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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Behrendt, Walter Curt: Die Situation des Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0069

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Ausdruck organischen Gestaltens. Unsere
Zeit,. allem Spielerischen abgewendet, hat
keinen Sinn mehr für die mannigfachen
und gefälligen Reize individueller Formva-
riationen. Sie ist ornamentlos, undekorativ,
mit einem Wort antikuns Ige werblich. Da-
mit ist die Situation des Kunstgewerbes in
der Gegenwart gekennzeichnet. Im Besitz
höchster technischer Fähigkeiten und voll-
endeten handwerklichen Könnens steht das
Kunstgewerbe heute isoliert, als eine Kunst-
übung, die für sich selbst nicht bestehen
kann und dennoch des ihr unentbehrlichen
Anschlusses an die Architektur entraten
muß. Auf der einen Seite schafft dieses
Kunstgewerbe, dem Zeitwillen entgegen,
kostbare, in sich vollendete Werke für ein
imaginäres, kaum noch greifbares Bedürf-
nis. Auf der anderen Seite produziert es,
an dem neuen Gestaltungswillen orientiert
und mutig der Zeit vorauseilend, für die
ebenso imaginären Räume einer kommen-

den Architektur. In jedem Falle fehlt ihm
die reale Basis unter den Füßen, und so
im luftleeren Räume schwebend, teilt es
das Schicksal aller bildenden Kunst in die-
ser Zeit.

Diese zwiespältige Situation des Kunsl-
werbes wird in der Behandlung der Form-
und Gestaltungsprobleme, in deren Dienst
sich diese Zeitschrift gestellt hat, immer
wieder zutage treten, und der Dualismus
der Schaffensrichtungen spiegelt sich deut-
lich auch in den Abbildungen wider, die wir
diesen Heften beifügen. Einzig der Um-
stand, daß das architektonische Schaffen
gegenwärtig mehr und mehr in den Brenn-
punkt aller künstlerischen Interessen rückl,
berechtigt zu der Hoffnung, daß der gegen-
wärtige, unglückliche und unhaltbare Zu-
stand des Kunstgewerbes bald ein Ende
findet und ein einheitlicher Gestaltungs-
wille in naher Zukunft alle Zweige der
gestaltenden Arbeit gemeinsam erfaßt.

Heinrich Tessenow, Dresden Aus einem Wohnzimmer
Ausführung: Deutsche Werkstätten, Dresden-Hellerau

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