DIE SITUATION DES KUNSTGEWERBES
VON WALTER CURT BEHRENDT
D
JL^as Jahr 191^1 machte das Ende der
sogenannten kunstgewerblichen Bewegung
in Deutschland offenkundig. Die große
Ausstellung des Deutschen Werkbundes in
Köln gab in Breite und Fülle einen orien-
tierenden Ucberblick über das kunstge-
werbliche Schaffen in Deutschland. Feblte
es dieser Ausstellung auch fast ganz an
überraschenden Spilzenleistungen, so zeigte
sich doch eine beträchtliche Steigerung des
Durchschnitts. Ein Erfolg, den sich die
kunstgewerbliche Bewegung, als nicht zu
unterschätzende Nebenwirkung ihrer tat-
kräftigen Werbe- und Erziehungsarbeit,
gerechterweise auf ihr Konto schreiben
durfte. Das Niveau war im Ganzen un-
widerleglich gehoben, es herrschte Ge-
schmack, anständige Gesinnung und dazu
ein tüchtiges, oft virtuos geübtes techni-
sches und handwerkliches Können. Von
den ursprünglichen Ideen und dem geisti-
gen Inhalt der Bewegung war freilich in
diesen Durchschnittsleistungen kaum noch
etwas zu spüren. Daß es sich in den An-
fängen der Bewegung um andere Dinge ge-
handelt hatte als um die Hebung der Quali-
tät oder um die Erzeugung geschmackvol-
ler Einzelleistungen und konkurrenzfähiger
Exportware, daß man einstmals ausgegan-
gen war, um ein instinktiv erfaßtes gei-
stiges Problem der Zeit zu betreiben, als
dessen Lösung nicht mehr und nicht weni-
ger als die Idee eines neuen Stils stabiliert
wurde: das konnte man angesichts dieser
Ausstellung allerdings kaum noch ahnen.
Immerhin, man wurde wenigstens daran
erinnert in den denkwürdigen Sonderaus-
stellungen, die den' ehemaligen Führern
der Bewegung gewidmet waren. Hier fand
man noch einmal, in den Jugendarbeiten
der führenden Künstler, etwas von den ur-
sprünglichen Problemen und den schöpfe-
rischen Ideen wieder, die der Bewegung im
Anfang ihren starken Impuls gegeben hat-
ten, die aber im Laufe der Zeit selbst von
der Mehrzahl dieser Führer um anderer,
bequemer erreichbarer Ziele aufgegeben
waren.
Eine hoffnungsvolle Bewegung hatte
vorzeitig ihr Ende gefunden, ehe noch die
geistige Entwicklung, die sie angebahnt
hatte, zum Abschluß gelangt war. Eine
lebendige, aus der Zeit begriffene und in
kühnem Ansturm erfaßte Idee war vorzei-
tig aufgegeben, ehe sie zu Ende gedacht
und in ihrer tiefen Wahrheit allgemein
überhaupt begriffen war.
II
Das Kunstgewerbe hat sich über den
Krieg und die Nachkriegszeit hinaus das
wertvolle Gut seines technisch-handwerk-
lichen Könnens ungeschmälert bewahrt. In
den Werkstätten aller Gewerbezweige wird
im Vollbesitz dieses Könnens, ehrlich und
sorgsam, nach bestem Wissen und Gewis-
sen, gearbeitet. Die Resultate sind höchst
achtbar und von schätzenswerter Quali-
tät. Dennoch führt ehrliche Prüfung zu
dem bedrückenden Geständnis, daß uns die
lebendige Beziehung zu dieser formenrei-
chen Welt des Kunstgewerbes abhanden
gekommen ist, daß wir mit seinen bun-
ten und mannigfachen Erzeugnissen nichts
rechtes mehr anzufangen wissen und daß
der Begriff „Kunstgewerbe" heute schon
vielfach mit einem nicht zu mißdeutenden
ironischen Unterton gebraucht wird. Und
es steht fest, daß bisweilen ein simpler ma-
schinell hergestellter Gebrauchgegenstand,
etwa eine einfache Streichholzbüchse aus
poliertem Nickelstahl oder ein kunstloses
Tintenfaß aus glattem Hartgummi durch
die erregende Kraft einer knappen prä-
zisen Formung auf viele von uns stärkere
Wirkungen auszuüben vermag, als jene
kunstvollen und technisch vollendeten Er-
zeugnisse des modernen Kunsthandwerks.
Ketzerische Leute behaupten sogar, daß
die schnittige Karosserie eines modernen
Autos für unsere Zeit in gleichem Sinne als
Kunstgewerbe zu gelten habe wie eine or-
namentbeladene Prunkkarosse des alten
Fritzen für die Zeit des Rokoko.
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VON WALTER CURT BEHRENDT
D
JL^as Jahr 191^1 machte das Ende der
sogenannten kunstgewerblichen Bewegung
in Deutschland offenkundig. Die große
Ausstellung des Deutschen Werkbundes in
Köln gab in Breite und Fülle einen orien-
tierenden Ucberblick über das kunstge-
werbliche Schaffen in Deutschland. Feblte
es dieser Ausstellung auch fast ganz an
überraschenden Spilzenleistungen, so zeigte
sich doch eine beträchtliche Steigerung des
Durchschnitts. Ein Erfolg, den sich die
kunstgewerbliche Bewegung, als nicht zu
unterschätzende Nebenwirkung ihrer tat-
kräftigen Werbe- und Erziehungsarbeit,
gerechterweise auf ihr Konto schreiben
durfte. Das Niveau war im Ganzen un-
widerleglich gehoben, es herrschte Ge-
schmack, anständige Gesinnung und dazu
ein tüchtiges, oft virtuos geübtes techni-
sches und handwerkliches Können. Von
den ursprünglichen Ideen und dem geisti-
gen Inhalt der Bewegung war freilich in
diesen Durchschnittsleistungen kaum noch
etwas zu spüren. Daß es sich in den An-
fängen der Bewegung um andere Dinge ge-
handelt hatte als um die Hebung der Quali-
tät oder um die Erzeugung geschmackvol-
ler Einzelleistungen und konkurrenzfähiger
Exportware, daß man einstmals ausgegan-
gen war, um ein instinktiv erfaßtes gei-
stiges Problem der Zeit zu betreiben, als
dessen Lösung nicht mehr und nicht weni-
ger als die Idee eines neuen Stils stabiliert
wurde: das konnte man angesichts dieser
Ausstellung allerdings kaum noch ahnen.
Immerhin, man wurde wenigstens daran
erinnert in den denkwürdigen Sonderaus-
stellungen, die den' ehemaligen Führern
der Bewegung gewidmet waren. Hier fand
man noch einmal, in den Jugendarbeiten
der führenden Künstler, etwas von den ur-
sprünglichen Problemen und den schöpfe-
rischen Ideen wieder, die der Bewegung im
Anfang ihren starken Impuls gegeben hat-
ten, die aber im Laufe der Zeit selbst von
der Mehrzahl dieser Führer um anderer,
bequemer erreichbarer Ziele aufgegeben
waren.
Eine hoffnungsvolle Bewegung hatte
vorzeitig ihr Ende gefunden, ehe noch die
geistige Entwicklung, die sie angebahnt
hatte, zum Abschluß gelangt war. Eine
lebendige, aus der Zeit begriffene und in
kühnem Ansturm erfaßte Idee war vorzei-
tig aufgegeben, ehe sie zu Ende gedacht
und in ihrer tiefen Wahrheit allgemein
überhaupt begriffen war.
II
Das Kunstgewerbe hat sich über den
Krieg und die Nachkriegszeit hinaus das
wertvolle Gut seines technisch-handwerk-
lichen Könnens ungeschmälert bewahrt. In
den Werkstätten aller Gewerbezweige wird
im Vollbesitz dieses Könnens, ehrlich und
sorgsam, nach bestem Wissen und Gewis-
sen, gearbeitet. Die Resultate sind höchst
achtbar und von schätzenswerter Quali-
tät. Dennoch führt ehrliche Prüfung zu
dem bedrückenden Geständnis, daß uns die
lebendige Beziehung zu dieser formenrei-
chen Welt des Kunstgewerbes abhanden
gekommen ist, daß wir mit seinen bun-
ten und mannigfachen Erzeugnissen nichts
rechtes mehr anzufangen wissen und daß
der Begriff „Kunstgewerbe" heute schon
vielfach mit einem nicht zu mißdeutenden
ironischen Unterton gebraucht wird. Und
es steht fest, daß bisweilen ein simpler ma-
schinell hergestellter Gebrauchgegenstand,
etwa eine einfache Streichholzbüchse aus
poliertem Nickelstahl oder ein kunstloses
Tintenfaß aus glattem Hartgummi durch
die erregende Kraft einer knappen prä-
zisen Formung auf viele von uns stärkere
Wirkungen auszuüben vermag, als jene
kunstvollen und technisch vollendeten Er-
zeugnisse des modernen Kunsthandwerks.
Ketzerische Leute behaupten sogar, daß
die schnittige Karosserie eines modernen
Autos für unsere Zeit in gleichem Sinne als
Kunstgewerbe zu gelten habe wie eine or-
namentbeladene Prunkkarosse des alten
Fritzen für die Zeit des Rokoko.
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