefe des Kriegs-
miniſters Boulanger an den Herzog v. Aumale) bemerkt die Nat.⸗
Lib.⸗Corr. u. a.: Wenn auch der franzöſiſche Kriegsminiſter
durch ſein enthülltes Streberthum in Aller Augen gerichtet
ſei, ſo erſcheine es doch noch fraglich, ob er darum in
Frankeich ein verlorener Mann ſei. „Oder kounte ſich
Jemand unſterblicher blamiren, als Prinz Louis Napoleon,
da er am 6. Auguſt 1840 zu Boulogne den Adler fliegen
ließ, der ſich dann, wie man erzählt, auf ſeinen mit Speck
gefütterten Hut niederſenken ſollte? Und 8 Jahre ſpäter
war derſelbe blamirte Napoleon Präſident der Republik,
und nach 12 Jahren Kaiſer von Frankreich. Wir ſind
nun weit davon entkernt, den General Boulanger mit einem
Bonaparte, nicht einmal mit dem Dritten, zu vergleichen
und halten auch die Befürchtung, daß ſich der jetzige fran-
zöſiſche Kriegsminiſter zum Diktator aufſchwingen werde,
für unbegründet, wir wollen jedoch daran erinnern, daß der
Fluch der Lächerlichkeit an der Seine nicht immer ſo ver-
derblich wirkt, als man gemeinhin annimmt.
frage bei der Boulangerſache iſt, inwieweit dieſelbe von
ſeiner eigenen Partei, den Radikalen, verdaut wird. Hier
dürfte dem General die Stelle in einem ſeiner Briefe an
den Herzog von Aum ale: „Geſegnet ſei der Tag, der mich
wieder unter Ihren Oberbefehl rufen würde“, am meiſten
ſchaden. Freilich wird gerade von den extremen Richtungen,
um einer ſpäteren aufrichtigen Geſinnung willen, Vieles ver-
geben und vergeſſen. Es gehört nämlich zur Eigenheit der
radikalen Parteien aller Länder, daß ſie die Fehler Anders-
denkender in der rückſichtsloſeſten Weiſe verurtheilen, jedoch

gegenüber den Mißgriffen und Vergehen ihrer eigenen

Leuté eine bewunderns werthe Duldſamkeit entwickeln. Es
iſt alſo ſehr leicht möglich, daß Boulanger und ſeine Po-
pularität die Kriſis überdauert und ſeine radikalen Freunde
einen erneuten Beleg für das treffeude Wort von Sishés
liefern: IIs veulent ötre libres et ne savent pas étre
justes.“ (Sie wollen frei ſein und können nicht gerecht ſein.)

Deutſches Reich.
Karlsruhe, 10. Aug. (Amtlich.) Durch Allerhöchſte
Kabinets⸗Ordre iſt Folgendes beſtimmt worden; 2. Bataillon
(Heidelberg) 2. Badiſchen Landwehr⸗Regiments Nr. 110:
Dr. Kehler, Aſſiſtenzarzt 1. Klaſſe der Reſerve, zum
Stabsarzt der Reſerve; Dr. Gebhardt, Aſſiſtenzarzt 1.
Klaſſe der Landwehr, zum Stabsarzt der Landwehr; Reis,
Aſſiſtenzarzt 2. Klaſſe der Reſerve, zum Aſſiſtenzarzt 1.
Klaſſe der Reſerve befördert. ö
Berlin, 10. Auguſt. Miniſter v. Giers iſt heute
Nachmitttag 2¼ Uhr nach Franzensbad abgereiſt.
Derſelbe hatte Vormittags 11 Uhr einen Beſuch im Aus-
wärtigen Amte abgeſtattet. Unterſtaatsſekretär Graf
Berchem gab Herrn v. Giers das Geleite bis zum
Bahnhofe. — Der deutſche Militärbevollmächtigte in Pe-
tersburg, General v. Werder iſt zum Gou verneur
von Berlin ernannt worden.
Fulda, 10. Aug. Zur Theilnahme an der Biſchofs-
conferenz ſind die Erzbiſchöfe von Köln und Poſen, die
Biſchöfe von Limburg, Hildesheim, Ermland, Münſter,
Osnabrück und Trier perſönlich eingetroffen. Der Fürſt-
biſchof von Breslau iſt durch den Domherrn Franz, das
Bisthum Culm durch den deſignirten neuen Biſchof Redner,
das Bisthum Paderborn durch den Domherrn Schulte ver-
treten. Biſchof Haffner von Mainz wird der Conferenz
beiwohnen. Heute früh waren ſämmtliche Theilnehmer zu

Preſſe.

1 In einem intereſſant geſchriebenen Artikel der „Köln. Ztg.“,
Acher ſich über die Stellungnahme der Pariſer Preſſe zu den

deidelberger Feſtlichkeiten verbreitet, heißt es: Was werden die

welche die Werke eines Tiſſot, Nuc, St. Cere

muten Pariſer,

1d anderer mit dem franzöſiſchen Vorurtheile ſchmutzige Ge-

heüfte machender Schreiber geleſen haben, ſich wohl gedacht
daben, als ſie die Berichte des Figaro, Temps, Voltaire,
F. Republique Francaiſe über die Heidelberger
eſte laſen? Hoffen wir das Beſte, daß ſie aus dieſen ſehr ge-

ſchickten und auch für uns Deutſche ſehr leſenswerthen Berichten

znſerer „Confréres“ jenſeit der Vogeſen Gewinn für ihren ge-
hnden Menſchenverſtand ziehen. Aus jenen Berichten geht
utlich hervor, daß die Herren von der Feder ſelbſt ein ertleck-
iches Mißtrauen als Reiſegepäck nach Heidelberg mitgenommen
gaben. Sie zogen ihrer Meinung nach aus in das Land der
arbaren, um ſich luſtig zu machen über die Rohheit und Ge-
hmackloſigkeit, mit welcher der Teutone Feſte feiert, und waren,
zihie ihre Berichte deutlich erkennen laſſen, auch darauf gefaßt,
Ibre Federn gegen die Aeußerungen eines wilden Chauvinismus
ö 0 ſpitzen. Gekränkt und angewidert glaubten ſie zurückzulebren
3 Paris, um eine neue Beſtätigung ihrer Anſicht reicher, daß
nuein haffenswertheres, wüſteres Voik gieht als dieſe Dentſchen
and nun? Hand aufs Herz, ihr Herren Berichterſtatter! Was
Wr da über Heidelberg ſchreibt, iſt es nicht das für eure fran-
Yſiſchen Leſer noch weſentlich abgedämpfte, vorſichtig ſich be-
wingende Zugeſtändniß, daß die Deutſchen doch ganz andere
witl ſind als die blindwüthigen Revancheſchreier und die un-
iſſenden Spießbürger ſich denken? Wenn wir ſo inter pocula
die inem traulichen Stübchen beiſammenſäßen und der Wein,
de Fröhlichkeit euer Herz erweicht hätten, wir wetten ein Dutzend

Flaſchen beſten Rheinweins gegen ein Gläschen Abſinth, ihr

ö ſclrder uns die Hand drücken und ſagen: „Ja, es iſt wahr, man
abwaßt ſchrecklichen Kohl über euch in Paris. Ihr ſeid von
nderer Art als wir, aber doch von hochachtbarer und ganz
dPrächtig umgänglicher Art.“ Wie ſchwer das Gepäck des Vor-

urtheils und des Mißtrauens war das zeigt ſich ſchon in der

Verwunderung, welche jene Berichterſtatter darüber kundgeben,
daß man die Vertreter des Inſtituts von Frankreich nicht mit
der kühlen Höflichkeit des an Formen gebundenen Wirths, ſon-
dern mit einer friſchen Herzlichkeit begrüßt hat. Als ein Ereigniß
von überraſchender Wirkung erſchien es den Herren, daß der
deutſche Kronprinz und der Großherzog von Baden dem Di-
rektor Zeller für ſeine im Namen aller ausländiſchen Akademieen

geſprochene Rede mit einem ritterlichen Händedrucke dankten.

Die Verwunderung über ſolche Dinge, meinen wir, entſtammt
noch mehr als dem Vorurtheile, das uns als unhöfliche Barbaren
gelten läßt, dem böſen Gewiſſen. Man dachte ſich den Fall um-
gekehrt und war ſich wohl bewußt, daß deutſche Gelehrte in Paris
nicht auf Herzlichkeit, ſondern nur auf die knappſte Höflichkeit zu
rechnen gehabt hätten. Das ſchlechte Gewiſſen war es auch, das
Herrn Giffard, den gewandten Berichterſtatter des Figaro, in den
Ruinen von Heidelberg eine ſtäundige Mahnung zur Rache für die
Deutſchen erblicken ließ. Herr Giffard wollte nicht begreifen, daß
wir keinen Grund mehr haben, Rachedurſt zu nähren, daß wir
jenes Andenken franzöſiſcher Menſchlichkeit heute mit ruhigem
Blick betrachten und in demſelben nur eine Beſtätigung finden
für die den Franzoſen unverſtändliche Behauptung, wir hätten im
Jahre 1870 mit alten Schulden abgerechnet und jetzt ſeien eigent-
lich beide Nationen quitt, wobei uns ſammt aller Räubergeſchich-
ten noch etwas an Schonung und Milde gutgeſchrieben werden
müſſe. Herr Giffard kann ja eigentlich nicht das zerſchoſſene St.
Clond gegen das zerſtörte Heidelberg ſtellen, denn jeder Franzoſe
muß endlich wiſſen, daß St. Cloud nicht von deutſchen Geſchützen
erſtört wurde, wie er wiſſen kann, daß die Beſchießung von“
aris nothgedrungen nach langem Zögern und dann noch mit
möglichſter Schonung unternommen wurde. Ueber das hinaus
muß Herr Giffard ſich ſagen laſſen, daß Heidelberg ohne Noth,
aus Grauſamkeit und Robheit zerſtört wurde, während die von
den Deutſchen in Frankreich geübten Zerſtörungen unvermeidliche
Nothwendigkeiten und natürliche Zufälle des Kampfes waren.

Jedenfalls hat Herr Giffard gut daran gethan, ſeinen Landsleuten
verſtändlich zu machen, daß fe ungerecht ſind, wenn ſie von deut-
ſchen Barbareien ſchreien, weil die Deutſchen nicht mit Baumwolle

Von den amtlichen Vertretern Frankreichs
ganz abzuſehen, haben unſere „contréres“ perſönlich die Erfah-
rung gemacht, daß ihnen niemand die Ruinen von Heidelberg zur
Laſt legt und daß in dem Lande, in welchem Herr Nuc befürchten
mußte, für ſeine Wirthshausſchilderungen in den „Kerker“ ge-
worfen zu werden, franzöſiſche Journaliſten nicht von einem roth-
haarigen Teutonen als „Erbfeind“ angeredet oder als Spione
beaufſichtigt werden, ſondern neben einem deutſchen Studenten
volle zwölf Seidel Bier trinken und dies mit berechtigtem Stolze
dem Figaro melden können. Da ſind wir ſchon an der gewal-
tigen, für die franzöſiſche Betrachtung ſo bedeutungsvollen Bier-
frage! Herrn Giffard ſind die genoſſenen zwölf Seidel gut be-
kommen, er hat ſich anſcheinend von ſeinem ſtudentiſchen Nachbar,
als die anwachſende Zahl ihn ängſtigte, belehren laſſen, daß das
in Heidelberg verzapfte Bier leichter iſt, als die Erxportbiere und,
da er nicht einmal einen Katzenjammer bekommen hat — bei
ſolcher ungewohnten Arbeit eine höchſt achtbare Leiſtung —, iſt
er auf die deutſchen „buveurs“ gar nicht ſo ſchlecht zu ſprechen,
findet nichts gar ſo Barbariſches an der Sitte des Kneipens.
Wir meinen aus der abgelegten Probe ſchlieen zu dürfen, daß
Herr Giffard bei längerem Aufenthalt ein Han tapferer Zecher
werden würde. Sein „eonkrers“ von der Republique Francaiſe
freilich hat einen weniger biertüchtigen Magen. Er ſieht in
dieſen ſtudentiſchen Zechgelagen eine gekünſtelte, nicht aufrichtig ge-
meinte fteauif und knüpft daran allerlei Schlüſſe, die uns auf
die zweite Hauptfrage dieſer franzöſiſchen Anſchauungsweiſe: „On
est Jla femme?“ bringen. Dieſer Herr
ſtudentiſchen Bewohner Heidelbergs ſeien die eigentlichen Typen
der Deutſchen, die Studenten ſpielten mit ihrer Luſtigkeit
Komödie. Er iſt nun in ſeiner Beurtheilung dieſer nichtſtuden-
tiſchen Männlein und Weiblein ſehr höflich und weit entfernt
von der Rohheit, mit welcher Tiſſot, Nue und St. Cre
gerade von den deutſchen Frauen und Mädchen ſprechen.
Dieſe ſanft, ſtill vor ſich hingehende Geſellſchaft, das
ekluge Lächeln“ der Mädchen und Frauen, die behäbige Ruhe
der Männer haben ihm gefallen. Dagegen will es ihm nicht ein-
leuchten, daß bei dem ganzen Feſte die „Weiber“ eigentlich gar
keine Rolle geſpielt haben. Er meint, dieſe Studenten kennten

geſchoſſen haben.

Die Haupt-

Bernard meint, die nicht-
 
Annotationen