Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 8./9.1926/27
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0060
DOI issue:
1/2. Oktoberheft
DOI article:Eckstein, Hans: Über den Bildschmuck griechischer Tongefäße
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0060
libee den Bttdßbmuck Qctccbiicbet? Tongcfäbc
oon
fi~ Scküetn
|ie Saminlungen griechischerVasen erfreuen sicli bei
den Museumsbesuchern nur geringer Beliebtheit.
Sie werden schnell durchgang’en. Denn die Schönheit
dieser Gebilde des antiken Handwerks erschließt sich
erst dem, der sicli ein wenig um sie gemtiht hat. Ist das
Auge aber einmal für die besondere Art der bildlichen
Wiedergabe auf den Vasen ctwas geschärft, so gewinnt
man gerade von hicr aus ein ncues tieferes Verständnis
für das griechische Wesen. Denn dcr gewaltige innere
Rildtrieb der Hellenen, den uns ilire Bildwerke in Erz
Achffi und Penthesilea
Innenbild einer Trinkschale, um 450 v. Chr.
und Stein offenbaren, beseelt auch die Erzeugnisse ihres
Handwerkes, zumal in dessen Blütezeit. Auch die min-
deren Kultgaben und die Gegenstände täglichen Ge-
brauchs sind durchdrungen von dem Geist und Gesetz
der Monumentalkunst: auch sie zeigen deren Maß,
Würdc und Anmut — gewiß auf niederer Stufe, aber den-
noch in lauterem Abglanz. Neben den monumentalen
Kunstschöpfungen sind auch sie b i 1 d g e w o r d e n e r
Ausdruck des griechischen Lebens-
g e f ü h 1 s. In besonderem Maße gilt das von den Er-
zeugnissen der attischen Keramik im sechsten und fünf-
ten vorchristlichen Jahrhundert.
Wie Athen seit dem staatlichen Niedergang und Vcr-
fall des östlichen Jonien mehr und mehr zum geistigen
Sammelpunkt der hellenischen Kräftc wurde, so gelangte
auch dort das Töpferhandwerk zu seiner reifsten und
glanzvollsten Entfaltung. Während der Jahrzehnte von
dem Sturz der Tyrannen bis zum Ende der Perserkriege
verband sich in der Vasenmalerei handwerkliche Sorg-
falt aufs glücklichste dem Wettcifer mit dcn großen Er-
rungenschaften dcr Plastik und Wandmalerei, ohne daß
ein solcher Agon den Gebildcn dieses emsigen Hand-
werkbetriebs zum Naeliteil gereicht hätte. Gefäßform,
Dekoration und lebensvolles Bild stellen eine vollkom-
mene Einheit dar: das Bild ist weder bloße Zierform,
noch ist es von solcher Eigengesetzlichkeit, die den orna-
mentalen Charakter der Vasenmalerei oder die organi-
scbe Eorm des Gcfäßes zcrstören miißte.
In dem Maße wie die archaische Kunst sicli von
ihren orientalischen Voubildern befreit hat, ist aucli dic
Erzählerkunst bei den Vasenmalern erwacht und hat die
dekorativen Muster zugunsten der bildlichen Darstellung
Apolls Rache an Tityos
Innenbild einer Trinkschale, um 450 v. Chr.
zurückgedrängt. Spiel uud Uebung der Jünglinge in der
Palästra, Ringkampf, Wettfahrt, Jagd, der Abscbied des
ausziehenden Kriegers werden anschaulich dargestellt.
Den Weinkannen, Mischkrügen, Trinkschalen und
Bechern werden mit Vorliebe Bilder froher Gelage, des
ausgelassenen Tummeltanzes trunkener Zecher oder der
Eeier des Weingottes durch den Reigen der Mänaden
und Satyrn aufgemalt. Was immer das Leben erftillte,
spiegeln dic Bilder auf den Vasen wieder. Einen großen
Raum nehmen die Darstellungen der mythiscben Aben-
teuer ein: die homerischen Helden, ihre Kämpfe und
Freuden, die Taten des Hcrakles, Theseus, Perseus, Bel-
lerophön finden auf den Vasen ihrc bildliche Vergegen-
wärtigung. Das frische Lcben der Gegenwart dringt
auch in die Mythen ein. Gerade hier wird die Kraft und
Eindringlichkeit episch ausbreitender Schilderung ganz
besonders deutlich.
Wie erfülit alles quellenden Lebens die Vasenbilder
auch sind, ihr ornamentaler Charakter bleibt erhalten.
Die auf den rotgelben Tongrund gesetzten s c h w a r -
z e n S i 1 h o u e 11 c n b i 1 d c r zeigen nur eine sehr
sparsame Verwendung von Farben: duukles Rot und
49
oon
fi~ Scküetn
|ie Saminlungen griechischerVasen erfreuen sicli bei
den Museumsbesuchern nur geringer Beliebtheit.
Sie werden schnell durchgang’en. Denn die Schönheit
dieser Gebilde des antiken Handwerks erschließt sich
erst dem, der sicli ein wenig um sie gemtiht hat. Ist das
Auge aber einmal für die besondere Art der bildlichen
Wiedergabe auf den Vasen ctwas geschärft, so gewinnt
man gerade von hicr aus ein ncues tieferes Verständnis
für das griechische Wesen. Denn dcr gewaltige innere
Rildtrieb der Hellenen, den uns ilire Bildwerke in Erz
Achffi und Penthesilea
Innenbild einer Trinkschale, um 450 v. Chr.
und Stein offenbaren, beseelt auch die Erzeugnisse ihres
Handwerkes, zumal in dessen Blütezeit. Auch die min-
deren Kultgaben und die Gegenstände täglichen Ge-
brauchs sind durchdrungen von dem Geist und Gesetz
der Monumentalkunst: auch sie zeigen deren Maß,
Würdc und Anmut — gewiß auf niederer Stufe, aber den-
noch in lauterem Abglanz. Neben den monumentalen
Kunstschöpfungen sind auch sie b i 1 d g e w o r d e n e r
Ausdruck des griechischen Lebens-
g e f ü h 1 s. In besonderem Maße gilt das von den Er-
zeugnissen der attischen Keramik im sechsten und fünf-
ten vorchristlichen Jahrhundert.
Wie Athen seit dem staatlichen Niedergang und Vcr-
fall des östlichen Jonien mehr und mehr zum geistigen
Sammelpunkt der hellenischen Kräftc wurde, so gelangte
auch dort das Töpferhandwerk zu seiner reifsten und
glanzvollsten Entfaltung. Während der Jahrzehnte von
dem Sturz der Tyrannen bis zum Ende der Perserkriege
verband sich in der Vasenmalerei handwerkliche Sorg-
falt aufs glücklichste dem Wettcifer mit dcn großen Er-
rungenschaften dcr Plastik und Wandmalerei, ohne daß
ein solcher Agon den Gebildcn dieses emsigen Hand-
werkbetriebs zum Naeliteil gereicht hätte. Gefäßform,
Dekoration und lebensvolles Bild stellen eine vollkom-
mene Einheit dar: das Bild ist weder bloße Zierform,
noch ist es von solcher Eigengesetzlichkeit, die den orna-
mentalen Charakter der Vasenmalerei oder die organi-
scbe Eorm des Gcfäßes zcrstören miißte.
In dem Maße wie die archaische Kunst sicli von
ihren orientalischen Voubildern befreit hat, ist aucli dic
Erzählerkunst bei den Vasenmalern erwacht und hat die
dekorativen Muster zugunsten der bildlichen Darstellung
Apolls Rache an Tityos
Innenbild einer Trinkschale, um 450 v. Chr.
zurückgedrängt. Spiel uud Uebung der Jünglinge in der
Palästra, Ringkampf, Wettfahrt, Jagd, der Abscbied des
ausziehenden Kriegers werden anschaulich dargestellt.
Den Weinkannen, Mischkrügen, Trinkschalen und
Bechern werden mit Vorliebe Bilder froher Gelage, des
ausgelassenen Tummeltanzes trunkener Zecher oder der
Eeier des Weingottes durch den Reigen der Mänaden
und Satyrn aufgemalt. Was immer das Leben erftillte,
spiegeln dic Bilder auf den Vasen wieder. Einen großen
Raum nehmen die Darstellungen der mythiscben Aben-
teuer ein: die homerischen Helden, ihre Kämpfe und
Freuden, die Taten des Hcrakles, Theseus, Perseus, Bel-
lerophön finden auf den Vasen ihrc bildliche Vergegen-
wärtigung. Das frische Lcben der Gegenwart dringt
auch in die Mythen ein. Gerade hier wird die Kraft und
Eindringlichkeit episch ausbreitender Schilderung ganz
besonders deutlich.
Wie erfülit alles quellenden Lebens die Vasenbilder
auch sind, ihr ornamentaler Charakter bleibt erhalten.
Die auf den rotgelben Tongrund gesetzten s c h w a r -
z e n S i 1 h o u e 11 c n b i 1 d c r zeigen nur eine sehr
sparsame Verwendung von Farben: duukles Rot und
49