Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 8./9.1926/27
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0358
DOI Heft:
1./2. Aprilheft
DOI Artikel:Riess, Margot: Frauen im Selbstbildnis
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Eine wieviel herbere Sprache redet der prachtvolle
Kopf der Käthe Kollwitz, die doch in ihrem
schaffenden Dämon, jenem mütterlichen „durch Mitleid
Wissen“ Wesentlichstes mit der Worpswederin gemein
hat. Aber statt jenes fraulichen Sichhineintragens in alle
Dinge berührt uns hier die Genialität der reihen geklär-
ten Schau. Eine ganze Lebensgeschichte spricht aus
diesen verschiedenen Selbstbildnissen. Der Blick
scheint immer illusionsloser, immer unerbittlicher in sei-
nem Ernst zu werden, es ist nichts mehr von jenem stau-
nenden Hinausträumen wie bei Paula Modersohn, son-
dern der Blick ist sachlich, g'leichsam objektbezogen,
von jener unbeirrbaren Klarheit und herben Selbstver-
ständlichkeit, wie wir ihn bei Frauen wahrnehmen, die
heute als Führerinnen vor einer Masse stelien. Das
Wort des Mystikers „Menscli, werde wesentlich“ wird
hier wahr, in diesem Gesicht, in dem nichts Kleinliches
uns von dem Eindruck des großen Gedankens, der
großen menschlichen Idee ablenkt, die diese Frau durch
ihr Werk und Wesen darstellt. „Dieses Brausen einem
Ziele zu, das ist das Schönste im Leben“ hat Paula
Modersohn einmal von sich bekannt. Was bei itir
Sehnsucht blieb, ist bei Käthe Kollwitz Erfüllung gewor-
den. Paula Modersohn sehnte sich stets danach, die ihr
besonders eigene mütterliche Genialität zur Wirkung zu
bringen, ihrc Kunst wäre „ein einziger Schrei nach dem
Kinde“, so hat Richard Hamann kürzlich ihr Wesen defi-
nieren wollen. Und doch darf man glauben, daß ihr
Sehnen — hätte sie die Erfüllung ihres Wunsches über-
leben können — sich wieder geweitet hätte, nach größe-
rer, allgemeinerer Wirkung. Frau Kollwitz ist beides
zuteil geworden, das große Schicksal, Mutter ihrer Kin-
der und dabei zugleich Führerin, Mutter einer Gesamt-
'heit sein zu können. Das ist ist das Streben, das in der
Frau mit modernem Bewußtsein lebt: über ihr natur-
gewolltes Schicksal hinaus ihr Frauentum in einem neuen
geistigen Sinne zur Auswirkung bringen zu dürfen.
Gleichwertig steht nun daneben der neue jünglingshafte,
mitunter irgendwie ins Heldische gesteigerte Typus der
modernen, auf sich selbst gestellten Frau, wie er sich am
idealsten in den plastischen — der psychologischen Er-
schließung an sich schwerer zugänglichen — Selbstbild-
nissen der genialen Berliner Bildhauerin R e n e e S i n -
t e n i s darstellt.
In wie deutlichen Symbolen sprechen diese weib-
lichen Selbstbildnisse verschiedener Generationen den
Wandel der Stellungnahme der Frau zu sich, zur Welt,
zum Mann, den Wandel ihres Verantwortungsbewußt-
seins aus!
Käthe Kollwitz
Selbstbildnis
Mit Genehmigung der
Neuen Kunsthandlung
iu Berlin
323
Kopf der Käthe Kollwitz, die doch in ihrem
schaffenden Dämon, jenem mütterlichen „durch Mitleid
Wissen“ Wesentlichstes mit der Worpswederin gemein
hat. Aber statt jenes fraulichen Sichhineintragens in alle
Dinge berührt uns hier die Genialität der reihen geklär-
ten Schau. Eine ganze Lebensgeschichte spricht aus
diesen verschiedenen Selbstbildnissen. Der Blick
scheint immer illusionsloser, immer unerbittlicher in sei-
nem Ernst zu werden, es ist nichts mehr von jenem stau-
nenden Hinausträumen wie bei Paula Modersohn, son-
dern der Blick ist sachlich, g'leichsam objektbezogen,
von jener unbeirrbaren Klarheit und herben Selbstver-
ständlichkeit, wie wir ihn bei Frauen wahrnehmen, die
heute als Führerinnen vor einer Masse stelien. Das
Wort des Mystikers „Menscli, werde wesentlich“ wird
hier wahr, in diesem Gesicht, in dem nichts Kleinliches
uns von dem Eindruck des großen Gedankens, der
großen menschlichen Idee ablenkt, die diese Frau durch
ihr Werk und Wesen darstellt. „Dieses Brausen einem
Ziele zu, das ist das Schönste im Leben“ hat Paula
Modersohn einmal von sich bekannt. Was bei itir
Sehnsucht blieb, ist bei Käthe Kollwitz Erfüllung gewor-
den. Paula Modersohn sehnte sich stets danach, die ihr
besonders eigene mütterliche Genialität zur Wirkung zu
bringen, ihrc Kunst wäre „ein einziger Schrei nach dem
Kinde“, so hat Richard Hamann kürzlich ihr Wesen defi-
nieren wollen. Und doch darf man glauben, daß ihr
Sehnen — hätte sie die Erfüllung ihres Wunsches über-
leben können — sich wieder geweitet hätte, nach größe-
rer, allgemeinerer Wirkung. Frau Kollwitz ist beides
zuteil geworden, das große Schicksal, Mutter ihrer Kin-
der und dabei zugleich Führerin, Mutter einer Gesamt-
'heit sein zu können. Das ist ist das Streben, das in der
Frau mit modernem Bewußtsein lebt: über ihr natur-
gewolltes Schicksal hinaus ihr Frauentum in einem neuen
geistigen Sinne zur Auswirkung bringen zu dürfen.
Gleichwertig steht nun daneben der neue jünglingshafte,
mitunter irgendwie ins Heldische gesteigerte Typus der
modernen, auf sich selbst gestellten Frau, wie er sich am
idealsten in den plastischen — der psychologischen Er-
schließung an sich schwerer zugänglichen — Selbstbild-
nissen der genialen Berliner Bildhauerin R e n e e S i n -
t e n i s darstellt.
In wie deutlichen Symbolen sprechen diese weib-
lichen Selbstbildnisse verschiedener Generationen den
Wandel der Stellungnahme der Frau zu sich, zur Welt,
zum Mann, den Wandel ihres Verantwortungsbewußt-
seins aus!
Käthe Kollwitz
Selbstbildnis
Mit Genehmigung der
Neuen Kunsthandlung
iu Berlin
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