Petersburger Bilder und die Maße
i h r e r e r h a 11 e n e n a 11 e n R a h m e n.
Professor Dr. James Schmidt von der Direktion der
Eremitage hat sich auf unsere Bitte hin der Mühe unter-
zogen, die Maße der Bilder und Rahmen genau aufzuneh-
men.**) Er teilte über den Befund Folgendes mit: „Die
lichten Maße der Bilder betragen 56 X 20 cm, was
unserer letzten Messung von 1912 entspricht. Der Irr-
tum Kaemmerers4) geht auf die Angaben unseres Kata-
loges (franz. Ausg. v. 1901, S. 112) und diese wieder auf
einen Fehler im Hauptinventar von 1859 (Nr. 3559) zu-
rück. Beide Stücke haben verg.pldetc Leistenrähmchen,
bestehend aus einem flachen Streifen und einer Hohl-
kehle, die die Inschriften trägt: „Dominus posuit in eo
iniquitatem omnium nostrum“ etc., bzw. „Ecce taber-
naculum Dei“ etc„ die im vollen Wortlaut in unserem
französischen Katalog 1901, a. a. ü„ angegeben sind.
Die Buchstaben sind sehr klare gotische Majuskeln, die
Kürzungen in üblicher Anzahl. Die Rahmen sind, an den
Außenkanten gemessen, 62 X 25,5 cm groß, wie im
Katalog und im Inventar 1859 als Bildgröße angegeben
ist; der flache Teil ist an nicht verstoßenen Stellen
2,2 cm breit. Die Vergoldung ist recht neu, vermutlich
von 1867, wo die beiden Bilder von Holz auf Leinwand
übertragen wurden. An den unvergoldeten Seiten-
flächen sieht man, daß sie aus altem leicht wurm-
stichigem Eichenholz bestehen. Ich vermute, daß diese
Rahmen der Rest der ursprünglichen Eichenbretter der
Bilder sind, die zwecks Uebertragung auf Leinwand aus
ihnen herausgesägt worden wären. Da unsere Galerie
aus jenen Zeiten kcine Restaurierungsprotokolle besitzt,
kann ich diese Vermutung nicht aus den Akten belegen.“
Den Mitteilungen von Schmidt ist ergänzend nur hinzu-
zufügen, daß Durrieu die Rahmen, deren Alter ihn beson-
ders interessierte, genau untersucht und aus ihrem
materiellen Befund wie den Inschriften festgestellt hat,
daß es sich tatsächlich um die alten Rahmen handelt.5)
D i e M a ß e d e r B i Td e r und d e r R a h -
m e n e r 1 a u b e n , u n a b h ä n g i g v o n a 11 e n
anderen U n t e r 1 a g e n u n d E'rwägungen,
e i n T r i p t y c h o n z u k o n s t r u i e r e n. Der Ver-
such wurde durchgeführt (s. Tafe'l) und ergab ein Altar-
werk mit einer Mitteltafel von ganz bestimmter Größe.
Stimmte die Annahme, daß das Vorbild zum Aachener
Bilde das Mittelstiick dieses Altares gewesen ist, so
mußte dies in die errechnete Fläche passen. Wir brach-
ten nun die Aachener Tafel auf das Höhenmaß der
Petersburger Tafeln, wodurch sie sich automatisch
erbreiterte. D i e s o ermittelte B r e i t e
s t i m m t e m a t h e m a t i s c h g e n a u m i t d e r
Breite des Mittelfeldes überein. Eine
Prüfung durch die Photographien der drei Bilder, die alle
auf gleiche Höhe gebracht wurden, ergab dasselbe Resul-
**) Fiir seine bereitwillige und eingehende Auskunft sei ihm
auch hier unser wärmster Dank ausgesprochen.
4) Ludwig Kaemmerer, „Hubert und Jan van Eyck“, Velhagen
und Klasing, 1898, Seite 36 u. 37.
5) Vergl. P. Durrieu, Les van Eyck et le duc Jean de Berry,
a- a. O., Seite 94.
tat. In beiden Fällen war eine absolute Gleicli-
heit zwischen den Maßen der Bild-
flächen des errechneten Triptychons
u n d d e n M a ß e n d e r natürlichen B i 1 d -
f 1 ä c h e n festzustellen. Das Mittelbild besaß also
relativ keine größere Breite als die Aachener Kopie, wie
wir ursprünglich angenonimen hatten, sondern genau die
gleiche.6 7) Beim Zusammenklappen des Altares wurde
das Mittelbild von den Seitenbildern soweit verdeckt,
daß nur noch Raum für die 5 cm breite doppelte Rahmen-
leiste der beiden Petersburger Bilder blieb (s. Tafel).
D a s E n d e r g e b n i s i s t e i n i k o n o -
g r a p h i s c h u n d künstlerisc liT) i n s i c h
a b g e s c h 1 o s s e n e s Ganze, b e i d e m d i e
H a r m o n i e d e r B i 1 d e r d e r H a r m o n i e s e i -
n e s architektonischen A u f b a u e s8) e n t -
s p r i c h t. D a d i e Rekonstruktion i n j e d e r
H i n s i c h t e i n e G 1 e i c h u n g e r g i b t, d i e
restlos aufgeht, so ist u. E. der Beweis
erbracht, daß das Eycksche Vorbi'ld des
A a c h e n e r B i 1 d e s u n d d i e beidenPeters-
6) Die Wiener Zeichnung, auf der seitliche Figuren und Figuren-
teile sichtbar werden, die dem Aachener Bilde fehlen, kann daher
nicht direkt nach dem Vorbilde der Aachener Tafel aus-
gefiihrt worden sein. Entweder ist sie, wie Benesch glaubt (Brief
an den Verfasser v. 25. 4. 27), eine Weiterbildung, oder sie kopiert
ein älteres Stadium der Eyckschen Komposition. Für die letztere
Annahme spricht, daß diese äußersten seitlichen Figuren mit den
übrigen im Stil völlig übereinstimmen, daß sie mit ihnen förmlich
verwachsen sind, den Grundcharakter von Figuren der „Miniatur“
zeigen und in der Qualität auf der vollen Höhe der Eyckschen Kunst
stehen. Uebrigens ist, woranf uns Kuetgens noch aufmerksam
machte, vom Zeichner des Wiener Blattes eine kleine Umstellung
der Figuren vorgenommen worden, falls man vom Aachener Bilde
ausgeht. Der Schildträger der Wiener Zeichnung ist dicht an den
linken Bildrand zuriickgesetzt, während sein iinker Nachbar mit
kegelförmiger Miitze hinter (über) ihn gerückt ist.
7) Fiir die künstlerische Beurteilung des Altares als eines
Ganzen ist natiirlich zu beriicksiclitigen, daß mit Meisterwerken eines
der Brüder van Eyck eine Kopie eines Eyckschen Vorbildes zusam-
mengestellt werden mußte, die die Qualität und den Reiz des
Originals nur noch ahnen läßt. Werken eines Dirk Bouts, erst
recht aber seiner Schiiler, fehlt eben das Beste der Eyckschen
Kunst: Die innige Beseeltheit von Mensch und Natur; die feuchte,
Menschen und Dinge umgebende Luft; das Helldunkel, das Gliihen
der Farbe, die Kostbarkeit der Materie. Empfindung wird hier zu
nüchternem Verstand, ein zartes Gedicht zu rauher Prosa. Selbst
in einer Kopie des Dirk Bouts nach van Eyck miißte noch deutlich
der Abstand fühlbar werden, der das Werk eines Hauptmeisters
von dem eines Epigonen trennt. Und dieser Qualitätsunterschiede
muß man sicli bei jeder stilkritisch und ästhetisch vergleichenden
Betrachtung der Tafeln bewußt bleiben.
8) Wir geben einige charakteristische Originalgrößen in cm an,
wie folgt: Lichtc Breite des Mittelbildes: 45 cm, lichte Breite jedes
Seitenbildes: 20 cm, lichte Höhe der drei Bilder: 56 cm, Breite des
ganzen Altares (mit Rahmen): 100 cm, Höhe des Altares (mit
Rahmen): 62 cm. (Die auf Seite 313 angegebenen Zahlen werden
hierdurch hinfällig.)
Nach den Messungen von Jarnes Schmidt (s. oben) sind die
vertikalen Rahmenleisten der Petersburger Bilder 0,5 cm schmäler
als die horinzontalen. Unter Beriicksichtigung dieses Umstandes
ist die sich crgebende Altarbreite von genau 1 m besonders beach-
tenswert. In dem kleinen Maßstab unserer Rekonstruktionsbilder
konnte dieser winzige Unterschied nicht mehr ausgedriickt werden.
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i h r e r e r h a 11 e n e n a 11 e n R a h m e n.
Professor Dr. James Schmidt von der Direktion der
Eremitage hat sich auf unsere Bitte hin der Mühe unter-
zogen, die Maße der Bilder und Rahmen genau aufzuneh-
men.**) Er teilte über den Befund Folgendes mit: „Die
lichten Maße der Bilder betragen 56 X 20 cm, was
unserer letzten Messung von 1912 entspricht. Der Irr-
tum Kaemmerers4) geht auf die Angaben unseres Kata-
loges (franz. Ausg. v. 1901, S. 112) und diese wieder auf
einen Fehler im Hauptinventar von 1859 (Nr. 3559) zu-
rück. Beide Stücke haben verg.pldetc Leistenrähmchen,
bestehend aus einem flachen Streifen und einer Hohl-
kehle, die die Inschriften trägt: „Dominus posuit in eo
iniquitatem omnium nostrum“ etc., bzw. „Ecce taber-
naculum Dei“ etc„ die im vollen Wortlaut in unserem
französischen Katalog 1901, a. a. ü„ angegeben sind.
Die Buchstaben sind sehr klare gotische Majuskeln, die
Kürzungen in üblicher Anzahl. Die Rahmen sind, an den
Außenkanten gemessen, 62 X 25,5 cm groß, wie im
Katalog und im Inventar 1859 als Bildgröße angegeben
ist; der flache Teil ist an nicht verstoßenen Stellen
2,2 cm breit. Die Vergoldung ist recht neu, vermutlich
von 1867, wo die beiden Bilder von Holz auf Leinwand
übertragen wurden. An den unvergoldeten Seiten-
flächen sieht man, daß sie aus altem leicht wurm-
stichigem Eichenholz bestehen. Ich vermute, daß diese
Rahmen der Rest der ursprünglichen Eichenbretter der
Bilder sind, die zwecks Uebertragung auf Leinwand aus
ihnen herausgesägt worden wären. Da unsere Galerie
aus jenen Zeiten kcine Restaurierungsprotokolle besitzt,
kann ich diese Vermutung nicht aus den Akten belegen.“
Den Mitteilungen von Schmidt ist ergänzend nur hinzu-
zufügen, daß Durrieu die Rahmen, deren Alter ihn beson-
ders interessierte, genau untersucht und aus ihrem
materiellen Befund wie den Inschriften festgestellt hat,
daß es sich tatsächlich um die alten Rahmen handelt.5)
D i e M a ß e d e r B i Td e r und d e r R a h -
m e n e r 1 a u b e n , u n a b h ä n g i g v o n a 11 e n
anderen U n t e r 1 a g e n u n d E'rwägungen,
e i n T r i p t y c h o n z u k o n s t r u i e r e n. Der Ver-
such wurde durchgeführt (s. Tafe'l) und ergab ein Altar-
werk mit einer Mitteltafel von ganz bestimmter Größe.
Stimmte die Annahme, daß das Vorbild zum Aachener
Bilde das Mittelstiick dieses Altares gewesen ist, so
mußte dies in die errechnete Fläche passen. Wir brach-
ten nun die Aachener Tafel auf das Höhenmaß der
Petersburger Tafeln, wodurch sie sich automatisch
erbreiterte. D i e s o ermittelte B r e i t e
s t i m m t e m a t h e m a t i s c h g e n a u m i t d e r
Breite des Mittelfeldes überein. Eine
Prüfung durch die Photographien der drei Bilder, die alle
auf gleiche Höhe gebracht wurden, ergab dasselbe Resul-
**) Fiir seine bereitwillige und eingehende Auskunft sei ihm
auch hier unser wärmster Dank ausgesprochen.
4) Ludwig Kaemmerer, „Hubert und Jan van Eyck“, Velhagen
und Klasing, 1898, Seite 36 u. 37.
5) Vergl. P. Durrieu, Les van Eyck et le duc Jean de Berry,
a- a. O., Seite 94.
tat. In beiden Fällen war eine absolute Gleicli-
heit zwischen den Maßen der Bild-
flächen des errechneten Triptychons
u n d d e n M a ß e n d e r natürlichen B i 1 d -
f 1 ä c h e n festzustellen. Das Mittelbild besaß also
relativ keine größere Breite als die Aachener Kopie, wie
wir ursprünglich angenonimen hatten, sondern genau die
gleiche.6 7) Beim Zusammenklappen des Altares wurde
das Mittelbild von den Seitenbildern soweit verdeckt,
daß nur noch Raum für die 5 cm breite doppelte Rahmen-
leiste der beiden Petersburger Bilder blieb (s. Tafel).
D a s E n d e r g e b n i s i s t e i n i k o n o -
g r a p h i s c h u n d künstlerisc liT) i n s i c h
a b g e s c h 1 o s s e n e s Ganze, b e i d e m d i e
H a r m o n i e d e r B i 1 d e r d e r H a r m o n i e s e i -
n e s architektonischen A u f b a u e s8) e n t -
s p r i c h t. D a d i e Rekonstruktion i n j e d e r
H i n s i c h t e i n e G 1 e i c h u n g e r g i b t, d i e
restlos aufgeht, so ist u. E. der Beweis
erbracht, daß das Eycksche Vorbi'ld des
A a c h e n e r B i 1 d e s u n d d i e beidenPeters-
6) Die Wiener Zeichnung, auf der seitliche Figuren und Figuren-
teile sichtbar werden, die dem Aachener Bilde fehlen, kann daher
nicht direkt nach dem Vorbilde der Aachener Tafel aus-
gefiihrt worden sein. Entweder ist sie, wie Benesch glaubt (Brief
an den Verfasser v. 25. 4. 27), eine Weiterbildung, oder sie kopiert
ein älteres Stadium der Eyckschen Komposition. Für die letztere
Annahme spricht, daß diese äußersten seitlichen Figuren mit den
übrigen im Stil völlig übereinstimmen, daß sie mit ihnen förmlich
verwachsen sind, den Grundcharakter von Figuren der „Miniatur“
zeigen und in der Qualität auf der vollen Höhe der Eyckschen Kunst
stehen. Uebrigens ist, woranf uns Kuetgens noch aufmerksam
machte, vom Zeichner des Wiener Blattes eine kleine Umstellung
der Figuren vorgenommen worden, falls man vom Aachener Bilde
ausgeht. Der Schildträger der Wiener Zeichnung ist dicht an den
linken Bildrand zuriickgesetzt, während sein iinker Nachbar mit
kegelförmiger Miitze hinter (über) ihn gerückt ist.
7) Fiir die künstlerische Beurteilung des Altares als eines
Ganzen ist natiirlich zu beriicksiclitigen, daß mit Meisterwerken eines
der Brüder van Eyck eine Kopie eines Eyckschen Vorbildes zusam-
mengestellt werden mußte, die die Qualität und den Reiz des
Originals nur noch ahnen läßt. Werken eines Dirk Bouts, erst
recht aber seiner Schiiler, fehlt eben das Beste der Eyckschen
Kunst: Die innige Beseeltheit von Mensch und Natur; die feuchte,
Menschen und Dinge umgebende Luft; das Helldunkel, das Gliihen
der Farbe, die Kostbarkeit der Materie. Empfindung wird hier zu
nüchternem Verstand, ein zartes Gedicht zu rauher Prosa. Selbst
in einer Kopie des Dirk Bouts nach van Eyck miißte noch deutlich
der Abstand fühlbar werden, der das Werk eines Hauptmeisters
von dem eines Epigonen trennt. Und dieser Qualitätsunterschiede
muß man sicli bei jeder stilkritisch und ästhetisch vergleichenden
Betrachtung der Tafeln bewußt bleiben.
8) Wir geben einige charakteristische Originalgrößen in cm an,
wie folgt: Lichtc Breite des Mittelbildes: 45 cm, lichte Breite jedes
Seitenbildes: 20 cm, lichte Höhe der drei Bilder: 56 cm, Breite des
ganzen Altares (mit Rahmen): 100 cm, Höhe des Altares (mit
Rahmen): 62 cm. (Die auf Seite 313 angegebenen Zahlen werden
hierdurch hinfällig.)
Nach den Messungen von Jarnes Schmidt (s. oben) sind die
vertikalen Rahmenleisten der Petersburger Bilder 0,5 cm schmäler
als die horinzontalen. Unter Beriicksichtigung dieses Umstandes
ist die sich crgebende Altarbreite von genau 1 m besonders beach-
tenswert. In dem kleinen Maßstab unserer Rekonstruktionsbilder
konnte dieser winzige Unterschied nicht mehr ausgedriickt werden.
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