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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Brinckmann, Maria: Charakteristik des Schönen für einige Textilien
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0422

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rei. Auch die Glätte des künstlichen Seiden-
fadens ist sein Besonderes und sollte ihn
nur den Zwecken, denen sie Vorteil ist, vor-
behalten. Ein Gewebe, von Hand gewebt:
Der Anschlag ist nicht so gleichmäßig wie
der Anschlag eines mechanischen Gewebes.
Die Ungleichmäßigkeit darf nicht bis zu dem
Grade des Nichtkönnens gehen, aber der
natürliche Rest von Ungleichmäßigkeit wird
die Stoffläche beleben. Bewußt kann che
Unregelmäßigkeit des Anschlags gesteigert
werden zu einer rhythmischen Wirkung, die
nicht nur versteckt der Trick einer Plüsch-
bindung sein braucht.

Für das muslerlosc, gleichmäßige Tuch er-
fand man vorcinst die Walke. Der mecha-
nische Webstuhl schuf die ladellos glatten
Stoffbahnen, vollendete sie durch die me-
chanischen Färbeverfahren, zuletzt durch
die synthetischen Farbmittel und die Appre-
turen. Die sausenden Webstühle legen auf
Vorrat die Ware hin zum Einfärben auf -die
Modefarbe der nächsten Saison. Die Hand-
weberei gäbe mit ihrem nicht restlos aus-
geglichenen Flächenbild unwillkommenen
Farbeungleichheiten Gelegenheit. Sie kennt
fast nur Fadenfärbungen. Auch der mecha-
nische Webstuhl benutzt sie selbstverständ-
lich, aber er würde sie im glatten einfar-
bigen Gewebe nicht wie der Handstuhl zum
Ausdruck bringen; denn der Rest von Un-
gleichheit in der Farbaufnahme des Fadens
liegt im Widerstreit mit dem Gleichheits-
streben seines Erzeugnisses. Die Fatalität
muß durch die Kenntnis des Webmeisters
umgangen werden, der Ungleichheit des
Handgewebes gesellt sie sich natürlich.
Musterungen der Stoffe: Sie sind solche
durch Material, solche der reinen Gesetz-
mäßigkeit der Fadenverschränkungen, Bin-
dungen, und solche, wo diese gemäß den
Konturen von Zeichnungen gewechselt sind.
Abseits stehen die Bildgewebe, Gobelins, die
Knüpfteppiche. Die Handweberei bleibt zu-
rück, obwohl sie sich die Ii albmechanischen
Mittel bis zum Jacquard zuerst schuf. Der
edle Damast ist noch deshalb edler als ein
Jacquardtuch, weil er seine Herleitung aus
dem Bindungs- zum Zeichnungsmus'er nicht
verleugnet, sondern seine Zeichnungslinien
nach der Bindung abstuft. Deshalb braucht
er immer soviel Schuß, als die Bindung ver-
langt, während das glatte Jacquardmuster

täuschen kann, sich unter scheinbarem, grö-
ßerem Reichtum bei tatsächlicher Material-
ersparnis hinwegsetzen über das innere
Grundgesetz seiner Bindung. Das, was ist,
ganz zum Ausdruck bringen, ist das Ziel
jedes guten Gewebes; diesen Ausdruck täu-
schen, das Ziel der Massenware. Sie wird
hierin unterstützt durch die zahlreichen che-
misch-mechanischen Verfahren der Appre-
tur, womit man die Nachbehandlung geweb-
ter Stoffe zusammen bezeichnet. Es entbehrt
sie wold kein Stoff ganz, aber derjenige
Stof f ist der beste, bei dem, nicht anders als
wie bei einem sinngemäß angewandten Na-
turheilverfahren, die letzte Schönheit seines
Gesundseins herausgeholt wurde. Man fühle
Stoffe nicht nur, indem man über sie hin-
streiche, sondern man fühle sie auf Muskel,
indem man sie fest anfasse und drücke.
Man sehe Stoffe nicht nur auf das täu-
schende Gesamtbild an, sondern auf das gut
ausgeprägte Bild des kleinen Abschnittes,
diesen auf den Ausdruck und die Verwen-
dung aller seiner Fäden. Ein Innenarchi-
tekt sollte nicht nur von Hölzern Bescheid
wissen, sondern auch von Stoffen und des-
halb auf einer Fachschule sowohl als einer
Kunstgewerbcschule Materialkunde getrie-
ben haben. Ausdrücklich sind beide Schul-
gattungen für diese idealistische Forderung
genannt; denn keine bietet allein das, was
als Ideal gesunder textiler Schönheit der
heuligen Erzeugung zu erkennen ist. Die
Texlilfachschule ist eng verbunden mit der.
Industrie. Ihre geistige Einstellung muß das
industrielle Endresultat von heule sein, das
von der Wahrheit der Dinge um so weiter
entfernt ist, als das mechanische Ideal einer
erfüllten Berechnung der Substanz Stoff
und der Substanz Menschheit als wirtschaft-
lichen Massen am eindeutigsten befahl.
Der Mensch, Herr der Maschine, wird Auto-
krat, che unorganische und die organische
Welt wird ihm Organisationsobjekt nach
dem Schwereverhältnis seines Hirns. Die
Weltordnung läßt glücklicherweise mehr
U Qordnung bestehen; denn für ihre Schwere
fällt sie nicht ins Gewicht. Deshalb ist sie
unerschöpflich schöpferisch. Es ist weit-
ordnungsmäßiger, wenn wir immer wieder
zurückkehren zur Handerzeugung, immer
wieder begreifen im Spiel der Hand, uns
die Begriffe der Dinge neu bilden.

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