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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

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1/2. Dezemberheft
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Grünstein, Leo: Wiener Kunstbrief: Das Ausstellungswesen der Donaustadt
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Der Herbstsalon / Aus dem nordischen Kunstleben / Kunst in Prag / Amerikas Kunstwesen / Londoner Kunstschau / Bode und der Museumsprozeß / Kunstausstellungen / Kunstauktionen / Claude Monet † / Aus der Museumswelt / Weihnachtsteller 1926 / Neue Bücher über deutsche Plastik / Neue Kunstbücher / Kunst in Köln / Kunstbrief aus Baden-Baden / Von der Dresdner Jahresschau 1927 / Kestner-Gesellschaft Hannover / Aus der Kunstwelt
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0173

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gen und Stichen enthielt. In der .„Neuen Galerie“ sind Aquarelle und
Zeichnungen, bekannter und halbverschollener Oesterreicher aus
dem 19. Jahrhundert zu sehen. In der „Kunstgemeinschaft“ (im
Burggarten) breitet sich in einer Nachlaß- und Gedächtnisausstel-
iung das reiche Lebenswerk des Landschafters Anton Hlavacek aus.
In einem Nebentrakt des Kiinstlerhaus befindet sich eine Auslese
von Werken des gleichfalls in letzter Zeit verstorbenen Wiener
Genremalers Joseph Kinzel. Im Kunstsalon ,,WürthIe“ ruft schließ-
licli eine Tina Blau-Ausstellung, anläßlich der 10. Wiederkehr ilires
Todestages, regeres Interesse wach. Innerhalb dieses etwas bun-
ten Kunstrepertoirs tritt die gotische Ausstellung der Wiener
Museumsfreunde in durchaus persönlicher und wahrhaft imponie-
render Weise hervor. Eine gliickliche Auswahl von Werken der
Malerei und Plastik — das Kunstgewerbe wurde mit Absicht aus-
geschaltet — der strenge stilkritische Aufbau eines mit großer
Gewissenhaftigkeit durchsiebten Materials, der wissenschaftlich be-
grtindete Versuch einer historischen Abfolge der planmäßig anein-
ander gereihten Kunstschöpfungen, und ebenso die gewissenhafte
Berticksichtigung der in letzterer Zeit iiberaus fleißig betriebenen
Spezialliteratur, mögen wohl sicherlich mit dazu beigetragen haben,
daßidieser speziellen Kunstschau ein bedeutender moralischer Erfolg
zuteil wurde, und daß aus dem noch einmal nachzupriifenden und
endgiltig zusammenzufassenden Ausstellungsmaterial ein dauernder
Gewinn fiir die Wissenschaft erzielt werde. Diese Ausstellung, die
entsprechend dem verhältnismäßig späten ;Eindringen der Gotik in
die oesterreichischen Lande sich auf das 14. und 15. Jahrhundert
beschränkt, ist das Ergebnis intensiver Vorarbeiten, die unter der
zielbewußten Leitung des um die einheimische Kunstwissenschaft
und Kunstpflege hochverdienten Hofrats J'ietze unternommen und
dank der selbstlosen Mitwirkung namhafter Fachkollegen, wie Bal-
dass, Ernst, Kiesslinger, Betty Kiirth, Rathe, Prof. Suida, Doz. Weis-
senhofer u. a. einem überaus glückliclien Endresultate zugeführt wur-
den. Mußte schon aus rein technischen Gründen auf die Heran-
ziehung von Meisterwerken wie der Verduner-, Kefermarkter oder
der St. Wolfgang-Altar u. a. m. verzichtet werden, so konnte doch
manche Kostbarkeit aus reichsdeutschen und einheimischen Museen
gesichert und so manche Leihgabe aus dem schwer zugänglichen
Kirchen- und Klosterbesitz, sowie aus internationalen und spezifisch
österreichischen Privatsammlungen dem Ausstellungsmaterial ein-
verleibt werden. Wir nennen nur etwa die Sammlungen des Für-
sten Fürstenberg in Donaueschingen, des Herzogs v. Urach, des
Grafen von Württemberg, die reichen Bestände der Stifte Kloster-
neuburg, Kremsmünster, Lilienfeld, Melk, St. Florian, des Wiener
Schottenstiftes und Redemptoristenklosters und nicht zuletzt den
Wiener Privatbesitz der Herren St. von Auspitz, Dr. A. Figdor,
Oskar Bondy, F. J. Honig, Aug. Lederer, E. Karpeles-Schenker,
Prof. W. Suida, Graf Karl Wilczek, Albert Werner u. a. m.

Wir können angesichts der iiberraschenden Fülle des ausge-
stellten Kunstgutes — der überaus sorgfältig bearbeitete Katalog
zählt 125 Tafelbilder, 79 Plastiken und 23 Glasgemälde auf — natür-
lich nur in den allgemeinsten Umrissen auf die bedeutenden Erschei-
nungen der österreichischen Gotik hinweisen.

Das älteste unter den zur Ausstellung gelangten Tafelbildern,
das um 1350 entstand und einen Teil eines noch in Klosterneuburg
befindlichen Altarwerkes bildet, stellt ,,Christus vor Pilatus“ dar
und mag nach dem vorläufigen Stand der Fachforschung dem Mei-
ster der Riickseiten des Verduner Altars oder dem Schulkreise der
Meister der Heilsgeschichte in Hohenfurth nahestehen. Wie man-
ches, viel zu wenig gewürdigte alt-österreichische Kunstgut, befand
sich auch dieses Werk durch längere Zeit in unbeachtetem Wiener
Privatbesitz und gelangte erst in letzterer Zeit in die Sammlungen
des Münchener Nationalmuseums. An dieses Altarbild reihen sich
weiter mehrere nocli anonym gebliebene Kunstwerke wienerischer,
steierischer und alpenländischer Herkunft an, darunter einige Ge-
mälde, welche dem steierischen „Meister der Votivtafeln des Erzher-
zogs Ernst des Eisernen“ zugeschrieben werden, wie etwa die
lebendige und figurenreiche ,,Kreuztragung Christi“ aus Wiener
Privatbesitz oder eine „Kreuzigung“ aus dem Grazer Joanneum, von
geschlossencr Linienfiihrung und einprägsamer Realistik. Wir be-
merken ferner die stilistiscb und stoffgeschichtlich verwandten Dar-
stellungen des „Meisters der Darbringung Christi“, dann einige dem

Wiener „Meister des Albrechtaltars“ zugeschriebene Tafeln, wie
etwa die „Verkündigung Mariens“ aus dem Berliner Friedrich-
museum oder die ,-Madonna in kriegerischer Ausrüstung“ umgeben
von einer bewaffneten Engelsschar, eine Leihgabe des Kloster-
neuburger Stiftsmuseums. Es folgen mehrere Tafeln des „Meisters
vom Schloß Lichtenstein“, dessen „Verkündigung an Joachim“ die
typische frühmittelalterliche Bindung von figuralen und landschaft-
lichen Elementen aufzeigt, dann wieder einzelne noch näher zu er-
forschende Wiener Meister, wie beispielsweise der Schöpfer der
„Verkündigung Mariä“ aus dem Wiener Redemptoristen-Kloster,
welcher schon allein durch die eindringliche Wiedergabe eines mit
anmutiger Realistik festgehaltenen gotischen Interieurs, ernstere
Beachtung verdient. Diese Bilderreihe wird weiter fortgesetzt
durch den uns bereits näher gerückten „Meister des Schottenstiftes“
und seine engere Werkstatt, welch letzterer u. a. die bekannte
„Kreuzigung“ aus dem Stift St. Florian entstammt, welche im Bild-
hintergrunde eine Ansicht von Wien mit der Stephanskirche und der
alten Burg zur Darstellung bringt. Aus dem Wiener, beziehungs-
weise innerösterreichischem Kunstkreise wären zuletzt noch der
„Meister der Heiligen Martyrien“ zu netinen, der in dem romantisch
anmutenden Tafelbild von der „Erbauung Klosterneuburgs“ eine
reizvolle Probe seiner künstlerischen Begabung abgibt und noch ein
anonymer Steierischer Maler um 1500, der im sog. Rottaler Bild
in der „Thronenden Madonna“, umgeben von vier weiblichen Hei-
ligen, gewissermaßen den künstlerischen Ausklang der gotischen
Malerei der innerösterreichischen Schule vertritt. Unsere Ausstel-
lung bringt ferner eine recht glückliche Auslese von Tafelbildern
des Salzburger, Tiroler und außerösterreichischen Kunstkreises und
vveist den schon mehr bekannteren Werken eines Michael und Fried-
rich Pacher, ebenso wie jenen des älteren beziehungsweise jüngeren
Frueauf und zuletzt auch noch dem aus Villach stammenden „Spät-
gotiker“ Görtschacher den ihnen gebührenden künstlerischen Rang
ein. Als ein bedeutendes Werk der spätgotischen Malerei muß hier
auch der Ober-St. Veiter Altar hervorgehoben werden, dessen Er-
findung größtenteils auf Albrecht Dürer zurückgeht und dessen Aus-
führung vennutlich in der Werkstatt Hans Leonhard Schäuffeleins
vor sich ging. Ein weiterer Bericht folgt.

L e o G r ü n s t e i n.

Det? (ieebfffaloru

Paris, Anfang Dezember.

Der Herbstsalon, der in diesem Jahr zum 19. Mal vor die
Oeffentlichkeit tritt, bleibt noch immer im Pariser Kunstleben ein
Ereignis. Allerdings hat diese Vereinigung ihre alte „führende“
Bedeutung längst eingebiißt. Der Schwerpunkt des Interesses liegt
vielmehr auf einem anderen Gebiet: der Herbstsalon gestattet einen
guten Ueberblick iiber quantitative Errungenschaften der
neueren Kunstrichtungen. Alljährlich wird hier Rechenschaft gege-
ben iiber den summarischen Zuwachs (oder Abfall), den diese oder
jene Richtung in der Malerei zu verzeichnen hat. Dazu kommt nOch,
daß die meisten Künstler ihre besten Arbeiten für Separatausstel-
lungen vorbehalten. Es reizt wohl nieinanden, sein Bestes in der
Sintflut von 3000 ausgestellten Kunstwerken untergehen zu lassen.

Durch diese erdrückende Anzalil wird der unbefangene Be-
sucher zu einer Betrachtungsweise gezwungen, die das ihm gebo-
tene Kunstmaterial gruppenweise zusammengefaßt, ohne immer die
Möglichkeit zu haben, die individuellen Qualitäten gebührend zu
würdigen. Die bekannten Namen bieten dabei einen willkommenen
Ausgangspunkt, der fast niemals versagt: die große Masse der aus-
gestellten Bilder ist meistens nichts anderes als ein Widerhall des
schon errungenen und gesicherten Erfolges. Stadtansichten in der
Art von Utrillo, Landschaften mit raumbildenden Häuserkomplexen
im Geiste Varoquiers und vor allem zahllose Erzeugnisse der hell-
farbigen und bunten Manier der internationalen Malerkolonie von
Montparnasse können hier zu Hunderten gerechnet werden. Ande-
rerseits sind auch manclie, nicht uninteressante Rückgänge zu ver-
zeichnen. Die Nächzügler der alten süßlichen Salonmalerei, die bis-
her einen höchst unerwünschten Ballast des Herbstsalons bildete,
sind fast gänzlich verschwunden. Aber auch der „linke“ Fliigel
hat an Bedeutung verloren. Ein einziges suprematistisches Gemälde

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