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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

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1/2. Dezemberheft
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Kirchner, Joachim: Die künstlerische Gestaltung der gotischen Schriftarten: zur Ausstellung "Die deutsche Schrift" in der Staatsbibliothek Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0157

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Herzöge Philipp der Gute und Karl der Kühne von Bur-
gund sich die für ilire Bibliothek angefertigten Prunk-
handschriften in dieser Schrift herstellen ließen. Die
Bastarda setzte sich als internationale Schriftart rasch
durch, besonders in den Niederlanden und in Deutsch-
land, docli entwickelte sie sich in jedem Lande in be-
sonderer Art. Man vergleiche den fliissigen zierlichen
Duktus französischer Kodizes, mit der gedrungenen
steilen Bastarda der Niederländer und den großen iiber-
sichtlichen Ziigen der Handschriften, dic aus der Die-
bold Lauberscheu Schreibstube in Hagenau hervorgin-
gen. Die kursiven Elemente, aus denen diese Sclirift
erwuchs, gaben den Schreibern in ganz besonderem
Maße die Möglichkeit individueller Gestaltung, wobei es
dem geübten Auge möglich sein dürfte — ähnlich wie bei
der Buchaussattung mit Miniaturen und Initialschmuck
auf Grund der verschiedenartigen Einstellung der
Nationen zu dieser Schriftart ledigiich aus der Buch-
stabenform die Heimat eines in Bastarda geschriebenen
Kodex zu erraten. Die besonderen Kennzeichen der
Bastarda sind das einstöckige a und die Unterlängen der
s und f. Uebrigens wurde unabhängig vom Norden
schon im 14. Jahrhundert siidlich der Alpen aus der Ur-
kundenschrift eine mit kursiven Elementen durchsetzte
Buchschrift ausgebildet, für die der 1337 in Elorenz ge-
schriebene C’odex Trivulzianus der Divina Comedia
Dantes ein klassisches Beispiel bietet. Es würde zu
Irrtümern Anlaß geben, wollte man auch diese Schrift
mit dem Namen Bastarda belegen, s.elbst wenn sie die
erwähnten Kennzeichen der Bastarda aufweist. Man
wird sie wegen ihres örtlich und zeitlich von der Ent-
stehung der Bastarda abweichenden Gebrauches besser
mit einem anderen Namen benennen, wofür vielleicht
in Anpassung an einen den Schreibmeistern des
Mittelalters geläufigen Ausdruck die Bezeichnung
,,ltalienische Notula“ in Betracht zu ziehen wäre. Wenn
die Bastarda in ganz besonderem Maße geeignet war,
durch die Schreiber einzelner Nationen und Stämme
ihre eigentümliche Prägung zu erfahren, so gilt dies,
wenn vielleicht auch nicht in gleicher Weise erkenn-
barem Maße von der Textura. Immerhin wird es mög-
lich sein, wenn z. B. mehrere Texturaschriften deut-
scher Kodizes des 15. Jahrhunderts neben einander lie-
gen, im Schriftduktus die Besonderheiten norddeut-
scher, süddeutscher und westdeutscher Schreiber fest-
zustellen. Eine solche nacli Stämmen sich gliedernde
Schriftuntersuchung könnte neben der paläographischen
Ausbeute eine psychologis.che Betrachtungsweise der
deutschen Schriften des späteren Mittelalters zur Folge
haben. In Hinblick auf die in Niederdeutschland vor-
kommenden Texturaschriften ließe sich, um eiu Beispiel
beizubringen, eine s.olche schriftpsychologische Be-
trachtung iu groben Linien etwa dahin zusammenfas.sen,
daß man auf ihren kräftigen, breiten, oft unbeholffenen
Duktus hinweist, zu dem die schmaleren und gefällige-

ren Formen oberdeutscher Handschriften in eigentüm-
lichen Gegensatz stehen. Natürlich haben derartige
Feststellungen keine apodiktische Gültigkeit, sondern
sind cum grano salis. zu verstehen. Allein, was von der
chärakteristischen Schriftgestaltung einzelner Natio-
nen galt, wenn sie sich dess.elben Schrifttypus bedienen,
diirfte ohne Frage auch fiir die verschiedenen Stämme
eines Volkes zu reeht bestehen. Wenn jede künstle-
rische Gestaltung von Klima, Land und Menschenschlag
beeinflußt ist, so ist cs. billig, gleiche Gesichtspunkte

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15. Jahrh. Eusebius: Epistola de morte Jeronimi Presbyteri. Rotunda

auch bei der Betrachtung mittelalterlicher Buchschrif-
ten anzuwcndeu, zumal da sie aucli als Weseusausdruck
menschlichen Schönheitssinnes verstanden werden
können. Es. ist nicht möglich, ohne Beibringung eines
umfangreichen Abbildungsmaterials diese Dinge näher
zu erläutern. Es mag der Hinweis genügen, daß auch
Buchschriften mittelalterliclier Kodizes der psycholo-
gischen Erforschung der Kunstgesinnung von Völkern
und Stämmen ein nicht uninteressantes. Material liefern,
sobald es gelingt, das Schriftbild vom künstlerischen
Standpunkte aus zu selien, wozu die vergleichendc Be-
trachtung die beste Schule sein wird.

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