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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0588

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Varna, 24. Nob. Die erſten Verſuche der Pforte,
in Sofia Vermittlungsverſuche vorzubringen, die
eine Annäherung an Rußland ermöglichen könnten, ſind
ſicherem Vernehmen nach geſcheitert. Zunächſt iſt die An-
frage, ob die Bulgaren geneigt ſein würden, den Dadian
von Mingrelien zum Förſten zu wählen, von der
Regentſchaft mit einer ſehr kräftigen Ver neinung beant-
wortet worden. Ebenſo iſt der türkiſche Vorſchlag, die
Regentſchaft möge abdanken und an ihre Stelle ſollte der
Sultan als Suzerän neue Regenten ernennen, entſchieden
abgelehnt worden.

N. C. Volksgeſundheit und Fabrikarbeit.
Die Einflüſſe, welche die Volksgeſundheit gefährden,
ſind mannigfaltiger Art, und zu ihrer Bekämpfung bedarf
es zumeiſt einer ſittlichen und wirthſchaftlichen Hebung der
unteren Volkskaſſen, welche außerhalb des Gebiets einer
ſocialpolitiſchen Geſetzgebung liegt. Zum Theil iſt es aber
auch die Arbeit ſelbſt, welche, ſtatt die Würze des Lebens
zu ſein, am Leben und an der Geſundheit der Arbeiter
zehrt. Leider gilt dies vielfach von der Hausindnſtrie und
vom Handwerk, wo der Geſetzgeber ſchwer Abhülfe ſchaffen
kann, aber vornehmlich doch von einer großen Zahl fabrik-
mäßiger Betriebe. Und hier iſt die Stelle, an welcher der
Staat einzugreifen in der Lage iſt.
Wenn man im Allgemeinen dieſer Seite des Arbeiter-
ſchutzes weniger Aufmerkſamkeit zuwendet, als ſie verdient,
ſo liegt dies wohl daran, daß die Wirkungen, von denen
wir ſprechen, nicht immer augenfällig ſind, daß der —
überdies beſonders für ſchlechte Luft meiſt zu wenig em-
pfindliche — Arbeiter die allmählige Untergrabung ſeiner
Geſundheit nicht wahrnimmt oder dieſe, wie es in der

menſchlichen Natur liegt, fälſchlicher Weiſe nicht ſo hoch

anſchlägt, wie den Beſitz und den dadurch bedingten Lebeus-
genuß. Um ſo mehr hat der Staat die Pflicht gegen die
arbeitenden Volksklaſſen, wie gegen ſein eigenes Intereſſe,
gerade nach dieſer Richtung hin das gewerbliche Leben auf
das Strengſte zu überwachen, ohne vor einſchneidenden
Maßregeln zurückzuſchrecken.
Die Fabrikinſpektoren widmen ihre Aufmerkſamkeit denn
auch in zunehmendem Grade den geſundheitsſchädlichen Ein-
flüſſen, und ihre Berichte enthalten beachtenswerthe, zum
Theil geradezu erſchreckende Mittheilungen über die Er-
krankungen wichtiger Lebensorgane, denen die Arbeiter in
einzelnen Betriebszweigen in Folge der Einwirkungen von
Hitze und Kälte, von gift⸗ oder ſtauberfüllter Luft, von
ungeſunder Körperhaltung u. ſ. w. ausgeſetzt ſind. Die
Aufſichtsbeamten bemühen ſich, auf Einrichtungen hinzu-
wirken, welche dieſe nachtheiligen Einflüſſe vermindern, aber
ſolche Einrichtungen können, ſelbſt wo ihnen nicht die Theilnahm-
loſigkeit oder gar das Widerſtreben des Unternehmers oder
auch der Unverſtand der Arbeiter entgegentritt, das Uebel
niemals ganz beſeitigen. Hier kann unſerer Ueberzeugung
nach nur eine geſetzliche Beſchränkung oder vielmehr Ord-
nung der Arbeitsdauer helfen.
Der Zuſammenhang der Arbeitszeit mit dem geſund-
heitsſchädlichen Einfluſſe der Arbeit wird in den neueſten
Berichten vielfach hervorgehoben. Wenn aber daneben von
einzelnen bemerkt wird, ein endgültiges Urtheil darüber
werde ſich erſt auf Grund der Beobachtungen der Fabrik-
ärzte bezw. der Krankenkaſſen⸗Statiſtik, vielleicht auch nach
den Ergebniſſen der Militär⸗Aushebungen bilden laſſen, zur
Zeit aber fehle es noch an genügenden Erfahrungen, ſo
ſcheint uns dies denn doch ein wenig zu bureaukratiſch-
vorſichtig. Statiſtiſche Feſtſtellungen ſind von geringer Be-
deutung, wo es ſich weniger um Erkrankungsfälle, als um
dauernde und allmählige Schwächung der Geſundheit han-
delt. Wer nur eine Stunde in dem dichten, ſcharfen
Staube einer Cementmühle oder in der Giftluft einer
Streichholzfabrik neben den Arbeitern verweilt, wird nicht
der Lungenſchwindſucht oder der Nekroſe bedürfen, um über-
zeugt zu ſein, daß es eine Grenze giebt, über welche hin-
aus die Arbeit in ſolcher Atmoſphäre mit Nothwendigkeit
für den Körper nachtheilige Folgen hat. Vielfach finden
wir denn auch in den Berichten Andeutungen über das
beſſere oder ſchlechtere „Ausſehen“ in der einen und in der
andern Induſtrie. Das körperliche Herunterkommen ganzer
Arbeiterklaſſen, eine vom Standpunkte des Staats⸗ und
Volkswohles höchſt bedenkliche Erſcheinung, drückt ſich nicht
ſo unmittelbar in der Statiſtik der Erkrankungen und
Todesfälle unter den Arbeitern aus; man müßte zum wenig-
b ihre Familie, ihre Nachkommenſchaft mit in Betracht
ziehen.
Wie ſehr die nachtheiligen Wirkungen ſolcher Arbeiten

N.

W i
WM
ö

durch die Arbeitsdauer beeinflußt werden, liegt auf der
Hand, und es fehlt in den Berichten nicht an Andeutungen
in dieſer Beziehung.
Hier einſchränkend und regelnd einzutreten, iſt nicht nur
das Recht, ſondern die Pflicht des Staates. Vielfach wird
es weniger einer erheblichen Kürzung der täglichen Arbeits-
dauer, als angemeſſener Pauſen und eines richtigen Wechſels
der Arbeit und des Aufenthaltes bedürfen. Der Staat
ſchreibe für gewiſſe Induſtrien vor, wie viele Stunden
hintereinander die Arbeiter bei beſtimmten Arbeiten beſchäf-
tigt ſein dürfen und welche Panſen ſtattfinden müſſen; dem
Unternehmer mag dann überlaſſen ſein, ſoweit dies der
Betrieb zuläßt, die Arbeiter in der Zwiſchenzeit an anderer
Stelle in guter Luft oder veränderter Körperhaltung ar-
beiten zu laſſen, was ihnen nützlicher iſt, als der unthätige
Aufenthalt in ihrer dumpfen Wohnung oder in der Schenke.
In zahlreichen Fällen wird ſich ſo ein mehrmaliger Schicht-
wechſel im Laufe des Tages ohne Schädigung des Betriebes
herbeiführen laſſen. Nach dem Maße, in welchem es ge-
lingt, wirkſame Einrichtungen gegen die geſundheitsſchäd-
lichen Einflüſſe zu treffen, könnten Abweichungen zugelaſſen
werden. Zweckmäßig zuſammengeſetzten Commiſſionen könnte
in den einzelnen Bezirken die Ordnung dieſer Angelegen-
heiten übertragen werden. Wie beſtimmte Anlagen im
Intereſſe der Nachbarn genehmigungspflichtig ſind und ſich
Einſchränkungen gefallen laſſen, ſo muß es auch möglich
ſein, Unternehmungen namhaft zu machen, welche im Inter-
eſſe der Arbeiter ihren Arbeitsplan einzureichen haben. Die
Induſtrie würde darüber nicht zu Grunde gehen, und wenn
es eine Induſtrie gäbe, welche eine ſolche Controle nicht
bertrüge, welche darauf angewieſen wäre, an dem Lebens-
mark unſeres Volkes zu ſaugen, — ſo wäre ſie werth, daß
ſie zu Grunde geht.

Aus Stadt und Land.
* Hridelberg, 24. Nov. In der heutigen Sitzung des hieſigen
Stadtrathes wurden u. a. folgende Gegenſtände zur Kenntniß
bezw. Erledigung gebracht:
1) Die Schenkung des Herrn Dr. A. Hilgard zur ſtädtiſchen
Bibliothek, beſtehend in einer Sammlung von Urkunden zur Ge-
ſchichte der Stadt Speyer, wird dankend entgegengenommen.
2) Die Vorlagen an den Bürgerausſchuß, betreffend:
a. den Rathhausumbau,
b. die Verbreiterung der unteren Faulepelzgaſſe und
c. die Verwaltung der Kleinkinderſchulen,
werden feſtgeſetzt.
3) Die Baurelationen für die Armenhäuſer werden nach dem
Entwurf des Stadtbauamtes genehmigt. Gleichzeitig wird be-
ſchloſſen, die in das Trottoir der Plöck vorſtehenden Treppen des
Frauenarmenhauſes zurückverſetzen zu laſſen.
feun K⸗ Faſelgeld für 1886 wird auf 3 %¼. 80 ½ per Stück
eſtgeſetzt.
5) Die Herſtellung des Fußweges von den 7 Linden in der
Wolfshöhle in ſüdlicher Richtung nach dem Speyererhoffahrweg
wird genehmigt. x
O Sebelbers, 25. Nopbr. Der Afrikareiſende Herr Dr. B.
Schwarz, der im Auftrag der deutſchen Regierung die Nachbar-
länder der Kolouie Kamerun beſucht hat, um über die geogra-
phiſchen und commerziellen Verhältniſſe derſelben Aufſchluß zu
gewinnen, wird über die Ergebniſſe ſeiner Beobachtungen nächſten
Samstag Abend hier öffeutlich ſprechen. Der Vortrag, der im
Gartenſaal der Harmonie ſtattfinden wird, iſt durch den hieſigen
Zweigverein des dentſchen Kolonialvereins veranlaßt, und dieſer
lädt Alle, die für die kolonialen Fragen Intereſſe hegen und ſich
über dieſelben zu belehren wünſchen, zum Beſuche ein.
* geidelberg. 25. Nov. Die Angelegenheit der Erbauung einer
Bergbahn ſcheint nunmehr in ein weiteres Stadium getreten
zu ſein und machen wir an dieſer Stelle noch beſonders auf die
in der heutigen Nummer unſeres Blattes in dieſem Betreff ent-
haltene Bekanntmachung des Großh. Bezirksamts aufmerkſam,
ſein du ftr alle Einwohner unſerer Stadt von großem Intereſſe
ein dürfte.
§ Zeidelberg, 25. Nov. Heute Nacht iſt hier der erſte Schnee
gefallen. Am Morgen ſchimmerten die Dächer meiſt in einem
leichten weißen Schneegewande. Bis gegen Mittag war dies in-
deß völlig geſchwunden.
—= Zeidelberg, 23. Novbr. Im Verlauf des vorigen Monats
wurde einem Dienſtknecht dabier aus ſeinem unverſchloſſenen
Schlafzimmer ein Paar Stiefel im Werth von 8 Mark ent-
wendet, ohne daß er damals irgend welchen Verdacht äußern
konnte. Vorgeſtern nun fuhr der Beſchädigte in Neuenheim an
einem Schotterfuhrwerk vorüber, auf welchem ein ihm bekannter
Burſche ſaß, und entdeckte an deſſen Füßen ſeine vermißten Stiefel.
Als er ſeinen guten Freund wegen der Stiefel zur Rede ſtellte,
leugnete dieſer anfangs, dieſelben entwendet zu haben, räumte
ſolches aber ein, als ihm mit polizeilicher Anzeige gedroht wurde,
und bat ſchließlich, ihn unbehelligt zu laſſen, er wolle die Stiefel
bezahlen. Der Thäter iſt, wie erwähnt, ein guter Bekaunter von
dem Beſchädigten und hat ſich unmittelbar vor der That im
Wirthshaus von dem Beſchädigten noch Bier bezahlen laſſen. —
Geſtern Vormittag verſuchte ein Friſeurgehilfe aus dem Württem-
bergiſchen dahier eine goldene neue Uhrenkette zu verkaufen. Da
dem betreffenden Handelsmann die Sache aber verdächtig vorkam,
ſetzte er die Polizei in Kenntniß, welche den Beſitzer der Kette
näher controlirte und, da ſich derſelbe über den Erwerb der Atte

88 „Ruperto⸗Carola“,
illuſtrirte Feſtchronik der V. Säkularfeier der Kniverſität
Heidelberg.

Wieder liegt eine Nummer der Illuſtr. Feſtchronik „Ruperto-
Carola“ vor, die eine ſchöne Erinnerung an die unvergeßliche
Auguſtwoche in uns wachruft. Reichhaltiger als alle ihre Vor-
gängerinnen bietet uns die neueſte 11. Nummer in Wort und
Bild eine Fülle intereſſanter und anregendſter Gaben. Den Reigen
cröffnet Karl Gegenbaur mit einem äußerſt intereſſanten
Lebensabriß Friedrich Tiedemann's, der des Letzteren Portrait
zu begleiten beſtimmt iſt. Otto Karlowa beſchließt ſeinen geiſt-
vollen Aufſatz üder Anton Friedrich Juſtus Thibaut. Arthur
Kleinſchmidt bringt anknüpfend an das von Wilhelm Trübner
gezeichnete Bild Friedrichs des Siegreichen eine anſprechende Skizze
über Clara Tott. Geſtützt auf eingehendſte Quellenſtudien ſchildert
Otto Becker meiſterhaft die kliniſchen Anſtalten der Univerſität:
das akadem. Krankenhaus im Beſondern, die Entbindungsanſtalt
Lest Frauenklinil, die Poliklinik, die Augenklinik, das pathologiſche
Juſtitut, die Irrenklinik und die Luiſenheilanſtalt. Der Feſtbericht
kommt in dieſer Nummer zum Abſchluß. Den Commers in der
Feſthalle und das Coſtümfeſt auf dem Schloſſe beſchreibt in über-
aus anſprechender u. feſſelnder Weiſe Robert Davidſohn, von der
Schloßbeleuchtung und dem Feuerwerke am 7. Auguſt entwirft
uns Karl Obſer ein wahrheitsgetreues, anmuthiges Bild. Der
dritte Bericht über die Ehrengabe ehemaliger akademiſcher Bürger
der Ruperto⸗Carola und Adolf Koch's intereſſanter kleiner Ar-
tikel über Eiſenbahn, Poſt und Telegraphie während der Jubi-
läumstage beſchließen die Proſagaben der umfangreichen Nummer.
Mit Freuden begrüben wir es, daß die Poeſie in vorliegender

Nummer mehr zu Wort kommt, als in den vorhergehenden.
Ludwig Eichrodt ſingt uns ein munteres Studentenlied“.
Friedrich Pfaff ſtimmt in Meiſter Scheffel s Weiſe ein äußerſt
gelungenes Lied zum Lobe der verſtummten Heidelberger Lumpen-
glocke an und ein Ungenannter ſpricht einen „Weyſen Spruch“.
Fridrich Geßler erzählt uns mit vielem Humor vom „Ge-
leimten Melak“ und Hugo Münſterberg bringt uns einen
warm empfundenen und ſtimmungsvollen „Jubiläums⸗Abſchied“.
Auch an einer grozen Zahl äußerſt gelungener Illuſtrationen
fehlt es nicht. Außer den oben erwähnten Portraits Friedrich
Tiedemanns und Friedrichs des Siegreichen nennen wir das
doppelſeitige herrliche Vollbild „Die kliniſchen Anſtalten der Uni-
verſität Heidelberg“, entworfen von L. Stürtz, den Commers
in der Feſthalle, die Schloßbeleuchtung, das Gartenfeſt der
Muſeumsgeſellſchaft und die Sceue beim großen Faſſe, ſämmtlich
H. Kley's flottem Stifte entſtammend, ferner Kunz Meyer's
liebliche „Vier Facultäten“. Der, wie man ſieht, äußerſt reich-
haltigen Nummer iſt ein vollſtändiges Verzeichuiß der Namen
der Spender der Heidelberger Jubiläums⸗Stiftung beigegeben.
Redaction und Verlag haben auch in dieſer Nummer wieder
einen ſchönen Beweis ihres unermüdlichen Eifers gegeben, mit
dem ſie bemüht ſind, ihrer Aufgabe in jeder Weiſe gerecht zu
werden. Unſere Erwartungen ſind nicht nur durchaus befriedigt,
ſondern in vieler Hinſicht weit übertroffen worden und wir wollen
dem Unternehmen, das nunmehr ſeinem Abſchluſſe entgegen ſieht,
unſern aufrichtigen Glückwunſch zum trefflichen Gelingen nicht
vorenthalten.

auf eine heiße Quelle.

nicht genügend ausweiſen konnte, in Haft verbrachte. Ein
Syitalit hatte ſich dieſer Tage von ſeinem Aſyl entfernt, vor
ſeinem Weggehen aber die der Anſtalt gehörenden Kleidungsſtücke
und Stiefel, welche er ſo lange getragen, vollſtändig zer-
ſchnitten. Derſelbe trieb ſich in der Umgebung von Heidelberg
berhe twarde wegen Sachbeſchädigung verfolgt und iſt bereits
berhaftet.
XX Sihwehingen, 24. Nov. Geſtern Abend nach 10 Uhr wurden
wir abermals durch Feuerlärm erſchreckt. Zwiſchen der
Karlsruher und Karl⸗Friedrichſtraße wurde eine Scheuer ſammt
ihrem Inhalt ein Naub der Flammen. Ueber die Entſtehnng
des Brandes iſt nichts Näheres bekannt; doch dürfte wahrſchein-
lich Fahrläſſigkeit die Urſache geweſen ſein.
Rarlsrahr, 24. Nov. (Dreihundertjähriges Jubiläum
des großh. Gymnaſiums.) Zwei dramatiſche Aufführungen
ſehr verſchiedener Art bat die 300fährige Jubelfeier des Karls
ruher Gymnaſiums veranlaßt, eine für Gymnaſiaſten und eine
durch Gymnaſiaſten. Am Abend des 22. November waren die
Schüler des Gymnaſiums die Herren im Zuſchauerraume des
aroßh. Hoftheaters. Zur Aufführung war Schiller's „Wilhelm
Tell“ auserſehen, wohl diejenige Dichtung, welche ſich bei dem
verſammelten Publikum der meiſten Sympathien zu erfreuen hat
und demſelben am geläufigſten iſt. Denn ſchon dem Sextaner
wird die Milch der frommen Denkart in gährend Drachengif
verwandelt, wenn er an ſeinem Geburtstag 2 Stunden nachſitzen
mutz; wenn ein Schneeball ſein Ziel erreicht, „das war Tell
Geſchoß“; nicht nur „er“, auch „ſie“ muß durch dieſe hohle Gaſſe
kommen, wo der Sekundaner auf ein edles Wild lauert. Doe
im Ernſt geſprochen: Schiller's hochfliegender Idealismus, ſein
Reichthum au ſtarken und kühnen Gedanken, die Lauterkeit ſeiner
Sinnesart und vor Allem ſein perſönliches Aufgehen in ſeinen
Werken machen ihn ſtets zum Lieblingsdichter der Jugend, denn
die Jugend identifizirt unwillkürlich den Künſtler mit dem Kunſt-
werk und ſucht bei jenem alle idealen Eigenſchaften des letzteren.
Selten iſt daher ein dankbareres Publikum vor dem Vorhange
der Karlsruher Bühne geſeſſen. Jedes Fallen des Vorhanges
war das Zeichen zu einem wahren Beifallsſturm und das Klatſchen
und Bravorufen ward offenbar als ein weſentlicher Theil des
Vergnügens angeſehen. Am Nachmittage des 23. November ge-
langte Sophokles' „Philoktet“ durch die Schüler der Primd
in der Feſthalle zur Anfführung. Es iſt ein hübſches Spiel des
Zufalles, daß es ſich dabei wiederum um einen ſagenberühmten
Schützen handelt; denn wie Tell durch ſeinen Apfelſchuß die
Befreiung der Schweiz herbeiführte, ſo knüpft ſich an den Namen
des Philoktet und an die Sicherheit ſeines, von Herakles ihm ge-
ſchenkten Bogens die Erfüllung der letzten Schickſale von Troja.
Die Mitwirkenden hatten es offenbar an fleißigem Studiren und.
Probiren nicht fehlen laſſen und erfüllten mit freudiger Hingebung
ihre Aufgabe, zu zeigen, daß ihr Verſtändniß für altgriechiſches
Leben, Denken und Empfinden ſie befähige, ein künſtleriſch ver-
klärtes Stück davon dem lebenden Geſchlechte leibhaft vor Augen
zu führen. Bei dem Banket, welches geſtern Abend die Reihe
der Feſtlichteiten ſchloß, war Saal und Galerie der Feſthalle
dicht gefüllt. Das Banket wurde mit einem Muſikvortrag der
Böttge'ſchen Kapelle eröffnet, worauf der Vorſitzende Prof. Keim
die Rednerbühne beſtieg, um in zündenden Worten einen Trint-
ſpruch auf den Schirmherrn des Friedens, den Kaiſer und den
Mitbegründer des Reichs, den weiſen bürgerfreundlichen, den
Wiſſenſchaften holden Fürſten, unſeren Groß herzog auszu-
bringen. Dieſem edlen deutſchen Fürſtenpaar, den Vorbildern
der Jugend, gelte ſein Hoch. Brauſenden Widerhall fanden des
Redners Worte in dem rieſigen Raum und ſtehend ſang da-
nach die Verſammlung die deutſche Hymne. Unter Leitung de
Muſitdirectors Adam brachten ſodann lt. Bad. Landesztg. die
Geſangvereine Liederhalle und Liederkranz das „Deutſche Lied
zu Gehör. Als zweiter offizieller Feſtreduer erſchien Profeſſor
Böckel, welcher ſein Hoch der Großherzogin brachte, deren
Name mit dem des Kaiſers und des Großherzogs enge vrrknüpf
ſei. Landescommiſſär Geh. Referendär Haas wies in läugerer,
gedankenreicher Rede darauf hin, daß die gewaltige Machtſtellung
des deutſchen Reiches, auf welche wir mit ſo viel Befriedigung
blicken, nicht nur das Erzeugniß äußerer Gewalt, ſondern auch
das Erzeugniß der geiſtigen Bildung unſeres Volkes während
bieler Jahre ſei. Dem Gymnaſium, der Heimſtätte deutſcher
Wiſſenſchaft, deutſcher Bildung und deutſcher Sitten galt ſein
Hoch! (Es folgte der Geſang eines von Profeſſor Otto Kien!
gedichteten Feſtliedes, welches Altmeiſter Vinzenz Lachner in be-
kannter vorzüglicher, leicht ſangbarer Weiſe in Muſik geſetzt hatte ö
Dichter wie Componiſt wurden mit reichem Beifall uberſchütte
Im weitern Verlaufe folgten noch eine Reihe von Trinkſprüche
und Vorträgen. An das Banket ſchloß ſich eine Tanzun terhaltun 3
an. —Nicht unerwähnt darf ſchließlich bleiben, daß auch da
Progymnafium zu Durlach das Jubiläum in angemeſſener un
würdiger Weiſe gefeiert hat. 1
Karlsruhe, 23. Nov. Die Einnahmen der Badiſchen Bahne
betrugen im Monat October:

aus dem aus dem ſaus ſon⸗ Januar
Perſonen⸗ Güter⸗ ſtigen Summa bis mit
verkehr verkehr Quellen October

nach proviſ.

A. A. Al. +. . 07
Feſtſtellung 1886, 110,1922,177,892J258,2543.544,338,30.S64,30.:

nach proviſ.

Feſtſtellung 1885.1,053,2441,949,470248,6443,251,358 29.845.655

nach definitiver

Feſtſtellung 1885.1,047,691 2.008,853233,1753,289,719 29.97½ꝗ2. *

Im Jahre 1886
gegen die provi-
ſoriſche Ein-
nahme des Jah-
res 1885. mehr
weniger
und gegen die de-
finitive Ein-
nahme des Jah⸗ 35
res 1885. mehrſ 62,501 251,619 886,40
weniger. — — *
Aus Fabeu. Wegen Verdacht des Meineides wurde 19
Maurer Kuhn aus Daxlanden auf dem Schöffengericht zu Karl
ruhe verhaftet,
und beſchworen hatte.

4610 289,980

56,948

228,422 1,018,659

169,039

20,079

Kuhn ſoll ſich It. N. B. Lz. zu dieſen

Falſcheide von Frau Kaufmann Längin aus Mühlburg duls ö

20 Pig. für Schnaps haben beſtechen laſſen. Frau L. iſt ebenfa
verhaftet worden. — In Lahr wurden 3 Knaben im Alter —
etwa 12 Jahren feſtgenommen, da dieſelben im Beſitze vo
über 80 %½. waren und verſchiedene Einkäufe machten.
geſtellt wurde, haben dieſelben in Offenburg eine Ladenkaſſe
ſtohlen. — In Hüfingen vergiftete ſich ein an Schwermaen
leidendes 25jähr. Fräulein. — In Lörrach wurde bei Metzg
Rothacker in der Grabenſtraße eingebrochen und aus eine

Sekretär eine Anzahl Schmuckſachen, ſowie im Laden ſämmtlich-

Wurſtwaaren geſtohlen. Im Keller thaten ſich die Einbrecher a
Wein gütlich. Auch einige Brodlaibe ſind verſchwunden.

Vermiſchte Nachrichten.
Aimburg a. d. Zahn, 21.
Kunde, daß im bofe des Mesgermeiſters Schütz in der obemn
Fleiſchgaſſe Dampf der Erde entſtröme. Beſichtigung ler
Ort und Stelle ergab, daß an einem Kanalzufluß ſeit etwa pie,
Tagen Dampf entſtrömt. Merkwürdig iſt der Einfluß auf en
Maſſerleitung des Herrn Schütz. Geſtern Abend und heute Mor9ag
ſoll das Waſſser derſelben faſt hei geweſen ſein. Heute Mit 5
um 12 Uhr hatte dasſelbe noch eine Wärme von 17 R., währer
das Waſſer der Waſſerleitung in andern Häuſern nur eine Würg-
von 8¾ R. ergab. Die Einwohner hoffen nach dem Limb-

nachdem er ſoeben ſeine Ausſage gemacht 5

Pe ſ,

Nov. Heute Norgen verbreitete ſich dis .

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