Vom wesen der zahl
VON OBERBAU DI REKTOR PROF. DR. FRITZ SCHUMACHER
AVer gelegentlich der Harmonie alter Bauten nach- die an die feinsten Saiten unseres ästhetischen Ge-
spürt, stößt immer wieder auf seltsame Beziehun- fühlslebens rühren, auf das mechanistische Drin-
gen in ihren Verhältnissen, die wie verborgenes zip von zahlenmäßig festlegbaren Werten zunächst
Geheimnis wirken. Einzelne Forscher, wie August etwas zur Auflehnung Beizendes hat. Er schafft
Thiersch und Georg Dehio, haben das Wesen sol- sich deshalb mit großer Ruhe und vollendeter
eher Gesetzmäßigkeiten durch Untersuchungs- Sachlichkeit ein wissenschaftlich festgefügtes Fun-
reihen festzustellen versucht. Man fühlte, daß es dament, an dem der skeptische Leser schwer wird
nur Anläufe waren. Wer aber Ernst Mössels Buch*) rütteln können, und das dem willigen Leser das
gelesen hat, kann nicht zweifeln, daß hier der Gefühl einer wohltuenden Sicherheit gibt. Er be-
Schlüssel gefunden ist zu einer eigentümlichen lont dabei, daß sein System in der Praxis nicht
Well heimlicher Gesetze, die schon lange, ohne aus cineni blutlosen Spiel von Zahlen, sondern
daß wir es wußten, auf uns wirken, wenn wir uns aus dcr lebendigen Anschauung geometrischer,
im Zauber aller Kunstwerke bewegen. Mössel hat dem Auge faßbarer Beziehungen hervorgeht, und
durch Studien und Untersuchungen, die mit im- in der Tat; man fümt sichj wenn man ihm folgt;
geheurer Ausdauer und peinlichster Genauigkeit mcht eLwa ;n ein unheimliches Netz verstrickt,
geführt sind, erwiesen, daß von der ägyptischen sondern im Gegenteil: man erhält das Gefülil der
Frühzeit an, sowohl in der antiken Bauwelt der Befreiung, das eintritt, wenn etwas längst unbe-
griechischen und römischen Kultur, als auch in st;mmt oder halb bestimmt Geahntes allmählich
der mittelalterlichen Welt von frühchristlicher und klarcr hervortritt. Für mich selber
Zeit bis zur spätgotischen Epoche, der mit der t an den MosselScnen Ergebnissen, ganz ab-
Baukunst verbundenen Formgestaltung eine plan- hcn vün ihrem reichen Inhalt; vor allem dreier-
mäßige Gesetzmäßigkeit zugrunde liegt. Das hi den Charaktei. der wohltuenden Klärung.
Eigentümliche liegt darin, daß die Grundlage der
Gesetzmäßigkeit, die in allen diesen grundverschie- :-Jen0 Gesetze, welche nunmehr erlauben, m der
denen Erscheinungsformen schlummert, die optischen Musik ähnlich wie in der akustischen
gleiche ist. Sie beruht auf regelmäßigen Teilun- Musik bestimmte Harmonielehren zu verfolgen,
gen des Kreises, bei denen die Zehnteilung vor- Slnd auch m der charakteristischen Form ihrer
wiegt, aber auch andere Teilungszahlen vorkom- Wirkung, nämlich optisch faßbar. Die Zahl,
men. Aus den einzelnen Kreisteilungen werden welche ja schließlich alle als Verhältniswerte wir-
Systeme von Rechtecken, Dreiecken° und Viel- kenden Schwingungen, mögen sie nun akustischer
ecken entwickelt; aus diesen Systemen ergeben sich odcr optischer Art sein, beherrscht, oder besser
netzförmige Gebilde. Sie sind die Grundlagen, gesagt, als Urelement zusammenfaßt, wird da-
welclie die Verhältnisgesetze der Bauwerke fest- durch jener gespenstischen Unfaßbarkeit entklei-
legen und oft in einem einfachen, oft in einem det, die sie bisher hatte, wenn man sich Über-
ganz reichen Spiel von Beziehungen die einzel- legungen dieser Art näherte.
nen Teile eines Kunstwerks zu einer unsichtbaren 2. Die Art, wie sich das Mösselsche Prinzip darstellt,
Einheit binden. leuchtet in das schwierige Problem, wie sich die
Obgleich der vorliegende Band nur einen Auszug Welt zweidimensional erfaßbarer Verhältnisse zu
aus einem weit umfangreicheren abgeschlossenen einer dreidimensionalen Welt aufbaut. Hier suchte
Werke bildet, bringt er eine erstaunliche Fülle man vor allem tastend nach einem Zusammen-
von Beispielen aus allen Epochen, die diese Ge- hang. Mössel zeigt, wie Grundriß und Schnitt sich
setzmäßigkeil erweisen. Der Verfasser begnügt dem gle;chen Gesetz organisch entwinden, und so
sich dabei nicht mit der geometrischen Unter- projiziert sich die Wirkung der jeweiligen zwei-
suchung, sondern legt sie zugleich in oftmals ver- d;mens;onalen Beziehungen als etwas Einheitliches
wickelten Rechnungen exakt fest.
Was er in den Bauwerken gefunden hat, verfolgt
er denn auch in den bildnerischen Einzelheiten 3- Die verschiedenen Stilwelten, die wir im Ablauf
6U
in dem Raum.
dekorativer Art bis herein in die Werke hoher der Zeiten zu unterscheiden pflegen, stehen nicht
Kunst, soweit sie mit architektonischem Geist in ctwa unter. em.cr grundsätzlich verschiedenartigen
Verbindung stehen. Gesetzmäßigkeit, sondern ein und dasselbe zeit-
Der Verfasser ist sich augenscheinlich wohl be- lose Goselz lindet in den verschiedenen Epochen
wüßt, daß die Zurückführung von Erscheinungen, nur eine andere Art seiner reichen inneren Ent-
wickelungsmöglichkeiten. Innerhalb des gleichen
*) Ernst Mössel: Die Proportion in Antike und Mittel- Gesetzes kann sich das Temperament der Zeil in
alter. Verlag Becksche Buchhandlung, München. so weitem Spielraum entfalten, wie er beispiels-
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VON OBERBAU DI REKTOR PROF. DR. FRITZ SCHUMACHER
AVer gelegentlich der Harmonie alter Bauten nach- die an die feinsten Saiten unseres ästhetischen Ge-
spürt, stößt immer wieder auf seltsame Beziehun- fühlslebens rühren, auf das mechanistische Drin-
gen in ihren Verhältnissen, die wie verborgenes zip von zahlenmäßig festlegbaren Werten zunächst
Geheimnis wirken. Einzelne Forscher, wie August etwas zur Auflehnung Beizendes hat. Er schafft
Thiersch und Georg Dehio, haben das Wesen sol- sich deshalb mit großer Ruhe und vollendeter
eher Gesetzmäßigkeiten durch Untersuchungs- Sachlichkeit ein wissenschaftlich festgefügtes Fun-
reihen festzustellen versucht. Man fühlte, daß es dament, an dem der skeptische Leser schwer wird
nur Anläufe waren. Wer aber Ernst Mössels Buch*) rütteln können, und das dem willigen Leser das
gelesen hat, kann nicht zweifeln, daß hier der Gefühl einer wohltuenden Sicherheit gibt. Er be-
Schlüssel gefunden ist zu einer eigentümlichen lont dabei, daß sein System in der Praxis nicht
Well heimlicher Gesetze, die schon lange, ohne aus cineni blutlosen Spiel von Zahlen, sondern
daß wir es wußten, auf uns wirken, wenn wir uns aus dcr lebendigen Anschauung geometrischer,
im Zauber aller Kunstwerke bewegen. Mössel hat dem Auge faßbarer Beziehungen hervorgeht, und
durch Studien und Untersuchungen, die mit im- in der Tat; man fümt sichj wenn man ihm folgt;
geheurer Ausdauer und peinlichster Genauigkeit mcht eLwa ;n ein unheimliches Netz verstrickt,
geführt sind, erwiesen, daß von der ägyptischen sondern im Gegenteil: man erhält das Gefülil der
Frühzeit an, sowohl in der antiken Bauwelt der Befreiung, das eintritt, wenn etwas längst unbe-
griechischen und römischen Kultur, als auch in st;mmt oder halb bestimmt Geahntes allmählich
der mittelalterlichen Welt von frühchristlicher und klarcr hervortritt. Für mich selber
Zeit bis zur spätgotischen Epoche, der mit der t an den MosselScnen Ergebnissen, ganz ab-
Baukunst verbundenen Formgestaltung eine plan- hcn vün ihrem reichen Inhalt; vor allem dreier-
mäßige Gesetzmäßigkeit zugrunde liegt. Das hi den Charaktei. der wohltuenden Klärung.
Eigentümliche liegt darin, daß die Grundlage der
Gesetzmäßigkeit, die in allen diesen grundverschie- :-Jen0 Gesetze, welche nunmehr erlauben, m der
denen Erscheinungsformen schlummert, die optischen Musik ähnlich wie in der akustischen
gleiche ist. Sie beruht auf regelmäßigen Teilun- Musik bestimmte Harmonielehren zu verfolgen,
gen des Kreises, bei denen die Zehnteilung vor- Slnd auch m der charakteristischen Form ihrer
wiegt, aber auch andere Teilungszahlen vorkom- Wirkung, nämlich optisch faßbar. Die Zahl,
men. Aus den einzelnen Kreisteilungen werden welche ja schließlich alle als Verhältniswerte wir-
Systeme von Rechtecken, Dreiecken° und Viel- kenden Schwingungen, mögen sie nun akustischer
ecken entwickelt; aus diesen Systemen ergeben sich odcr optischer Art sein, beherrscht, oder besser
netzförmige Gebilde. Sie sind die Grundlagen, gesagt, als Urelement zusammenfaßt, wird da-
welclie die Verhältnisgesetze der Bauwerke fest- durch jener gespenstischen Unfaßbarkeit entklei-
legen und oft in einem einfachen, oft in einem det, die sie bisher hatte, wenn man sich Über-
ganz reichen Spiel von Beziehungen die einzel- legungen dieser Art näherte.
nen Teile eines Kunstwerks zu einer unsichtbaren 2. Die Art, wie sich das Mösselsche Prinzip darstellt,
Einheit binden. leuchtet in das schwierige Problem, wie sich die
Obgleich der vorliegende Band nur einen Auszug Welt zweidimensional erfaßbarer Verhältnisse zu
aus einem weit umfangreicheren abgeschlossenen einer dreidimensionalen Welt aufbaut. Hier suchte
Werke bildet, bringt er eine erstaunliche Fülle man vor allem tastend nach einem Zusammen-
von Beispielen aus allen Epochen, die diese Ge- hang. Mössel zeigt, wie Grundriß und Schnitt sich
setzmäßigkeil erweisen. Der Verfasser begnügt dem gle;chen Gesetz organisch entwinden, und so
sich dabei nicht mit der geometrischen Unter- projiziert sich die Wirkung der jeweiligen zwei-
suchung, sondern legt sie zugleich in oftmals ver- d;mens;onalen Beziehungen als etwas Einheitliches
wickelten Rechnungen exakt fest.
Was er in den Bauwerken gefunden hat, verfolgt
er denn auch in den bildnerischen Einzelheiten 3- Die verschiedenen Stilwelten, die wir im Ablauf
6U
in dem Raum.
dekorativer Art bis herein in die Werke hoher der Zeiten zu unterscheiden pflegen, stehen nicht
Kunst, soweit sie mit architektonischem Geist in ctwa unter. em.cr grundsätzlich verschiedenartigen
Verbindung stehen. Gesetzmäßigkeit, sondern ein und dasselbe zeit-
Der Verfasser ist sich augenscheinlich wohl be- lose Goselz lindet in den verschiedenen Epochen
wüßt, daß die Zurückführung von Erscheinungen, nur eine andere Art seiner reichen inneren Ent-
wickelungsmöglichkeiten. Innerhalb des gleichen
*) Ernst Mössel: Die Proportion in Antike und Mittel- Gesetzes kann sich das Temperament der Zeil in
alter. Verlag Becksche Buchhandlung, München. so weitem Spielraum entfalten, wie er beispiels-
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