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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

DOI Heft:
1./2. Aprilheft
DOI Artikel:
Waldmann, Emil: Bilderstürmerei und kein Ende: Zu Moritz Stübels Buch über die sixtinische Madonna
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0350

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die um ein Vierteliahrhundert später gemalte Bella —
und kein Verständiger wird da eine Aehnlichkeit ent-
decken — spielt gar keine Rolle, da sie ja nicht die Her-
zogin ist. Damit fällt die ganze Geschichte mit den Por-
träts als Phantasterei in sich zusammen. Die primitivste
Voraussetzung kunstwissenschaftlicher Art ist bei Stübel
falsch, mit einer geradezu erschreckenden Leichtfertig-
keit des Denkens hingestellt. Wäre die Bella die Herzo-
gin, 1536 gemalt, und sähe sie Raffaels Barbara ähnlich,
so könnte doch gerade deswegen Raffael seine Barbara
nicht nach dieser Person gemalt haben. Denn 25 Jahre
verändern einen Menschen, man sieht nicht rnit 45 Jah-
ren so aus wie mit 20 Jahren. Vielleicht Mutter und
Tochter? Um das zu wissen, braucht man doch kein
Historiker zu sein. Man muß aber gestehen, daß es einem
schwer wird, an die wissenschaftliche Solidität eines
Historikers zu glauben, der es als Tatsache hinnimmt,
daß der Herzog von Urbino seine Gemahlin von Tizian
als nackte Venus hätte malen lassen. Soviel muß man,
wenn man über Kunst schreibt, von den sittengeschicht-
lichen Zuständen eines Zeitalters doch wohl wissen.
Was der französische König sich mit seiner Geliebten
Diane de Poitiers erläubte, und was die Fürstin Borg-
hese dem Canova bewilligte, hat der „fürchterliche Har-
nischmann mit dem Mörderblick“, dieser Herzog von
Urbino seiner Gemahlin keinesfalls, seiner Mätresse,
jener Bella, allenfalls bieten lassen. Soviel muß man
wissen.

Also die Behauptungen iiber die Uebermalungen des
Bildes sind falsch und die Behauptungen über die Bild-
nisse sind auch falsch, erweislich falsch. So falsch, daß
man sich geniert, davon zu reden. Und doch fällt ein
Teil der Oeffentlichkeit auf den Unfug hinein, und auch
ein die illustrierte Presse bedienender Kunsthistoriker
läßt sich narren und legt sich die einfachsten Fragen
kritischer Art nicht vor. Wenn er das Bild nie ohne
Glas und Rahmen gesehen hat, gut, dafür sind Andere
da. Aber auf die Porträtfrage darf kein Kunsthistoriker
hineinfallen. Tut er es, narrt er nicht nur sich, was uns
nichts angeht, sondern er narrt die Oeffentlichkeit. Und

hier fängt die Sache an, ebenso bedenklich wie sympto-
matisch zu werden. Weshalb interessiert sich die
illustrierte Presse von zwei Kontinenten für diesen Fall
so sehr? Weil eine Sensation dabei herauskommt, eine
Schadenfreude, weil beim Brande des Diana-Tempels zu
Ephesus, den Herostrat anzündete, mehr Zuschauer auf
ihre Kosten kommen als bei der Einweihung des Parthe-
non, weil der Ketzer interessanter ist, als der Gläubige.
Weil die Majorität des Publikums aus kleinen Leuten
besteht, und weil kleine Leute sich freuen, wenn eine
geistige Größe stürzt. Niemand wird behaupten wollen,
daß Stübel aus Sensationslust geschrieben hat. Sicher-
lich meinte er alles wörtlich so, wie er es schrieb und ist
nicht böse, sondern für Bearbeitung kunstwissenschaft-
licher und künstlerischer Fragen nur eben sehr unbegabt.
Aber darauf kommt es nicht an. Wer ein Meisterwerk
schmäht, muß sich die Folgen ausmalen können und ein
Historiker muß Wesen und Wirkung von Sensation be-
rechnen, er mußte wissen, daß die übelste Sensations-
lust sich seiner Veröffentlichung habgierig bedienen
würde. Deshalb wäre es seine Pflicht gewesen, ehe er
über so schwerwiegende Fachfragen schrieb, die nicht
Fragen seines Faches sind, sich mit Kunsthistorikern
oder einem kunsthistorischen Kongreß zu beraten. Da
er dies unterließ, da sein Opus in die Welt hinausgeht
als Werk eines Kunstforschers, hat Stübel außer dem
Ansehen eines Meisterwerkes auch noch nebenher das
Ansehen der Kunstwissenschaft schwer schädigt. Zu
Unrecht. So dilettantisch wie es nach Stübel scheint,
ist die Kunstwissenschaft gar nicht, sie ist eine ganz
anständige und ganz ehrliche Disziplin. Nur läßt sie
sich, da sie als Disziplin jung ist, jünger als die Historie,
leichter miß'brauchen von Fremden, die nichts von ihr
kennen. Deshalb muß man protestieren. Nicht wegen
der Kunstwissenschaft. Aber dagegen, daß Unberufene
ein Meisterwerk schmähen und so das bißchen Respekt,
das die Menschheit noch vor großen Namen und großen
Dingen hat, abermals weiter verschüttet und die Welt
wieder um ein neues Stück der endgültigen Verwüstung
näherbringt.

Paul Signac
Aquarell

Ausstellung

bei

M. Goldschmidt u. Co.
in

Frankfurt a. M.

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