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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

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1./2. Februarheft
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Vogt, G.: Der Aufstieg des neuen deutschen Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0266

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Daß das Ausland dem deutschen Kunstgewerbe
schon lange erfreulicherweise Vertrauen entgegenbringt,
beweist die allgemein verbreitete Kenntnis der Tatsache,
daß der Deutsche den Geschmack der Bewohner der
verschiedenen Gegenden des Auslandes förmlich stu-
diert. Dazu bietet ihm die einschlägige Fachpresse nicht
nur willkommene Gelegenheit, besonders sind es die
Ausstellungen und die unter der Hand eingezogenen In-
formationen, welche ihn in die Lage versetzen, hinsicht-
lich der Geschmacksrichtung beifällige Aufnahme ein-
zulösen.

Der deutsche Exporteur weiß z. B. sehr wohl, daß
bei modernen englischen Schmuckstücken und Silber-
geräten Symmetrie Nebensache ist, wenn ohne sie Har-
monie erzielt werden kann. Material, Halbedelstein,
Kunststein und Kunstperle werden skrupellos zusammen
verwendet. Die kleinen Zufäiligkeiten des Materials
werden nicht beseitigt, sondern ausdrücklich betont.
Prismen- und Facettenschliff der Steine ist in dem
modernen englischen Schmuck verpönt. Alles wird auf
der Oberfläche glatt, rund, kugelig geschliffen, getreu
den Mustern mittelalterlich deutscher Goldschmiede-
kunst, die überhaupt den Ausganspunkt der Engiänder
bildet und nur noch von modern ästhetischen Anschau-
ungen durchsetzt ist. Figur, Tiermotiv, Treibkunst,
Aetzkunst, Ziselierkunst, Emaillierung usw. kommen in
England fast ausschließlich zur Anwendung. Der Bril-
lant mit seinem aufdringlichen Glanz ist scheinbar dort
verpönt. Je eigenartiger sie die verschiedensten Mate-
rialkompositionen wählen können, um so willkommener
ist es dem Hersteller sowohl wie dem Käufer. Diese
größeren und kleineren Eigenheiten sind den Industriel-
len des deutschen Kunstgewerbes durchaus bekannt, und
zwar bei allen zivilisierten Völkern der Erde, und diese
Tatsache rechtfertigt das Vertrauen, das man der deut-
schen Industrie entgegenbringt und das ohne Täuschung
bleibt.

Ebenso wie in England ist aber der deutsche Bijou-
tier darüber vollauf orientiert, daß in der Hauptstadt Bel-
giens viel Schmuck getragen wird, und viel Gerät aus
Edelmetall im Gebrauch ist, und er harrt mit einiger Un-
geduld der Zeit, wo die feindselige Stimmung abgewie-
g'elt und dem Handel freie Bahn geschaffen ist. Im
Schmuck ist dort Gold und Platin vorherrschend, und es
werden viel Brillanten getragen. Aber auch die weniger
bemittelten dortigen Kreise schmücken sich gern und
kaufen, da die Mittel es nicht anders gestatten, Bijouterie
in Silber und Double, weniger jedoch in unechten Stei-
nen. Bevorzugt ist der französische Geschmack, doch
kommt auch der von Deutschland, der Schweiz und den
Vereinigten Staaten von Nordamerika für die Einfuhr in
Betracht. Im allgemeinen ist jedoch in Belgien wenig
Fabrikation, so daß der Handel auf das Ausland ange-
wiesen ist.

In den besitzenden Kreisen der niederländischen
Großstädte, wie Amsterdam und Rotterdam, namentlich
aber in den größeren Provinzialstädten, wird viel Natio-
ualschmuck getragen, der, wie auch das Silbergerät,

meist niederländischen Ursprungs ist. Docli aucli Bijou-
terien in Gold (14 Karat) und Amerikaner-Double findet
lebhafte Nachfrage, weniger Platinschmuck, mehr dage-
gen Hanauer Fabrikate. Echte Steine kommen meist
über Amsterdam, doch sind Farbsteine wenig beliebt.
Similischmuck bildet Volksartikel. Aber auch echte Per-
len, meist auf der Reise oder in Brüssel gekauft, sieht
man sehr häufig. Deutsche Gold- und Silberwaren haben
hauptsächlich bei den Grossisten Aussicht auf Absatz.

In Dänemark wird erfahrungsgemäß, wie in deut-
schen Fachkreisen die Ueberzeugung gelehrt iiat,
Schmuck weniger getragen als in anderen Ländern, da-
gegen ist viel Silberzeug im Gebrauch. Das Verhältnis
des Anteils von Gold, Platin, Silber und Double, auch dei
Brillanten, Farbsteine, Halbedelsteine, der echten und
unechten Perlen usw. ist ähnlich wie in Deutschland.

Während in Bulgarien allgemein nur wenig Schmuck
getragen wird, dann aber meist nur aus Double, auch
Geräte aus Edelmetall gar nicht in Gebrauch sind, ist in
Griechenland gerade das Gegenteil der Fall. Bevorzugt
wird Steinschmuck, in welchem besonders weiße Steine,
wie Brillanten, Diamanten, weiße Saphire, dagegen
weniger Farbsteine, vertreten sind. Sehr beliebt sind
feine Perlen. Vorherrschend ist der französische Ge-,
schmack, in dem sich übrigens Pforzheim einen guten
Teil der Versorgung Griechenlands mit Bijouterien ge-
sichert hat.

Eine hohe Kunst des Goldschmiedes wurde von
jeher und wird noch heute für die Kirche entfaltet. Hier
zeigt sich in der Tat ein Glanz, welcher den von den
früheren Höfen angestrebten weit überstrahlt und da-
durch noch behoben wird, daß weltliche Kreise wett-
eifern, Kostbarkeiten den Kirchen zu stiften, wie Kelche,
Schüsseln, Kronen, Leuchter, Reliquienbehälter usw.
Auch die deutsche und nicht minder die österreichische
Reichshauptstadt birgt noch heute ganz bedeutende
Werte in Juwelen. Wenn dort der Juwelenhandel auch
trotz allem immer noch einer Steigerung fähig ist, so sind
doch daselbst Geschmeide von ungeheurem Wert in den
großen Palais der Finanzaristokratie vorhanden, die sie
im Laufe der Zeit zu Mengen angesammelt haben.

Studiert man vergleichend die Erzeugnisse und
Modewandlungen nicht nur der eigenen Heimat, sondern
auch der fremden Erzeugungsländer, so hat man Grund
anzunehmen, daß deutsche Kunst, den Geschmackswün-
schen Rechnung zu tragen, am meisten entgegengekom-
men ist. Mag es auch ein Gebiet einschließen gleich
welcher Richtung, wie echte und unechte Bijouterie, Jet-
und Schwarzglasschmuck, Lampen für Salon und Tisch
sowie alle nur erdenklichen Artikel und Waren, welche
Geschäfte, die an dem Satz vorübergehen: „Es ist nicht
alles Gold, was glänzt“, darbieten, immer drängen sich
Geschmack und Kunstgeschick an die Oberfläche und
reizen zum Kauf. Im Kunstgewerbe hat sich aber die
Bijouterie einen der obersten Plätze errungen. Unsere
Goldschmiedekunst trägt den Stempel der Internationa-
lität, und ihre Vertreter können stolz darauf sein, sie
dazu gemacht zu haben.

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