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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

DOI Heft:
1./2. Juniheft
DOI Artikel:
Kern, Guido Josef: Die verschollene "Kreuztragung" des Hubert oder Jan van Eyck, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0458

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6. 7- Kccn

iii.*)

Jie Begriffe „mathematisch“ und „absolut“, ange-
wendet auf die Verkleinerung oder Vergrößerung
von Bildern, sind natürlich nicht wörtlich zu verstehen.
Bs ist klar, daß eine noch so genaue Uebertragung eines
Bildes in einen anderen Maßstab keine im engsten Sinne
rnathematische Uebereinstimmung ergeben kann. Bei
Prüfungen, die an Bildern nach Jahrhunderten statt-
finden, schiießt schon die Veränderlichkeit der Materie
solchen Befund vollkominen aus,. Wenn dazu, wie im
voriiegenden Falle, Bilder und Pahmen zur Rekonstruk-
tion benutzt werden müssen, die im Laufe der Zeit aller-
lei kleine Veränderungen erfahren haben — die Peters-
burger Bilder wurden von Holz auf Leinwand über-
tragen und die alteriRahmen leicht überarbeitet — so er-
ieiden die Begriffe „mathematisch“ und „abs.olut“ von
selbst eine sinngemäße Einschränkung. Man wird s.ich
der entsprechenden Ausdrücke aber bedienen, wenn
man mit ihnen das höchste Maß von Genauigkeit
charakterisieren will, das man vernünftiger Weise unter
solchen Verhältnis.sen verlangen kann. Und dieser
Grad von Genauigkeit ist erreicht. Zur näheren Be-
gründung teilen wir noch die Berechnungen selbst mit,
auf die sich unsere Rekonstruktion stützt. Sie bilden
ihre Grundlage und ihren Wertmesser, während die
graphische Rekonstruktion, die nie ganz genau sein
kann, nur einen Behelf für die Anschauung darstellt.
A) Lichte Maße der Aachener Tafel:

Höhe = 42,0 cm (vergl. Seite 310)

Breite = 32,0 cm (vergl. Seite 310)

Liclite Höhe der Petersburger Flügel = 56,0 cm.

Nennt man die gesuchte Breite der Mitteltafel x,
so ergibt sich:

42

32

56

x

oder x = 42,7

B) Lichte Breite eines Petersburger

Flügels.= 20,0 cm

Breite je einer Seitenleiste . . . = 2,5 cm

mithin: Breite eines eingerahmtenFlügels = 25,0 cm

Breite der beiden eingerahmten

Flügel.= 50,0 cm

Breite des eingerahmten Mittel-
bildes, erschlossen aus der
Breite beider Flügel . . . . = 50,0 cm

Breite des ganzen Altarwerkes
= Breite beid.Flügel + Breite
des Mittelbildes.= 100,0 cm

*) Siehe „Der Kunstwanderer“, 1/2. Aprilheft und 1/2. Mai-
lieft 1927. Die vereinigten Aufsätze erscheinen demnächst als
besondere Veröffentlichung im Berliner Verlag von Max Perl.

Lichte Breite des Mittelbildes
= 50,0 cm — Summe der bei-
den vertikalen Rahmenleisten
(2X2,5 cm; so angenommen
nach den vertikalen Rahmen-
leisten der Petersburger Bil-
der, = zusammen 5,0 cm) . = 45,0 cm

Die IJifferenz zwischen den Endzahlen von A und B
beträgt also 2,3. Es ist dies gegenüber der Zahl 45 eine
minimale Differenz. Sie beruht dabei noch auf der Vor-
aussetzung, daß das Mittelbild des, Altares, bei einem
Ausmaß von 45 X 56 cm, keine breiteren Rahmenleisten
besessen haben soll als die Seitenbilder, obwohl es
mehr als doppelt so breit war wie jene, und die Rahmen
der Seitenbilder, an sich betrachtet, mit 2,5 cm überaus
schmal sind. Erbreitert man die Rahmenleiste des
Mitteibildes nach innen nur um VA cm, so ver-
schwindet die kleine Differenz bis auf den letzten Rest.

Wir kommen nunmehr zur Unters.uchung der Frage
nacli dem Stil und dem Alter der Eyckschen „Kreuz-
tragung“. Nachdem festgestellt worden ist, daß die
Aachener „Kreuztragung“ auf van Eyck zurückgeht,
ferner feststeht, wie im wesentlichen die Komposition
des Originals ausgesehen hat, nachdem endlich die
Zugehörigkeit des Biides zur größeren Einheit eines
Triptychons und ihr besonderer Charakter als der des
Mittelstückes erkannt wurde, soll nunmehr versucht
werden, eine klarere Vorstellung iiber den Stil des Ori-
ginals herbeizuführen. Die stilistische Untersuchung der
Mitteltafel wie des ganzen Altarwerkes wird beiden ihren
Platz im Gesamtwerke der Brüder van Eyck von selbst
anweisen.

Da das Original fehlt, muß sich die Untersuchung
des Mittelstückes auf Analyse und Vergleich der zwei in
Aachen und Wien erhaltenen Kopien stützen. Für das
Aachener Bild charakteristisch ist das gnomen-
hafte Aussehen der Figuren und die Eckigkeit ihrer
Bewegungen. Die Individualität der Köpfe liegt mehr
im Aeußerlichen als im Seelischen, mehr in der besonde-
ren Form als im unterschiedlichen psychologischen Aus-
druck.10)

Die Wiener Zeichnung hingegen nähert sich in den
figürlichen Proportionen der Wirklichkeit; sie 'löst
freiere Bewegungen aus, ist in Gebärde und Mienenspiel
differenzierter und sprechender. Sie steht künstlerisch

10) Wir halten das Bild lieute nicht mehr ftir ein Werk von
Dirk Bouts oder dem sog. Meister der Perle von Brabant, sondern
für die Arbeit eines unbekannten Schülers von Dirk Bouts. Der
ungewöhnlich hohe kunst- und kulturgeschichtllche Wert des Bildes
wird dadurch kaum berührt.

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