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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

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1./2. Maiheft
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Krasnopolski, Paul: Mathias Sonnberger: ein unbekannter Künstler des Böhmerwaldes
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0411

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nen Künsten, und oft auch der Kunst, zurückgezogen,
aber nicht verbittert, empfindsam und empfindlich.

Wie nicht lange nach seinem Tode fremdes Ver-
ständnis hinter dem Grabdenkmal des Leinwandhänd-
lers Johann Paul Löffler in Weißenbach (Oberös.ter-
reich) den Meister suchte, fand man nur noch den Namen
dessen, der hier sein Hauptwerk geschaffen hatte. Auf
dieses „cypressenumwehte Monument“ machte schon
ein Jahr nach Sonnbergers Ende der Schriftsteller Be-
nedikt Pillwein (ges.t. zu Linz 1847) im Linzer „Oester-
reichischen Bürgerblatt“ aufmerksam. Aber weder in
dessen 1827 in Linz erschienen „Geschichte, Geographie
und Statistik des Erzherzogtums Oesterreich ob der
Ems . . .“ noch in „Kunst und Altertum im öster-
reichischen Kaiserstaate“, welche der Wiener Forscher
Franz Tschischka (gest. 1855) 1836 „geographisch dar-
stellte“, ist mehr als Namen und Heimat Sonnbergers
enthalten. Fast noch drüftiger sind die späteren An-
gaben: Nagler (Neues allgemeines Künstlerlexikon,
München 1847) weiß nur von einem Bildhauer, der „in
der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in
Oesterreich arbeitete“, und Wurzbach (Biographisches
Lexikon, 35. Teil, Wien 1877) läßt ihn als Deutsch-
böhmen in Hohenfurt in der gleichen Zeit tätig sein und
fiigt hinzu: Geburts.ort und Jahr unbekannt, über seinen
Lebens- und Bildungsgang fehlen alle Nachrichten.
Doch erwähnen beide das Löfflersche Grabdenkmal.

Die Steine, die Sonnberger kunstvoll schnitt, müs-
sen für ihn reden und von ihm sprechen. Freilich: daß
hier jemand am Werke war, der niemals einen Unter-
richt in der Skulptur oder einer Kunst überhaupt hatte,
sondern sein eigener — und man darf wohl sagen: sehr
guter — Fehrer und Schüler war, würde niemand glau-
ben, welcher die ungefähr fünf cm hohen Köpfe auf den
Grabplatten von Mathias’ Eltern oder Geschwistern
sieht, diese steinernen Miniaturen in ihrer charakteri-
stischen Schärfe und Feinheit, Bilder zur Geschichte
einer Familie, deren Namen noch heute in Hohenfurt
lebt. Der Vater verschied 1810, im Alter von 71 Jahren,
die Mutter 1818. Eine fremde und ungelenke Hand hat
unter die Zeile „Gest : v : ihrem Sohn Mathias. Sonn-
berger“ Geburts- und Sterbedaten des Künstlers ge-
setzt, dessen Schwester Maria und Bruder Julian, „ein
gründlicher Musiker“ — eine Flöte deutet diesen Beruf
an — im nämlichen Jahre 1806 und gleichen Monat
August an der Ruhr starben.

Das küns.tlerische Beiwerk der Steine, die wenig
über vierzig Zentimeter im Quadrat messen, und ihre
Inschriften, die Pyramiden mit Totenköpfen und Sand-
uhren, um die sich Blumenkränze winden, diese ge-
brochenen Säulen und Vasen, die Bäume, welche die
Neigung des Lebens und der Trauer zueinander zieht
und verbindet, der Tod mit der Sense, die etwas schwül-
stigen Verse, das alles zeigt den empfindsamen Ge-
schmack der Zeit. Sieben Grabplatten aus Speckstein
und Alabaster sind noch an der Außenwand der Fried-
hofskirche eingemauert. Eine von ihnen stach Sonn-
berger für Anton Hall, der 1813 starb. Er hatte „1778
die Art erfunden, Kinder ohne dem Buchstabiren zum

Lesen anzuleiten, wofür er von S. Maj: Joseph dem 2ten
belohnet wurde“. Der Hohenfurter Schullehrer hat
selbst Grabsteine gemeißelt. Vielleicht war Sonnberger
auch künstlerisch von ihm beeinflußt, wenn er Engel
und elegische Gestalten, deren antikisierende Gewan-
dung bei den weiblichen zuweilen durch Puffärmel zum
Kostüme der Gegenwart wurde, und weinende Zweige
nnpersönlich durch den Schleier von Rührseligkeit,
Schwermut und Tränen erblickte, mit dem für das Fm-
pire selbst die Natur verhängt war. Die Natur — Sonn-
berger hat sie geschaut und fast nie gesehen, sie war
ihm Kulisse für Gefühle, nicht Schauplatz von Empfin-
dungen. Und nur selten und ganz von ferne klingt in
der zartverhauchenden Weiträumigkeit eines land-
schaftlichen Hintergrundes ein leiser Ton aus der gro-
ßen, nie verstummenden Melodie des Böhmerwaldes
mit. Dann hat wohl Mathias’ Auge das. diktiert, was
sonst nur seine Hände sagten, er selbst gezeichnet, was
gewöhnlich fremde Vorbilder für ihn entworfen hatten.

Ein achter Stein, für Xaver Falk, kehrte in die gei-
stige Heimat dieses Professors der Theologie an der
Prager Universität zurück, in das Zisterzienserstift
Hohenfurt, ein anderer ist in Neuhaus (Böhmen). Von
mehreren, die sich früher auf den Friedhöfen in Krumau
und Budweis befunden haben, weiß P. Justin Zichraser
in einem Zeitungsartikel des Jahres 1922 zu berichten.

Sonnberger ist groß und fein im Kleinen, beherrscht
hier die Frscheinung des Menschen in der malerischen
Plastik des Reliefs mit lebendiger Sicherheit. Sobald
er aber dessen Figur von der Fläche loslöst und den
Körper frei in den Raum stellt, wird er befangen. Ein
Cruzifixus, die Madonna auf der Weltkugel beweisen
dies. Sie gehören zu den wenigen Stücken, die sich aus
seinem Nachlaß erhalten haben. Was sich sonst noch
an Arbeiten des Künstlers fand, seine Schriftlichkeiten
und das Werkzeug, welches er sich selbst verfertigt
hatte, das ist alles zugrunde gegangen bei einem Brande
seines Hauses,, an dessen Stelle ein nüchternes, ziegel-
gedecktes gesetzt wurde. Sein Petschaft aber ist ge-
rettet, ein kleiner Dreikant aus Speckstein mit ovalen
Flächen. Die eine zeigt auf blumiger Wiese eine be-
kränzte Säule, an der ein Schild, einer Grabtafel ähn-
lich, mit dem Mongramm des Besitzers lehnt, während
den Hintergrund die Schatten von Bergen färben. Und
rechts, unter den hängenden Zweigen eines Baumes,
sitzt ein Mann in der Tracht des frühen neunzehnten
Jahrhunderts mit Kniehosen, langem Rock und hohem,
steifen Hut, den Kopf in die Hand gestützt und im Stein
mit den Buchstaben M. S. sein eigenes Ich betrachtend.
Gewiß: für Sonnberger war es nur eine Arbeit, wie er
sie in der sentimentalen Stimmung seiner Zeit liebte.
Für das zwanzigste Jahrhundert ist das sehr feine
Kunstwerk mehr als ein zierlicher Gebrauchsgegen-
stand, dem Herkunft und Tradition persönlichen Reiz
geben, wird es zu einem nachdenklichen — prophe-
tischen Symbol des Febens eines Künstlers, das dieser
selbst, vielleicht Höheres in sich ahnend, betrauert, und
von dem für die Nachwelt nur ein paar vergessene
Grabsteine iibrig sind.

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