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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 11 - Nr. 20 (13.Januar - 24. Januar )
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Badischer Landtag.
Karlsruhe, 16. Januar.
Fünfte öffentliche Sitzung derErsten Kammer.
Tagesordnung auf Samstag den 20. Januar,
Vormittags 9 Uhr. 1. Anzeige neuer Eingaben.
2. Fortsetzung der Beratbung des Berichts der
Justizkommission über den Entwurf eines Gesetze«,
die Abänderung und Ergänzung des Polizeistraf-
gesetzbuchs vom 31. Oktober 1863 betr. (Bericht-
erstatter ; LandgerichtspräsidentKamm). 3. Erstattung
und Berathung des Berichts der Petitionskommission,
die Nachweisung über die der Staatsregierung
während des Landtags 1891 und 1892 von der
Ersten Kammer überwiesene Petition und deren
Erledigung betr. (Berichterstatter Frhr. von Rüöt).
4. Berathung des Berichts der Kommission für
Eisenbahnen und Straßen über den Gesetzentwurf,
die Erbauung einer Nebenbahn von Hallingen nach
Kandern betr. (Berichterstatter; Graf v. Hennin).
5. Berathung der Berichte der Petitionskommission:
a. über die Bitte des Gabelsbcrger Stenographen-
vereins Karlsruhe u. A., Einführung der Steno-
graphie in die Schulen betr. (Berichterstatter:
Hofrath Dr. Rümelin); b>. über die Bitte des
Konsuls Köst er in Heidelberg, das Verhalten
des Ersten Staatsanwaltes Dietz in Mannheim
betr. (Berichterstatter: Landgericht-Präsident Kamm).
6. Berathung des Berichts der Budgetkommission
über die Nachweisung der in den Jahren 1891
und 1892 eingegangenen Staatsgelder und deren
Verwendung (Berichterstatter: Frhr- E. A. v. Göler).

Aus Wcch unö Jern.
* Karlsruhe, 14. Jan. Aus der Luther-
Stiftung konnten im Jahre 1893 18 Stipendien
und Erziehungsbeiträge für Söhne und Töchter
von 9 evangelischen Pfarrers- und 9 Lehrersfamilien
unseres Landes zu ihrer Ausbildung in verschiedenen
Berufsarten vergeben werden. Zehn dieser Stipendien
betrugen je 100 Mk., 8 je 75 Mk. Von den so
bewilligten 1600 Mk. spendete der badische Haupt-
verein 1000 Mk., der Zentralverein in Berlin
600 Mk. Rechnet man die Jahre seit Bestand
der Lutherstiftung (1885—1893) zusammen, so
erhielten in dieser Zeit in 74 Fällen Söhne und
Töchter badischer evangel. Pfärrer und in 88 Fällen
Söhne und Töchter badischer evangel. Lehrer vom
bad. Hauptvcrein 6800 Mk., vom Zcntralvercin
8070 Mk., d. i. 14 870 Mk. Stipendien und
Erziehungsbeiträge. Möge auch diese Mitthcilung
dazu dienen, den in den 25 Diözesen unserer
evangel. Landeskirche bestehenden Zweigvereinen der
Lutherstiftung immer mehr Mitglieder zuzufüdren.
Man wird Mitglied durch ein einmaliges Geschenk
von mindestens 20 Mk., oder einen jährlichen
Beitrag von wenigstens 1 Mk. Auskunft über die
Anmeldung zum Eintritt in den Verein kann bei
jedem evangel. Dekan erhoben werden.
' Karlsruhe, 16. Jan. Gestern Nachmittag
3 Uhr bemerkten die Nachbarn vom Hause Uhland-
straße 28 Rauch aus einem Fenster dringen und
hörten Kindergeschrei darin. Sie sprangen hinüber
sprengten die geschlossene Thür und fanden ein Bett
brennend, in welchem 3 kleine Kinder unter 3
Jahren sich befanden. Es stellte sich heraus, daß
eines der Kinder mit Streichhölzchen gespielt und
dadurch die Bettvorhänge in Brand gesteckt hatte.
Die Eltern waren abwesend und soll dies schon der
4. Brandfall innerhalb Jahresfrist in dieser Familie
sein, welcher in derartiger Weise entstanden ist.
* Mannheim, 16. Jan. Die Erbauung eiiur
Festhalle rückt nunmehr in greifbare Wirklich-
keit. Der hiesige Stadtrath hat in seiner letzten
Sitzung das Festhallen-Projekt bereits genehmigt
und wird sich der hiesige Bürgerausschuß voraus-
sichtlich schon in seiner nächsten Sitzung mit der
Angelegenheit zu befassen haben. Man darf ge-
spannt darauf sein, wie die Lösung dieser hoch-
wichtigen Frage erfolgt.
* Schwetzingen, 17. Jan. Nach der im
Dezember v. I. vorgenommenen Viehzählung gab
es im ganzen Amtsbezirk 6762 Stück Rindvieh.

Im Jahrs 1892 war der Stand 7120 Stück;
es fand also ein Rückgang von 358 Stück oder 5
Prozent statt. Wenn mir kein günstiges Früh-
und Futterjahr bekommen, so ist sehr zu fürchten,
daß die Annahme eine noch viel stärkere wird.
Der Mangel an Trockenfutter macht sich jetzt
schon bei vielen Landwirthen fühlbar. Da aber
ohne dieses eine richtige Ernährung des Rindvieh-
kaum möglich ist, so sollten die von uns s. Zt.
mit Nachdruck angeregten Bewässerungsanlagen zur
baldigen Ausführung gebracht werden, sonst dürften
alle Mittel zur Hebung der Viehzucht nur zweifel-
hafter Nalur bleiben.
* EouLelsheim (A. Bretten), 15. Jan.
Heute Nacht 2 Uhr wurden wir durch Feuerlärm
aus dem Schlafe geweckt. Es brannte auf dem
eine halbe Stunde von hier entfernten, zur hie-
sigen Gemarkung gehörigen Bonard-häuserhof (sog.
Althof.) Eine Scheune, die von der Pächterin
Christian Funk Witwe benützt wird, wurde ein
Raub der Flammen. Entstehungsursache unbekannt.
Farnisse sind versichert.
* Baden, 16. Jan. Postdirektor Obermüller
ist heute früh unerwartet schnell einem Herzschlag
erlegen. Er stand seit dem 1. Januar
1872 an der Spitze des hiesigen Postamts und
erfreute sich bei der Einwohnerschaft wie bei allen
Fremden der größten Beliebtheit.
* Offenburg, 17. Jan. Die Ehefrau des
Kutschers Karl Bährle, welche wegen des bekannten
von ihrem Ehemanns begangenen Postdiebstahls
gleichfalls festgenommen worden war, ist wieder auf
freien Fuß gesetzt worden. Bährle soll nun-
mehr ein umfassendes Geständniß abgelegt haben.
* Scheuern im Murgthal, 17. Jan. Unser
sonst so ruhiges Dörfchen ist seit Beginn des
Bahn- und Straßenbaues Gernsbach-Weisenbach
jeweils über Sonntag durch den Lärm, den manche
der zahlreich hier einquartierten Lohnarbeiter ver-
üben, sehr unruhig geworden; doch waren, trotzdem
es schon da und dort zu Tätlichkeiten unter den-
selben gekommen ist, noch keine ernsteren Fälle zu
konstatiren. Da sollte man mitten in der Nacht
vom Montag durch die Nachricht erschreckt werden,
daß am Eingänge des Dörfchens ein Bahnarbeiter
Namens Bleich, von Oos gebürtig, erstochen
aufgcfundcn worden sei. Als derselbe aufgefundcn
wurde, war der Tod schon eingetreten. Mehrere
Stiche in den Hals und einer in die Brust waren
an dem Tobten bemerkbar. Die That war von
einer in der Nachbarschaft wohnenden Frau bemerkt
werden; in der Dunkelheit glaubte dieselbe aber,
nur eine der „üblichen" Balgereien zu sehen und
kümmert: sich nicht weiter darum. Das war etwa
um halb 12 Uhr; der Todts wurde eine Stunde
später ausgefunden. Als der That dringend ver-
dächtig wurde der beim Bahnbau beschäftige Pflästerer
Heinle aus Vaihingen verhaftet.
* Mühlenbach (A. Wolfach), 16. Jan.
Gestern ereignete sich hier ein recht bedauenswerther
Unglücksfall. Hofbauer Krämer, ein braver, all-
gemein geachteter Mann, wollte sich mit seinem
Fuhrwerke auf den Haslacher Wochenmarkt be-
geben. Auf dem abschüssigen, glattgefrorcnen Thal-
wege fiel dasselbe um, der Fuhrmann wurde auf
den Boden geschleudert und war sofort eins Leiche.
Der Unglückliche hinterläßt eine Frau und vier
kleine Kinder.
* Ans Baden, 16. Jan. Bürgermeister Joh.
Zepfel von Oos wurde einstimmig wiedergewählt.
— Der von der Gemeinde Ottenheim der
Straßenbahngesellschaft bewilligte, von der Er-
bauung eines Bahnhofes und einer Reparaturwerk-
stätte in Ottenheim abhängig gemachte Zuschuß
von 2000 Mk. ist von der Gesellschaft abgelehnt
worden. — In Wasenweiler wurde ein
Schlossergeselle aus Württemberg verhaftet, der den
Vater eines ihm Bekannten um telegraphische
Ucbcrsendung von Geld ersuchte, wobei er den
Namen des Sohnes benützte. Statt des Geldes
kam aber der Vater selbst und damit war der Be-
trüger entlarvt. — Landwirth und Gemeindcrath
Jos. Stüble von Rickenbach stürzte von der
Scheuertenne und blieb bewußtlos liegen.

* Lambrecht, 16. Jan. Ein schauerlcher
Unfall ereignete sich in der Fabrik von I. Häuß-
ling. Die etwa 55 Jahre alte ledige Katharina
Weber kam, während sie ihr Frühstücksbrod auf
ein Fenstergrstmse legen wollte, in das Triebwerk
der Fabrik, wurde mehrere Male herumgeschleudert
und buchstäblich in Stücke gerissen. Gliedmaßen
und Kopf wurden vom Rumpfe getrennt und
hinweggeschleudert.
WerrnrschLes.
— Eilt muthmaßlicher Raubmord an einem
Landbriefträger wird aus Trier berichtet. Am
12. Dezember trat der Landbriefträger Peter
Müller seinen täglichen Botengang an, kehrte
aber nicht wieder zurück. Jetzt wurde unter dem
Moseleis bei Longuich die Leiche des bisher ver-
geblich Gesuchten gefunden. Da sich au ihr ver-
schiedene Verletzungen zeigten und die Brieftasche
des Todten nicht gefunden wurde, auch die Briefe
die Müller am Tage des Unglücks mit sich führte,
ebenso die wenigen Geldsendungen nicht ange-
kommen find, so liegt die Vermuthung nahe, es
sei ein Raubmord verübt worden.
— Stroh-Weill. Man schreibt dem „Elsässer"
aus Kaysersbcrg: Bekanntlich sind die dies-
jährigen Trauben von ausgezeichneter Qualität ge-
wesen. Daher haben zahlreiche Rebenbesttzer von
hier und anderen Orten der Umgegend, inAmmer-
schweier, Kienzheim, Colmar, Reichenweier, Zellen-
berg, Rappollsweiler, Hunaweier, Beblenheim u.
a. m., sich wieder auf die Herstellung und Bereitung
de« „Stroh-WeineS" verlegt. Die schönsten und
vollkommensten Edeltrauden werden während der
Weinlese bei recht trockenem Wetter abgeschnitten,
dann auf Stroh gelegt und thcils schon im Januar,
theils erst an Ostern zu Wein gekeltert. Durch
dieses lange Liegenlassen vollzieht sich in der Beere
eine Konzentration des Mostes, der wässerige Inhalt
verdunstet zum größten Theil und der aus diesen
Stroh-Trauben gewonnene Wein erhalt dadurch
einen wunderschönen Goldglanz und ist ganz ölflüssig.
Diese beiden Eigenschaften hat aber eigentlich nur
ganz der an Ostern gekeltert«? Wein, weßhalb auch
nur dieser der eigenlliche Stroh-Wein ist. Der-
jenige, der schon Anfangs Januar gekeltert und
meist „Dreikönizs-Wein" genannt wird, hat noch
eine Gährung durchzumachen und ist daher weniger
liqueurartig, dafür aber alkoholrcicher. Der Stroh-
Wein, sowie auch der Dreikönigs-Wein werden mit
4—5 Mark die Flasche bezahlt.
— Fideles Witthum. Wie man aus Dessau
schreibt, ist dort ein Verein in der Bildung be-
griffen, welcher alle Wittwcn und Wittwer der an-
baltischen Residenzstadt umfassen soll, die sich ent-
schlossen haben , nicht wieder zu heirathen. Nach
den Vereins-Satzungen werden in der Wintersaisvn
musikalische Unterhaltungen veranstaltet und im
Sommer gemeinschaftliche Ausflüge gemacht. Unter
sothanen Umständen wird wohl in diesem Kreise
die ehefeindliche Gesinnung nicht lange vorhalten,
vielmehr der schlaue kleine Gott mit dem Pfeil und
Bogen ein recht gesegnetes Oparationsfelv finden.
— Bon der kleinen Königin von Holland
weiß die „Pall Mall Gazette" folgendes zu er-
zählen: Die Königin Wilhelmine von Holland
beginnt bereits, obwohl sie nicht viel älter als
13 Jahre, Zeichen jenes unlcnksamen Charakters
zu geben, durch welchen sich auch ihr verstorbener
Vater auszeichnete. Die kleine Majestät scheint,
wenn sie im Wagen durch die Straßen der Stadt
fährt, durch das Grüßen ihrer getreuen Unter-
thanen furchtbar gelangweilt zu werden. So weigerte
sie sich jüngst, als sie sich mit ihrer englischen
Erzieherin Miß Saxen-Winter auf einer Ausfahrt
befand, hartnäckig, die Grüße der Vorübergehen-
den durch Kopfneigen zu erwidern. Als sie nach
dem Palaste zurückkehrte, befahl ihr die Erzieherin,
um sie für ihren Ungehorsam zu bestrafen, sofort
zu Bett zu gehen. Da kam die Gouvernante
aber schön an. Die junge Königin rannte wie
eine Wilde im Zimmer umher, stampfte mit den
Füßchen aus und rief entrüstet: „Was, ich, die

Königin, soll um 7 Uhr Abends zu Bett gehen?"
Trotzdem gelang es der Autorität der Erzieherin,
die durch ein Machtwort der Königin-Regentin
unterstützt wurde, die kleine Königin zur Vernunft
zu bringen, und das königliche Trotzköpfchen be-
quemte sich schließlich dazu, seine Strafe zu ver-
büßen.
— Muttermörderin. Am Donnerstag er-
mordete die in Wandsworth (London) wohnende
35jäbrige Sarah Hudson ihre eigene 76 Jahre
alte Mutter während des Schlafes, indem sie sie
mit einem Kissen erwürgte. Dann begab sich die
Mörderin nach der Polizeistation und zeigte sich
dort selbst an. Sie sagte, sie habe dem Elend
der alten gelähmten Frau endlich.ein Ende machen
wollen. Schon seit längerer Zeit haben sich bei
der Tochter Zeichen von Geistesgestörtheit bemerklich
gemacht.
— Glückliche Gewinner. In Saragossa hat
ein Fleischer das große Loos, im Betrag von drei
Millionen Pesetas gewonnen. Der Gewinner schenkte
dem Kassirer, welcher den Betrag auszahlte 2000
und einem blinden Zeitungsverkäufer, von welchem
er das Loos bezogen, 3000 Pesetas. Außerdem
ließ er sämmtliche Armen der Stadt reichlich be-
wirthen. — Ferner wird aus Madrid gemeldet:
Die Offiziere eines Bataillens des spanischen Regi-
ments von Valcnzia, welche zu dem marokkanischen
Expeditionskorps gehörte, war Besitzer eines spanischen
Lotterielooses, welches am 30. Dez. gezogen wurde.
Das Bataillon war s. Z. auf dem Marsch nach
San Sebastian. Bei ihrer Landung erhielten sie
Nachricht, daß ihr Loos mit 750 000 Pesedas her-
ausgekommen war.
— Die Schnapsmühle. Im Landkreise der
Ccdar Napids wurde, so wird aus Lt. Louis
(Nordamerika) geschrieben, das Prohibitionsgesetz
mit unerbittlicher Strenge gehandhabt und kein
Wirth hielt es dort aus. In Orford Junction
entstand nun plötzlich in der Mauer eines abseits
gelegenen Gebäudes eine einen Fuß im Quadrat
messende Oeffnung, in der sich eine Art Mühlrad
drebte, jedoch so, daß nur die untere Hälfte sichtbar
war. Zwischen den Speichen befanden sich kleine
Zellen. Der durstige Biedermann legte einfach in
eine solche Zelle ein 25 Ccntsstück oder ein 10
Centsstück und nach zwei Sekunden fand er an
der Stelle des Geldstücks ein Glas Schnaps oder
Bier. Das Haus war immer verschlossen und das
Mühlrad fand riesigen Zuspruch. Einmal vor
Jahresfrist wurde die ganze Mauer und der Apparat
von den Temperenzfrauen zerstört, aber bald war
er wieder in vollem Gange. Der Geldumsatz war
riesig. Schließlich fanden sich aber Leute, die
den alten deutschen Wirth Paul Doelzel als
„Schnapsmüller" anzeizten; er wurde prozessirt,
von der Jury aber freigesprochen, da ihn Niemand
beim Bier- oder Schnapsverkauf gesehen hatte.
— Verrückte Eisenbahnstation. Daß man
in Amerika Häuser verschiebt, ist wohl bekannt;
neu dürfte der Fall sein, daß eine aus Ziegelsteinen
gebaute, 185 Fuß lange und um 35 Fuß breite
Eisenbahnstation als Ganzes gehoben und um 50
Fuß verschoben wurde. „Prometheus" berichtet
darüber: Das Gewicht des Gebäudes betrug 1700
Tonnen, in der Mitte desselben befindet sich ein
80 Fuß hoher Thurm. Das Gebäude wurde zu-
nächst gehoben und alsdann eine aus Fichtenholz-
balken " zusammengesetzte Plattform unterschoben.
Die untersten Balken dieser Plattform dienten
gewissermaßen als Schlittenkufen, sie wurden gründ-
lich einzeölt und dann wurde das ganze Gerüst
mit Hilfe von Schraubenpressen langsam vorwärts
bewegt. Für die Ausführung der Arbeit waren
41/2 Tage erforderlich und nach Beendigung der-
selben waren nur ganz unbedeutende Sprünge im
Mauerwerk sichtbar. ,
Lokale WiLLHeiL'ungen
aus Stadt und Amt Heidelberg.
Heidelberg, 17. Januar.
O Vom Rathhause. In den Stadtraths-
sitzungen vom 8. und 15. d. M. wurden u. a. folgende
Gegenstände zur Kenntlich bezw. Erledigung gebracht:

31. Kapitel.
Auf frischer That ertappt.
Der Mann, welchen Alexa eilig in das Ge-
büsch schlüpfen sah, war in der That ihr Vater.
Ihr Erstaunen, ja ihr Schreck, ihn hier in Eng-
land und zu Clyffcbourne zu sehen, während sie
ihn sicher in den fernen Gebirgen Griechenlands
verborgen glaubte, läßt sich leicht denken.
Einen Augenblick glaubte sie, die Erscheinung
sei nur ein Trugbild, denn es schien ihr unmög-
lich, daß ihr Vater hier sein könnte. Was sollte
ihn bewogen haben, seine sichere Zufluchtsstätte zu
verlassen und sich solchen Gefahren auszusetzen?
Ihr Vater hier, wo die Menschen ihn für einen
Verbrecher hielten und ihn mit Freuden dem
Schaffst überliefern würden? O, Himmel! Hatte
er in seinem Kummer alle Vorsicht vergessen?
Als ihr Ruf des Erkennens sein Ohr erreichte,
taumelte er zurück in das tiefere Dunkel des Ge-
büsches. In ihrem Schreck und ihrer Angst
sprang Alera ihm nach und erfaßte den Arm.
„Vater!" rief sie wieder mit gedämpfter
Stimme. „Vater!"
Ihr plötzliches Erscheinen und Erkennen batte
Mrs. Strange beinahe der Sinne beraubt. Dann
aber stieß er einen leisen, freudigen Ruf aus,
breitete seine Arme aus und schloß seine Tochter
an seine Brust.
„Alera, — meine liebe Alexa!" hauchte er
erleichtert und freudig hervor.
„Ich bin es, Vater; aber was brachte Dich
hierbei!" fragte das Mädchen in ängstlichem Tone.
„Wenn Du gesehen, erkannt würdest!" und sie

warf einen Blick zurück nach den Fenstern, aus
welchen ein Heller Lichtstrahl strömte. „Wenn
Dich jetzt sonst irgend Jemand getroffen hätte und
nicht ich!"
„Niemand kann mich erkennen. Du vergißt,
wie sehr ich mich verändert haben muß. Be-
ruhige Dich darüber, Alexa, und bedenke doch
ja nur, wie viel von Deiner Vorsicht abhängen
kann."
„Der Schreck, Dich so unerwartet zu sehen,
hat mich zu sehr überrascht. Es kann leicht Je-
mand herauskommen und uns seben. Komm' daher
mit mir nach den Klippen dort, Vater."
Sie zog ihn sanft fort und führte ihn im
Schatten der Bäume den Klippen zu, wo sie sich
an einem abgelegenen, nur selten besuchten Plätzchen
niedcrließen.
„Was führte Dich nach England, Vater?"
fragte nun das Mädchen.
„Dein Brief," antwortete Mrs. Strange
zärtlich. „Dein Brief erzählte mir, daß mein
Weib nie an mir gezweifelt hätte, ungeachtet alles
dessen, was vorgegangen, und daß ihre Liebe, ihre
Treue und Ergebenheit zu mir niemals wankend
geworden sind."
Alexa zitterte vor Aufregung. Ihr Vater zog
sie wieder an seine Brust und streichelte besänftigend
ihr Haar.
„Mein liebes Kind," sprach er in zärtlichem
Ton, „Du darfst Dir keine Vorwürfe darüber
machen, daß Dein Brief mich hierher führte. Du
warst es mir und Deiner Mutter schuldig, mir die
ganze Wahrheit zu sagen."
„Aber ich konnte nicht ahnen, daß Du nach

England kommen würdest," sagte Alexa. „O,
Vater! Vater! Was hast Du gethan?"
„Nachdem ich Deinen Brief erhalten, nachdem
ich erfahren, daß meine Frau, welche ich anbetete,,
in ihrer Liebe und Treue sich niemals von mir
gewendet, konnten alle Gefahren, welche mit meiner
Rückkehr in mein Vaterland verbunden sind, mich
nicht von ihr fern halten. Ich würde sterben für
einen Blick von ihr, Alera. Wenn ich Dich nur
daran erinnere, wie entsetzliches Unrecht ich ihr ge-
Lhan habe, weil ich glaubte, daß sie sich von mir
gewendet und mich verlassen hätte in der Stunde
der Noch, so darfst Du Dich nicht wundern über
meine Rückkehr. Sic hat mich immer geliebt und
mir vertraut! Ich hätte das wissen sollen! Es
war schlecht von mir, an ihr zu zweifeln, — meine
edle, theure Wolga!"
„Hast Du sie gesehen!"
„Nein, ich war eben erst an das Fenster ge-
treten, als Du mich erblicktest. Ich muß sie
sehen, aber ich werde mich nicht zu erkennen geben.
Laß sie mich todt glauben. Ich will sie sehen
nun dann zurückgehen in meine Verbannung, eine
Erinnerung mit mir nehmend, welche mir die
Finsterniß der kommenden Jahre erhellen wird."
„Willst Du denn nicht wieder nach Griechen-
land zurückkehren?"
„Nein, mein Kind. Ich habe unser Grund-
stück dort verkauft und die Zahlung bereits
erhalten. Ich schrieb Dir von einem Engländer,
welcher unfern Ort besuchte und die Aminka aus-
fragte. Sein Benehmen war auffällig genug,
so daß ich ihn für einen Spion hielt; doch
erfuhr ich, daß er nach Griechenland geschickt

worden war, um Zeichnungen für Londoner illu-
stritte Zeitungen von den Gegenden zu machen, in
welchen Lord Kingscourt mit dm Banditen zu-
sammentraf. Er hatte gehört, daß Lord Kingscourt
einige Monate in einem Hause zubrachte unv
wünschte eine Unterredung mit mir."
„Ich bin froh, daß er kein Spion war."
„Eine Woche später, nachdem er fort war",
erzählte Mr. Strange weiter, „erschien ein anderer,
mehr verdächtiger Mann, welcher in der Nachbar-
schaft Erkundigungen über mich einzog und mich
auch besuchte. Dieser Mann war ein Franzose,
und ich glaube, ihn in früheren Jahren schon
mehrmals gesehen zu haben."
„O, Vater!"
„Ich glaube, er ist der Bruder Pierre Renard's,
des Dieners von Lord Montheron."
Alexa war bestürzt; ein sehr beängstigend^

Gefühl beschlich sie.
„Mir scheint", fuhr Mr. Strange fort, „dah
Jean Renard, der mich früher gekannt hat und
ein scharfsichtiger Mensch ist, als Polizeispion atz-
gestellt worden ist, um nach mir zu suchen. Se>^
Kommen konnte kaum ein zufälliges sein. Ich be-
gab mich in der Nacht auf einem Segelboot na^
Corfu, verkleidete mich und reiste auf großen Uw
wegen nach England, entschlossen, meine Frau
sehen, ohne ihr meine Anwesenheit E verrathew
sowie eine Unterredung mit Dir z^ermöglick^
und dann nach Süd-Amerika zu gehen. Ich bck
nicht sicher in Europa; aber Du bist hier sichel

als bei mir." „
„Ich will nicht von Dir getrennt sein! JA
will mit Dir gehen, wohin es auch sei! Du b>!
 
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