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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Häring, Hugo: Wege zur Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0009

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WEGE ZUR FORM

VON HUGO HÄRING, BERLIN

Die Dinge, die wir Menschen schaffen,
sind das Ergebnis unserer Anstrengun-
gen nach zweierlei Richtungen hin; einer-
seits stellen wir Ansprüche an eine Zweck-
erfüllung, andererseits Ansprüche an einen
Ausdruck. Es kämpfen also Ansprüche
sachlicher und dinglicher Art mit An-
sprüchen geistiger Art um die Gestalt der
Dinge, während die Materie die Mittel zu
diesem Kampfe liefert. Nun ist die Ver-
teilung und Betonung dieser beiden An-
sprüche auf die Dinge durchaus verschie-
den in Hinsicht auf das einzelne Objekt,
verschieden auch zu verschiedenen Zeiten,
in verschiedenen Landschaften, in verschie-
denen Völkerschaften, verschieden aber
auch durch die Materie. Die sachlichen An-
sprüche an die Zweckerfüllung werden die
Ansprüche an einen Ausdruck verdrängen,
wenn diese Zweckerfüllung von großer
Wichtigkeit für das Leben ist, während an-
dererseits die Ansprüche an den Ausdruck
die Führung übernehmen, wenn die An-
sprüche an die Zweckerfüllung gering sind.
Bei Geräten des täglichen Gebrauchs, bei
Wohnbauten, bei Schiffsbauten, bei Fes-
tungswerken, bei Brücken, bei Kanalbauten
usw. haben zu allen Zeiten die Ansprüche
an die Zweckerfüllung dominiert, während
die Bauten für die Götter und die Bauten
für die Toten nahezu ganz den Ansprüchen
rein geistiger Art, den Ansprüchen an
Ausdruck überlassen werden konnten. Diese
Abstammung der Dinge aber aus zwei Ar-
ten von Ansprüchen erklärt die ganze Kon-
fliktsmasse, die in ihrer Gestaltwerdung
liegt. Denn es ist offenbar, daß die For-
men der geeignetsten Zweckerfüllung und
die Formen um eines Ausdrucks willen sich
nicht immer decken.

Nun sind die Formen der sachlichen
Ansprüche, als vom Leben gestaltet, von
elementarer Art und von einer naturhaften,
nicht dem Menschen entstammenden Ur-
sprünglichkeit, während die Formen, die
um eines Ausdrucks willen den Dingen ge-
geben werden, von einer abgeleiteten Ge-

setzhaftigkeit sind, von einer Gesetzhaftig-
keit, die sich als eine Erkenntnis bei den
Menschen einfand. So sind also die ersteren
Formen, obwohl dauernden Modifikationen
durch äußere Umstände unterworfen, doch
in Wahrheit ewige und unzerstörbare, weil
vom Leben ewig neugeborene Gestaltungen,
während die Formen, die um ihres Aus-
drucks willen entstanden, der Vergänglich-
keit, dem Wandel der menschlichen Er-
kenntnis ausgesetzt sind. Dies bedeutet an-
dererseits, daß die Formen der Zweck-
erfüllung auch auf eine naturhafte Weise
und sozusagen auf anonymem Wege ent-
stehen, während die Formen, die um eines
Ausdrucks willen geschaffen wurden, einer
psychischen Konstitution entstammen und
deshalb im höchsten Maße subjektiv und
unbestimmbar sind. Mit anderen Worten:
die Formen bestimmter Zweckerfüllung
sind in der ganzen Welt und ewig die-
selben, die Formen des Ausdrucks sind an
Blut und Erkenntnis, und damit auch an
Zeit und Ort gebunden. Die Geschichte
der Gestaltwerdung der Dinge ist also in
Wirklichkeit nur eine Geschichte der An-
sprüche an den Ausdruck der Dinge.

In diesem Anspruch an den Ausdruck
der Dinge ist in den letzten Jahrzehnten
eine grundsätzliche Wandlung eingetreten.
Unter und in der Herrschaft der geo-
metrischen Kulturen hatten wir diese gei-
stigen Ansprüche an einen Ausdruck ab-
geleitet aus einer Gesetzhaftigkeit, die ge-
gen das Lebendige, gegen das Werden,
gegen die Bewegung, gegen die Natur ge-
richtet war, nämlich aus der Gesetzhaftig-
keit, die wir in den geometrischen Figuren
erkannten, an ihnen errichteten und aus
ihnen ableiteten. Wir haben nunmehr die
Entdeckung gemacht, daß viele Dinge einer
reinen Zweckerfüllung bereits eine Gestalt
besitzen, die unseren Ansprüchen an einen
Ausdruck vollkommen genügt, und daß
viele Dinge, die einer reinen Zweck-
crfüllung wegen gestaltet waren, unseren
Ansprüchen an Ausdruck um so besser ent-

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