Passavants Gründlichkeit und Verantwortungsgefühl, —
welchen Grund sollte er auch gehabt haben, der Nach-
richt einen anderen Sinn zu geben! — unbestritten sind,
können wir unter keinen Umständen die Richtigkeit der
Mitteilung bezweifeln. Was Passavant nicht weiß, ist,
wie das Mittelbild ausgesehen hat, das bereits, sei es in
Spanien oder auf dem Transport von dort nach Wien,
abhanden gekommen vvar. — Gegen Durrieus „Dipty-
chon“ sprechen auch ikonographische Gründe. Er findet
selbst, und zwar in Uebereinstimmung mit einem der
besten Kenner der mittelalterlichen Ikonographie, Emile
Mäle,2) daß eine bloße Zusammenstellung von „Kreuzi-
gung“ und „Jüngstem Gericht“ eine fast unmögliche
Verbindung darstellt. Wenn dieser „cas tout ä fait
Abb. 3. Mann mit dem Kinde aus der Aachener „Kreuztragung“
exceptionel“ bei den im Inventar des Herzogs nach-
gewiesenen beiden Werken vorliegt, so ist nahezu mit
Sicherheit zu schlioßen, daß auch diese beiden Stücke
Fragmente eines Triptychons gewesen sind.
Aus den angeführten Gründen müssen wir anneh-
men, daß die Tafeln in Petersburg mit den im Inventar
erwähnten nicht identisch sind, oder, wenn sie es sind,
vor der Erwerbung durcli Tatistscheff schon wieder mit
dem geforderten Mittelstück vereinigt waren. Nach
Passavants Ausführungen als einzigem Anhaltspunkt
könnte man für das Mittelstück der Petersburger Bilder
eine „Anbetung der Magier“ vermuten. Denkt man sich
aber die drei Tafeln in einem Altar vereinigt, so kommt
wiederum ikonographisch ein unmögliches Ganze her-
aus. Im weiten Bereiche der mittelalterlichen und von ihr
abhängigen Kunst gibt es, soweit uns jedenfalls bekannt,
keine einzige Verbindung der Themen „Jüngstes
Gericht“, „Anbetung der Könige“, „Kreuzigung“. Daher
■) Siehe P. Durrieu, Les van Eyck et le duc Jean de Berry,
a. a. 0., Seite 102.
scheidet die Annahme aus, daß das Mittelstück eine
„Anbetung der Könige“ gewesen ist.
Zu den Themen „Kreuzigung“ und „Jüngstes
Gericht“ paßt als Ergänzung ikonographisch nur eine
„Kreuztragung“. Von Memling gibt es zwei dreiteilige
Altäre, in denen eine „Kreuztragung“ vorkommt. Einer
befindet sich heute im Lübecker Dom. Der andere ist
getei'lt; sein Mittelbild wird in der Budapester, seine
Flügel werden in der Wiener Galerie aufbewahrt. In bei-
den Fällen erfährt die Kreuztragung eine Ergänzung
durcli eine Kreuzigung und eine Auferstehung Christi.
Nun ist eine Auferstehung Christi nicht identisch mit
einem Jüngsten Gericht, aber sie ist ihr inhaltlich eng
verwandt. Die Auferstehung Ghristi stellt nach der
Abb. 4. Zuschauer aus der Petersburger „Kreuzigung“
christlichen Heilslehre das Vorbild für die Auferstehung
der Gerechten dar. Da ihre Auferstehung am Tage des
Jüngsten Gerichtes stattfindet, so kann eine Auswechse-
lung dieser Themen weder von theologischer noch ikono-
graphischer Seite auf Widerspruch stoßen.
I) i e P e t e r s b u r g e r T a f e 1 n a 1 s T e i 1 e
e i n e s Triptychons verlangen somit
e i n e E r g ä n z u n g d u r c h e i n M i 11 e 1 b i 1 d
m i t d e m T h e m a e i n e r K r e u z t r a g u n g.
Es stelit lieute fest, daß die Petersburger Bilder von
van Eyck stammen. Es wurde ferner bewiesen, daß
das Vorbild zur Aachener „Kreuztragung“ von einem
der Brüder van Eyck herrührt. Es wurde schließlich
gezeigt, daß dieses Eycksche Bild einer Ergänzung zu
einem Triptychon bedarf (s. Seite 312). Was liegt näher,
als zu glauben, daß die Petersburger Tafeln Flügelbilder
dieser Eyckschen „Kreuztragung“ waren!
Die Annahme wird durch eine Reihe wichtigcr
Gründe gestützt, — durch einen bewiesen.
Erstens: Die Komposition der Landschaften in der
„Kreuzigung“ und „Kreuztragung“ zeigt eine auffallende
Uebereinstimmung. In beiden Landschaften bildet defl
358
welchen Grund sollte er auch gehabt haben, der Nach-
richt einen anderen Sinn zu geben! — unbestritten sind,
können wir unter keinen Umständen die Richtigkeit der
Mitteilung bezweifeln. Was Passavant nicht weiß, ist,
wie das Mittelbild ausgesehen hat, das bereits, sei es in
Spanien oder auf dem Transport von dort nach Wien,
abhanden gekommen vvar. — Gegen Durrieus „Dipty-
chon“ sprechen auch ikonographische Gründe. Er findet
selbst, und zwar in Uebereinstimmung mit einem der
besten Kenner der mittelalterlichen Ikonographie, Emile
Mäle,2) daß eine bloße Zusammenstellung von „Kreuzi-
gung“ und „Jüngstem Gericht“ eine fast unmögliche
Verbindung darstellt. Wenn dieser „cas tout ä fait
Abb. 3. Mann mit dem Kinde aus der Aachener „Kreuztragung“
exceptionel“ bei den im Inventar des Herzogs nach-
gewiesenen beiden Werken vorliegt, so ist nahezu mit
Sicherheit zu schlioßen, daß auch diese beiden Stücke
Fragmente eines Triptychons gewesen sind.
Aus den angeführten Gründen müssen wir anneh-
men, daß die Tafeln in Petersburg mit den im Inventar
erwähnten nicht identisch sind, oder, wenn sie es sind,
vor der Erwerbung durcli Tatistscheff schon wieder mit
dem geforderten Mittelstück vereinigt waren. Nach
Passavants Ausführungen als einzigem Anhaltspunkt
könnte man für das Mittelstück der Petersburger Bilder
eine „Anbetung der Magier“ vermuten. Denkt man sich
aber die drei Tafeln in einem Altar vereinigt, so kommt
wiederum ikonographisch ein unmögliches Ganze her-
aus. Im weiten Bereiche der mittelalterlichen und von ihr
abhängigen Kunst gibt es, soweit uns jedenfalls bekannt,
keine einzige Verbindung der Themen „Jüngstes
Gericht“, „Anbetung der Könige“, „Kreuzigung“. Daher
■) Siehe P. Durrieu, Les van Eyck et le duc Jean de Berry,
a. a. 0., Seite 102.
scheidet die Annahme aus, daß das Mittelstück eine
„Anbetung der Könige“ gewesen ist.
Zu den Themen „Kreuzigung“ und „Jüngstes
Gericht“ paßt als Ergänzung ikonographisch nur eine
„Kreuztragung“. Von Memling gibt es zwei dreiteilige
Altäre, in denen eine „Kreuztragung“ vorkommt. Einer
befindet sich heute im Lübecker Dom. Der andere ist
getei'lt; sein Mittelbild wird in der Budapester, seine
Flügel werden in der Wiener Galerie aufbewahrt. In bei-
den Fällen erfährt die Kreuztragung eine Ergänzung
durcli eine Kreuzigung und eine Auferstehung Christi.
Nun ist eine Auferstehung Christi nicht identisch mit
einem Jüngsten Gericht, aber sie ist ihr inhaltlich eng
verwandt. Die Auferstehung Ghristi stellt nach der
Abb. 4. Zuschauer aus der Petersburger „Kreuzigung“
christlichen Heilslehre das Vorbild für die Auferstehung
der Gerechten dar. Da ihre Auferstehung am Tage des
Jüngsten Gerichtes stattfindet, so kann eine Auswechse-
lung dieser Themen weder von theologischer noch ikono-
graphischer Seite auf Widerspruch stoßen.
I) i e P e t e r s b u r g e r T a f e 1 n a 1 s T e i 1 e
e i n e s Triptychons verlangen somit
e i n e E r g ä n z u n g d u r c h e i n M i 11 e 1 b i 1 d
m i t d e m T h e m a e i n e r K r e u z t r a g u n g.
Es stelit lieute fest, daß die Petersburger Bilder von
van Eyck stammen. Es wurde ferner bewiesen, daß
das Vorbild zur Aachener „Kreuztragung“ von einem
der Brüder van Eyck herrührt. Es wurde schließlich
gezeigt, daß dieses Eycksche Bild einer Ergänzung zu
einem Triptychon bedarf (s. Seite 312). Was liegt näher,
als zu glauben, daß die Petersburger Tafeln Flügelbilder
dieser Eyckschen „Kreuztragung“ waren!
Die Annahme wird durch eine Reihe wichtigcr
Gründe gestützt, — durch einen bewiesen.
Erstens: Die Komposition der Landschaften in der
„Kreuzigung“ und „Kreuztragung“ zeigt eine auffallende
Uebereinstimmung. In beiden Landschaften bildet defl
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