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des deutfcben Künftfecbundes Dcesden 192?
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JHans LD. SingetJ
jiese Ausstellung stellt uns vor ein Problem. Schon
vor sieben Jahren hat W. Hausenstein in seiner
Hyperions-Verlags-Broschüre ein ehrliches pater
peccavi abgelegt. Darin ließ er drucken: „Heute
stehen wir rastend und fragen, was er (der Expressio-
nismus nämlich) gebracht hat. Heute — denn heute
ist er zu Ende. (Er ist schon eine geraume Weile zu
Ende — virtuell.)“
Einige Monate später schrieb Karl Scheffler:
„Wenn heute pathetisch von einem neuen Stil der
Kunst, der jetzt kommen werde, und von neuer Kultur
gesprochen wird, so sollen die groß Hoffenden sich
wenigstens der Tatsache bewußt bleiben, daß eine um-
fassende Kunstkultur nur auf dem breiten Boden hoch-
wertiger handwerklicher und gewerblicher Ar'beit
möglich ist.“ Auch das war eine unzweideutige Ver-
urteilung des Expressionismus und sollte es im Augen-
blick der Niederschrift auch gewiß sein.
Sodann sind es rund schon zwei Jahre her, daß
selbst einer der allereifrigsten Vorkämpfer der Rich-
tung den Bankrott eingestand. Denn nichts anders als
ein glattes Zugeständnis birgt der Artikel „Die tote
Kunst der Gegenwart“ im 1925er Jahrgang des „Kunst-
blatts“, wenn der Verfasser sich auch die bittere Pille
zu versüßen sucht durch ein Gewimmer darüber, daß
es eigentlich das liebe Publikum sei, das versagt habe.
Und nun teilte mir vor mehreren Jahren der Leiter
der Akademie in Berlin mit: „Unsre Jugend von heute
macht schon nicht mehr mit. Ich sehe es ja täglich in
den Ateliers. Sie lehnt diesen übertriebenen Subjekti-
vismus entschieden ab: sie sucht wieder auf irgend
eine Weise nach einem neuen, starken Verhältnis zur
objektiven Natur, sucht vor allem, und das ist das Be-
deutsame, nach der Wiedergewinnung des handwerk-
lichen Könnens.“
Inzwischen ist mir das Gleiche von verschiedenen
Lehrern der Dresdener Akademie des öfteren bestätigt
worden.
Ist dem allen so, ist wie ich allerdings selbst
geneigt zu glauben bin, der Expressionismus tot, wie
soll man die hier zu besprechende Ausstellung erklä-
ren? Was kann die Jury — es befinden sich Namen
dabei wie Kalckreuth, Kolbe, Kollwitz, Pankok, Slevogt
— bewogen haben eine Leiche zum letzten, zum aller-
letzten Male zu galvanisieren? Denn darauf läuft
diese, innerhalb der Dresdener Jahresschau „Das
Papier“ veranstalteten graphischen Ausstellung hinaus.
Das Künstlerhaus am Stübelplatz birgt das Zusam-
mengebrachte. Das erste Zimmer rechts vom Eingang
ist die Oase. Hier hängen 13 Liebermanns, 8 Barlachs,
7 Kollwitze, 11 Corinth und 9 Feldbauer. Warum wird
wohl Corinth als einziger, ohne die leiseste Andeutung,
daß er nicht mehr lebt, glatt unter die anderen ein-
gereiht? Auch noch der nächste Raum mit seinen
10 Orliks, 8 Kalckreuths, 10 Meids und 10 Slevogts
führt uns die überragende Bedeutung der „vorigen,
abgetanen“ Kunstepoche so recht überwältigend zu
Gemüte. Von Kalckreuth (übrigens auch von Pankok
und anderen der anerkannten Größen) finden wir ganz
alte Blätter aus den 90er Jahren vor. Wunderbar sind
zwei neuere Bildnisköpfe des Grafen, auf’s Fein-
sinnigste durchmodelliert, dabei aber in eigener Art
ganz zart im Ton gehalten, so daß die Nadel hier mit
dem Silberstift wetteifert.
Alexander Kanoldt hat seine persönliche Auf-
fassung, die ihn bewußt oder unbewußt an die Graphik
der besten, alten Nazarener heranrückt, immer folge-
richtiger entfaltet. Wie jene, überantwortet er sich
einer Einfachheit der Empfindung und Anschauung und
verrät auch deren Liebe für die Wirkung, die mit dem
festen, sicheren Umriß zu erzielen ist.
Bei Theodor Brün aus Hagen, Hermann Teuber aus
Dresden und Hedwig Trumm-Witzel aus München ver-
spürt man mit Genugtuung endlich wieder etwas Ver-
ständnis für die Schönheit sowie Eingehen auf die
Eigenheit des herrlichen Materials, mit dem sie arbeiten.
Ansonsten tummeln sich die unentwegten Expres-
sionisten.
Das einigende Band unter allen diesen Graphikern,
die bewußte Verachtung, die sie der Technik entbieten,
— ist das Ueberragende in ihrem Schaffen und zwar
bis zu dem Grad Ueberragende, daß eine Ausstellung
wie die jetzige von einer geradezu beklemmenden Ein-
tönigkeit ist. Nicht einmal der Versuch mit dem Far-
bendruck verfängt mehr. Kein einziger Farbenfleck
leuchtet an der Wand, wenn wir von (dem übrigens
keineswegs „leuchtenden“) Meltzer und etwelchen im
Geschmack der neuruppiner Bilderbogen, bemalten
Blättern absehen.
In gewißem Maße mag es bestricken, daß so wenig
an den Wänden hängt. Die elf großen Räume hätten
anstandslos für das Dreifache (für mindestens 1800
statt der vorhandenen 558 Blatt) genügt und dann
hätten die Originale immer noch nicht so eng gehängt
werden müssen, wie man sie auf früheren Dresdener
graphischen Ausstellungen, z. B. jener des Jahres 1906,
gesehen hat. Aber die Zurückhaltung hat auch ihre
Schattenseiten und man kann ihre Berechtigung von
rein ausstellungstechnischen Gesichtspunkten in Frage
stellen. Von den Mitgliedern der Jury und einigen
Spitzen des Künstlerbundes hat ein jeder rund zehn
Blatt beigetragen. So bekommt der Besucher ein
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des deutfcben Künftfecbundes Dcesden 192?
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JHans LD. SingetJ
jiese Ausstellung stellt uns vor ein Problem. Schon
vor sieben Jahren hat W. Hausenstein in seiner
Hyperions-Verlags-Broschüre ein ehrliches pater
peccavi abgelegt. Darin ließ er drucken: „Heute
stehen wir rastend und fragen, was er (der Expressio-
nismus nämlich) gebracht hat. Heute — denn heute
ist er zu Ende. (Er ist schon eine geraume Weile zu
Ende — virtuell.)“
Einige Monate später schrieb Karl Scheffler:
„Wenn heute pathetisch von einem neuen Stil der
Kunst, der jetzt kommen werde, und von neuer Kultur
gesprochen wird, so sollen die groß Hoffenden sich
wenigstens der Tatsache bewußt bleiben, daß eine um-
fassende Kunstkultur nur auf dem breiten Boden hoch-
wertiger handwerklicher und gewerblicher Ar'beit
möglich ist.“ Auch das war eine unzweideutige Ver-
urteilung des Expressionismus und sollte es im Augen-
blick der Niederschrift auch gewiß sein.
Sodann sind es rund schon zwei Jahre her, daß
selbst einer der allereifrigsten Vorkämpfer der Rich-
tung den Bankrott eingestand. Denn nichts anders als
ein glattes Zugeständnis birgt der Artikel „Die tote
Kunst der Gegenwart“ im 1925er Jahrgang des „Kunst-
blatts“, wenn der Verfasser sich auch die bittere Pille
zu versüßen sucht durch ein Gewimmer darüber, daß
es eigentlich das liebe Publikum sei, das versagt habe.
Und nun teilte mir vor mehreren Jahren der Leiter
der Akademie in Berlin mit: „Unsre Jugend von heute
macht schon nicht mehr mit. Ich sehe es ja täglich in
den Ateliers. Sie lehnt diesen übertriebenen Subjekti-
vismus entschieden ab: sie sucht wieder auf irgend
eine Weise nach einem neuen, starken Verhältnis zur
objektiven Natur, sucht vor allem, und das ist das Be-
deutsame, nach der Wiedergewinnung des handwerk-
lichen Könnens.“
Inzwischen ist mir das Gleiche von verschiedenen
Lehrern der Dresdener Akademie des öfteren bestätigt
worden.
Ist dem allen so, ist wie ich allerdings selbst
geneigt zu glauben bin, der Expressionismus tot, wie
soll man die hier zu besprechende Ausstellung erklä-
ren? Was kann die Jury — es befinden sich Namen
dabei wie Kalckreuth, Kolbe, Kollwitz, Pankok, Slevogt
— bewogen haben eine Leiche zum letzten, zum aller-
letzten Male zu galvanisieren? Denn darauf läuft
diese, innerhalb der Dresdener Jahresschau „Das
Papier“ veranstalteten graphischen Ausstellung hinaus.
Das Künstlerhaus am Stübelplatz birgt das Zusam-
mengebrachte. Das erste Zimmer rechts vom Eingang
ist die Oase. Hier hängen 13 Liebermanns, 8 Barlachs,
7 Kollwitze, 11 Corinth und 9 Feldbauer. Warum wird
wohl Corinth als einziger, ohne die leiseste Andeutung,
daß er nicht mehr lebt, glatt unter die anderen ein-
gereiht? Auch noch der nächste Raum mit seinen
10 Orliks, 8 Kalckreuths, 10 Meids und 10 Slevogts
führt uns die überragende Bedeutung der „vorigen,
abgetanen“ Kunstepoche so recht überwältigend zu
Gemüte. Von Kalckreuth (übrigens auch von Pankok
und anderen der anerkannten Größen) finden wir ganz
alte Blätter aus den 90er Jahren vor. Wunderbar sind
zwei neuere Bildnisköpfe des Grafen, auf’s Fein-
sinnigste durchmodelliert, dabei aber in eigener Art
ganz zart im Ton gehalten, so daß die Nadel hier mit
dem Silberstift wetteifert.
Alexander Kanoldt hat seine persönliche Auf-
fassung, die ihn bewußt oder unbewußt an die Graphik
der besten, alten Nazarener heranrückt, immer folge-
richtiger entfaltet. Wie jene, überantwortet er sich
einer Einfachheit der Empfindung und Anschauung und
verrät auch deren Liebe für die Wirkung, die mit dem
festen, sicheren Umriß zu erzielen ist.
Bei Theodor Brün aus Hagen, Hermann Teuber aus
Dresden und Hedwig Trumm-Witzel aus München ver-
spürt man mit Genugtuung endlich wieder etwas Ver-
ständnis für die Schönheit sowie Eingehen auf die
Eigenheit des herrlichen Materials, mit dem sie arbeiten.
Ansonsten tummeln sich die unentwegten Expres-
sionisten.
Das einigende Band unter allen diesen Graphikern,
die bewußte Verachtung, die sie der Technik entbieten,
— ist das Ueberragende in ihrem Schaffen und zwar
bis zu dem Grad Ueberragende, daß eine Ausstellung
wie die jetzige von einer geradezu beklemmenden Ein-
tönigkeit ist. Nicht einmal der Versuch mit dem Far-
bendruck verfängt mehr. Kein einziger Farbenfleck
leuchtet an der Wand, wenn wir von (dem übrigens
keineswegs „leuchtenden“) Meltzer und etwelchen im
Geschmack der neuruppiner Bilderbogen, bemalten
Blättern absehen.
In gewißem Maße mag es bestricken, daß so wenig
an den Wänden hängt. Die elf großen Räume hätten
anstandslos für das Dreifache (für mindestens 1800
statt der vorhandenen 558 Blatt) genügt und dann
hätten die Originale immer noch nicht so eng gehängt
werden müssen, wie man sie auf früheren Dresdener
graphischen Ausstellungen, z. B. jener des Jahres 1906,
gesehen hat. Aber die Zurückhaltung hat auch ihre
Schattenseiten und man kann ihre Berechtigung von
rein ausstellungstechnischen Gesichtspunkten in Frage
stellen. Von den Mitgliedern der Jury und einigen
Spitzen des Künstlerbundes hat ein jeder rund zehn
Blatt beigetragen. So bekommt der Besucher ein
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