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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

DOI issue:
1./2. Augustheft
DOI article:
Waldmann, Emil: Slevogts neues Freskenwerk im Ratskeller zu Bremen
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0542

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Balthasar Ohnegrund zittert, mit Grund, unter dem
drohend zuprostenden Judas. Jungfer Rose säuft und
der Lange, Apostel Jakobus, im roten Goldrock schlürft
kennerisch und genießerisch aus einem Römer. Ueber
das Faßrund grinst höhnisch der steinerne Roland mit
Schwert und Tartsche, darunter drängt sicli das Rudel
der anderen Apostel, die aus ihren Sargfässern aufge-
stiegen sind.

Auf dem Wandfelde rechts zur Seite des Fasses
steigt der Dichter die Ratskellertreppe hinab. Draußen
regnet es, es ist ja der erste September. Fahles Licht
wirft seine bleichen Reflexe, von draußen wie von drin-
nen, und der noch nicht schwankenden Gestalt des Poe-
ten schleicht unheimlich der Ratskellerkater voran. Er
wird schon schwanken.

Als Gegenstück zu diesern Bilde erscheint die
Szene, wo der Reitknecht Balthasar Ohnegrund von der
scbwedischen Reiterei, ungenügend als Gesandtschafts-
schreiber verkleidet, seine Seele dem Teufel ver-
schreibt, gelb und bleich, verführt von dem ehemaligen
Zirkelschmied und jetzigen Senator in Mühlsteinkrause
und Spitzhut. Den hat nicht einmal der Reitknecht unter
den Tisch trinken können, denn unter diesem Spitzhut
hat er ein Spundloch als Ventil für alkoholische Dämpfe,
laut seinem Pakt mit dem Teufel. Die Anderen sind
schon betrunken, von hinten herein fällt bleiches Licht
durch die gotischen Fenster der Rathaushalle, aber vorn
bei Kerzenschein geht der schauerliche Handel vor
sich. Riesig steht der Teufel auf dem Tisch, viel körper-
licher und wirklicher als die zu blassen Schemen ge~
wordenen Menschlein. Er hält dem vor Angst fast
wahnsinnigen Reitknecht die Fcder mit den Zehen sei-
ner Krallenfüße hin. Balthasar Ohnegrund wird unter-
schreiben. Er will Ratskellermeister werden.

Es wird immer gespenstischer. Wie die Apostel
in ihren Perücken, wie der kleine Bacchus, ein böser
Zwerg, teuflisch grinsend, den armen Dichter prellen
über dem weißen Prelltuch — cben war es noch Tisch-
tuch — wie er krumm in der Luft fliegt, die Dccke der
Gewölbe ist wie weggeblasen, wie er schwitzende kaltc
Angst kriegt und wie sie, wie die Lemuren, unheimlich
ihre kreideweißen Habichtsprofile in die Luft stoßen —
ein dämonischer Geisterspuk. Rathausfront und Dom-
türme fallen schief nach hinten in die Versenkung, wie
aus der Luft von oben gesehen.

Die malcrische Atmosphäre, in die der Künstler
seine Gestaltcn hüllte, stammt aus der gleichen kiinst-
lerischen Luft, in der die Geschichte des Dichters lebt,
aus dieser Luft von Spukhaftigkeit, von Durcheinander-
mischen aus Traum und Wirklichkeit in unablässiger
gegenseitiger Verwandlung. Ein graublauer Gesamtton
liegt über den Bildern, durch zuckende schwefelgelbc
und weiße Lichter erhellt und mit elektrischem Blau
neben kaltem Rot in der Szene mit dem Prelltuch, mit
bösem Gelb in der Teufelszene, mit rosagelbem
Fleischton und dem Kontrast des Schwarz-weiß in den
Gewändern. Nur das Bild auf der Faßwand stra'hlt in
leuchtender, heller, rauschend bunter Harmonie. Wo

Slevogt phantasiert, glüht seine Farbe so tief und so
kostbar, wie nur je in seinen schönsten Augenblicken.
Wo er erzählt, ist er ernst und düster, dämonisch und
innerlich so großartig, wie es der Dichter war, als
er schrieb.

Eine Erfindungsgabe ohnegleichen war bei der

Der Pakt mit dem Teufel
Wand'feld rechts zur Seite des Fasses

Erschaffung dieser Gestaltenwelt am Werke, eine Fülle
von unvergeßlichen Figuren lebt auf diesen Wänden,
gesehen mit unheimlicher, unausweichlicher Gewalt,
traumwahr und greifbar, deutlich und phantastisch zu-
gleich. Sehr groß im Stil, lebendig im Umriß, schlagend
in der Charakterisierung und von hinreissender Leben-
digkeit in der Besehung des Körperlichen. Alles in
Allem Goya und Daumier, aber auf ganz naive und ganz
selbständige Weise, verwandter, als in irgendwelchen

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