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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Döcker, Richard: Zum Bauproblem der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0094

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gebrachten und Gewohnten zu brechen.
Um zur Entwicklung heutiger Gestaltung
beizutragen und die Einheitlichkeit in der
Gesinnung der Lösung einer künstlerisch-
schöpferischen Aufgabe zu schaffen, bedarf
es zunächst der Feststellung von allgemein
gültigen Erkenntnissen. Es ist wichtig, die
bisher vermeintlichen Richtigkeiten als
falsch zu beweisen und die besondere Be-
deutung der Verantwortung architekto-
nischer Arbeit in einem erweiterten und
allgemeinen Sinne festzustellen.
Bisherige Baugestaltung war
zusammenstellend — kombinierend; indi-
viduell, launenhaft, spielerisch und kunst-
gewerblich historisierend bis zum Ge-
schmäcklerischen;
das neue Bauen ist

konstruierend - organisierend; systema-
tisch, typisch, wesentlich, funktionell und
exakt.

Es ist möglich, gewisse Richtlinien für
die Lösung gegenwärtiger schöpferischer
Aufgaben aufzustellen, um einheitliche und
vielleicht eindeutige Ergebnisse zu erhalten:
Die Architektur als Dokument der Zeit,
als Beweis des Lebenswillens von Gene-
rationen, ihrer Sehnsucht, ihres Schicksals,
ihrer geistigen Bedeutung gibt Klang,
Rhythmus und Spannung als \\ egrichtung
und Vorbild für die Entwicklung heutiger
Gestaltung aller Gebilde; vom Gebilde
höchster Ordnung eines komplizierten und
differenzierten Bauorganismus bis zum ein-
fachen kunstgewerblichen Gegenstand.
Die geistigen Vorgänge sind bei richtiger
Einstellung der Zeit gegenüber immer die-
selben.

Uberall in der Welt treten Lösungen
und Vorschläge auf — völlig unabhängig
voneinander — aber von verblüffender
Ähnlichkeit im Prinzipiellen, im Geistigen.
Der Anfang und der Beweis für die
Stärke und Gültigkeit des Kommenden.
So sind — wie bei einer mathematischen
A ufgabe—gegebeneGrößen, die d ie Lösung
der Bauaufgabe bestimmen:
Die vorhandene Umgebung eines Bau-
platzes, die S üdr i ch tung, die Z ug an gs-
richtung zum Gelände (vom Zentrum
der Stadt), die Beschaffenheit des Geländes
(Hang, Ebene), dieVerkehrsverhältnisse,

der Charakter der Landschaft und ihr
Klima, das Bauprogramm und seine
w i r t s c h a ft 1 i c h e n Bedingungen.

Sitiiierun«'
Grundrißgestaltung

Die Situation, d. h. die Stellung des
Baues im Gelände; seine Längs-und Tiefen-
ausdehnung, seine Gliederung und Höhen-
entwicklung — die Körperform —, ist bei
Beachtung der oben angeführten gegebenen
Werte im Rahmen der räumlichen Gesamt-
komposition des ganzen Stadtorganismus
zu finden. Der Einzelbau ist sich unter-
ordnendes und einfügendes Glied mit raum-
bildender Tendenz in den Rahmen und
Rhythmus der Gesamtanordnung der be-
stehenden Bebauung — ein Teil des Ganzen.
Er ist nicht der Willkür und dem Ehrgeiz,
den spielerischen Trieben und Zufällig-
keiten eines Schöpfers überlassen. Dadurch
wird die Planung natürlich, selbstverständ-
lich, zwangsläufig — im Gegensatz zur er-
zwungenen, absoluten und beliebigen, im
Gegensatz auch zu einer solchen, die die
Beschaffenheit des Geländes und seiner
Umgebung ignoriert und einer privaten
Fassung zuliebe Vergewaltigungen ausübt.
Im Zusammenhang mit diesen Versuchen
ergibt sich von selbst die generelle Ein-
teilung vom Grundriß und Schnitt (so bei-
spielsweise die Lage des Eingangs in der
Nähe des Zugangs zum Gelände, die Lage
der Haupträume nach der Sonnenseite, die
der Nebenräume den Bedürfnissen ent-
sprechend usw., so daß die Lösung der
Grundrißanlage für große wie kleine Auf-
gaben bei richtiger Beachtung notwendig
und zwangsläufig ist, wenn man die natür-
liche Funktion der in der Aufgabe be-
stimmten Forderungen befriedigt und das
Wesentliche, das Typische derselben als
das zu Erfüllende ansieht.
Aus sich selbst stellt das architek-
tonische Schaffen nach Erkenntnis
der vorgefundenen Größen und
Probleme die Bedingungen und
Gesetze seiner Gestaltung.
Die schöpferische, volle Persönlichkeit wird
intuitiv die richtige Lösung mit allen ihren
Bedingtheiten ahnen. Die Vorstellungsgabe
ergibt, neben der Konzeption von Lage,
Grundriß und Schnitt die räumliche, orga-
 
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