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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Häring, Hugo: Wege zur Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0011

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wärme ließen. Der geometrische Planbe-
griff wirkte zwar energiefördernd, aber er
wirkte auch lebenerschöpfend und tötend.
In dem Ablauf dieser geometrischen Kul-
turen füllen sich die Planbegriffe selbst
immer mehr und mehr mit Leben, vor
den Ansprüchen des Lebendigen zurück-
weichend, sie wandern selbst vom Dreieck
und Quadrat zum Rechteck und Kreis und
werden schließlich durch weitere Zerlegun-
gen und Abwandlungen bis an die Plan-
begriffe der organhaften Natur herange-
bracht. In diesem Augenblicke aber, den
wir jetzt erleben, in diesem Augenblick, in
dem wir weder anfänglich, ohne Wissen,
naturhaft, handeln können, in dem wir
planhaft, aus Wissen, weiter handeln
müssen, gibt es keinen anderen Weg als,
im Sinne der Natur, wissend planhaft zu
handeln, wissend planhaft im Sinne der
Natur die Dinge so zu ordnen, daß ihre
Individualität sich entfalte und diese Ent-
faltung zugleich dem Leben des Ganzen
diene. Dieses Ganze ist die Gestalt un-
seres Lebens.

Wollen wir also Forderungen stellen für
die Geslaltfindung der Dinge, so müssen
wir zunächst Forderungen stellen für die
Gestaltfindung eines neuen Lebens, einer
neuen Gesellschaft. Denn wir können den
Sinn des Einzelnen nicht bestimmen, so-
lange wir nicht den Sinn des Ganzen
kennen, dem dieses Einzelne angehört. For-
derten wir also für die Gestaltfindung ein-
zelner Dinge, daß sie den Weg der Natur
gehe, so müssen wir ergänzen oder viel-
mehr eigentlich vorausschicken, daß wir
auch für die Gestaltwerdung eines neuen
Lebens, einer neuen Gesellschaft für un-
sere Menschwerdung fordern, daß sie den
Weg der Natur gehe und nicht gegen sie.

Wir wollen die Dinge aufsuchen und sie
ihre eigene Gestalt entfalten lassen.

Es widerspricht uns, ihnen eine Form
zu geben, sie von außen her zu bestimmen,
irgend welche abgeleiteten Gesetzhaftigkei-

ten auf sie zu übertragen, ihnen Gewalt
anzutun.

Wir handelten falsch, als wir sie zum
Schauplatz historischer Demonstrationen
machten, wir handelten aber ebenso falsch,
als wir sie zum Gegenstand unserer indivi-
duellen Launen machten.

Und gleicherweise falsch handeln wir,
wenn wir die Dinge auf geometrische oder
kristallische Grundfiguren zurückführen,
weil wir ihnen damit wiederum Gewalt an-
tun. (Corbusier.) Geometrische Grundfigu-
ren sind keine Urformen, auch keine Ur-
gestalten. Geometrische Grundfiguren sind
Abstraktionen, abgeleitete Gesetzhaftigkei-
ten. Die Einheit, die wir auf Grund der
geometrischen Figuren über die Gestalt
vieler Dinge hinweg errichten, ist nur eine
Einheit der Form, nicht eine Einheit im
Lebendigen.

Wir aber wollen die Einheit im Leben-
digen und mit dem Lebendigen. Eine po-
lierte Metallkugel ist zwar eine phan-
tastische Angelegenheit für unseren Geist,
aber eine Blüte ist ein Erlebnis.

Geometrische Figuren über die Dinge
stülpen heißt: diese uniformieren, heißt:
diese mechanisieren.

Wir wollen aber nicht die Dinge, son-
dern nur ihre Herstellung mechanisieren.

Die Dinge mechanisieren heißt: ihr Le-
ben — und das ist unser Leben — mecha-
nisieren, das ist abtöten. Die Herstellung
mechanisieren indessen heißt Leben ge-
winnen.

Die Gestalt der Dinge kann identisch
sein mit geometrischen Figuren — wie
beim Kristall — doch ist, in der Natur, die
geometrische Figur niemals Inhalt und Ur-
sprung der Gestalt. Wir sind also gegen
die Prinzipien Corbusiers — (doch nicht
gegen Corbusier).

Nicht unsere Individualität haben wir zu
gestalten, sondern die Individualität der
Dinge. Ihr Ausdruck sei identisch mit
ihnen selbst.

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