Bildungskrise
VON PAUL RENNER, MÜNCHEN
Der Kampf gegen die neue Kunst wird, zumal zahlungsunfähig gemacht. Die Reichen
in der rechtsstehenden Presse, mit großer haben nur noch Interesse und Geld für
Schärfe geführt. Wer sich der Gegenwart Sport, Kino, Tanz und Jazzmusik und —
und Zukunft verpflichtet fühlt, muß sich seien wir doch ehrlich — auch die Unbe-
gleich Bolschewist schelten lassen. Nun ist mittelten haben nur noch Geld und Interesse
von jeher das Ungewohnte, Neue gelästert für Sport, Kino, Tanz und Jazzmusik; die
worden. Aber die Erbitterung ist heute ccb- Gleichheit ist in diesem Punkte erreicht. Die
ler. Denn es geht jetzt wirklich um eine Theater machen Bankrott - die Revuen
Entscheidung. darf man wohl als eine Art Luftbad zum
Die alle Kunst ist trotz aller staatlichen und Sport zählen —, die Konzertsäle werden
privaten Kunstpflege in eine Iebensgefähr- immer leerer. Bilder werden nur noch von
liehe Krise geraten. Die neue mag mit ihr den Museen gekauft. Privaten Käufern
nichts gemein haben, nicht einmal den kaim man sie kaum noch durch die feineren
Namen. Sie verzichtet auf die Erbschaft un(j gröberen Methoden der Bettelei und Er-
und möchte von vorn anfangen. pressung aufnötigen. Von der Kunstmalerei
Noch bis zum Mittelalter war Kunst gemein- kann man auf bürgerlich-honorige Weise
sames Erlebnis des ganzen Volkes. Erst die eigentlich nicht mehr leben. Es herrscht
Renaissance bat vom Volk die dünne Ober- ]ieine Nachfrage; die bürgerliche Kunst hat
Schicht der humanistisch Gebildeten abgc- ihr Publikum verloren; sie ist brotlos ge-
löst. (Und nun erst unterscheidet sich das worden.
von den Gebildeten geschriebene und ge- . , .„ „ ,
, „ , ■ ° _. , , T.°, Das ist gcwilS alles sehr traurig. Aber dieser
sproenene Deutsch vom Deutsch des \ ol- „ ° , . „ ,. . „ .
, \ i i -i. xr , , T i i ii' Zusammenbruch stellt uns vor die Aufgabe,
kes.) Auch die Kunst der Jahrhunderte ast, . . , °
. , , i• der Kunst em neues, breiteres und solideres
summarisch gesprochen, aus dieser mageren r, , . ,,r.
, . , . i o.. ■ .. i r\ r undament zu suchen. Wir müssen uns nur
Uberschicht und rur sie entstanden. Da-
, •, , • i Ti l j. n ■ , • an den Gedanken gewöhnen, daß man, was
neben gibt es viel Unkunst aus der geistig ° . ',
. , . .. 1 n..p. TT , . , . t nicht leben will, am Sterben nicht hindern
nicht genügend gelullelen Unterschicht und Txr. .
• , i i , i -ir u i , darf. Wir müssen den Mut aufbringen, die
nur wenig wahre, bedeutende Volkskunst, ° .
i w i j„ j u j tj • -Ii. allzu dünn gewordenen Fäden der Tradition
das Werk der durch den Humanismus nicht • b .
,i, n r i?t • abreißen zu lassen. Es ist nicht unsere Auf-
entwurzelten ganz Groben. h,t\va eines
Rembrandt, der sich sein Leben lang gegen 8abe' sie immer wieder notdürftig zu flik-
die welsche Eleganz gewehrt hat. oder des ken' Wir werden dann sehen' daß unter
Schweizers Gotthelf, der seinen ungebilde- diesem verschlissenen, brüchigen Zeug
ten Pfarrkindern für den Feierabend etwas lanSst etwas Neues im Werden ist. Und das
Rechtschaffenes zu lesen geben wollte, und ist so lebenskräftig wie das junge Grün des
dabei die besten deutschen Romane des 19. Wegrains, das aus der dunklen Asche des
Jahrhunderts geschrieben hat. (Wie benei- ebeü niedergebrannten, dürren Grases des
denswert sind doch die deutschen Länder, Vorjahres herausleuchtet,
in denen die Volkssprache noch nicht das Wenn der ganze Künstbetrieb zum Slill-
Odium hat, Sprache der Ungebildeten zu stand käme, so würde doch deshalb die Pro-
sein: Schweiz, Holland, Österreich, Bayern duktion nicht stocken. Wir brauchen ja
- daher die Anziehungskraft Münchens— Häuser und Hausgerät; wir brauchen
und etwa noch Hessen.) Bücher, vielleicht weniger als man heule
Nun haben Krieg und Inflation diese dünne druckt, aber genug, um viele Schnellpressen
Bildungsschicht zerstört oder wenigstens in Gang zu hallen. Dazu Zeitungen, Zeit-
205
VON PAUL RENNER, MÜNCHEN
Der Kampf gegen die neue Kunst wird, zumal zahlungsunfähig gemacht. Die Reichen
in der rechtsstehenden Presse, mit großer haben nur noch Interesse und Geld für
Schärfe geführt. Wer sich der Gegenwart Sport, Kino, Tanz und Jazzmusik und —
und Zukunft verpflichtet fühlt, muß sich seien wir doch ehrlich — auch die Unbe-
gleich Bolschewist schelten lassen. Nun ist mittelten haben nur noch Geld und Interesse
von jeher das Ungewohnte, Neue gelästert für Sport, Kino, Tanz und Jazzmusik; die
worden. Aber die Erbitterung ist heute ccb- Gleichheit ist in diesem Punkte erreicht. Die
ler. Denn es geht jetzt wirklich um eine Theater machen Bankrott - die Revuen
Entscheidung. darf man wohl als eine Art Luftbad zum
Die alle Kunst ist trotz aller staatlichen und Sport zählen —, die Konzertsäle werden
privaten Kunstpflege in eine Iebensgefähr- immer leerer. Bilder werden nur noch von
liehe Krise geraten. Die neue mag mit ihr den Museen gekauft. Privaten Käufern
nichts gemein haben, nicht einmal den kaim man sie kaum noch durch die feineren
Namen. Sie verzichtet auf die Erbschaft un(j gröberen Methoden der Bettelei und Er-
und möchte von vorn anfangen. pressung aufnötigen. Von der Kunstmalerei
Noch bis zum Mittelalter war Kunst gemein- kann man auf bürgerlich-honorige Weise
sames Erlebnis des ganzen Volkes. Erst die eigentlich nicht mehr leben. Es herrscht
Renaissance bat vom Volk die dünne Ober- ]ieine Nachfrage; die bürgerliche Kunst hat
Schicht der humanistisch Gebildeten abgc- ihr Publikum verloren; sie ist brotlos ge-
löst. (Und nun erst unterscheidet sich das worden.
von den Gebildeten geschriebene und ge- . , .„ „ ,
, „ , ■ ° _. , , T.°, Das ist gcwilS alles sehr traurig. Aber dieser
sproenene Deutsch vom Deutsch des \ ol- „ ° , . „ ,. . „ .
, \ i i -i. xr , , T i i ii' Zusammenbruch stellt uns vor die Aufgabe,
kes.) Auch die Kunst der Jahrhunderte ast, . . , °
. , , i• der Kunst em neues, breiteres und solideres
summarisch gesprochen, aus dieser mageren r, , . ,,r.
, . , . i o.. ■ .. i r\ r undament zu suchen. Wir müssen uns nur
Uberschicht und rur sie entstanden. Da-
, •, , • i Ti l j. n ■ , • an den Gedanken gewöhnen, daß man, was
neben gibt es viel Unkunst aus der geistig ° . ',
. , . .. 1 n..p. TT , . , . t nicht leben will, am Sterben nicht hindern
nicht genügend gelullelen Unterschicht und Txr. .
• , i i , i -ir u i , darf. Wir müssen den Mut aufbringen, die
nur wenig wahre, bedeutende Volkskunst, ° .
i w i j„ j u j tj • -Ii. allzu dünn gewordenen Fäden der Tradition
das Werk der durch den Humanismus nicht • b .
,i, n r i?t • abreißen zu lassen. Es ist nicht unsere Auf-
entwurzelten ganz Groben. h,t\va eines
Rembrandt, der sich sein Leben lang gegen 8abe' sie immer wieder notdürftig zu flik-
die welsche Eleganz gewehrt hat. oder des ken' Wir werden dann sehen' daß unter
Schweizers Gotthelf, der seinen ungebilde- diesem verschlissenen, brüchigen Zeug
ten Pfarrkindern für den Feierabend etwas lanSst etwas Neues im Werden ist. Und das
Rechtschaffenes zu lesen geben wollte, und ist so lebenskräftig wie das junge Grün des
dabei die besten deutschen Romane des 19. Wegrains, das aus der dunklen Asche des
Jahrhunderts geschrieben hat. (Wie benei- ebeü niedergebrannten, dürren Grases des
denswert sind doch die deutschen Länder, Vorjahres herausleuchtet,
in denen die Volkssprache noch nicht das Wenn der ganze Künstbetrieb zum Slill-
Odium hat, Sprache der Ungebildeten zu stand käme, so würde doch deshalb die Pro-
sein: Schweiz, Holland, Österreich, Bayern duktion nicht stocken. Wir brauchen ja
- daher die Anziehungskraft Münchens— Häuser und Hausgerät; wir brauchen
und etwa noch Hessen.) Bücher, vielleicht weniger als man heule
Nun haben Krieg und Inflation diese dünne druckt, aber genug, um viele Schnellpressen
Bildungsschicht zerstört oder wenigstens in Gang zu hallen. Dazu Zeitungen, Zeit-
205