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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Mendelssohn, Georg: Industrie und Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0038

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Nirgend anderswo sind derartige Arbeits-
zeiten auf diese Materialien gehäuft wor-
den — und warum? Weil die Religion
goldene und silberne Gefäße verbot. Da
man mit edlen Metallen nicht prunken
durfte, akkumulierte man Arbeit. Ein an-
deres Beispiel ist die europäische Spitze.
„Wer wird noch Spitzen tragen?" sagte
eine große Dame, als die Maschine auf-
kam — „wenn sie so billig sind, daß
jedes kleine Mädchen auch welche trägt."
Nicht also der Umstand, daß Maschinen-
spitzen weniger schön sind als hand-
gearbeitete, war ausschlaggebend, son-
dern Furcht vor Entwertung. Sehr viele
Damen, die von künstlerischen Qualitäten
wirklich keine Ahnung haben, unterschei-
den heute mit Sicherheit „echt" und „un-
echt", das heißt, Hand- und Maschinen-
arbeit, und meinen damit gar nichts an-
deres, als einen Preisunterschied. Ebenso
wie man heute die Fehler des natürlichen
Edelsteins als Beweis seines nicht synthe-
tischen Ursprungs hochschätzt, werden ge-
wisse Zeichen der Handarbeit hoch bewer-
tet. Nicht weil sie eine absolute Qualität
darstellen, sondern als Beweise eines hö-
heren Arbeitsaufwandes und damit grö-
ßeren Wertes.

Das Ornament ist in dieser ganzen Pe-
riode also Träger des Arbeitsaufwands und
dazu durch seine relativ leichte Erlernbar-
keit hervorragend geeignet. Es ist nun
einmal nicht jedem gegeben, einem Stück
Leinewand durch ein paar Pinselstriche
dauernden Wert zu verleihen, aber einen
sorgfältig gearbeiteten Rand mit Paletten
oder Mäandern bringt man schon fertig.

Handwerk und Ornament bleiben also
auf immer verknüpft. Beim Hersteller
durch das natürliche Streben nach Ab-
wechslung, Freude an der eigenen Ge-
schicklichkeit und Unfähigkeit für wirk-
liche Kunst; beim Käufer durch das Nach-
erleben dieser Seclenzustände und den
Glauben, einen höheren Wert erworben zu
haben.

Ganz anders liegen die Dinge bei der
Industrie. Der Mehrwert ist für den Käu-
fer reine Illusion. Oft ist das glatte Stück

sogar wertvoller, denn durch Muster kann
man manche Fehler verdecken. Die Freu-
den des Verfertigers am Spiel fallen na-
türlich vollständig weg. Es bleibt eigent-
lich nichts übrig, als die Spekulation auf
die Trägheit und Gedankenlosigkeit einer
breiten Käuferschicht, die in Erinnerung
an den höheren Wert reich gearbeiteter
handwerklicher Stücke noch etwas davon in
den Maschinenprodukten zu sehen glaubt.

Nur ein Einwand ist denkbar: ein objek-
tiver Wert des durch die Maschine vermit-
telten Ornaments. Derselbe Wert, den die
Pieproduktion eines Kunstwerks besitzt. Ein
Blick auf eine Ausstellung derartiger Ge-
genstände zeigt uns, daß diese Werte dort
einfach nicht vorhanden sind (es würde zu
weit führen, hier auseinander zu setzen,
warum sie nicht vorhanden sein können).
Tatsächlich ist die Herstellung ornamen-
tierter Maschinenwaren heute Domäne einer
mittleren Industrie, während die großen
führenden Industrien sich davon vollstän-
dig losgemacht haben, Maschinen, Auto-
mobile, Fahrräder und vieles andere bis
zur Badewanne und dem Aluminiumtopf
verwenden das Ornament nicht mehr.
Außer der Schönheit der glatten Fläche
kennen sie teilweise noch einen Schmuck:
die Linie. Wir wollen noch dieses letzte
Überbleibsel des Ornaments untersuchen.
Typisch ausgebildet finden wir die Linie
beim Automobil und beim Fahrrad, wäh-
rend Flugzeug und Kochtopf schon dar-
über hinaus sind. Die Linie ist nämlich
die letzte Konzession an das architekto-
nische Gefühl von gestern, dessen Reste wir
wohl alle noch in uns haben. Sie will
eine Gliederung andeuten, erinnert an die
Fassaden der Renaissance und sagt unge-
fähr: „etwas fürs Gemüt muß man doch
haben." Wenn sich unser Auge an die mo-
dernen Bauten ganz gewöhnt haben wird,
werden die Linien verschwinden.

Die Industrie kann nicht die Aufgabe
haben, subjektive Einfälle eines Einzelnen
zu vertausendfachen, auch nicht die For-
men anderer Herstellungsmethoden nach-
zuahmen, sondern sinngemäß nur die ein-
zige : für einen Massenbedarf preiswerte
Güte in der besten Qualität herzustellen.

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