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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Riezler, Walter: Ford
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0260

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der alte Reiz wird zerstört, sondern es kann
auch keine lebendige neue Form entstehen, so-
lange nach jenem Grundsatz, den man den Ford-
schen nennen darf, die Alleinherrschaft über-
läßt. Damit ist aber — vorausgesetzt, daß dem
Fordsclien Prinzip endgültig die Zukunft gehört
— über die menschliche Kultur das Urteil ge-
sprochen. Wo es keine beseelte, lebendige Form
mehr gibt, hat man kein Recht, von Kultur zu
sprechen. Die Form ist der unmittelbare Aus-
druck und daher der sicherste Maßstab der
Kullurliöhe einer Zeit.

Wer Gelegenheit hat, zu beobachten, in welcher
Weise von vielen Seiten an dem Problem des
Maschinenhauses gearbeitet wird, ist geneigt, die
Gefahr für geringer zu halten, als sie einer rein
grundsätzlichen Betrachtung erscheint. Es ist
möglich, daß da und dort in Amerika der Ver-
such gemacht wird, zu einer Hausfabrikatioh
auf rein Fordscher Grundlage zu gelangen; in
Europa jedenfalls bemüht man sich, neben dem
Grundsatz der technischen Mechanisierung auch
die Erfordernisse der Form zur Geltung zu
bringen. Nicht nur in Deutschland, auch in Hol-
land und Frankreich haben begabte und künstle-
risch feinfühlige Architekten die unendlich
mühevolle und entsagungsreiche Arbeit aufge-
nommen, für das maschinell hergestellte Haus
die natürliche und eindrucksvolle Form zu fin-
den. Daß diese Form anders sein muß wie die
des alten Hauses, daß sie auf die meisten Reize
der früheren Architektur verzichten muß, ist
selbstverständlich. Jeder Versuch, auf künst-
lichem Wege den alten Reiz zu retten, würde
zu ebenso jämmerlichen Ergebnissen führen wie
jede andere maschinelle Nachahmung von Hand-
arbeit, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten
des 19. Jahrhunderts zur Genüge kennen ge-
lernt haben. Aber wie wir längst gelernt haben,
die ganz neue Schönheit einer maschinellen
Form zu empfinden, wird sicherlich auch die
neue, strenge und kühle Form des Maschinen-
hauses verstanden und empfunden werden, wenn
sie nur erst einmal ganz rein gelöst ist. Diese
Lösung kann freilich nur gelingen, wenn der
Gesichtspunkt der Form neben dem der Mecha-
nisierung als gleichberechtigt anerkannt wird.
Ford würde wahrscheinlich diese Anerkennung
verweigern. Wenn wir geneigt sind, eine solche
Gesinnung zu verachten, so mögen wir uns daran
erinnern, daß auch in Deutschland noch vor
kurzer Zeit auf einigen höchst wichtigen Gebie-
ten die gleiche Gesinnung herrschte: bei Verge-
bung von Eisenbauten war es noch vor kurzem
selbstverständlich, in der Regel nur nach der
technischen Qualität und der Billigkeit zu sehen.

Wenn sich heute eine so große Anzahl ernsthafter
Künstler um die Schaffung der neuen techni-
schen Form bemüht, so tun sie das nicht nur,
weil das Problem sie reizt, oder weil sie die Ver-
pflichtung fühlen, sondern auch weil ein echtes

und starkes Bedürfnis nach geformten Dingen
auch heute noch besteht. Es ist gar keine Frage,
daß diejenige Hausfabrik mit ihren Erzeugnissen
den größten Erfolg haben wird, — bei sonst
gleichen Leistungen, — die die beste Form her-
ausbringt. Daß auch außerhalb des von den
Künstlern bearbeiteten Gebietes dies Bedürfnis
nach Form immer noch vorhanden ist, kann man
daraus ersehen, daß wahrscheinlich jeder, der
es sich leisten kann, sich keinen Ford-Wagen, son-
dern ein anderes Auto anschafft, nicht weil der
andere Wagen leistungsfähiger und dauerhafter,
nur weil er schöner ist. Dieses Bedürfnis nach
guter Form ist eines der erfreulichsten Sym-
ptome in dieser krisenhaften Zeit. Es ist zu wer-
ten als ein Beweis für die Unversehrtheit see-
lischer Kräfte wenigstens auf einigen Gebieten.
Freilich besieht noch eine andere düstere Mög-
lichkeit. Vielleicht ist dieses Bedürfnis nach
Form noch ein Rest des früheren, der Mechani-
sierung noch nicht unterworfenen Zustandes der
Menschheit. Man könnte sich denken, daß dieses
Bedürfnis, wie jedes andere seelische Bedürfnis,
unter dem Einfluß der Mechanisierung, deren
Entwicklung ja erst, am Anfang sieht und die
sicherlich allmählich auch Gebiete ergreifen wird,
die jetzt noch der freien Arbeit des Geistes vor-
behalten sind, völlig verkümmern wird, d. h.
daß das Bedürfnis nach dem Extensiven alles
überwuchern wird. Damit wäre das Ende der
menschlichen Kultur erreicht. Aber wahrschein-
lich ist jede solche Prophezeiung zwecklos, weil
nur ein verschwindend kleiner Teil der für die
Entwicklung wesentlichen Faktoren menschlicher
Berechnung zugänglich ist. Die Stärke der tief
im Unbewußten wirkenden seelischen Kräfte der
Menschheit ist nicht meßbar; es ist nicht einmal
mit Sicherheit zu sagen, ob wirklich, wie es
scheint, diese Kräfte in ständiger Abnahme be-
griffen sind. Vielleicht ist ihre Macht konstant,
vielleicht nimmt sie augenblicklich ab, um später
einmal, nachdem sich sozusagen die für die
Gesundung nötigen Gegengifte gebildet haben,
wieder anzuwachsen. Klar ist nur die Aufgabe,
die uns aus der augenblicklichen Lage der
Menschheit erwächst: mit allen Kräften die
Schädigungen abzuwehren, die der menschlichen
Seele von der Seite der Mechanisierung drohen.
Diese Abwehr hat mit romantischen Sehnsüchten
nichts zu tun, und sie darf sich daher auch
nicht darauf beschränken, daß alles geschieht,
um die von der Mechanisierung noch nicht er-
griffenen Bezirke seelischen Lebens frei und
gesund zu erhallen. Noch wichtiger fast ist die
Durchdringung der mechanischen Welt mit le-
bendiger Form. Denn jedes echt geformte Ding
ist nicht nur ein Beweis dafür, daß noch kul-
turelle Kräfte in der Menschheit lebendig sind.
— es wird dadurch, daß es eingegangen ist in
den gewaltigen Wellprozeß der .Formung, seihst
zu einer Macht, von der leben- und formschaf-
fende Kräfte ausgehen.

V Ii It A NT W O R T L I C H F 0 1t I) EN INHALT: DR.-t N G. W A LT K It C U U T Ii V, II H K N I) T, B H lt L I N W

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