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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Rading, Adolf: Stadt, Form, Architekt
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0013

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trümmern, sie wird aber ebensowenig un-
verändert weiter bestehen können. Die
Veränderung wird sicherlich in Richtung
der neuen Gedanken erfolgen und aus
Wechselwirkung von alter und neuer An-
schauung und Zeit als drei Dimensionen
wird eine neue Welt sich aufbauen.
*

Zweierlei ist für uns zu fürchten und
zu meiden. Stumpfer Realismus, d. h. die
Anschauung, als sei die Stadt von heute ge-
wachsenes, unvermeidliches, unbeeinfluß-
bares Produkt der Wirtschaft, Fanfare,
Schlagwort: alles ist gut und schön, wie es
ist oder noch mehr, wie es vor dem großen
Kriege war. Ändert nichts, baut weiter, wie
es schön begonnen wurde. Scheuklappen-
geblendeter Idealismus, d. h. die Anschau-
ung, jedes Ergebnis der Vergangenheit wäre
durchaus schlecht und unhaltbar, nur in
der absoluten Zertrümmerung der alten
Formen könne das Heil liegen, Schlagwort:
Zertrümmerung der Stadt, die Stadt ein
Übel, zurück zur Natur, aus dem Dunkel
muffiger Straßenschluchten in die helle
Sonne des grünen Landes.

Ich neige nicht zu den Gewohnheiten
gewisser Organisationen, die gegensätzliche
Anschauungen aus eigennützigen Erwägun-
gen erklären. Für die Vertreter beider hier
gekennzeichneter Wesensverschiedenheiten
halte ich das „Nil humani" als Beweggrund
für selbstverständlich und den Eiferern
der einen Seite, die im Hochgefühl ihrer
Blickweite der anderen vorwerfen, daß das
von ihnen als Folge der vergangenen Wirt-
schaft nicht gesehene Elend für sie auch
nicht existiere, könnte man mit Recht den-
selben Vorwurf für die angestrebte neue
Wirtschaft machen, die trotz allen guten
Willens auch wohl kein absolutes Glück
jedes einzelnen bedeutet.

*

Denn so verfährt das Leben nicht. Es
gibt so wenig ewiges Glück wie ewiges
Unglück, beides wäre menschlicher Struk-
tur, die nun einmal auf natürlichen Be-
dingungen beruht, nicht tragbar.

Das seltsam Göttliche im Menschen sind
Zwiespalt und Zweifel, auf ihnen gründet

sich sein fortgesetzter Versuch, die Natur
zu überwinden.

Für den naturgebundenen Menschen er-
gibt sich merkwürdig die Natur als Gegner.
Er wird in diesem Kampfe nur dann Aus-
sicht auf Erfolg haben, wenn er ganz sie
zu erkennen sucht. Die ideale Forderung
ist tief menschlich begründet, wird sie
aber ohne Rücksicht auf die Gesetze des
Lebens erhoben, muß unmittelbar die Folge
ein Zusammenstoß mit dem Leben sein. Es
kann nicht übersehen werden, daß alles
Geschehen, alle Wirkung an das Leben ge-
bunden ist. Deshalb ist hier Kräftevergeu-
dung nur soweit sinnvoll, als sie Anstoß zur
gesunden Lebensentwicklung geben kann.

Wer dagegen aus Furcht vor dem Un-
bekannten Erworbenes erhalten will und
preist, kann zu Wirkungen ebensowenig
oder noch weniger gelangen, ihm muß das
Leben sich mit Notwendigkeit entreißen,
denn es stürzt ewig ins Unbekannte, ent-
eilend, Entwicklung schaffend.

*

Wir sollten nicht glauben, über angel-
sächsische Empirie erhaben zu sein. Hier
weiß man vom Menschen als dem Maß zu-
mindesten der Dinge, die seinem Leben
dienen. Wir Deutsche aber bringen es fertig,
eine Sache mehr zu lieben als den Menschen,
und könnten den Menschen über der Sache
zugrunde gehen lassen. Wir können Zeit
und Arbeil an Theorien oder unfrucht-
bares praktisches Bemühen verwirken, bis
das Leben uns zwangsweise in den Arm
fällt und unsere Handlungen berichtigt.

Nicht jeder Angelsachse ist Lebensprak-
tiker, nicht jeder Deutsche Theoretiker,
aber im ganzen gehen Neigung und Ver-
anlagung dahin. Kein Schade, sobald wir
nur wissen, was wir tun; kein Schade, so-
bald wir eine gewollte Entwicklung auch
wirklich durchsetzen. Ein Mann, der seine
Gedanken in Taten sich niederschlagen
sieht, ein Narr, dem sie in Luftgebilden
entweichen. Wer das Leben beachtet, dem
wird es sich erschließen, wer es mißachtet,
über den wird es zur Tagesordnung über-
gehen.

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