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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 41 - Nr. 50 (17. Februar - 28. Februar)
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Daß gegen wirkliche Rohheiten, die aber nur selten
vorkommen, eingeschritten werden müsse, damit sei
Alles einverstanden.
Abg. Rüdt (Soz.) bleibt dabei, daß der Be-
zirksamtmann so grob sei, als er nur sein kann.
Auch ihm gegenüber harr er einmal seine Stimm-
organe probirt, Redner habe ihm aber gleich ge-
zeigt, daß er ihm noch über sei. (Heiterkeit). Dem
Unfug im Theater sei nur dadurch gesteuert worden,
daß den Junkern die Logen entzogen wurden.
Wenn man solche Roheiten entschuldige, ziehe man
sie groß. Die niederen Rowdies sperre man sür
ihre Rohheiten in's Cachot, die hohen kriegen den
Rothen Adlerorden.
Abg. Wilckens (nat.-lib.) verwahrt sich da-
gegen, daß er Rohheiten entschuldigt habe. Er
habe sie ausdrücklich mißbilligt, aber dagegen
gesprochen, daß aus einzelnen Rohheiten so ver-
allgemeinert werde, wie es von Rüdt geschehen sei.
Abg. Wilckens (nat.-lib.) beschwert sich über
die Signale der Schlepper aus dem Neckar.
Ministerialrath Dr. Schenkel: Eine ge-
meinsame Konserenz von Württemberg, Hessen und
Baden werde neue Signale seststellen. Vielleicht
könne schon im nächsten Monat Abhilfe erfolgen.
Abg. Löffler (ultr.) fchildert in so um-
ständlicher Weise, daß ihn der Präsident zur Kürze
mahnt, unter wiederholter Heiterkeit des Hauses
feine Erlebnisse mit dem Triberger Oberamtmann
anläßlich der letzten Reichstagswahlen. Dieselben
bestehen in einer Telegrammrechuung und einer
Nase für den Herrn Bürgermeister.
Titel 3 wird wie die vorhergegangcnen ge-
nehmigt.
Nächste Sitzung: Donnerstag Vorm. 9 Uhr.

Deutscher Reichstag.
Berlin, 21. Februar.
Der Tisch des Hauses ist mit Gegenständen
des Buchhändlerkolportagehandels bedeckt. Das
Haus fetzt die Berathung des Antrags Schröder,
betr. die Kündigungsfristen bei Handlungsge-
hilfen, fort.
Singer (Soz.) beantragt, kürzere Kündi-
gungsfristen als einmonatliche als unstatthaft zu
erklären.
Buchka (kons.) beantragt, die letztere Be-
stimmung solle nicht Platz greifen, wenn eine
Kündigung von vornherein bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt vereinbart ist.
Nach dem Antrag Lenzmann sollen die Be-
stimmungen des Antrags Singer nicht auf solche
Beschäftigungen angewandt werden, die ihrer Natur
nach nicht einen Monat dauern.
Singer vertheidigt seinen Antrag und führt
Beispiele an, wo die Prinzipale sich eine kurze
Kündigungsfrist Vorbehalten, während den Hand-
lungsgehilfen eine lange Frist auferlegt wird. Der
ganze Handelsstand werde durch diese Verhältnisse
geschädigt und entwürdigt.
Buchka erklärt sich mit einer vierwöchigen
Minimalkündigungsfrist einverstanden. Erfreulich
fei, daß die Sozialdemokraten auf dem Boden
der verhaßten bürgerlichen Gesellschaft den Schäden
abhelfen wollen, wenn aber, wie der Antrag
Singer wolle, die Kündigung stets auf den 1.
eines Monats erfolgen solle, so würden diejenigen
Handlungsgehilfen geschädigt, welche im Laufe
eines Monats Stellung suchen müssen.
Lenzmann begründet seinen Antrag und
weist daraus hin, daß bei den Hilfsarbeitern eine
kürzere Kündigungsfrist freistehen müsse.
Bafsermann (natl.) spricht sich für die
Anträge Singer und Lenzmann aus.
Schröder (freis. Volksp.) hält seinen Antrag
für ausreichend.
Stumm (R.-P.) spricht sich gegen eine
Minimalkündigungsfrist aus, dadurch würde der
Arbeitgeber wehrlos, namentlich gegenüber sozial-
demokratischen Handlungsgehilfen, welche die Ar-
beiter zum Streike aufhetzen.

Kröber (füdd. Volksp.) befürwortet den An-
trag Singer.
Bei der Abstimmung wurde der Antrag Lenz-
mann mit großer Majorität angenommen. Bei der
Abstimmung über den Antrag Singer mit diesem
Zusatz stellt sich die Beschlußunfähigkeit des Hauses
heraus. Anwesend waren 194 Abgeordnete, mit
ja stimmten 87, mit nein 107.
Die nächste Sitzung findet am Freitag statt,
wobei Wahlprüfungcn und kleinere Etats zur
Verhandlung kommen.

Aus Wcrh und Jern.
* Karlsruhe, 20. Febr. Dor als Weih-
bischof für Freiburg ernannte Domcapitular Dr.
Knecht, wurde, wie der „Bad. Beobachter" meldet,
vom Papste gleichzeitig zum Titularbischof von
Nebo ernannt. Der letzte Weihbischof in Freiburg
war der spätere Erzbisthumsverweser Dr. Lothar
Kübel.
* Karlsruhe, 21. Febr Die nächste Sitzung
des Eisenbahnraths wird, wie berichtet, am 15.
März l. I. stattsinden. Als Gegenstände der
Tagesordnung sind in Aussicht genommen: 1.
Mittheilung der Generaldirektion über den vierten
Nachtrag zum Verzeichniß der Ausnahmetarife; 2.
Mittheilung der Generaldirektion über das Ergeb-
niß des Versuchs mit der Einführung geheizter
Güterwagen zur Beförderung frostempfindlicher
Güter und 3. Berathung des Fahrplans für den
Sommerdienst 1894.
* Karlsruhe, 21. Febr. Wie berichtet wurde,
sind im Jahre 1893 von der Versicherungsanstalt
Baden 672 Alters- und 1 094 Invaliden-, zu-
sammen 1 766 Renten bewilligt worden. Hierzu
wird von zuständiger Seite der „Bad. Korr."
folgendes mitgetheilt: Diese Renten kommen zu
Gut an Männer 1200 (480 Altersrenten) und
an Frauen 566 (192 Altersrenten) —, und zwar
den Männern mit jährlichen Rentenbeträgen von
149 544 Mk. 60 Pfg. (Altersrenten 64 533M.
60 Pfg.) und den Frauen von 66 069 Mk.
(Altersrenten 22 907 Mk. 40 Pfg.). Es ent-
fallen somit auf die Männer nach ber Renten-
zahl 67,9 Proz. und nach dem Betrag 69,4
Proz., auf die Frauen ebenso 32,1 Proz. und
30F Proz., d. h. es entfällt etwas mehr als
zwei Drittel auf die Männer und etwas weniger
als ein Drittel auf die Frauen. Die Renten der
Angehörigen der Industrie und des Gewerbes
treten in Folge der Invalidenrenten mehr hervor,
wie dies auch der Beitragsleistung entspricht.
* Mannheim, 21. Febr. In der gestrigen
Sitzung des Bürgerausschusses bildete den Haupt-
punkt der Tagesordnung die Berathung des stadt-
räthlichen Antrags auf Bewilligung von 20 000
Mark zur Anfertigung der Plane und Kostenvor-
anschläge für ein neues Rathhaus. Die sämmt-
lichen Redner erkannten an, daß es dringend noth-
wendig sei, alle städtischen Aemter in einem Ge-
bäude unterzubringen, jedoch glaubt man diesen
Zweck auch durch die Erbauung eines großen Ver-
waltungsgebäudes zu erreichen, da die Erbauung
eines neuen Rathhauses unter den gegenwärtigen
finanziellen Verhältnissen der Stadt nicht ratbsam
erscheint. Es wurde schließlich eine Kommission
zur Vorberathung der Angelegenheit ernannt und
10 000 Mk. Vorarbeiten bewilligt. Die übrigen
Gegenstände der Tagesordnung waren von belang-
loser Natur.
* Mosbach, 21. Febr. Bei den in den letzten
Tagen abgehaltenen städtischen Holzverstcigerungen
wurden folgende Preise erzielt: für Buchenscheit im
Durchschnitt für 2 Ster Mk. 19. —, Klotzholz
Mk. 16—17, buchene Durchforstungswellen das
Hundert Mk. 12—13.
* Eppinger», 21. Febr. Die letzten Sonntag
im „Deutschen Kaiser" abgehaltene Bienenzüchter-
versammlung war von Theilnehmern aus der
ganzen Gegend sehr gut besucht; ließ ja auch das
angekündigte Thema: „Entwickelung und Nutzen
der Bienenzucht" auf einen starken Besuch rechnen,

zumal der Referent, Herr Roth, Leiter der Imker-
schule in Eberbach, als einer der hervorragendsten
Imker im Lande bekannt ist. Derselbe entledigte
sich nun auch mit großer Routine seiner gestellten
Aufgabe, die besonders in einer klaren, leichtfaß-
lichen, den Zuhörer erwärmenden Sprache zur
Geltung kam, weßhalb diese auch mit größter Auf-
merksamkeit folgten. Es sprachen dann noch Herr
Bulling-Waldangelloch und Herr Phil. Vielhaucr-
Eppingcn. Die Versammlung nahm einen schönen
Verlauf. Jeder trennte sich mit dem Bewußtsein,
nützliches gelernt zu haben.
* Vom Radolfzeller See, 21. Febr. In
dem Spiiale in Radolfzell sind an einer von aus-
wärts zugereisten Person die schwarzen Blattern
festgestellt worden. Die betreffende Person wird
natürlich streng getrennt gehalten, so daß erwartet
werden darf, daß die gefürchtete Krankheit auf
diesen einzelnen Fall beschränkt bleiben wird.
* München, 21. Febr. Ein junger Infanterie-
Offizier, der vor einiger Zeit einen Soldaten seiner
Kompagnie mißhandelte und deßwegen mehrere
Wochen Stubenarrest erhalten hatte, ist nunmehr
zu den Offizieren der Reserven versetzt worden.
Der junge Mann ist dadurch existenzlos geworden.
Der Fall aber beweist, wie strenge der Kriegs-
minister im Hinblick auf die jüngsten Angriffe in
der Kammer derartige Vergehen militärischer Vor-
gesetzter zu ahnden gewillt ist.
* Leipzig, 21. Febr. Der Mühlenbesitzer Ernst
Gottlieb Setzer in Horrheim hatte Jedermann ver-
boten, seinen Weinberg zu betreten. Trotzdem besaß
ein gewisser Koch die Dreistigkeit, demselben eines
Tags einen Besuch abzustatten. Hierüber erbost
ergriff Setzer einen Pfahl und rief dem Besucher
Koch zu: „Mach', daß Du aus meinem Weinberg
hinauskommst, oder ich schlage Dich halb todt!"
Durch diese Drohung fühlte sich Koch veranlaßt,
schleunigst den Weinberg zu verlassen. Da aber
Setzer nicht das Recht hatte, ohne weiteres diesen
Zwang anzuwenden, verurtheilte ihn das Landge-
richt zu Heilbronn am 27. November v. I. wegen
Nötbigung zu einer Gefängnißstrafe. In seiner
gegen das Nrtheil eingelegten Revision machte der
Angeklagte geltend, er habe annehmen dürfen, daß
dem Koch das allgemeine Verbot, seinen Weinberg
zu betreten, bekannt gewesen sei, habe also den
Angriff für einen rechtswidrigen und sofort erwider-
ten gehalten und die Grenzen der Notbwehr nicht
überschritten. Die Revision wurde jedoch heute
vom Reichsgericht verworfen, da die Anwendung
von Drohungen strafbar sei.
* Berlin, 21. Febr. Zu dem Attentat gegen
den Kaufmann Friedländer, wodurch vor einiger
Zeit der Sohn Fricdländer's und dessen Erzieherin
verletzt wurden, wird nunmehr berichtet, daß ein
17jähriger Lehrling Fricdländer's als muthmaßlicher
Thäter verhaftet worden ist.
* Altona, 21. Febr. Das Schwurgericht ver-
urtheiltc den berüchtigten Falschmünzer Hache,
welcher die Provinz mit falschen prcußischin Thalern
überschwemmte, zu vier Jahren Zuchthaus.
* Aus der Schweiz, 20. Febr. Am Sonn-
tag ist zu Milden (Moudon) im Kanton Waadt
beim Einläuten eine Glocke auf den untersten
Thurmbodcn gestürzt, indem sie zwei Stockwerke
durchbrach. Der Meßner ist tödtlich verletzt. —
Ein mit 25 000 Fr. durchgebrannter Ausläufer
der solvthurnischen Kantonalbank, Namens Schütz,
konnte, wie die „N. Zur. Ztg." meldet in Hain-
burg bei Durchsuchung des Auswanderungsdampfers
„Dania" verhaltet werden. Er trug 24 000 Fr.
bei sich. -— In Savagnier, Val de Ruz, sind
durch einen um Mitternacht ausgebrochenen Brand
elf Häuser eingeäschert worden. 20 Familien sind
obdachlos._
WermrfchLes.
— Des Lebens höchster Genuß. Das Muster
eines weisen fürstlichen Haushalters war von jeher
Kaiser Wilhelm I. Als er noch Prinz von Preußen
war, führte er eines Tags den bedeutendsten Gar-

tenkünstler Deutschlands, Fürsten Hermann von
Pückler-Muskau, in den Anlagen von Babelsberg,
seiner Lieblingsschöpfung, umher. Der Fürst äußerte
sich aber nicht sehr befriedigt über das Geleistete;
nach seiner Meinung hätten die Anlagen, seit er
sie zuletzt gesehen, viel weiter vorwärts gebracht
werden müssen. „Das war nicht möglich!" ent-
gegnete der Prinz von Preußen. — „Warum denn
nicht, königliche Hoheit?" — „Weil die Mittel
dazu nicht da waren." — Da schaut der Fürst
Pückler den Prinzen groß an, und wie ein Natur-
laut entfuhr feinen Livpen die Frage: Ja, machen
denn Ew. königliche Hoheit keine Schulden?"
„Nein mein lieber Fürst." — „Mein Gott, da
kenne»» Ew. königliche Hoheit den höchsten Genuß
des Lebens nicht: die Süßigkeit des Moments,
wenn man seine Schulden bezahle»» kann!"
— Ein Gatteumord ist in diesen Tage»» in
Mayen verübt worden. Der Mörder, der 25jährige
Taglöhner Nikolaus Willwerscheid, war erst kürzlich
nach dort verzogen und lebte mit seiner 21 jährigen
Frau in stetem Unfrieden, da er dem Trunk ergeben
war, von seinem Verdienste selten einen Pfennig
nach Haus brachte und die Klagen der Frau über
seinen Lebenswandel mit Mißhandlungen beant-
wortete. Am vorigen Dienstag forderte er die
Frau auf, mit ihm in den Wald zu gehen, um
Holz zu sammeln. Ob es dabei zu einem Streit
gekommen, wird schwerlich aufzuklären sein. Nach-
dem der Mann daS arme Weib mit einem arm-
dicken Knüppel erschlagen hatte, borg er die Leiche
unter Laub und Moos und ging ruhig in seine
Wohnung, wo er an den Hauswirth die Frage rich-
tete, ob seine Frau noch nicht nach Hause gekommen
sei. Auf den verneinenden Bescheid begab er sich
nach dem Heimathorte der Frau in der Nähe von
Cochem, angeblich, uin Nachforschungen nach deren
Verbleib bei den Schwiegereltern anzuftellen. Dec
Mörder kehrte nunmehr init dem Bruder seines
Opfers nach Mayen zurück, führte ibn an den Ort
der That und veranlaßte so selbst seine Festnehmung.
— Wohlriechende Druckerschwärze ist, wie
daS Patent- und technische Bureau v. R. Lüders
in Görlitz schreibt, die neueste Erfindung eines
Engländers, welcher sich durch seine großartige
Verbesserung gewiß den Dank vieler Schriftsteller
und in üblcin Geruch stehender Blätter verdienen
wird, deren Produkte dadurch wenigstens in dieser
Hinsicht verbessert werden können, da der Gebrauch
nervenstärkender Parfüms beim Lesen manches
Schauerromans ganz am Platze sein möchte. Viel-
leicht finden sich dann noch spekulative Verleger,
welche die Werke unserer Lyriker in einem der
Dichtermanier entsprechenden Parfüm gedruckt
bringen, so daß z. B. der Geist eines Heine,
Lenau, vielleicht auch eines Ibsen und seiner Nach-
ahmer schon durch den Geruch, der seinen Werken
entströmt, gekennzeichnet werden könnte.
— Eine ganz besondere Auffassung vo»
„Zeit ist Gelb" bekundet ein „Freiherr", der in
einem Wiener Blatte vom 15. d. folgende Anzeige
erläßt: „Heiraths-Antrag. Junger Staatsbeamter
von elegantem Erterieur, Freiherr, in günstigen
Vermögensverhältnissen, wünscht sich mit hübschem,
15jährigem Mädchen mit 30 000 Fl. zu vermäh-
len. Für jedes weitere Lebensjahr wird um st
2000 Fl. mehr beansprucht. Adelige Familie be-
vorzugt. Aniräge für „Baron T" befördert . -
Lokale Mittyeikrngen
aus Stadt und Amt Heidelberg.
Heidelberg, 22. Februar-
* Das kathol. Kasino hörte gestern einen Vor-
trag von Herrn Dr. zur. Siben aus Deidesheim Der
Bortrag war gut besucht und nach einigen einleitenden
Worten des Vorstandes des Kasinos, Hrn. Dr. UI l rȊ>-
begann § err Dr. Siben über das noch unbekannt ge-
wesene Thema „Weltschmerz" zu reden. Der Redner
erklärte zunächst, daß der Weltschmerz, von dem, er
reden wollte, nicht „Gebrochene Herzen" oder „Ver;
lorene Liebe" umfasse, sondern die vollständige Ver-
zweiflung am Glücke des Dies- und Jenseits. Gr vc'
diente sich zu seinem Vortrage der Geschichte
Litteratur und wies nach, wie bei den AegypterU'
Persern und Indiern erst 600 v. Chr. vereinzelte Für»

trat. Ueberall zeigte sich kunstgewohnter Sinn, der
weises Maaß in der Wahl jedes Gegenstandes zu Halter
verstanden. Jedes einzelne war trotzdem an sich
ein Kunstwerk. Das Mobiliar in geblümtem,
weißen Atlas, die kostbaren, meist modernen Ge-
mälde an den Wänden, die Anordnung der matt
erdbeerrothen Plüschdraperien, der mächtige Marmor-
kamin mit dem riesigen Spiegel darüber, die
großen von marmornen Engelsgestalten getragenen
Makartsträuße in den vier Ecken, aus denen wieder
elektrisch durchglühte Blüthen leuchteten. Jedes
einzelne in diesem rosigen Damenzimmer war mit
studirtem Geschmack zu einem wundervollen Ganzen
vereinigt. Nur ein Raum schien kahl und leer,
und als Herbert näher hinsah, bemerkte er auf
dem spiegelglatten Parkett vier stumpfe Flecken
und ringsum den Eindruck plumper Füße, und
er wußte, als hätte es ihm Jemand gesagt, hier
hatten die vier Löwenklauen des Flügels gestanden,
da, neben dem Smyrnatteppich, waren die groben
Stiefel der Männer hingeschritten.
Diese kleinen Spuren erzählten eine ganze Ge-
schichte ergreifender Lebenstragik. Wer sich den
Flügel hier herausnehmen lassen muß und diese
Räume zum Vermietken anbietet, muß die bitterste
Seite des launenhaften Geschicks kennen gelernt
haben!
Die laute Männerstimme nebenan im Zimmer
bestätigte seine Vermuihungen. Er wußte im
nächsten Augenblick schon, wer es sein konnte, der
mit herablassender Vertraulichkeit der geplagten
Herrin dieses Hauses Trost zuzusprechen suchte.
„Ja, meine Dame, unseres ist kein angenehmes
Geschäft; man müßte kein Herz im Leibe haben,

w^»n man's nicht mitsühlte. Ueberall finstere Ge-
sichter oder Thränen. So tapfer, wie - Sie sich
halten, begegnet es unsereinem nicht häufig. Ist
denn alles hier von Ihrem Manne angeschafft?
Haben Sie gar nichts Eingebrachtes, das Sie
reklamieren könnten?"
Ein ersticktes Murmeln war die einzige Ant-
wort.
„Nun, Madame, ich hab's ja nur gut ge-
meint", sprach die laute Stimme wieder in be-
leidigtem Ton. „Ich hab' Ihnen zu Ihrem Besten
rathen wollen. Die große Wohnung ohne Möbel
ist doch unmöglich und bis zu Ostern würden
Sie sie ja wohl behalten können, da die Gläubiger
sie mitten in der Zeit doch wohl nicht vermiethet
bekommen."
Und mit einem neuen Ansatz theilnehmender
Menschenfreundlichkeit: „Haben Sie keine Ver-
wandte, keine Freunde, die Sie auslvsen möchten,
damit Sie bis Ostern möbliert vermiethen können
und die kostbaren Sachen in Ruhe auf der Kunst-
auktion zu Geld machen? Wenn wir sie verauk-
tionieren, gehen sie zu Schleuderpreisen weg, denn
auf dergleichen versteht sich die Gesellschaft nicht,
die zu uns kommt. Sie könnten sich noch ein
hübsches Sümmchen aus dem Schiffbruch retten."
„O mein Gott!" seufzte da, wie zu Tode ge-
martert, Jemand nebenan auf.
Herbert hatte die Hand auf dem Drücker der
Verbindungsthür. Die arme, geplagte Frau dort
mit dem gutmüthig, aber unzart empfindenden
Gerichtsvollzieher jammerte ihn in tiefster Seele.
Vielleicht konnte er die Gepeinigte durch seine Ver-

mittelung von ibrem Plagegeist befreien. Er mußte,
durch die Verhältnisse gezwungen, sich ja doch auf
längere Zeit hier einen Haushalt gründen und in
der Wahl der Ausstattung die Gewohnheiten einer
sehr verwöhnten Frau berücksichtigen. Den Lurus
hier freilich hatte er dabei nicht in seinem Plan
gehabt, aber da er einmal vorhanden war, und er
gleichzeitig ein gutes Werk thun konnte, entschloß
er sich zu schnellem Handeln.
Er pochte energisch, und auf das barsche
„Herein" des Mannes trat er in das nächste
Zimmer ein.
Der bartlose, krebsrothe Beamte hatte sein Voll-
mondsgesicht mit zürnender Verwunderung ihin zu-
gehoben. Die Frau des Hauses mußte vor dem
spitzenverschleierten breiten Erkerfenster stehen, denn
er sah nur die anmuthige Linie eines schlanken
Rückens, einen lässig.zusammengenommenen Haar-
knoten am Hinterhaupt, die Schleppe eines weichen,
aschgrauen Hauskleides auf dem langhaarigen Teppich
hinter dein Spalt der Erkerporticre.
„Sie wünschen?" fragte der Gerichtsvollzieher
kurz angebunden.
„Diese Wohnung zu miethen, das heißt, so
viel Räume ich davon bekommen kann, und das
Mobiliar leih- oder kaufweise. Ich sah eben einen
Flügel hinaustragen und wollte durch schnelles
Dazwischentreten verhüten, daß noch mehr entfernt
wird, denn ich reflcktire auf jedes Stück hier."
Die hohe, schlanke Gestalt hatte sich bei den
hastig gesprochenen Worten langsam umgewandt.
Jetzt schauten sie sich wie erstarrt in die erblaßten
Gesichter.

„Ada!" schrie er auf.
Taumelnd griff er sich mit beiden HänveN
in die wallenden Erkerportieren, um dort Stützt
zu suchen.
II.

Die Kleine, die den Finger im Mund, bidh^
ein vergeblich nach Verständniß ringender Zuhö^
von der Schwelle aus gewesen, sah ihre MafN^
wie in Ohnmacht wanken und stürzte vorwärts, n'
schmächtiges Schulterchen unter deren Arm schiebend
Aber schon hatte Frau Ada mit gewohnter
herrschungskrait sich aufgerafft.

„Welche Uebcrraschung, Herbert!"
Der Gesichtsausdruck, der diese Worte begleit^'
war ein trübes, mattes Aufleuchten der Freude nU '
und ein melancholisches Zucken des entfärb^
Mundes, dessen schwellende Lippen einst so aninnth
voll gelächelt.
„Wollen Sie Ihrem Freunde gestatten,
Sachen mit dem Herrn da zu ordnen, damit
damit" — er stockte und setzte schnell gefaßt
als er das flammende Roth ihr bis unter
Haarwellen gestiegen sah: „Damit wir das
sehen nachher in Ruhe feiern können» denn -
hatte keine Ahnung, als ich für Jemand anr>
eine komfortable Wohnung suchte, daß ich
hier begegnen würde. Darf ich im Interesse meh^,
Anftraggebers mit dem Mann schnell die ges^'
liche Verhandlung irgendwo zu Ende führen
(Fortsetzung folgt.)
 
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