Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

DOI chapter:
Nr. 61 - Nr. 70 (13. März - 24. März)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44554#0282

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
machte für die Unmöglichkeit, aus Ungarn ein
großes, selbstständisches Reich zu bilden. Kossulb s
Tod, obwohl lange vorhergesehen, ruft in ganz
Ungarn große Trauer hervor, denn wie er selbst
sein Vaterland liebte, so stand auch er wiederum
bei dem Volke im höchsten Anseben, das in ihm
eine stolze Säule kurzer vergangener Pracht erblickte/
Paris, 21. März. Seit einiger Zeit erhalten
mehrere hervorragende Mitglieder der hiesigen
Fremdenkolonie, sowie verschiedene namhafte Künstler
anonyme Briefe, in welchen sie aufgefordert
werden, auf einem bestimmten Postamte größere
Summen Geldes zu hinterlegen, widrigenfalls sie
in die Luft gesprengt werden sollen. Die
Polizei hat die Urheber dieser Briefe entdeckt und
verhaftet. Dieselben stammen aus Prag und
haben bereits eingestanden, sogar von mehreren
Prinzen Geld erpreßt zu haben.
Sofia, 21. Mürz. Nach dem. letzten Bulletin
fährt das Befinden derFürstin MarieLouise
fort sich zu bessern; die lokale Entzündung
nimmt einen befriedigenden, normalen Verlauf.
Der Herzog und die Herzogin von Parma, sowie
die Prinzessin Clementine begeben sich morgen
nach Wien.
Madrid, 21. Mürz. Die eingeborenen Mo-
hamcdaner der Philippcninscl Mindanao griffen
die Spanier bei Pantar an. 200 Eingeborenen
wurden getödtet. Auf Seiten der Spanier
wurden mehrere Soldaten verwundet und einer
getödtet.
Petersburg, 21. März. Die „Nowoje
Wremja" schreibt zu der neulichen Bemerkung des
Abg. Liebermann von Sonnenberg im
deutschen Reichstage, daß Deutschlands Ansehen
durch den russischen Handelsvertrag herabgesetzt
werde, diese Meinung könne auf Rußland nicht
angewendet werden, denn hier sei gerade das Gegen-
theil der Fall. Rußland sei über den nunmeh-
rigen wirthschaftlichen Frieden aufrichtig erfreut
und sei Deutschland für sein Entgegenkommen
dankbar.

Karlsruhe, 21. Mürz. Ter „Bad. Corresp."
zufolge ist die in der Presse aufgetauchte Meldung,
eine Ministerkrisis sei anläßlich der kirchen-
politischen Anträge zu erwarte», grundlos.
Vromberg, 20. März. Anläßlich des
beute in Kraft getretenen deutsch-russischen
Handelsvertrages haben sämmtliche Fahr-
zeuge auf dem Brahefluß hier festlich geflaggt,
auch viele Privathäuser haben Flaggenschmuck an-
gelegt.
Ausland.
Wie», 21. März. Gestern Abend traf auf
dem hiesigen Nordbahnhofe Kaiser Wildelm
auf der Durchreise nach Abbazia ein. Jeder offi-
zielle Empfang war verbeten worden, nur der
deutsche Militärbevollmächtigte, Herr v. Deines,
erwartete den Monarchen und schloß sich dessen
Gefolge an. Nach fünf Minuten Aufenthalt setzte
der Kaiser die Reise nach Abbazia fort.
Wien, 21. März. Wegen des im nächsten
Monat bei derErzherzogin Marie Valerie
bevorstehenden freudigen Familienereignisses gab
die Kaiserin die geplante Reise nach Korfu
auf. Die Kaiserin verbleibt noch eine Zeit lang
am Kap St. Martin und begiebt sich sodann
nach Schloß Lichtenegg.
Wie», 21. März. Die Dauer des am Oster-
sonntag beginnenden sozialdemokratischen Partei-
tages ist aus acht Tage festgesetzt. Auf der Tages-
ordnung stehen: Wahlresorm, Achtstundentag,
Generalstreik, Aenderung der Parteiorganisation,
Maifeier. Bebel und Liebknecht haben ihr Kommen
in Ansicht gestellt.
Turin, 21. März. Kossuth ist gestern
Abend 10 Uhr 55 Minuten gestorben. Der
Todeskampf war ein sehr schmerzvoller. Niemand
außer der Familie wurde zugelassen. Er starb in
den Armen seines Sohnes. Der Munizipalrath
tat sich erboten, die Kosten für das Begräbniß zu
übernehmen und hat der Familie eine Grabstätte
im Pantheon berühmter Männer angeboten. (Ludwig
Kossuth (gesprochen: Kuschschut) wurde geboren am
16. September 1802 in Monok, dem ungarischen
Komitat Zemplin, als Sohn einer unbemittelten
Adelsfamilie. Er studirte die Rechte und ließ sich
als Advokat in seiner Vaterstadt nieder. Schon
mit 29 Jahren gelangte er in den Reichstag. Früh-
zeitig machte er als Journalist (er war Redakteur
des „Resti Hirlap", Organ der radikalen Oppo-
sition von 1840—44) Aufsehen, und wenn ihm
auch seine Angriffe auf die damalige Regierung
Festungshaft zutrugen, so stand Kossuth doch bald
immer mehr im Mittelpunkt der politischen Be-
wegung Ungarns. Als Führer der Opposition drang
er im Landtag auf Befreiung des Bauern , Hebung
des Bürgerstandes, der Preßfreiheit re., wurde im
März 1848 Finanzminister und im September
Präsident des Landesvertbeidigungsausschusses. Er
organisirte den Kampf für Ungarns Unabhängig-
keit und bewirkte am 14. April 1849 aus dem
Reichstage zu Debreezin die Entsetzung des Hauses
Habsburg-Lothringen. Zum Landesgouvernrur er-
nannt, wußte er, vom Unglück des Krieges verfolgt,
am 17. August in türkisches Gebiet flüchten. Hier
von der türkischen Regierung gefangen gehalten und
auf Bemühen Amerikas und Frankreichs wieder frei-
gelassen, fuhr er am 7. September 1851 nach
England ab, von wo er später nach Turin über-
siedelte. Als 1867 Kaiser Franz Joseph die sog.
Krönungsamnestie ergehen ließ, befand sich auch
Kossuth' unter den Begnadigten. Aber, ob er auch
mehrfach in den Reichstag gewählt wurde, lehnte
er dennoch ab, nach Ungarn zurückzukehren. In
vielen politischen Briefen indeß hat Kossuth fort-
während bis in die letzte Zeit in das politische
Leben Ungarns eingegriffen. Kossuths bleibende
Verdienste um Ungarn besteben darin, daß er es
war, der die Bauernbefreiung durchsetzte, die
Schaffung der Rechtsgleichheit und die Preßfreiheit.
Was ihn sonst weit über den Tag hinweghob, das
war seine ungestüm lodernve Freiheitsbegeisterung
und reine Vaterlandsliebe, die ihn freilich blind

Aus Wutz und Jern.
* Karlsruhe, 20. März. Letzten Samstag
Nachmitttag fand im Luisenhause hier die Ent-
hüllung einer ganz vorzüglichen, von Professor
Volz geschaffenen Marmorbüste der Frau Groß-
herzogin in feierlicher Weise statt. Mitglieder des
großherzoglichen Hauses wohnten der Feier an, bei
der Oberbürgermeister Schnetzler mit der ihm
eigenen rednerischen Begabung die hohen Verdienste
der fürstlichen Frau im Dienste werkthätigcrMenschen-
liebe feierte. Prälat Dr. Noll erhöhte die Feier
durch eine Ansprache über das Wort: „Ich und
mein Haus wollen dem Herrn dienen." Ein
Dankschreiben der Frau Großherzogin wurde durch
Geheimrath Sachs, den langjährigen Generalsekretär
des badischen Frauenvereins, verlesen- Das Luisen-
kaus ist durch die Frau Großherzogin ins Leben
gerufen; die Marmorbüste ist im Treppenhause
ausgestellt.
* Mannheim, 21. Mürz. Am Denkmal der
standrechtlich erschossenen 1848er legten die Sozial-
demokraten am Sonntag Kränze mit rothen
Schleifen nieder.
' Mannheim, 21. März. Ein 3 Jahre altes
Mädchen des in st 3, 15 wohnhaften Maurers
Kellner gerieth gestern vor dem genannten Hause
unter ein schweres Fuhrwerk aus Ludwigshafen.
Dem Mädchen wurden zwei Finger der rechten Hand
derart gequetscht/ daß dieselben im Krankenhaus
amputiert werden mußten.
' Neunkirchen, 21. Mürz. Am 27. Mai
l. I. feiert der hiesige gemischte Gesangverein seine
Fahnenweihe. Zu diesem Zwecke wurden bereits
umfangreiche Vorbereitungen getroffen. Auch hat
schon eine große Anzahl von Vereinen ihr Er-
scheinen beim Feste zugefagt. Wir hoffen, daß
das Fest ein Gelungenes werden möge und daß
von allen Seiten zahlreiche Festtheilnehmer her-
beiströmen.

* Diedesheiur (A. Mosbach), 21. Mürz.
Heute wurde der älteste Mann unserer Gemeinde,
Herr Michael Endlich, unter zahlreicher Be-
theiligung beerdigt. Der Verstorbene war einige
Tage weniger als 94 Jahre alt, Vater unseres
jetzigen Bürgermeisters und besaß 35 Enkel und
42 Urenkel. Eine Lust war es, den 94 Jahre
alten Greis im vergangenen Sommer noch zu
sehen, wie er sich seiner Gesundheit erfreute und
aus dem Felde noch arbeiten konnte.
* Tauberbischofsheim, 21. März. Am
Samstag wurde das erste Bauholz für die hier
zu erbauende evangelische Kirche gefahren; es ist
bekanntlich ein Geschenk Sr. Durchlaucht des
Fürsten von Leiningen.
* Eppingeu, 21. März. Vor einigen Tagen
beschäftigte sich die Strafkammer in Karlsruhe
mit dem, den hiesigen Einwohnern in unseligem
Andenken stehenden Brandstifter, dem bei Herrn
„Sonnenwirth" Thomä in Dienst gestandenen
August Sauter. Derselbe hatte eingestanden, daß
er aus Rachsucht gegen seinen Dienstherrn, weil
dieser ihn entlassen, dessen Scheune angezündet
habe, wodurch auch mehrere weitere Scheunen ein
Raub der Flammen wurden, und der Schaden
sich auf über 19 000 Mk. beziffert. Das gute
Kräutchen hat nun in einer dreijährigen Gefäng-
nißstrafe Zeit, über die begangene böse That nach-
zudenken.
" Eppingen, 21. März. In Schlüchtern ver-
kaufte Lammwirth Merkle seinen kaum einjährigen
schottischen Schäferhund um den nicht gewöhnlich
hohen Preis von 200 Mk.
* Pforzheim, 21. Mürz. Gestern Nachmittag
ist das drei Jahre alte Töchterlein des Obst-
händlers Hoffmann im kleinen Gerberkanal hier
ertrunken. Es trieb den Kanal entlang und
wurde bei der Insel todt aus dem Wasser gezogen.
* Beiertheim, (A. Karlsruhe), 20. März. In
der am SamStag stattgehabten Sitzung des Bürger-
ausschusses wurde mit allen gegen 2 Stimmen die
Vereinigung der Gemeinde Beiertheim mit Karsruhe
abgelehnt. Damit ist die Angelegenheit, die schon
o vielfach erörtert wurde, endgiltig entschieden.
* Gmünd, 21. März. Ein bedauerlicher
Unfall ereignete sich vorgestern Abend bei der
Rückkehr mehrerer hiesiger Einwohner von einer
Spazierfahrt nach Radelstetten. Der Goldarbeiter
Feuerle, welchem unterwegs der Hut entfallen
war, sprang auf der Steige unterhalb Radel-
ietten von dem in vollem Laufe befindlichen Ge-
ährt herab, während die anderen weiterfuhren.
Ein etwas später von Göppingen kommender Rad-
ahrer fand den Feuerle auf der Steige todt auf.
Aeußerlich waren nur einige leichte Schürfungen
bemerkbar, es scheint demnach der Tod infolge
chwerer innerlicher Verletzungen eingetreten zu sein.
* Bensheim, 21. März. Der gestern Nach-
mittag auf dem Heinsberg erhängt aufgefundene
16 Jahre alte Knabe war nach einem bei der
Leiche gefundenen Schulzeugniß und einer Post-
urte Julius Schmidt aus Mainz, und befand
ich in Heidelberg in der Lehre.
* Worms, 21. März. Oberbürgermeister
Küchler, dessen 12-jährige Amtsperiode im Mai
abläuft, wurde von den Stadtverordneten nunmehr
einstimmig auf Lebenszeit gewählt.
* Oppenheim, 21. März. Der hiesige F ä h r-
mann, welcher vor einigen Tagen im Rheine
die Leiche der verunglückten Frau eines Mann-
heimer Schiffsbesitzers ländete und dafür eine gute
Belohnung empfing, trank sich ob des guten Ver-
dienstes einen Rausch an. Als er darauf über
den Rhein setzen wollte, fiel er aus dem Nachen
und verschwand in den Wellen.
* Mainz, 21. März. Im Zollhafen wurde
die Leiche eines 30—35 Jahre allen unbekannten
Mannes, 1,55 Meter groß, mit schwarzem Haar,
chwarzem Vvllbart und vollständigen Zähnen, ge-
ländct. Bekleidet war die Leiche mit dunklem Sack-
anzug, Normal-Jägerhemd, grauwollenen Socken und
Schaftenstiefeln. In den Taschen fanden sich zwei!

Schlüssel, ein Taschenmesser und Mk. 13.95. Ta-
Polizeiamt Mainz ersucht um Anstellung von Nach
forschungen behufs Feststellung der Persönlichkeit-
* Kassel, 20. März. In Wolfsanger
sich ein junger Lehrer — 24 Jahre alt — in
Fulda gestürzt und ist ertrunken. Derselbe hat^
ein Verhältniß mit der Tochter eines dortige"
Gewerbetreibenden, das dieser jedoch nicht zugebe"
wollte. ,
* Ans Bayern, 20. März. In Perasdorf
(Niederbayern) starb kürzlich eine Frau, die aM
dem Sterbebette bekannte, daß sie einen vor
Jahren in dortiger Gegend spurlos verschwundenen
Händler ermordet und ihren ersten Mann na«
und nach durch Tabak ebenfalls vergiftet habe-
Jhren zweiten Mann lockte sie in den Brunnen,
den sie mit Steinen überdeckte, weßhalb sie wege"
Mordversuchs seiner Zeit zu 8 Jahren Zuchthaus
verurtheilt wurde.
' Berlin, 21. März. In Nizza ist
„Schwester Hedwig" aus dem Orden des Hell-
Karl Borr-mäus im Alter von 52 Jahren g*'
storben. Die Verstorbene war eine geborene Prin'
zessin Radziwill, Schwester des Fürsten Ferdinand
Radziwill, Herzogs von Olyka, und früher Oberin
des St. Joscpb-Spitals in Potsdam. Von den
sechs übrigen Geschwistern der Verstorbenen habe"
sich noch zwei weitere dem Priester-, bezw. Orden-'
stände gewidmet. Prinz Wlaoislaw ist Priester
der Gesellschaft Jesu zu Wynansdrade in Holland
und Prinz Edmund mit dem PrädikateHausprälat des
Papstes Benediktinermönch im Kloster Beuron
(Hoben zollern.)
* Wesel, 20. März. Der Kaiser hat einem
armen Mädchen in Wesel, das seine alte Mutter
und fünf Geschwister durch der Hände Arbeit
unterhält, eine Nähmaschine geschenkt.
* Hamburg, 20. März. Zwei Unglück^'
fälle, die an die Katastrophe auf dem Kriegs-
schiffe „Brandenburg" erinnern, ereigneten sich'
wie der „Hamb. Korr." berichtet, im hiesige"
Hafen auf dort liegenden Schiffen. Der eins
Fall betraf den belgifchen Dampfer „Hunze IX
Auf dem am Schuppen 16 vertäuten Fahrzeug,
)as gerade seine Ausreise antreten wollte, zer-
prang ein unter der Kapitünskajüte hindurch-
ührendes Rohr der Dampfwinde, in Folge desfeU
)er heiße Dampf den Raum schnell füllte. Kw
fitän Reitsema wurde im Gesicht, am Hals und
am Kopf arg verbrüht. Man brachte den U"'
glücklichen nach dem Seemannskrankeuhause, wo
er schon am Abend aus dem Leben schied. D/r
zweite Fall ereignete sich auf dem Dampfs
„Frigga". Hier wurde der Oberheizer durch aus-
trömenden Dampf schwer verletzt. Auch dieser'
am Samstag verunglückte Mann ist gestern iw
Seemannshospital an den Folgen der erhaltenen
Brandwunden gestorben.
* Prag, 20. März- Im Mrra-Prozeß wurden
Dolezal uno Dragoun wegen Meuchelmoros, Kr>?
wegen Anstiftung zu 10 Jahren schweren Kerkers
verurtheilt. Die übrigen Angeklagten wurden frei'
gesprochen.
' Paris, 21. März. Vorgestern legte die
Polizei die Hand auf zwei internationale Schwind-
ler. Der eine derselben ist ein äußerst intelligenter
Bursche und spricht deutsch, französisch, englisch'
russisch, serbisch, türkisch, arabisch und hebräisch-
Er nennt sich Hrabe. Es wurden bei ihm über
15 Pässe von Personen aller Nationalitäten ge-
funden. Lein Kollege, ein Ungar, namens
Budimir, betrieb den Schwindel ebenfalls o»
Koog und reiste darauf.
* Belgrad, 20. März. Der bekannte Dauern-
führer und Chef des radikalen Zentralausschuffes
Ranko Taisic, wurde heute Abend in Folge tele-
graphischer Verfügung des Ministers des Innern,
Nikolajevic, von einer starken Militäreskorte ver-
haftet und nach dem Kreisgefängniß in Csaesm
abgeführt. Es müssen schwerwiegende Motive den
Minister des Innern veranlaßt haben, gegen den
gefürchteten Parteiführer vorzugehm, trotz der Iw'

„Ich habe Sie lieb wie ein Freund, ein Bruder,
der sich Ihres Liebreizes selbstlos freut und Sie
vor Schaden bewahren möchte."
„Und warum, warum nicht?" Sie preßte die
Worte mühsam heraus.
Er errieth das Ungesagte. Ihn schmerzte die
Demüthigung des schönen, jungen Weibes, sie
rang der großmüthigen Seele ein Geständniß ab
von etwas, das er als Geheimniß in verschlossener
Brust bewahren wollte.
„Ich theile Ihr Schicksal. Ich verschwende
mein Gefühl hoffnungslos an ein Geschöpf, das
nicht ahnt, wie grenzenlos ich es geliebt und wie
ich, trotz ernsUr Beherrschungskraft, mich noch heute
innerlich nicht von ihm frei machen kann.
„Arme kleine Dolores, weinen Sie nicht so
bitterlich, es ist unser Schicksal, Ihres, meines,
unser bestes Empfinden nutzlos zu vergeuden.
Ich kann nicht anders. Wie ich hier im herrlichen
Süden heimathkrank nach meinem nordischen Vater-
lande mit all seiner strengen Kühle bin, so hält
cs mich in Wahlverwandtschaft an der einen
einzigen fest, diente erfahren darf, was sie mir heute
noch ist."
»Ihre Frau?" stieß sie todtenbleich hervor.
Statt aller Antwort ließ er den Kopf auf die
Brust sinken.
„Und Sie wollen — wollen trotzdem —"
stotterte sie unzusammenhängend.
„Ich kann Sie nicht betrügen. Vielleicht wirkt
die Zeit ein, und ich kann mich einmal frei machen
ans den Banden der Erinnerungen, die um so
mächtiger einwirken, wo sie uns nur die Lichtseiten

verführen, obne das Verletzende des persönlichen
Verkehrs fühlbar zu machen."
„Mein Gott!" rief Dolores fast zornig, „so
lieben Sie ein Idealbild und trauern einem Wesen
nach, das in Wahrheit gar nicht existiert?"
„Sie mögen recht haben", gab er niederge-
schlagen zu. „Alles, was mir sympathisch und
wahlverwandt an ihr, steht in strahlenden Farben
vor mir. Alles, was mich abstieß und erkältete,
versinkt in Vergessenheit. Es ist das, was wir
bei lieben Tobten alle Tage erfahren, und ich
brauche Zeit, viel Zeit noch, ehe ich meine ge-
storbene Liebe ganz und gar begraben kann. Und
dann, Dolores, ist sie die Mutter eines lieben,
kleinen Kindes, das ich noch heute im stillen be-
weine, als wär's mir eben gestorben. Ich würde
dem kleinen Grade untreu, würfe ich mich heut
schon neuer Freude in die Arme. Lassen Sie sich
nicht dadurch täuschen, daß ich äußerlich ruhig,
heiter erscheine. Ich bin mit meinem tiefen Leid
noch lange nicht innerlich fertig und würfe nur
trübende Schatten auf anderes frohes Leben.
„Haben Sie Nachsicht mit mir", schloß er tief
bewegt und führte ihre zitternde kleine Hand ehr-
erbietig an seine Lippen. „Und wenn Sie mich
nicht vergessen wollen, denken Sie meiner ohne
Bitterkeit, ohne Groll."
Aufschluchzend lehnte sie ihr Haupt eine Se-
kunde gegen seine Schulter.
„Welch ein Juwel sind Sie! Wie blind muß
Die sein, die das nicht steht", flüsterte sie in tiefer
Ergriffenheit. Dann schüttelte sie ihm mit leiden-
schaftlicher Kraft beibe Hände.
»Dieser Abend hat mich besser fürs ganze

Leben gemocht", sagte sie mühsam unter Thränen.
„Er hat mich Unermeßliches verlieren und Großes
gewinnen lassen: die Erkenntniß, daß es noch
Männer giebt, die Achtung verdienen. Pruß,
wenn Sie mich dessen werth halten, gönnen Sie
mir wenigstens Ihre Freundschaft, die ich mir durch
mein Handeln ernstlich noch verdienen will."
Statt aller Antwort beugte er sich herab und
streichelte liebevoll wie ein Vater über ihre erhitzte
Wange hin.
„Mit Freuden will ich Ihr Freund und Rath-
geber bleiben und Sie davor behüten", lenkte er
scherzhaft ein, „den dümmsten der dummen Streiche
zu begehen, das heißt, das Liebesgirren des schönen
Antonio nun kopfüber zu erhören."
„Spotten Sie meiner?" fuhr sie heftig auf.
„Davor bewahre mich Gott! Ich wünsche dem
tragischen Anfang unserer Unterredung nur einen
heiteren Abschluß zu geben, damit wir nicht mit
Armesündermienen zu der Gesellschaft zurückkehren,
die sich wohl schon fürs Abendbrot da oben rüstet."
Sie schüttelte heftig abwehrend den Kopf.
»Ich gehe heute Abend nicht mehr unter
Menschen", stieß sie ungestüm hervor. „Ich muß
mich in der Einsamkeit mit mir selbst zurechtfinden
und begreifen lernen, daß mein schöner Zukunfts-
traum vernichtet ist."
„Sie werden andere träumen", sprach er tröstend
ihr zu; mit sanfter Ueberredung bat er sie, von
den kalten Steinen aufzustehen, auf die sie sich
wie lebensmüde hatte zurückfallen lassen. Und als
sie in Halsstarrigkeit da liegen blieb, den Kopf wie
in Zerknirschung auf die Stufen bettend, sagte er
mit wvhlgezisltem leichten Spott:

„Schade, daß wir Jbren Verehrer mit dem
Urwaldsbart nicht zur Stelle haben; welch ein
Motiv der büßenden Magdalene für seinen Pinsel
Da schnellte sie empor. „Ich will nach Hause-
Das hatte Pruß gewollt, sie hier in ihrer
demüthigen Zerschmetterung nicht müßiger Neugsir
preisgeben. Er reichte ihr den Arm dar und mit
verhaltenem Zorn legte die wetterwendische, umftierte
Dame ihre Fingerspitzen darauf.
„Morgen wird sie ruhiger darüber denken ,
tröstete sich Pruß, als sie, ohne ein Wort noch 'ch
wechseln, durch den Park bis an die Grenzscheide
ihres Gebietes schritten und er da in ehrfurchts-
vollster Körpervorbeugung, den Hut in der Hand,
so lange verharrte, dis sie die oberste Stufe erreicht-
Dann wandte sie ihm noch einmal das reizende,
voll vom Kandelaber erhellte Gesichtchen zu. Die
Augen standen noch voller Thränen, um das
Mündchen zuckte es aber schon wieder in Lachlust/
und mit den Fingerspitzen warf sie ihm Kuh'
Hände zu.
„Chamäleon, unberechenbare Ouecksilbernatur
— Gott sei Dank, daß sie ihre Unruhe nicht iu
Dein Leben trägt", murmelte Pruß erleichtert, zog
noch einmal mit tiefer Verbeugung den Hut und
schritt nachdenklich zurück.
Vor dem Gitterthor, wie von Schwäche über-
mannt daran gelehnt, stand eine dunkle Frauengestalt-
Großer Gott, was war das? Sein Herz stand
still vor Schreck.
Beide Hände streckte sie ihm flehentlich entgegen-
„Pruß, Pruß!" vermochte sie nur noch heraus-
zupresscn. Dann wankte sie, brach in die Knre-
Die schnellen Nachtreisen, die Entkräftung durch
 
Annotationen