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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

DOI issue:
1./2. Aprilheft
DOI article:
Kern, Guido Josef: Die verschollene "Kreuztragung" des Hubert oder Jan van Eyck, [1]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0344

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Die oecleboUene ^Kceuetcagung7' des
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Q. 7. Ketm

j\l\ an braucht der „Erfindung der Oelmalerei“, deren
* 1 Vorstellung sich untrennbar mit dem Namen der
Brüder van Eyck verbindet, nicht jene Bedeutung für
die Umgestaltung und den Aufschwung der Kunst bei-
zumessen, die ihr frühere Historiker zugebilligt haben
und wird dennoch zugeben, daß die gesamte neuere
europäische Malerei auf den Schultern der Brüder van
Eyck steht. Was diese beiden flandrischen Künstler zu
Anfang des 15. Jahrhunderts geschaffen, ist ohne Analo-
gon in der Geschichte der Kunst. Die Erfindung einer
neuen Technik ist mehr als Folge denn als Ursache zu
bewerten. „Für den neuen Wein bedurfte es neuer
Schläuche.“ Der neue Wein aber war der neue Geist,
der von den Brüdern van Eyck als Künstlern ausging,
oder doch in ihren Schöpfungen seine reinste und reifste
Verkörperung fand. Dient auch ihre Kunst nocli wesent-
bch der Kirche, so befreit sie sich von einer überliefer-
^on hieratischen Gebundenheit und Typologie. An Stelie
der Formel tritt geprägte Form, gewonnen aus iebeu-
diger Naturanschauung und dem Bestreben, die sicht-
baren Dinge der Welt in das „Reich Gottes“ einzuord-
llen. Ja, es wird aus dem Himmel auf die Erde verlegt,
nnd Flandern wird der Mittelpunkt des neuen himm-
dschen Reiches. Mit der Vollendung des Genter Altars
lst für die Kunst ein weltgeschichtlicher Wendepunkt er-
reicht. Der Kunst ist die Bedeutung und Schönheit der
hrde zurückgegeben, die sie beim kode der Antike ver-
^orcn hatte. Auch ein Recht auf Sinnlichkeit. Menschen

vcn Fleisch und Blut vertreten die Gottheit und die Hei-
ligen. Man scheut sich nicht mehr, eine junge flandrische
Mutter mit ihrem Kind als Mutter Gottes hinzustellen.
Zwar erscheint sie noch nicht im Gewande einer Bäuerin,
sondern angetan mit kostbaren Stoffen und im Glanz
glitzernden Geschmeides, aber es ist eine wirkliche Frau
aus der Umgebung des Künstlers, die zum Range der
Gottesmutter erhoben und vom Volke verehrt wird. —
Bei dieser neuen Einstellung zum Göttlichen konnte es
nicht ausbleiben, daß umgekehrt das Menschliche und die
Natur als verehrungswürdigste Schöpfungen Gottes ge-
wertet wurden und in immer weiterem Umfange Eingang
in die Kunst fanden. Eine sich kraftvoll entwickelnde
Porträtkunst ist die erste Folge dieser inneren Wand-
lung, während das Hineinnehmen landschaftlicher Motive
in das Bild eine weitere Folge darstellt. So entsteht
auch der Wunsch nach räumlicher Darstellung, und der
Bildraum selbst, der den neutralen goldenen Hintergrund
ablöst. Es gesellt sich ferner zur Malerei die Perspek-
live als Wissenschaft von der Darstellung des Raumes.

Angesichts der Stellung, die den Schöpfungen der
Brüder van Eyck in der Kunstgeschichte zukommt, muß
jedes erhaltene Werk ihrer Hand als ein Werk von un-
schätzbarem Werte gelten. Spuren selbst verloren ge-
gangener Bilder haben, wenn sie sich mit Sicherheit
erkennen und verfolgen lassen, für die Geschichte der
europäischen Kunst und Kultur einen außergewöhnlichen
Wert,

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