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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

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1/2. Dezemberheft
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Kirchner, Joachim: Die künstlerische Gestaltung der gotischen Schriftarten: zur Ausstellung "Die deutsche Schrift" in der Staatsbibliothek Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0156

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P^ie Entwicklung der gotischen Schriften erreichte
mit dem Auftreten der Fraktur um die Wende des
15./16. Jahrhunderts einen ftir Deutschland bedeuts.amen
Höhepunkt. Von den Schreibmeistern ursprünglich als
eine mit größerer Eleganz und Zierrat ausgestattete
Kanzleischrift gepflegt, wurde sie um ilirer ästhetischen
Reize willen von dem Kreise um Dürei bei der Her-
stellung des Gebetbuches, für Kaiser Maximilian I. und
des Theuerdanks als Drucktype verwendet, um bis in
unsere Tage hinein, freilich in vereinfachter 'Fonn, als
die sogenannte „deutsche Schrift“ fortzuleben. Histo-
risch betrachtet ist die Fraktur natürlich nicht eine
völlig selbständige Schöpfung deutschen Stilempfindens
sondern Glied einer drei Jahrhunderte zurückliegenden
Entwicklungsreihe, die wir unter dem Sammelnamen
„Gotische Schriftarten“ zusammen zu fassen pflegen.
Diese gotischen Schriftarten waren wie die Werke der
bildenden Künste im Zeitalter der Gotik Ausdruck eines
einheitlichen Stils und in ihrer Entwicklung keineswegs
von nationalen Schranken eingeengt. Im ganzen
Abendlande trat die gotische Schrift auf, zuerst iin
uördlichen Frankreich, wo man bereits iu Handschriften
aes 11. Jahrhunderts als neuartigen Schrifttypus die
sogenannte Gitterschrift feststellen kann. Es. ist das-
selbe Nordfrankreich, in dem die ersten großen
gotischen Architekturleistungen entstanden, die Grab-
kirche der Könige in St. Denis und die Pariser Kathe-
drale Notre Dame, zu der im Jahre 1163 der Grundstein
gelegt wurde.

Während das 13. Jahrhundert die Eigentümlichkeit
der gotischen Schrift, nämlich die Brechung der runden
Buchstabenbestandteile und der Schäfte innerhalb der
überkommenen Minuskelschrift, iortsetzte, machte sich
im 14 Jahrhundert eme größere Manrigfaltigkeit der
Schriftgestaltung geltend. Ursprünglich nationale
Eigentümlichkeiten, die alsbald aber die Grenzen des
Ursprunglandes aufgeben, um auch bei anderen Völkern
heimisch zu werden, erweitern das mannigfaltige Bild
gotischer Schriftarten. Italien entwickelte in der soge-
nanten R o t u n d a eine dem Schönheits.sinne des Süd-
länders angepaßte gotische Schriftart, erkennbar an
dem zweistöckigen a mit einem kleinen tief herabgezo-
genen Kopf und emporgezogenen Hals. Es ist möglich,
d.aß an der Gestaltung der Rotunda die beneventanische
Schrift des südlichen Italiens Anteil hatte. Diese Hy-
pothese is.t noch zu beweisen. Ohne Frage aber kommt
in der Rotunda der formale Geist des Italieners zum
Ausdruck. Trotz der Brechung der Buchstaben ist ihr
eine elegante Gleichartigkeit und mit jedem Zeilen-
komplex abgeschlossene Gemessenheit des Schriftduk-
tus eigentümlich, die nichts, mit jenen zarten Veräste-
lnngen im Haarstrich gemein hat, die wir im 14. Jahr-

hundert in französischen und deutschen Handschriften
wahrnehmen können. Es ist, als ob die grundlegende
kiinstlerische Verschiedenheit, die sicli bei der Ver-
gleichung italienischer und deutscher gotischer Dome
dem Betrachter atrfdrängt, — dort Raum und Form be-
herrschendes. Virtuosentum, hier Unendlichkeitsvision
eines Genies — sich selbst bei einem so einfachen
Kunstgegenstande wie einer Schriftseite auswirken
müßte.

1m Norden Mitteleuropas ist die sogenannte Tex-
tura die im 14. Jahrhundert vielfach verwendete go-

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De Guilleville: Pelerinage de la vie humaine in mittelniederlän-
discher Prosaiibertragung. Niederländische Bastarda

tische Buchschrift. Aus der Minuskel der vorangehen-
■den Jahrhunderte entwickelt, besitzt sie jene zarten
Yerzierungen der Buchstaben im Haarstrich, die das
klare Bild, welches, eine Schriftseite mit karolingischer
Minuskel gewährte, in ein verästeltes und in einander
verwobenes Ganzes umbilden. Das geschriebene Wort,
die geschriebene Zeile besteht nicht mehr für sich; das
Einzelne ordnet sich der tektonischen Gesamtwirkung
der Buchseite unter. Ohne Frage spiegelt sich in dieser
Art Schrift der Charakter des nordischen Gotikers am
reinsten wieder: Die Vielheit formal koordinierter Ein-
zelheiten wird aufgelioben zu Gunsten eines Zusammen-
klanges aller einem Ganzen untergeordneten Teile.

Als dritte gotische Schriftart kam im 15. Jahrhun-
dert die sogenannte Bastarda hinzu. Aus der gotischen
Kursivschrift entstanden, wurde sie in den Kanzleien
zu einer solchen kalligraphischen Vollkommenheit aus-
gebildet, daß selbst anspruchsvolle Bibliophile, wie die

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