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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

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1./2. Juliheft
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Waldmann, Emil: Max Liebermann: Zum 80. Geburtstage am 20. Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0491

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raschendsten Entdeckungen machen. Sie werden in
Doktorarbeiten sehr mühsam die chronologische
Reihenfolge von sämtlichen Fassungen der „Netze-
flickerinnen“, Gemälde, Studien, Entwürfen Vorberei-
tungen, Skizzen und Notizen, feststellen und über die
Tatsache, daß die Hauptfiguren, die Heldin, dieses
stehende junge Friesenmädchen im Winde, erst eine
Eingebung der letzten Stunde ist, eben so tiefsinnige
Bemerkungen machen können, wie über die andere Tat-
sache, daß die „Frau mit den Ziegen“, die so großartig
im Rhythmus in die Tiefe schreitet, ursprünglich (oder
zwischendurch?) einmal ein Junge mit Ziegen war, der
gleichzeitig nach hinten und nach vorn gezerrt wird.

einem Bilde, und wenn man durch Prüfung des Papiers
und Wasserzeichens und andrer Diplomatika auch ein-
wandfrei feststellen kann, daß die Zeichnung älter ist
als das Gemälde, weil der Künstler anno 1891, beispiels-
weise, in Volendam war oder weil, beispielsweise, der
Dackel Männe, der darauf vorkommt, damals erst so
und so alt gewesen sein kann, sicher ist damit noch gar
nichts. Liebermann ist imstande und hat niemand er-
zählt, daß er schon 1885 einmal einen Tag heimlich in
Volendam war und der Dackel ist vielleicht gar nicht
Männe, sondern sieht nur so aus. Und am Ende bewah-
ren die Erben von Josef Israels noch einen Biergarten
mit Sonnenflecken aus dem Jahre 1874 auf.

Max Liebermann, Holländisches Mädchen Mit Genehm-i.gung von Paul Cassirer, Berlin

Sie müssen dann allerdings auch sämtliche Zeichnungen
kennen. Sie werden, wenn sie richtig ar’beiten, sehen,
daß von den „Badenden Jungen in den Dünen“ gerade
die eine Zeichnung, die am skizzenhaftesten, so ganz
stenographisch aussieht, nicht etwa die erste Idee zu
diesem Gemälde ist, sondern ,die letzte Korrektur an
diesem Bilde, später entslauden, nachdem der Bild-
gedanke durch Dutzende voii feinsten Sieben hindurch-
filtriert war. Ueber die Frage des Motivs der Sonnen-
flecken unter Bäumen und in Biergärten werden
mehrere einander widersprechende Dissertationen nötig
sein, denn den wahren Sachverhalt weiß heute, im Ein-
zelnen, so recht schon keiner mehr; auch der Künstler
nicht, denn den interessiert es nicht. Im Allgemeinen
aber werden die Kunsthistoriker jener Tage mit der
Frage der Datierungen vorsichtig sein müssen. Die
Daten der Bilder stehen allerdings bei Hancke. Aber
die Daten der Zeichnungen und Pastelle stehen nirgend,
und wenn eine Zeichnung aussieht wie eine Skizze zu

Je mehr die Kunsthistoriker von anno 1965 ver-
zweifeln an der Unlösbarkeit der Aufgabe, um so mehr
haben wir die Gewißheit, daß dieses Schaffen immer
lebendig, immer modern, immer naiv war. Daß es m
jedem Augenblicke dem Leben zugewandt war. Daß
die „Phantasie in der Malerei“, das Wechselspiel zwi-
schen „Erfindung und Empfindung“ nie nach Theorien
sondern immer nur nach geheimen Gesetzen der eige-
nen Seele und des eigenen Instinktes arbeiteten, und
daß diese herrlichen und lichtreichen theoretischen For-
mulierungen gar keine Theorien sind, sondern Ergeb-
nisse der Praxis, Resultate, gewonnen zunächst aus
dem Tun und dann erst aus dem Denken. Aber so
logisch, wie die Abfolge der in diesen Schriften nieder-
gelegten ästhetischen Gedanken ist nun auch das schein-
bar an Gedankensprüngen so reiche praktische Schaffen
dieses Malers. Das Ganze dieses Oeuvres bietet zu-
nächst das Bild eines verwirrenden Reichtums, einer
unfaßbaren Vielseitigkeit, eines brausenden Durchein-

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