Das Baubaus in Dcflau
oon
Paul f. Scbmidt
p< s hat sich herausgestellt, daß die Sd-tuation des Bau-
hauses sich mit seiuer UebersiedlunK nach Dessau
unvergleichlich verbessert hat. InWeimar kam mau aus
Streiterei und Hemmung durcli unverständige Behör-
den und Binwohnerschaft micht heraus; iu Dessau, wohin
Ber energische und einsichtige Biirgermeister Hesse
1925 das Bauhaus berief, fielen die Reibereien fort; an-
statt dessen wurden Mittel zur Verfügung gestellt, so-
gleich große Neubauten von Schule, Ateliers, Wohnhäu-
sern für die Meister und einen ersten Siedlungsversuch
auf städtischem Terrain herzustellen. Nach etwa ein-
iähriger Bauzeit ist das alles vollendet und wurde am
4. Dezember mit einer eindrucksvollen, von mehr als
tausend Gästen aus ganz Mitteleuropa besuchten Feier
eröffnet. Damit ist das Bauhaus aus dem Stadium der
Versuche herausgetreten und hat gezeigt, was es prak-
tisch leisten kann.
Im Wesentlichen ist ailes das Werk von W a 11 e r
G r o p i u s , der leitender Organisator und ausführen-
der Architekt in einem list. Bei der Weimarer Ausstel-
lung von 1923 konnte er fast gar nicht in Erscheinung
treten; diesmal führt er fast allein das Wort, denn die
einzelnen Werkstätten, mit Ausnahme von Tischlerei
und Weberef, konnten noch kaum in Betrieb gesetzt
^erden; es fehlte an Ausstellungsmaterial, und so haben
nuch die Meister auf die Ausstellung ihrer Werke ver-
zichtet. (Eine große Uebersichtsschau zu Kandinskys
60. Geburtstag war bei Neumann-Nierendorf in Berlin
zu sehen.) Der Bindruck ist darum sehr konzentriert
und von der geschlossenen Eindringlichkeit, die die
Lösung neuer Bauprobleme bieten kann und hier wirk-
Üch bietet.
So ist in dem reichlich abgelegenen Dessau, das bis-
her kaum einen künstlerischen Ehrgeiz besaß, fast über
Nacht ein Mittelpunkt moderner Bestrebungen entstan-
den, der mit Notwendigkeit durch Beispiel und Tätigkedt
Weiter wirken muß. Jenseits der Bahn, auf wenig be-
6autem flachen Gelände, erhebt sich der weiße Komplex
6es Bauhauses, in seiner Dreiheit vortrefflich auspon-
äeriert und zu einer im wesentlichen horizontal erstreck-
lßn Gruppe gegliedert; etwas abseits, in einem kleinen
Kieferngehölz anmutig gelegen, die Reihe der sieben
Meisterhäuser, von denen je zwei zu einem Doppelhaüs
zusammengefaßt sind. Die sogenannte funktionelle
Archietektur hat liier ein sehr klares und program-
’Uatisch wirkendes Muster dhres Wollens aufgestellt. Mit
Vusnahme von Frankfurt a. M., wo die Hochbauverwal-
inng in den Händen von May und Elsässer liegt und in
gi'oßem Maßstabe Neubauten begonnen hat, konnte man
uns die Beispiele der neuen Baugestaltung nur in
sPoradischer Vereinzelung kennen lernen. Die Energie
llnd Klarheit, mit der in Dessau diese Probleme geiöst
Silld, imponieren auf jeden Fall, wie man sich auch kiinst-
lerisch dazu stellen mag. Gropius hat aber nicht nur auf
eine bewundernswürdige Weise praktisch, also funktio-
nell und zweckmäßig im eigentlichen Sinne, gebaut, der
Bestimmung der Räume ein reibungsloses Funktionieren
gesichert, sondern auch mit jenem L u x u s d e r
F o r m , der über das Notwendige hinausgehend erst das
Gebaute zur wahren Architektur erhebt. Und alles ohne
weiteren Aufwand, als den die knappeste Zweckmäßig-
keit erforderte. Wenn man den dreifachen Komplex des
Bauhauses betrachtet, der außer den eigentlichen Lehr-
werkstätten nach die alte Fachschule nebst Verwal-
tungsräumen und einer Versuchsbühne, sowie die Wohl-
fahrtseinrichtungen (Wohnateliers für 28 Schüler,
Speiseanstalt, Bäder und Sportplätze) enthält, und dann
hört, daß dies alles für 800 000 Mark hergestellt ist, inkl.
Verglasung aller Teile mit Spiegelglas und modernstem
technischem Komfort (also für ein Zehntel dessen, was
der schnöde Opernumbau in Berlin kostet), so darf man
wohl seiner Bewunderung Ausdruck geben.
Das neue Baukünstlerische stellt den großen
ideellen Gewinn dar, den Dessau mit seiner hochherzigen
Berufung des Bauhauses gezogen hat. Es gibt selbsr-
verständlich Dessauer Bürger und auch auswärtige Be-
sucher zur Genüge, die das nicht sehen können. Aber
es ist mit jeder neu auftauchenden Form seit 150 Jahren
nicht ailders ergangen. An sich ist es ja mit dem bloßen
Fortlassen jeder Ornamentik, mit glatten weißen Wand-
streifen, mit Flachdächern, fabelhaften Glaswänden über
drei Stockwerke hin nicht getan. Man hat ja bereits
Beispiele, daß der Funktionalismus bei Mitläufern zu
einer öden und sinnlosen Schablone erstarrte. Aber hier
ist alles lebendig geworden und ästhetisch sinnvoll; Flä-
chen sind gegen Flächen, Massen gegen Massen harmo-
nisch abgewogen, und der Eindruck des Ganzen ist, hat
man sich erst einmal von dem Schock über diesen revo-
lutionären Puritanismus erholt, ein schlechthin selbst-
verständlicher. Man kann sich keine andere Disposition
mehr vorstellen; und das bedeutet wohl das Wesen des
Kunstwerks. Aus der bloßen Notdurft ist architekto-
nische Form herausgewachsen.
In anderem Maßstabe empfindet man das bei den
Meisterhäusern. Noch offenbarer ist hier von innen nach
außen gebaut, die ungewohnte Simplizität der weißen
Kuben mit ihren stützenlosen Auskragungen und Balkon-
platten, ihren unsymmetrischen und scheinbar gesetzlos
eingefügten Fenster- und Türöffrmngen mag den Laien
befremden; das alles wägt sich aber rein architektonisch
in Fläche wie Masse mit feinster Wirkung des Räum-
lichen aus. Vollkommen durchschaut man die Asymrne-
trie aber erst im Innern, wo alle Raumanordnung dem
Gesetz der Funktion gehorcht und ein Wohnlichkeit er-
reicht ist, gegen die die angestammte „Gemütlichkeit“
nnserer Miet- und Einzelhäuser freilich ziemlich mittel-
181
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Paul f. Scbmidt
p< s hat sich herausgestellt, daß die Sd-tuation des Bau-
hauses sich mit seiuer UebersiedlunK nach Dessau
unvergleichlich verbessert hat. InWeimar kam mau aus
Streiterei und Hemmung durcli unverständige Behör-
den und Binwohnerschaft micht heraus; iu Dessau, wohin
Ber energische und einsichtige Biirgermeister Hesse
1925 das Bauhaus berief, fielen die Reibereien fort; an-
statt dessen wurden Mittel zur Verfügung gestellt, so-
gleich große Neubauten von Schule, Ateliers, Wohnhäu-
sern für die Meister und einen ersten Siedlungsversuch
auf städtischem Terrain herzustellen. Nach etwa ein-
iähriger Bauzeit ist das alles vollendet und wurde am
4. Dezember mit einer eindrucksvollen, von mehr als
tausend Gästen aus ganz Mitteleuropa besuchten Feier
eröffnet. Damit ist das Bauhaus aus dem Stadium der
Versuche herausgetreten und hat gezeigt, was es prak-
tisch leisten kann.
Im Wesentlichen ist ailes das Werk von W a 11 e r
G r o p i u s , der leitender Organisator und ausführen-
der Architekt in einem list. Bei der Weimarer Ausstel-
lung von 1923 konnte er fast gar nicht in Erscheinung
treten; diesmal führt er fast allein das Wort, denn die
einzelnen Werkstätten, mit Ausnahme von Tischlerei
und Weberef, konnten noch kaum in Betrieb gesetzt
^erden; es fehlte an Ausstellungsmaterial, und so haben
nuch die Meister auf die Ausstellung ihrer Werke ver-
zichtet. (Eine große Uebersichtsschau zu Kandinskys
60. Geburtstag war bei Neumann-Nierendorf in Berlin
zu sehen.) Der Bindruck ist darum sehr konzentriert
und von der geschlossenen Eindringlichkeit, die die
Lösung neuer Bauprobleme bieten kann und hier wirk-
Üch bietet.
So ist in dem reichlich abgelegenen Dessau, das bis-
her kaum einen künstlerischen Ehrgeiz besaß, fast über
Nacht ein Mittelpunkt moderner Bestrebungen entstan-
den, der mit Notwendigkeit durch Beispiel und Tätigkedt
Weiter wirken muß. Jenseits der Bahn, auf wenig be-
6autem flachen Gelände, erhebt sich der weiße Komplex
6es Bauhauses, in seiner Dreiheit vortrefflich auspon-
äeriert und zu einer im wesentlichen horizontal erstreck-
lßn Gruppe gegliedert; etwas abseits, in einem kleinen
Kieferngehölz anmutig gelegen, die Reihe der sieben
Meisterhäuser, von denen je zwei zu einem Doppelhaüs
zusammengefaßt sind. Die sogenannte funktionelle
Archietektur hat liier ein sehr klares und program-
’Uatisch wirkendes Muster dhres Wollens aufgestellt. Mit
Vusnahme von Frankfurt a. M., wo die Hochbauverwal-
inng in den Händen von May und Elsässer liegt und in
gi'oßem Maßstabe Neubauten begonnen hat, konnte man
uns die Beispiele der neuen Baugestaltung nur in
sPoradischer Vereinzelung kennen lernen. Die Energie
llnd Klarheit, mit der in Dessau diese Probleme geiöst
Silld, imponieren auf jeden Fall, wie man sich auch kiinst-
lerisch dazu stellen mag. Gropius hat aber nicht nur auf
eine bewundernswürdige Weise praktisch, also funktio-
nell und zweckmäßig im eigentlichen Sinne, gebaut, der
Bestimmung der Räume ein reibungsloses Funktionieren
gesichert, sondern auch mit jenem L u x u s d e r
F o r m , der über das Notwendige hinausgehend erst das
Gebaute zur wahren Architektur erhebt. Und alles ohne
weiteren Aufwand, als den die knappeste Zweckmäßig-
keit erforderte. Wenn man den dreifachen Komplex des
Bauhauses betrachtet, der außer den eigentlichen Lehr-
werkstätten nach die alte Fachschule nebst Verwal-
tungsräumen und einer Versuchsbühne, sowie die Wohl-
fahrtseinrichtungen (Wohnateliers für 28 Schüler,
Speiseanstalt, Bäder und Sportplätze) enthält, und dann
hört, daß dies alles für 800 000 Mark hergestellt ist, inkl.
Verglasung aller Teile mit Spiegelglas und modernstem
technischem Komfort (also für ein Zehntel dessen, was
der schnöde Opernumbau in Berlin kostet), so darf man
wohl seiner Bewunderung Ausdruck geben.
Das neue Baukünstlerische stellt den großen
ideellen Gewinn dar, den Dessau mit seiner hochherzigen
Berufung des Bauhauses gezogen hat. Es gibt selbsr-
verständlich Dessauer Bürger und auch auswärtige Be-
sucher zur Genüge, die das nicht sehen können. Aber
es ist mit jeder neu auftauchenden Form seit 150 Jahren
nicht ailders ergangen. An sich ist es ja mit dem bloßen
Fortlassen jeder Ornamentik, mit glatten weißen Wand-
streifen, mit Flachdächern, fabelhaften Glaswänden über
drei Stockwerke hin nicht getan. Man hat ja bereits
Beispiele, daß der Funktionalismus bei Mitläufern zu
einer öden und sinnlosen Schablone erstarrte. Aber hier
ist alles lebendig geworden und ästhetisch sinnvoll; Flä-
chen sind gegen Flächen, Massen gegen Massen harmo-
nisch abgewogen, und der Eindruck des Ganzen ist, hat
man sich erst einmal von dem Schock über diesen revo-
lutionären Puritanismus erholt, ein schlechthin selbst-
verständlicher. Man kann sich keine andere Disposition
mehr vorstellen; und das bedeutet wohl das Wesen des
Kunstwerks. Aus der bloßen Notdurft ist architekto-
nische Form herausgewachsen.
In anderem Maßstabe empfindet man das bei den
Meisterhäusern. Noch offenbarer ist hier von innen nach
außen gebaut, die ungewohnte Simplizität der weißen
Kuben mit ihren stützenlosen Auskragungen und Balkon-
platten, ihren unsymmetrischen und scheinbar gesetzlos
eingefügten Fenster- und Türöffrmngen mag den Laien
befremden; das alles wägt sich aber rein architektonisch
in Fläche wie Masse mit feinster Wirkung des Räum-
lichen aus. Vollkommen durchschaut man die Asymrne-
trie aber erst im Innern, wo alle Raumanordnung dem
Gesetz der Funktion gehorcht und ein Wohnlichkeit er-
reicht ist, gegen die die angestammte „Gemütlichkeit“
nnserer Miet- und Einzelhäuser freilich ziemlich mittel-
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