Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 8./9.1926/27
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0169
DOI issue:
1/2. Dezemberheft
DOI article:Waser, Otto: Zur Ergänzung der Laokoongruppe
DOI article:Waldmann, Emil: Moderne Wandmalereien im Bremer Ratskeller: ein Werk Karl Dannemanns
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Praxiteles) — sie bezeichnen E n d p u n k t e e i n
u n d d e r s e 1 b e n E n t w i c k 1 u n g , des Wandels
von der klaren, in bestimmten Flächen und Konturen
verfestigten Form zur lebendigen, ganz in Bewegung
aufgelösten Erscheinung; beim Frauenkopf wird dieser
Eindruck erreicht durch das weiche Ineinanderüber-
gehen von Licht und Schatten, durch die feine Vertrei-
bung aller plastischen Formen, die sozusagen völlig in
Licht- und Schattenwerte umgesetzt sind, beim Lao-
koon durch das leidenschaftliche Gewirr von Linien
(die nicht Konturen sind; vielleicht würde Wölfflin in
seinen „Grundbegriffen“ gelegentlich besser von Kon-
turismus sprechen s.tatt von Linearismus), die das
Ganze mit zuckenden Lichtern überspielen, die anato-
mischen Formen trennend, die künstlerischen bindend.
Wann wagt sich an die Ergänzung der Laokoon-
gruppe ein Meister, der das Ethos des antiken Barock
voll erfaßt hat?
Whistler
Price’s Candle Works
K. 154 1
Ausstellung
bei
Gutekunst und Klipstein
in
Bern
Jvtodeene IDandmaletteten im Bcemet? Ratskettec
6tn LÜct?k Kat?t Dannemanns
oon
6mtl IDaldmann
jer bremische Staat hat bei der Erteilung eines
Auftrages für Wandmalereien im Bacchus-Keller
des ehrwürdigen Ratskellers Glück gehabt. Er fand in
dem Bremer K a r 1 D a n n e m a n n die geeignete
künstlerische Kraft.
Früher war der Bacchus - Keller auss.chließlich
Lagerraum. In den tiefen gotischen Gewölben standen
die riesigen Fässer. Steigender B.esuch und Platz-
mangel machten es nötig, auch diese Räume dem Wirt-
schaftsbetrieb zu öffnen. Sie mußten hergerichtet nnd
möbliert werden. Die mittelalterlich romantische
Stimmung, durch Haufs „Phantasjen“ in die Literatur
eingegangen, sollte vereinigt werden mit jener Stim-
mung, in der sich weinfrohe, jeder Trockenlegung
Deutschlands abgeneigte Menschen des 20. Jahrhun-
derts wohlfühlen. Man hätte den alten von einem mo-
dernen Architekten im Allgemeincn taktvoll behandel-
ten Raum durch „stilgerechte“ Ausmalung schmücken
können, in strenger Anlehnung an den straffen Rhytli-
mus der Pfeiler uud Gewölbe mit ihren kapellenartigen
Nis.chen. Gotische Spruchbänder und Ornamentik,
leicht umstilisierte gotische Gestalten mit modernem
Ausdruck, Leuchterweibchenpoesie und Rolandphanta-
sien boten sich wie von selber an. Eine altdeutsche
Trinkstube war zu haben. Aber der Bremer Senat
wollte anders. Er unternahm das Wagnis, einem phan-
tasievollen Künstler freie Hand zu lassen; und wurde
uicht enttäuscht. Dannemann schuf eine Dekoration,
die ohne jede, ohne auch nur die leiseste Bindung archi-
tektonischer oder altertümlich stilisierender Art den
Raum schmückt und ihm eine künstlerisch gehobene
Stimmung verleiht und die dariiber hinaus eine rnehr
als nur beachtenswerte Leistung auf dem Gebiete mo-
derner Wandmälerei bedeutet. Malerei von s.chöpfe-
rischem Eigenwert.
Karl Dannemann, 1896 in Bremen geboren, Schüler
der Bremer Kunstgewerbeschule, dann Angelo Janks in
Münc'hen und schließlich Schüler und Helfer Max Sle-
vogts in Berlin, trat nicht unvorbereitet an seine Auf-
gabe heran. Vor einigen Jahren hat er, mit Glück und
150
u n d d e r s e 1 b e n E n t w i c k 1 u n g , des Wandels
von der klaren, in bestimmten Flächen und Konturen
verfestigten Form zur lebendigen, ganz in Bewegung
aufgelösten Erscheinung; beim Frauenkopf wird dieser
Eindruck erreicht durch das weiche Ineinanderüber-
gehen von Licht und Schatten, durch die feine Vertrei-
bung aller plastischen Formen, die sozusagen völlig in
Licht- und Schattenwerte umgesetzt sind, beim Lao-
koon durch das leidenschaftliche Gewirr von Linien
(die nicht Konturen sind; vielleicht würde Wölfflin in
seinen „Grundbegriffen“ gelegentlich besser von Kon-
turismus sprechen s.tatt von Linearismus), die das
Ganze mit zuckenden Lichtern überspielen, die anato-
mischen Formen trennend, die künstlerischen bindend.
Wann wagt sich an die Ergänzung der Laokoon-
gruppe ein Meister, der das Ethos des antiken Barock
voll erfaßt hat?
Whistler
Price’s Candle Works
K. 154 1
Ausstellung
bei
Gutekunst und Klipstein
in
Bern
Jvtodeene IDandmaletteten im Bcemet? Ratskettec
6tn LÜct?k Kat?t Dannemanns
oon
6mtl IDaldmann
jer bremische Staat hat bei der Erteilung eines
Auftrages für Wandmalereien im Bacchus-Keller
des ehrwürdigen Ratskellers Glück gehabt. Er fand in
dem Bremer K a r 1 D a n n e m a n n die geeignete
künstlerische Kraft.
Früher war der Bacchus - Keller auss.chließlich
Lagerraum. In den tiefen gotischen Gewölben standen
die riesigen Fässer. Steigender B.esuch und Platz-
mangel machten es nötig, auch diese Räume dem Wirt-
schaftsbetrieb zu öffnen. Sie mußten hergerichtet nnd
möbliert werden. Die mittelalterlich romantische
Stimmung, durch Haufs „Phantasjen“ in die Literatur
eingegangen, sollte vereinigt werden mit jener Stim-
mung, in der sich weinfrohe, jeder Trockenlegung
Deutschlands abgeneigte Menschen des 20. Jahrhun-
derts wohlfühlen. Man hätte den alten von einem mo-
dernen Architekten im Allgemeincn taktvoll behandel-
ten Raum durch „stilgerechte“ Ausmalung schmücken
können, in strenger Anlehnung an den straffen Rhytli-
mus der Pfeiler uud Gewölbe mit ihren kapellenartigen
Nis.chen. Gotische Spruchbänder und Ornamentik,
leicht umstilisierte gotische Gestalten mit modernem
Ausdruck, Leuchterweibchenpoesie und Rolandphanta-
sien boten sich wie von selber an. Eine altdeutsche
Trinkstube war zu haben. Aber der Bremer Senat
wollte anders. Er unternahm das Wagnis, einem phan-
tasievollen Künstler freie Hand zu lassen; und wurde
uicht enttäuscht. Dannemann schuf eine Dekoration,
die ohne jede, ohne auch nur die leiseste Bindung archi-
tektonischer oder altertümlich stilisierender Art den
Raum schmückt und ihm eine künstlerisch gehobene
Stimmung verleiht und die dariiber hinaus eine rnehr
als nur beachtenswerte Leistung auf dem Gebiete mo-
derner Wandmälerei bedeutet. Malerei von s.chöpfe-
rischem Eigenwert.
Karl Dannemann, 1896 in Bremen geboren, Schüler
der Bremer Kunstgewerbeschule, dann Angelo Janks in
Münc'hen und schließlich Schüler und Helfer Max Sle-
vogts in Berlin, trat nicht unvorbereitet an seine Auf-
gabe heran. Vor einigen Jahren hat er, mit Glück und
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