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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Riemerschmid, Richard: Der Einfluss der Grossindustrie auf die Formung unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0294

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noch heute so viel bedeuten, daß sie man-
chem unter uns das Leben erst recht lebens-
wert machen. Jetzt ist die führende Macht
die Industrie mit ihren ans Wunderbare
grenzenden technischen Errungenschaften,
mit ihrem überwältigenden, wirtschaft-
lichen Gewicht; denn auch das Bankwesen
das Verkehrswesen gehört ja mit dazu, steht
mit der Großindustrie in so engem Zusam-
menhang, daß man sie gar nicht trennen
kann. Jetzt steigt groß und deutlich eine
ebenso einfach selbstverständliche wie un-
geheure Erkenntnis herauf; die Auswir-
kung dieser Erkenntnis wird gewaltig sein,
es wird berechtigt sein, von einem neuen
Zeitalter zu reden. So lautet diese Erkennt-
nis : Die Führung gehört den besten Köp-
fen der großen Gemeinschaft, aus den
Unternehmern, aus der Arbeiterschaft, aus
der Geldwirtschaft den besten Köpfen. Die
gehören notwendig zusammen und können
diesem Zwang nicht ausweichen. Das ist die
große Erkenntnis, die langsam heraufsteigt.
Sie fangen an zu fühlen, daß ihre Arbeit
zusammengehört. Es kommt dazu und ver-
mehrt weiter die gewallige Wucht der In-
dustrie, daß die großen internationalen Zu-
sammenhänge von Jahr zu Jahr enger, von
Jahr zu Jahr mehr werden. Die Menschheit
wächst zusammen zu einer Gemeinschaft
und die Führung dieser Gemeinschaft fällt
der Großindustrie zu.

Sie mögen sagen: das ist Zukunft. Es ist
Zukunft, aber wir sollen heute wissen von
dieser werdenden Zukunft.
Immer, ausnahmslos immer sind für den
Geist, der in einer großen Gemeinschaft
herrscht, verantwortlich die Führer, nie-
mand anders. Die Einzelheiten werden von
Tausenden, von Millionen bestimmt, von
den Vielen, aber Geist und Gesinnung be-
stimmen die Führer, die Wenigen, die
an der Spitze stehen. Tun sie es nicht, dann
verschwinden sie, andere treten an ihre
Stelle und für sie gilt dasselbe. Und damit
wird nun klar, welche Verantwortung für
alle Gebiete menschlicher Arbeit der Groß-
industrie zufällt; nicht nur für wirtschaft-
liche Dinge, nicht nur für politische Dinge,
auch für Wissenschaft, auch für Kunst, mit
einem Wort, für die Kultur der ganzen Zeit
fällt der führenden Industrie die Verant-
wortung zu. Kultur aber und Form sind

zwei Begriffe, die, so wie wir sie verstehen,
sich decken. Die Formenwelt, die eine Zeit
hervorbringt, bedeutet die dauernden Werte,
das dauernde Wirken auf die Gegenwärti-
gen, auf die Kommenden. So sicher nun
diese große Verantwortung einzelnen be-
wußt ist — die Beweise dafür stehen gerade
hier in Essen rings um uns herum — so
sicher ist sie der großen Mehrheit nicht be-
wußt. Alle drei Gruppen, die Unternehmer,
die Arbeiter, die Banken sind sicli dieser
Verantwortung nicht bewußt. Sie wollen
sie nicht anerkennen, sie sind mit anderen
Dingen beschäftigt, wollen mit anderen
Dingen beschäftigt sein. Aber sie können
sich damit der Verantwortung nicht ent-
ziehen. Ich bitte Sie, nicht falsch zu ver-
stehen ! Ich muß versuchen, mich zu sichern
gegen eine mißverständliche Anschauung,
eine sehr naive Anschauung, die aber in
unserer kunstverlassenen und kunstfremden
Zeit so weit verbreitet ist, daß mit ihr ge-
rechnet werden muß. So völlig ist nämlich
heute unsere „Kunst" vom Leben abgeson-
dert, daß viele bei dem Worte Kunst, an
nichts anderes denken können als an Bil-
der und Bilderausstellungen, an Palast-
architektur, an Statuen, an Prunkräume und
solche Dinge. In Wirklichkeit aber ist heute
gerade da von Kunst wenig zu finden. Bil-
dende Kunst ist nichts anderes als Gestal-
tung unseres eigenen Lebens und Formung
unseres eigenen Wesens, so, daß es sicht-
bar wird und sichtbar bleibt.
Nun bringt freilich gerade die Großindu-
strie vielfach Werte hervor, die als Roh-
produkte mit der Gestaltung wenig oder gar
nichts zu tun haben, Kohle, Elektrizität,
chemische Stoffe usw., aber machen wir nur
wenige Schritte weiter, zum Maschinenbau,
zu den Farben, so sind wir schon mitten
drin in der Formgebung, noch einen Schritt
weiter zum Schiffbau und zum Luftfahr-
zeug, hier kommt schon die Formung in
ihrer am meisten verfeinerten Art zur Gel-
tung. Aber dabei kommt das Entscheidende
noch nicht zum Vorscbein. Schon mit der
Art, wie das halbfertige Erzeugnis herge-
stellt, wie das Rohprodukt behandelt wird,
liegt die Richtung fest. Wenn dabei Zweck-
mäßigkeit, Gediegenheit, Zuverlässigkeit als
ein Gesichtspunkt gilt, der nie aus dem
Auge gelassen wird, wenn dabei schon eine

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