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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

DOI issue:
1./2. Aprilheft
DOI article:
Grill, Erich: Die Kunstsammlungen in Villingen und Rottweil
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0351

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Dte Kunßfammlungen tn DtUingen und Rottiüeit

oon

Qvid) Qcill

A uf zwei Tageswanderungen, die ich während meines
* letzten, im mittleren Schwarzwald verbrachten
Sommerurlaubs, mehr zufällig als planmäßig: und in-
folgedessen einigermaßen unvorbereitet, unternahm,
kam ich zum erstenmal nach Villingen und Rottweil.
An Villingen war ich bereits wiederholt im Schnellzug
vorbeigefahren, ohne durch den Anblick von der Bahn
zum Aussteigen und längeren Verweilen verlockt zu
werden. Rottweil kannte ich bisher nur dem Namen
nach, erstens wegen des Schießpulvers, das man dort
zwar nicht erfunden hat, aber, wie jeder deutsche Waid-
mann weiß, in bewährter Güte herstellt, und zweitens
aus der Kunstliteratur, als Standort der hübschen Eris-
kirchner Klageweiber. Umsomehr überraschte es mich
nun, in beiden Städtchen nicht allein höchst reizvolle
alte Bauwerke, anmutige Straßenbilder und sonstige
städtebauliche Schönheiten, sondern auch eine erstaun-
liche Menge ungeahnter Kunstschätze angehäuft zu
finden.

Schon beim Eingang in die Villinger Altstadt durch
das Obere oder das Bickentor fiihlt man sich wie in eine
andere Welt versetzt. Die alten trauten Gassen, mit
ihrem behäbigen Hausfassaden und freundlich herab-
griißenden Giebeln, haben etwas Anheimelndes. Vor
den kleinen Läden spielt sich das Leben ohne Hast und
großen Lärm ab. Nach wenigen Schritten steht man
auf einem engen Platz und staunt iiber die Höhe der
beiden schmucken Miinstertiirme. Auffallend zierlich
wirken daneben der schmale gotische Chor und die nie-
drigen Seitenschiffe. Das Langhaus in basilikaler An-
lage kann seine Herkunft von einem romanischen Vor-
gänger nicht verleugnen. Im Kircheninnern erfreut
vor allem die köstliche spätgotische Steinkanzel, deren
Treppengeländer eine höchst lebendige, fortlaufende
Reliefdarstellung des „Zuges nach Golgatha“ bedeckt.
Der kostbare Münsterschatz, mit einem wundervollen
Scheibenkreuz aus dem 13. Jahrhundert, dem ebenfalls
spätromanischen Lürstenberger Kelch und einer reizen-
den Rokokomonstranz, wird im benachbarten neuen
Pfarrhause aufbewahrt. Gegenüber, die Südwestecke
des Platzes einnehmend und ihm seine Giebelfront zu-
kehrend, erhebt sich das malerische Alte Rathaus, das
die außerordentlich reichhaltige Städtische Altertümer-
sammlung birgt. Da sie bereits von Max Wingenroth,
dem einstigen Direktor der Freiburger Kunstsamm-
lungen, in der Zeitschrift „Vom Bodensee zum Main“
(Heimatflugblätter, herausgegeben vom Landesverein
Badische Heimat, 1921, Heft 1—3) beschrieben worden
ist, kann hier auf eine ausführliche Schilderung verzich-
tet werden. Betont sei nur nochmals, worauf schon der
verehrte, leider so früh dahingeschiedene Fachgenosse
hinwies, daß sie eine ganze Reihe hervorragender
Stücke enthält (wie u. a. die prächtigen Bildteppiche,

mehrere ausgezeichnete Groß- und Kleinplastiken und
bedeutende Arbeiten des. Villinger Hafnermeisters Hans
Kraut), um die sie manches größere Museum beneiden
rnöchte, und daß die stimmungsvollen Räume nicht ent-
fernt zu ihrer sachgemäßen Gruppierung und übersicht-
lichen Anordnung genügen.

Aehnliche, nur noch etwas betrübendere Verhält-
nisse herrschen in Rottweil, wo in der ansprechenden,
kleinen Lorenzkapelle eine derartige Ueberfülle mittel-
alterlicher Bildwerke, darunter einige von hohem
Rang, so dicht zusammengedrängt sind, daß die Skulp-
turen gar nicht zur Geltung kommen. Auch in ande-
rer Beziehung gibt die Art ihrer Unterbringung zu
ernsten Bedenken Anlaß, da sie keinerlei Gewähr für
die Sicherheit solcher Werte bietet. Zwecks Be-
sichtigung der Sammlung muß man sicli nämlich an
einen körperlich und geistig invaliden, alten Schuh-
machermeister wenden. Mit dem Schlüsselbund hum-
pelt der gebrechliche Greis dann voraus und öffnet die
Kapelle, aus der uns ein betäubender Erdölgeruch ent-
gegenströmt. Dieser üble Duft, der von einer iibermäßi-
gen Behandlung der Plastiken mit Petroleum herrührt,
um den Holzwurm auszutreiben, benimmt dem harm-
losen Besucher fast den Atem und zwingt ihn jedenfalls
zum baldigen Verlassen der geweihten Stätte. Außer-
dem sind die meisten Figuren, einschließlich der wun-
dervollen klagenden Frauen aus Eriskirch, durch einen
grünlichgrauen Anstrich s.chrecklich entstellt. Der ge-
druckte, wohl längst veraltete Führer ist vergriffen und
die Bezettelung der Gegenstände, soweit sie überhaupt
vorhanden, durchaus unzureichend. Vorzügliche Auf-
nahmen sämtlicher Plastiken, die auf Veranlassung des
jetzigen Direktors des Museums der Stadt Ulm, Prof.
Dr. Julius Baum, hergestellt wurden, sind zwar bei
einem Rottweiler Photographen käuflich, aber nicht
vorrätig, sondern nur auf vorherige Bestellung zu haben
und zu teuer, um sie in größerer Anzahl zu erwerben.

Die von Baum geplante Herausgabe eines neuen,
gutillustrierten Kataloges scheiterte, wie mir erzählt
wurde, an der Kostenfrage, weil die Stadtverwaltung
sich weigerte, die dazu nötigen Mittel zu bewilligen.

Das Hauptstück der Sammlung ist unstreitig jene
„Trauernde Frau von einer Beweinung“, die edelste der
Schöpfungen des „Meisters von Eriskirch“, dem Georg
Lill in „Deutsche Plastik“ ein besonderes Kapitel wid-
mete. Dieselbe und weitere Figuren der Rottweiler
Gruppe würdigten auch Willi Burger („Altdeutsche
Holzplastik“ Abb. 30) und Georg Weise („Mittelalter-
liche Bildwerke des Kaiser Friedrich-Museums und ihre
nächsten Verwandten“ Abb. 28 u. 30). Zwei gleichfalls
in der Lorenzkapelle aufgestellte Madonnen aus Bins-
dorf und Balingen hat Julius Baum veröffentlicht („Nie-
aerschwäbische Plastik des ausgehenden Mittelalters.“

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