Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit (1.1925-1926)

und Plätze durch die Farbe und das Licht
zwingen. Und wer anders hätte heute An-
laß und Mittel hierzu als die, denen keine
Fläche zu riesenhaft ist, um sie zu be-
handeln? Nicht Reklameschilder vor die
Fenster wie in Amerika, wo man sich ganze
Häuserfronten kauft und dahinter bei künst-
lichem Licht arbeitet. Sondern die Haus-
fronten selbst erfassen und so gestalten,
daß sie zugleich die räumlichen Möglich-
keilen hergeben, die bei ihrer Errichtung
versäumt wurden. Das Chaos großer Ave-
nuen wie etwa der im Zuge der Hochbahn
vom Zoo bis zum Nollendorfplatz und
darüber hinaus, die Öde von Plätzen, dies
alles ist Rohmaterial für eine unterneh-
mungslustige Reklame, die — kluge Ab-
sicht und gute Leistung vorausgesetzt —
nichts verdirbt und mit der man nur ge-
winnen kann.

Warum den Lebensnerv des Wirtschafts-
lebens verpacken und verstecken? Alles
lebt heute von Handel und Wandel. Kein
Geld, das dabei rollt, ist verschwendet;

denn nicht die einzelne Abrechnung ist
entscheidend, sondern der Umsatz. Alles
liegt heute danieder, weil nicht gebaut
wird. Denn das Bauen ist, wie die Sach-
verständigen lehren, ein Schlüsselgcwerbe,
von dem die ganze Wirtschaft in Bewe-
gung gehalten wird. Jeder weiß, daß es
bei dieser Erkenntnis bleibt und ernstlich
nichts geschieht, um ihr zu entsprechen.
Wohlan! Wenn die Wohnungsnot die
nicht zum Handeln treibt, die selbst ein
Dach über dem Kopfe haben, so mögen es
andere tun. Auch die Reklame kann ein
Sclilüsselgewerbe sein. Die Holz-, Eisen-,
Papier-, Farben-, Glas- und Elektrizitäts-
industrie und durch sie wieder Baugewer-
be, Texlilbedarf, Strombedarf und schließ-
lich Gasthofsgewerbe, Verkehr und Ver-
sicherungswesen, sie alle können er-
schlossen werden.

Es ist nicht wahr, daß eine arme Zeit so
etwas nicht darf. Arm ist eine Zeit, so-
lange sie sich nicht regt, und die Haupt-
sache ist: Umsatz und Arbeit.

New York, Lichtreklame am oberen Broadway (Thcalervierlel)